Um den gesellschaftlichen Wohlstand zu erhöhen, ist der Staat daran interessiert, die Informationsbasis der Entscheidungsträger zu verbessern.[35] Die Presse- und Informationsfreiheit ist im deutschen Grundgesetz verankert, die Presse ist laut ökonomischer Theorie ein meritorisches
(= „verdienstvolles“) Gut zweiter Ordnung.[36] Im Gegensatz zu meritorischen Gütern erster Ordnung, wie der (Pflicht-)Schulausbildung oder Impfungen, die gesetzlich vorgeschriebenen sind,[37] greift der Staat bei meritorischen Gütern zweiter Ordnung fördernd und lenkend ein. So wird der Konsum etwa durch Steuererleichterungen (die Umsatzsteuer für Printmedien beträgt nur sieben Prozent), staatliche Zuwendungen sowie durch besondere gesetzliche Rahmenbedingungen gefördert.
„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ Der Art. 5/1 des Grundgesetzes hat für den Pressevertrieb weitreichende Konsequenzen, die sich in Form von Sonderregeln und -bestimmungen ausdrücken. Nach der geltenden Rechtsauffassung leitet sich auch für das Presse-Grosso ein besonderer Grundrechtsschutz ab.[38]
Bereits in den 1950er-Jahren forderten die Großverlage vom Presse-Grosso eine ubiquitäre Distribution. Der Kunde sollte keine langen Wege in Kauf nehmen müssen, um zu seiner Zeitung zu kommen.[40] Das Konzept einer flächendeckenden Versorgung mit Printmedien nicht nur in städtischen Ballungsräumen, sondern auch am Land war für die Bild-Zeitung als Straßenverkaufs- bzw. Boulevardzeitung von besonderer Bedeutung.[41] Mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Verkaufsstellennetz. 116.500 Verkaufsstellen gibt es zurzeit in Deutschland (Bahnhöfe mit eingerechnet), das entspricht circa 700 Einwohnern pro Verkaufsstelle. Im Vergleich dazu stehen in Frankreich[42] nur 38.000 Verkaufstellen zur Verfügung, das entspricht rund 1500 Einwohnern pro Verkaufsstelle.
Der Verlag legt für seine Presseerzeugnisse einen fixen Verkaufspreis fest, der vom Handel verbindlich eingehalten werden muss. Die Preisbindung ist für die Sicherung der Pressevielfalt essentiell, durch diese Regelung ist der Wettbewerb über den Preis auf der Ebene des Groß- und Einzelhandels unterbunden.[43] Der Verlag ist verpflichtet, die Einhaltung der Preisbindung zu überwachen. Der feste Endverkaufspreis für Verlagserzeugnisse wurde im Jahr 1887 vom Börsenverein des deutschen Buchhandels durchgesetzt und ist im Buchbereich nicht unumstritten. So bekämpfte die österreichische Firma Libro dieses Gesetz in den 1990er-Jahren auf EU-Ebene massiv. Mittlerweile wurde zwischen Buch- und Pressepreisbindung eine Trennung vollzogen, die nationale Preisbindung für Presseerzeugnisse ist nun gesetzlich extra geregelt und auf EU-Ebene unstrittig.
Auf Basis von vertraglichen Vereinbarungen legt der Verlag bei Presseerzeugnissen nicht nur den Verkaufspreis, sondern gleichzeitig auch die Handelsspannen für die nachgelagerten Handelsstufen fest. Die Handelsspanne für den Großhandel beträgt zurzeit zwischen 10,6 und 29 Prozent und für den Einzelhandel rund 20 Prozent. Beim Bahnhofsbuchhandel, der ein Direktbelieferungsrecht genießt, werden diese beiden Spannen in der Regel addiert, die Spannen bewegen sich demnach zwischen 30,5 und 49,5 Prozent. Damit ist auch sichergestellt, dass unabhängig von der Marktmacht auf Ebene des Einzelhandels ein fester, nicht verhandelbarer Rabattsatz zur Anwendung kommt. Zusätzlich verpflichten sich Groß- und Einzelhandel durch die Verwendungsbindung, die Zeitungen und Zeitschriften nur in dem Vertriebsweg anzubieten, für den sie bestimmt sind.
Ein unmittelbares Ergebnis des Anspruchs auf Ubiquität war, dass die Verlage die Groß- und Einzelhändler mit vollem Remissionsrecht beliefern. Damit liegt das Herstellrisiko bei den Verlagen, die komplementär dazu das Dispositionsrecht gegenüber den nachgelagerten Handelsstufen ausüben, damit tragen Presse-Grosso und Einzelhandel das Vertriebs- und Remissionskostenrisiko.[44]
Der Erstverkaufstag wird vom Verlag festgelegt, dadurch ist sowohl der Verkaufsbeginn als auch die Angebotszeit geregelt. Besonders bei den Publikumszeitschriften hat sich aus diesem Grund ein fixer Wochentag als EVT im Handel etabliert, der verbindlich eingehalten wird. Da am Wochenende die Konsumenten mehr Zeit zum Lesen haben, sind die EVT-Tage Richtung Wochenende hin stärker.
