KAPITEL 2
ARGUMENTATION UND FLIRT
Um das soziale Image des Einzelnen, sein „Gesicht“, zu schützen, werden im Flirt Argumentationstechniken verwendet. Der Begriff „Cooling-out“ fasst die Möglichkeiten zusammen, dem anderen etwas höflich zu verweigern. Die wichtigste Methode ist dabei die, unpersönliche und unkontrollierbare Gründe anzugeben, warum es nach dem Gespräch kein weiteres Treffen geben kann. Es ist dabei immer die Umworbene, die diese Strategie beim Werbenden anwendet. Verwendet sie kein Cooling-out, so kann das Flirtgespräch leicht eskalieren und zu aggressivem Verhalten der Gesprächspartner führen.
Argumentation spielt aber auch dann eine Rolle im Flirtgespräch, wenn sich beide Sprecher einig sind, dass sie sich noch einmal treffen wollen. Es ist aus gesichtsschützenden Gründen nicht möglich, offen zu sagen, dass man den anderen wiedersehen will, weil man ihn sympathisch findet. Stattdessen müssen auch hier unpersönliche Gründe gefunden werden, die ein weiteres Treffen sinnvoll erscheinen lassen – die zeigen, dass es nützlich ist. Diese Nutzargumente bilden das Gerüst des Flirtgesprächs. Sie ergeben sich aus den Informationen, die der Werbende im Laufe des Gesprächs von der Umworbenen sammelt.
Nutzargumente sind dabei nicht direkt entscheidend für den Erfolg des Flirts, weil sie ja nur dazu dienen, die eigentlichen Interessen der Sprecher zu verbergen. Trotzdem gibt es bessere und schlechtere Nutzen. Die häufigsten Nutzen im Flirtgespräch sind finanzielle Vergünstigungen (wie die Einladung zum Kaffee), Dienstleistungen oder Hilfestellungen (so etwa das Angebot, jemanden ins Kino zu fahren), soziale Kontakte (wie die Zusage, die Bekanntschaft zu einer dritten Person zu vermitteln) oder Informationen (etwa das Versprechen, das aktuelle Kinoprogramm zu mailen).
Diese unterschiedlichen Arten von Nutzen können auf verschiedene Art und Weise im Gespräch präsentiert werden. Dabei ist vor allem wichtig, ob am Ende des Gesprächs nach der Telefonnummer gefragt wird, nur um Informationen zu übermitteln, oder ob erst im Gespräch nach einem Treffen gefragt wird, woran sich die Frage nach der Telefonnummer oder eine konkrete Verabredung anschließen. Insgesamt ergeben sich sieben verschiedene Strategien für das Flirtgespräch, die unterschiedlich erfolgreich sind. Am besten ist es, wenn der Werbende einen konkreten Vorschlag für ein Treffen macht, das direkt mit ihm verbunden ist, und dann nach der Telefonnummer fragt, um dieses Treffen zu organisieren.
Cooling-out: Nur nicht aufregen
Jeder Mensch hat ein „Gesicht“, ein soziales Image. Durch höfliches Verhalten schützen wir dieses Gesicht: beim anderen und bei uns selbst. Der Begriff des Cooling-out beschreibt Methoden, jemandem höflich etwas abzuschlagen. Diese Strategien sind beim Flirt dann besonders wichtig, wenn der Umworbene – üblicherweise die Frau – die Avancen des Werbenden – üblicherweise der Mann – ablehnen will.
Die Frau kann dabei nicht einfach sagen, dass ihr der Mann nicht sympathisch genug ist, um sich weiter mit ihm zu unterhalten oder ihn ein zweites Mal zu treffen. Das würde das positive Gesicht des Mannes verletzen und wäre deshalb unhöflich. Der Mann könnte beleidigt sein und aggressiv auf die Zurückweisung reagieren. Seine Aggressivität könnte sich in Worten ausdrücken (Beleidigungen oder Drohungen), oder er könnte auch körperlich gewalttätig werden, möglicherweise sogar die Frau angreifen.
Um also das Gesicht des Mannes zu schützen – und damit auch sich selbst vor Gewalt vonseiten des Mannes –, gibt die Frau unpersönliche Gründe an, warum sie sich nicht mit dem Mann unterhalten oder warum sie sich nicht noch einmal mit ihm treffen will. Unpersönliche Gründe sind zum Beispiel „Ich habe keine Zeit“, „Ich bin schon verabredet“ oder „Da bin ich verreist“.
Die Bezeichnung Cooling-out wurde von dem Soziologen Erving Goffman geprägt.* Sie stammt eigentlich aus dem Verbrecherjargon: Ein Betrüger versucht den Betrogenen im Nachhinein zu besänftigen, sodass dieser keine Anzeige bei der Polizei erstattet. Goffman überträgt diesen Begriff auf alle Lebensbereiche. Denn Cooling-out kommt überall da vor, wo wir nicht bekommen, was wir wollen – beispielsweise, wenn unsere Bewerbung für einen Job oder eine Beförderung abgelehnt wird. Cooling-out wird aber auch praktiziert, wenn wir eine Beziehung beenden oder eine Veränderung der Beziehung, zum Beispiel einen Heiratsantrag, ablehnen.
