Heimkehr ist eine menschliche Grunderfahrung und deshalb ein beliebtes, weit verbreitetes und variationsreiches literarisches Motiv. Mit Homers Odysseus[8] und Aischylos Agamemnon[9] lässt sich der Stoff bis hin zu den Anfängen der abendländischen Literatur zurückverfolgen.[10] Besonders Odysseus gilt als „Urtyp des Heimkehrers“[11] und diente späteren Figuren nicht selten als literarische Vorlage.[12] Den beiden Gestalten der griechischen Mythologie ereilte nach ihrer Rückkehr ein gegensätzliches Schicksal. Kann Odysseus die Freier seiner treu gebliebenen Frau Penelope töten und die Herrschaft über Ithaka wieder übernehmen, sieht sich König Agamemnon des Thrones beraubt und wird von seiner Gemahlin Klytämnestra und ihrem neuen Liebhaber Aigisthos ermordet. Die geglückte Reintegration bei Odysseus einerseits und das tragische Ende Agamemnons andererseits zeigen bereits das breite Handlungsspektrum.[13] Beginnend mit den antiken Figuren zieht sich das Motiv fortan durch alle Epochen und Textgattungen. Durch neue Personenkonstellationen wird der Heimkehrstoff zunehmend komplexer.
Dabei von wesentlicher Bedeutung ist vor allem die „soziale und familiäre Funktion des Heimkehrers“[14]. In Erscheinung treten kann die Figur des Heimkehrers unter anderem als Herrscher, Sohn, Vater oder Ehemann.[15]
Neben den bereits erwähnten Herrschergestalten der Antike, wird das Motiv auch in biblischen Überlieferungen verarbeitet. Mit dem Gleichnis vom „Verlorenen Sohn“ im Lukas-Evangelium wird die Variante des heimkehrenden Sohnes eingeführt.[16] Nachdem dieser in der Ferne seinen Erbteil verprasst hat, kehrt der Sprössling voller Reue nach Hause zurück. Der Vater nimmt ihn mit Wohlwollen wieder auf und muss zwischen dem zurückgekehrten Sohn und dessen neidischen Bruder vermitteln. Erst Anfang des 17. Jahrhunderts löst man sich von der biblischen Vorlage und konzentriert sich auf neue Aspekte. Die simple Personenkombination um den reuigen Sohn und den verzeihenden Vater wird ersetzt durch kompliziertere familiäre Konstellationen und Reaktionen.[17]
Seinen Einzug in die deutsche Literatur findet der Stoff mit dem „Hildebrandslied“[18] im 9. Jahrhundert.[19] Im mittelalterlichen Heldenepos eines bis heute unbekannten Verfassers fungiert der Heimkehrer Hildebrand primär als Vater. Um die Heimat wieder zu erobern, kehrt er mit einem Heer nach vielen Jahren aus der Verbannung zurück. Bei seiner Ankunft stößt Hildebrand auf einen feindseligen jungen Mann, der sich später als sein Sohn Hadubrand entpuppt. Obwohl sich der Vater zu erkennen gibt, will ihm sein Nachkomme nicht glauben und fordert stattdessen den vermeintlichen Betrüger zum Kampf heraus. Schweren Herzens tötet Hildebrand wissend den eigenen Sohn. Die Rückkehr wird letztlich zur Familientragödie.
In den höfischen Epen des Mittelalters stellt die Heimkehr dagegen weniger ein Problem dar. Auf der Suche nach aventiure zieht der Ritter zu Beginn aus und kehrt nach bestandener Prüfung nach Hause zurück. Die Epen weichen dabei nur selten von dieser festen Erzählform ab und enden in aller Regel mit harmonischem Ausgang.[20]
In den mündlich überlieferten Volksballaden erscheinen hingegen wieder zahlreiche Spielarten, die später von der Lyrik, der Erzählung und vom Drama adaptiert und verschriftlicht werden.[21] Trotz der Vielfalt wird in den volkstümlichen Liedern hauptsächlich die Wiederbegegnung des heimkehrenden Ehemannes mit der Frau dargestellt.[22] Der Heimkehrer wird nun überwiegend als Ehemann oder Geliebter gefordert. Durch die häufig auftretende Untreue der Frau tritt ein Konkurrent auf, gegen den sich der Rückkehrer behaupten muss. Die Reaktion kann vom Kampf um die Geliebte, der Resignation oder Flucht über blutige Racheakte bis hin zum Suizid des Heimkehrers stark variieren. In den meisten Fällen münden die Volksballaden jedoch in die Wiedervereinigung des Liebespaares.[23] Obgleich sich das Heimkehrmotiv auch fortan entwickelt und immer wieder neue Varianten hervorbringt, knüpfen zum Beispiel besonders Liebesgeschichten noch bis ins 19. Jahrhundert an die Erzählmuster dieser Volksdichtungen an.[24]
Erst gegen Ende des 19 Jahrhunderts werden im Roman „Abu Telfan“ (1867)[25] von Wilhelm Raabe neuartige Aspekte sichtbar. Die Probleme nach der Heimkehr werden bis dahin fast ausschließlich zwischen Einzelpersonen dargestellt und treten für gewöhnlich in Form von Ehekonflikten oder Familientragödien auf.[26] Im Roman geht es jedoch um den Heimkehrer Leonhard Hagenbucher, der nach der jahrelangen Sklaverei in Afrika eine entfremdete und abweisende Heimat vorfindet. Die gesellschaftliche Komponente tritt allmählich stärker in den Vordergrund und so wirkt die Geschichte von Hagenbucher „wie ein Vorspiel jener Heimkehrerschicksale, die nach zwei Weltkriegen in der Literatur des 20. Jahrhunderts Gestalt gewannen“[27].