Gebietsmonopol und Alleinauslieferungsrecht: 78 Grossisten sind für die flächendeckende Versorgung mit Presse zuständig, Deutschland ist in 95 Auslieferungsgebiete unterteilt.[45] In 93 Gebieten haben die Grossisten ein Gebietsmonopol, sie beliefern damit als einziger Lieferant alle Einzelhändler des betreffenden Gebiets mit dem gesamten Pressespektrum von rund 4000 Titeln - mit zwei Ausnahmen: West-Berlin und Hamburg. In diesen beiden Städten beliefern jeweils zwei Grossisten alle Einzelhändler im Vertriebsgebiet, aus diesem Grund herrscht hier strikte Objekttrennung - es gibt also auch hier keine Doppelbelieferungen. Man nennt diese Städte auch Wettbewerbsgebiete, denn für den Verlag besteht dort die Möglichkeit, den Grossisten zu wechseln, wenn er mit der Vertriebsleistung eines Grossisten nicht zufrieden ist.
Vertriebsneutralität, Kontrahierungszwang und Alleinauslieferungsrecht bilden eine Einheit und sind wesentliche Voraussetzung für Pressefreiheit und -vielfalt. Der Grossist hat ein Nachfragemonopol gegenüber den Verlagen und ein Angebotsmonopol gegenüber den Einzelhändlern. Aus diesem Grund besteht für das Grosso ein Kontrahierungszwang gegenüber den Verlagen (bis auf Berlin und Hamburg haben sie ja keine Wahlmöglichkeit) einerseits und gegenüber den Einzelhändlern andererseits. Die Einzelhändler wiederum haben einen Abnahmezwang für alle Titel, die für sie verkäuflich sind und die ihnen der Grossist liefert[46] s. Dispositionsrecht. Bezüglich der Neutralitätspflicht der Grossisten bedeutet das, dass auch Klein- und Kleinstverlage Zutritt zum Markt haben, auch dann, wenn die Aufnahme in das Sortiment aus betriebswirtschaftlicher Sicht für das Grosso nicht sinnvoll erscheint. Man spricht in diesem Zusammenhang von Quersubventionierungen. Die Neutralitätspflicht beinhaltet auch, dass unmittelbar vergleichbare Konkurrenztitel vom Grosso auch die gleiche Leistung erhalten müssen, zum Beispiel in Bezug auf Verteilerbreiten und Verteilermengen im Einzelhandel. Diese Leistungsmaßstäbe sind im deutschsprachigen Raum nicht Usus. So argumentiert der Schweizer Presse-Grossist Valora - die Schweiz ist ebenfalls ein Monopolgebiet -, nur solche Pressetitel in den Vertrieb aufnehmen zu können, die aus Unternehmenssicht auch eine reelle Verkaufschance haben.[47] In Österreich gibt es noch immer eine Wahlmöglichkeit bei den Grossisten, allerdings hat sich die Situation durch die Fusion der Vertriebsfirmen Morawa und Mediaprint verändert. Da der Pressegroßvertrieb Salzburg[48] bis auf eine Ausnahme nur Buntware, also Zeitschriften, ausliefert, gibt es im Bereich der Tageszeitungen bereits ein Monopol. Generell ist aber festzustellen, dass sich die Pressegroßhändler in Österreich stark an den deutschen Qualitätsmaßstäben und Leistungsnormen orientieren.
In der Volkswirtschaftslehre geht man davon aus, dass Monopole sich dann von selbst herausbilden, „wenn eine einzige Unternehmung allein für den gesamten Markt billiger als alle Konkurrenten produzieren kann“.[49] Auch die Grossisten in den Monopolgebieten können ihre Dienstleistung aufgrund fallender Durchschnittskosten günstiger erstellen, als wenn mehrere Anbieter im gleichen Gebiet agieren würden. Sowohl im Bereich der fixen Kosten, wie Personal, EDV und Verwaltung, als auch in dem der variablen Kosten wie Transport und Logistik - nur ein Fahrzeug ist zum jeweiligen Einzelhändler unterwegs -, erscheint dies sinnvoll. Im Gegensatz zu anderen natürlichen Monopolen wie der Stromversorgung oder der Post- und Telekommunikation, die früher unter staatlichem Einfluss agierten, ist das Presse-Grosso in kleine Gebiete unterteilt, in denen mehrheitlich inhabergeführte mittelständische Unternehmen agieren. Das...