Die Magier und die Wissenschaften
Das 18. Jahrhundert ist das Zeitalter der naturwissenschaftlichen Experimente, empirischen Untersuchungen und neuen erkenntnistheoretischen Ansätze. Die Erforschung elektrischer Spannungen, Böttgers (Neu-)Entdeckung der Prozellanherstellung und die allmähliche Entzifferung alter orientalischer Sprachen sind unterschiedliche, aber signifikante Phänomene dieses Zeitgeists. Wir werden sehen, wie Saint-Germain diesen Forschergeist, dieses Interesse am Neuen, Unbekannten und nicht mehr Greifbaren, geschickt für seine Zwecke ausnützte. Vor allem am Beispiel der Karriere als Alchemist zeigt sich das für den Merkantilismus zeittypische Interesse privater Investoren und Regierungen daran, mit neuen, streng geheimen Erfindungen und Methoden Konkurrenten und Nachbarstaaten zu überflügeln. Die »sensationellen« Erfindungen des geheimnisvollen Grafen zur billigen Färberei von Stoffen und Farbenherstellung passen genau in das Konzept der autarken Gebrauchsgüterindustrie vieler Landesfürsten. Tatsächlich kommt es in diesem Zusammenhang – wenn auch nicht durch Saint-Germain – zu vielen nützlichen und rentablen Erfindungen, nicht zuletzt zur Entwicklung der Farbe Preußisch-Blau – um bei einem Beispiel aus dem Bereich der Forschungen des Grafen von Saint-Germain zu bleiben. Nicht nur die Naturwissenschaften, auch die Geisteswissenschaften sind in der Epoche der Aufklärung von einem optimistischen Vertrauen in die absolute Erkenntnismöglichkeit geprägt. Der im 18. Jahrhundert erreichte wissenschaftliche Fortschritt und fruchtbare Diskurs bezüglich der Erziehungswissenschaften ist in der Tat äußerst beachtlich. Und dennoch; am Ende des Jahrhunderts zeigen Figuren wie Saint-Germain und Cagliostro noch einmal gnadenlos die Schwachstellen der vernunftbesessenen Aufklärung auf.
Ungeachtet der Einbindung der Wissenschaften in ein utilitaristisches Gesellschaftssystem besteht allerdings auch noch am Ende des Jahrhunderts ein Spannungsfeld zwischen rationaler, empirischer und metaphysischer Interpretation. Strikte Empirie und Positivismus schließen interessanterweise die parallele Weiterexistenz und das Neuaufkommen der sogenannten Parawissenschaften nicht aus. In einigen Aspekten haben sich diese Parawissenschaften und die Form der im 18. Jahrhundert betriebenen Alchemie nicht allzu sehr von ihren mittelalterlichen Wurzeln entfernt. Bekanntlich wurde ein großer Teil der alchemistischen Vorstellungen mit den Arabern über Spanien und Sizilien nach Europa getragen. Der Graf von Saint-Germain gilt als einer der letzten großen Vertreter der sogenannten »Adepten«, wie die Meister dieser Geheimnisse der Alchemie genannt wurden. In der Beschäftigung mit den Schicksalen Saint-Germains, Cagliostros, Schrepfers und auch Mesmers begegnet uns immer wieder die Suche nach der »materia prima«, dem Urstoff für die Gewinnung des »Steins der Weisen«. Nach wie vor findet sich im Zeitalter der Aufklärung der konkrete Glaube, bald sowohl die künstliche Herstellung von Gold und die Metallverwandlung realisieren wie auch das Geheimnis der Universalmedizin und der Unsterblichkeit lösen zu können.
Mit den sich immer weiter verzweigenden, spezialisierenden und vertiefenden Wissenschaftszweigen gestalten sich auch die sogenannten Geheimwissenschaften immer elitärer. Im sich allmählich etablierenden bürgerlichen Zeitalter vollzieht sich gleichzeitig hinter der Fassade der Aufklärung – gleichsam komplementär – eine außergewöhnliche Popularisierung und Kommerzialisierung der einstmals so exklusiven Geheimlehren der Alchemie und Kabbala. Mit dieser Popularisierung geht zweifelsohne ein Prozess der geistigen Verflachung einher. Alchemie, Kabbala und die sogenannten okkulten Riten werden zur Mode der Aristokratie wie auch des mittlerweile erstarkten Großbürgertums. Lise Andries nennt diesen Vorgang treffend la vulgarisation de l`occultisme.9 Nicht nur Saint-Germain und Cagliostro profitieren davon. Die Verbindung von Magie, Parawissenschaft und Religion verleiht einer großen Zahl weiterer, heute wieder vergessener Magier einen außergewöhnlichen Erfolg. In den Zusammenhang der »Vulgarisation« des Okkulten passen wenige Gestalten besser als der ehemalige preußische Husar und Leipziger Kaffeehauswirt Johann Georg Schrepfer mit seinen Séancen und Geisterbeschwörungen. 10 Wir werden im Zusammenhang mit der Diskussion des Kontakts der Magier zur Freimaurerei und den Geheimgesellschaften auf seine Schmierenkomödien eingehender zu sprechen kommen.