Die Strategien des Cooling-out sind überschaubar: Häufig wird ein Kompromiss angeboten. So zum Beispiel, wenn eine intime Beziehung mit den Worten „Lass uns Freunde bleiben!“ abgelehnt wird oder wenn man uns statt der Stereoanlage im Sonderangebot, die leider nicht mehr vorrätig ist, ein viel besseres und nur wenig teureres Gerät anbietet.
Weiter können auch Möglichkeiten genannt werden, später vielleicht zu bekommen, was wir wollen. Beispielsweise, indem man uns anbietet, uns auf eine Warteliste für die Stereoanlage zu setzen. Oder wenn wir statt des erwünschten Jobs erst einmal auf Probezeit für weniger Gehalt anfangen können. Eine dritte Möglichkeit ist die, dem Bewerber selbst die Möglichkeit zu geben, seine Bewerbung zurückzuziehen. So bleibt die Illusion erhalten, er habe ja gar nicht gewollt, was er nicht bekommen konnte. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Politiker, der in einen Skandal verwickelt wurde, zunächst die Möglichkeit bekommt, sein Amt niederzulegen, bevor man ihn dazu zwingen müsste.
Diese Cooling-out-Strategien finden auch im Bereich des Flirtens Anwendung. Dabei ist es die Umworbene, die diese Methoden anwenden muss, um das Gesicht des Werbenden zu schützen. Neben dem Anbieten von Alternativen (zum Beispiel: „Gib mir doch lieber deine Nummer!“) und dem Vertrösten auf später (beispielsweise „Ich bin öfter hier, da sieht man sich bestimmt noch mal!“) ist besonders die Möglichkeit zum Rückzug wichtig.
Tipp
Um das soziale Image des Gesprächspartners, sein Gesicht, zu schützen, kann das Cooling-out verwendet werden. Darunter sind Formen der Höflichkeit zu verstehen, die einen Gesichtsverlust verhindern oder mindern.
Machen Sie sich mit den Formen des Cooling-out vertraut und wenden Sie sie gezielt an – nicht nur im Flirt. Auch hierbei können Sie wieder durch Beobachtung lernen: Versuchen Sie herauszufinden, welches Cooling-out Ihr Chef oder ein Verkäufer Ihnen gegenüber verwendet, wenn Sie eine schlechte Nachricht erhalten.
Keine Zeit: Cooling-out im Flirt
Wir haben gesehen, dass der Flirt vor allem durch seine Vagheit bestimmt ist. Tatsächlich ist diese Vagheit nun deshalb so wichtig, weil der Werbende so ohne größeren Gesichtsverlust aufhören kann zu werben, sobald er sieht, dass er damit nicht erfolgreich ist. Dadurch wird auch das Gesicht der Umworbenen geschützt, die den Werbenden nicht direkt ablehnen muss. Um den Werbenden dazu zu bringen, mit dem Werben aufzuhören, gibt die Umworbene unpersönliche und unkontrollierbare Gründe an, warum der Kontakt zum Werbenden nicht fortgesetzt werden kann. Weder der Werbende noch die Umworbene sind dafür verantwortlich, dass diese Gründe vorliegen. Keiner von beiden ist deshalb schuld daran, dass es nicht zu einer Fortsetzung des Kontakts kommt.
Die beim Cooling-out verwendeten unpersönlichen und unkontrollierbaren Gründe sind meist dem immer gleichen Inventar entnommen: Am häufigsten wird die Umworbene darauf verweisen, dass sie keine Zeit hat. Das kann sich auf einen konkreten Termin beziehen, aber auch auf die gesamte nächste Zeit. Sie kann begründen, warum das so ist, muss das aber nicht tun. Mögliche Begründungen sind andere Verabredungen und berufliche oder private Verpflichtungen wie Prüfungen, viele Überstunden, Hilfe beim Umzug von Freunden oder Familienfeiern.
Weiter kann die Umworbene behaupten, sie sei zu einem bestimmten Zeitpunkt oder die gesamte nächste Zeit verreist. Drittens kann sie auf persönliche Verhaltensrichtlinien verweisen, zum Beispiel, dass sie nie ihre Telefonnummer an Fremde herausgebe. Zuletzt werden häufig fehlende Kontaktmöglichkeiten als Cooling-out genannt: Die Umworbene könnte gar kein Telefon haben, das Telefon könnte kaputt sein, sie könnte die Nummer nicht wissen oder einfach sehr schlecht telefonisch zu erreichen sein.
Die Gründe, die beim Cooling-out vorgebracht werden, um dem Werbenden zu signalisieren, dass kein Interesse an seiner Werbung besteht und dass er mit dem Umwerben aufhören soll, können sehr floskelhaft sein. So ist der Satz „Ich habe leider in den nächsten Wochen gar keine Zeit“ relativ leicht als vorgeschobener Grund zu erkennen. Hätte die Umworbene Interesse am Werbenden, würde sie sich Zeit für ihn nehmen. Dennoch ist dieser Grund für ein Cooling-out ausreichend. Wichtig ist nur, dass...