Obwohl es sich bei der Gestalt des Heimkehrers um kein Phänomen der neuzeitlichen Literatur handelt, scheint es dennoch wenig verwunderlich, dass während und vor allem nach Kriegszeiten eine Phase der Hochkonjunktur einsetzt.[28] Besonders in der deutschen Nachkriegsliteratur ist sie deshalb ein fester und essentieller Bestandteil:
„In der deutschen Wirklichkeit und Literatur der neueren Zeit hat die Figur des Heimkehrers einen besonderen Platz. Die zwei Weltkriege sind zu Grunderlebnissen geworden, denen sich niemand entziehen konnte, die jedoch in der Gestalt des Heimkehrers ihre schärfste Profilierung fanden.“[29]
Nach den Weltkriegen kam es zu enormen sozialen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen. Die aktuellen Zustände wurden kritisch hinterfragt und nach neuen Zukunftsentwürfen gesucht.[30] Heimkehrer zu sein wurde zum Massenschicksal und zur „Orientierung stiftenden gesellschaftlichen Kategorie“[31]. Durch die Rückkehr der Soldaten bekamen die Schrecken des Krieges ein Gesicht und waren omnipräsent. Die Reintegration in Ehe, Familie und Gesellschaft wurde für viele Zurückgekehrte zum schwierigen Unterfangen. Die deutsche Öffentlichkeit konnte diese Problematik aufgrund der quantitativen Dimension nicht ausblenden und war aufgefordert, sich mit den Schicksalen der Repatriierten auseinanderzusetzen. Im heimgekehrten Soldaten kristallisierte sich besonders stark die Spannung zwischen der gegenwärtigen Orientierungslosigkeit und dem Suchen nach künftigen Lösungen heraus.[32] So ließen sich die drängenden Fragen der Zeit an kaum einem anderen Sujet gleichermaßen eindringlich und ausdrucksstark stellen wie an dem des Kriegsheimkehrers.[33] Hierdurch avancierte er zur „paradigmatischen Figur der Zeit“[34] und findet sich folglich in zahlreichen deutschen Nachkriegsdramen wieder.[35]
In der Zwischenkriegszeit verdeutlicht besonders die hohe Anzahl der erschienenen Stücke die Popularität des Heimkehrmotivs[36]: „Trommeln in der Nacht“ (1922) von Bertolt Brecht, Ernst Tollers „Der deutsche Hinkemann“ (1923), Leonhard Franks „Karl und Anna“ (1927), „Toboggan“ (1928) von Gerhard Menzel, „Sladek, der schwarze Reichswehrmann“ (1929) von Ödön von Horvàths, Wolfgang Möllers „Douaumont oder die Heimkehr des Soldaten Odysseus“ (1929), „Wunder um Verdun“ (1931) von Hans Chlumberg und „Die Heimkehr des Matthias Bruck“ (1933) von Sigmund Graff sollen hier lediglich als einige wenige Beispiele genannt werden. Aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg spielt die Figur des Heimkehrers in etlichen Dramen die zentrale Rolle[37]: „Wir heißen Euch hoffen“ (1946) von Fred Denger, „Das große Erwachen“ (1946) von Richard Pilaczek, Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ (1947), „Liebe zwischen den Fronten“ (1947) von Charlotte Kaufmann, „Heimkehr“ (1947) von Erwin Corhag, Curt Langenbecks „Heimkehr“ (1948), „Treibgut“ (1948) von Thomas Engel, „Mensch an der Wende“ (1949) von Kurt Werner Stolle und...