Die Schwäche der Menschen im 18. Jahrhundert für die sogenannten Geheimwissenschaften, für Freimaurerei, neue religiös-mystische Sekten bis hin zu politischem Radikalismus ist keine neue Erkenntnis. Sie ist bereits vielen Zeitgenossen sehr wohl bewusst.11 Die Intellektuellen des 18. Jahrhunderts erkennen durchaus, auf welche Weise die Scharlatane die neuen Theorien und Erkenntnisse der Wissenschaften für ihre sinistren Zwecke instrumentalisieren. Bereits viele Zeitgenossen sehen zum Beispiel Parallelen zwischen Saint-Germain und Cagliostro und vermuten in dem jüngeren Cagliostro einen Schüler Saint-Germains. 12 Der bereits oben zitierte Maximilian Joseph Graf von Lamberg schreibt in seinen gern gelesenen »Lettres critiques, morales et politiques« (1786): Cagliostro ist undurchdringlich und ebenso eigenartig wie der Graf von Saint-Germain, dessen Schüler er sein soll, wenn er auch seinem Meister an Talenten und Genie weit nachsteht. Dieser verdankt seine Berühmtheit seinem Wissen; jener verdankt sie dem Glück und dem Ränkespiel. 13 Dokumentierte Beweise für eine derartige Verbindung gibt es nicht. Im Gegenteil erweisen sich diese Andeutungen bei näherer Betrachtung als falsch, dennoch stürzen sich auch die modernen Autoren immer wieder auf dieses vielversprechende Thema. 14 Richtig ist, dass Saint-Germain bereits zu seinen Lebzeiten viele Nachahmer findet. Einer der bekannteren ist Nicolas Philippe Ledru, genannt Comus. Wie sein Meister wirkt er im Zwischenbereich von Physik, Magie, Medizin und Taschenspielerei. 1783 veröffentlicht er sein an Franz Anton Mesmers Forschungen angelehntes Werk »Aperçu des Idées (…) sur le Fluide universel, connu sous la dénomination Electrique (…).«
Franz Anton Messmer
Mesmer (1734–1815) gibt das Stichwort für drei zentrale Bereiche der Parawissenschaften, die im Mittelpunkt der Aktivitäten von Magiern, Spiritisten und Okkultisten vom Schlag eines Cagliostro, Saint-Germain oder Schrepfer stehen: Die Vorläufer der Hypnose, die Arbeit mit dem sogenannten »Fluidum« und der animale Magnetismus. Anhand dieser Phänomene soll der Umgang der Magier mit den Ergebnissen von Medizin und Forschung etwas näher beleuchtet werden. Obwohl von verschiedenen seiner kritischen Zeitgenossen in einem Atemzug mit Cagliostro und Saint-Germain genannt, haben Mesmers auf einer soliden naturwissenschaftlichen Ausbildung aufbauenden parawissenschaftlichen Forschungen eindeutig einen höheren Anspruch als bloße Selbstdarstellung oder Gelderwerb.15 Nicht umsonst wird seine sogenannte Magneto-Therapie heute als Ursprung der Hypnosetherapie angesehen. Mesmer auf eine Stufe mit Cagliostro und den Grafen Saint-Germain zu stellen wäre also ungerecht. Bereits seine anerkannten akademischen Würden – er war Doktor der Theologie, Philosophie, Jurisprudenz und Medizin – setzen ihn von den beiden oben Genannten ab. Und doch stehen die Erfolge des Wissenschaftlers vom Bodensee in engem Zusammenhang mit den zeitgenössischen Okkultisten und Abenteurern. Wie sie benutzt er Symbole der Freimaurerei und entwickelt für seine Heilmethoden und Theorien hochtrabende und leere Begriffe. Mit Fug und Recht haben nachfolgende Generationen Aspekte seiner Forschungen und Aktivitäten als Pseudowissenschaft bezeichnet. Das Schicksal Mesmers zeigt damit einen weiteren Aspekt des Spektrums der Parawissenschaften, der Bruchstellen der Aufklärung, Schwachstellen des Rationalismus und der Fortschrittsgläubigkeit seines Zeitalters auf. Obwohl er Freund und Bekannter zahlreicher Größen seiner Zeit – unter ihnen Mozart, Haydn, Gluck, Franklin, La Fayette, Brissot und Madame Du Barry – ist, lassen ihn seine persönlichen Eigenheiten und Charakterzüge dennoch immer wieder mit den staatlichen Autoritäten in Konflikt geraten. Gerade die sich um seine Person rankenden Halbwahrheiten und Legenden schaden seiner Karriere. Aus der Mode geriet der geheimnisumwitterte und unbequeme Mediziner und Unternehmer in eigener Sache bis heute nicht. Seine stete Aktualität steht im engen Zusammenhang mit der Entwicklung der Hypnose, Psychoanalyse und Psychotherapie. Spricht man über die anerkannten großen Wegbereiter dieser Zünfte, Freud, Charcot, Bernheim oder Breuer, fällt im Allgemeinen auch der Name Mesmer. Viele begreifen ihn mit Recht als einen der wichtigsten Vorläufer von deren Forschungen.
Zum besseren Verständnis des Zeitgeists und auch der parallelen Karrieren Saint-Germains und Cagliostros sei etwas näher auf Mesmers Forschungen eingegangen. Ganz im Gegensatz zu Cagliostro oder Saint-Germain verläuft das Leben des 1734 in Iznang am Bodensee geborenen Mesmer relativ unspektakulär. Mesmers Jugend scheint zunächst nicht auf die spätere Karriere hinzudeuten. Er studiert zuerst Theologie, dann Jura und wechselt schließlich zur Medizin. 1764 präsentiert er in Wien seine Dissertation über das Thema des »Einflusses der Planeten auf den menschlichen Körper«. Kern seiner Theorie ist, dass die Weltkörper, wie etwa Sonne und Mond, nicht nur Flut und Ebbe bestimmen, sondern auch auf die Prozesse des menschlichen Nervensystems Einfluss nehmen. Transporteur dieses Einflusses sei ein sich wellenartig verbreitendes...