Es ist ein Spiel um die Ehre, um viel Geld und um Ruhm. Es heißt Mann versus Mann, Frau versus Frau, jeder gegen jeden. Und ein falscher Augenaufschlag, eine unbedachte Handbewegung oder ein verbaler Ausrutscher können diese spannungsgeladene Auseinandersetzung entscheiden. Die Rede ist von Poker. Ein Kartenspiel, das heute wieder stark in Mode gekommen ist. Aber woher nimmt es seine Faszination? Für viele ist Poker nur ein einfaches Spiel, ein Zeitvertreib mit Freunden, oder kurz gesagt „das beste und spannendste Gesellschaftsspiel der Welt‘ (Meinert 2007a: 228), für wenige andere jedoch ein Beruf und eine Lebenseinstellung. Und ein Spiel um Millionen! So ging es am Finaltisch der „World Series of Poker“, dem weltweit wichtigsten und prestigeträchtigsten Pokerturnier, sozusagen der Weltmeisterschaft, im Vorjahr um 8,5 Millionen Dollar und 2006 sogar um die Rekordsumme von 12 Millionen Dollar.
Während vor wenigen Jahren die Karten nur in Casino-Nebenzimmern ausgeteilt wurden, gibt es mittlerweile sogar in Österreich offizielle Universitätsmeisterschaften. Die Anzahl der (Hobby-)Spieler geht im deutschsprachigen Raum weit in den Millionenbereich hinein. Bekannte Profis wie Howard Lederer halten Vorlesungen in Harvard und Stanford, dabei die These vertretend, dass Poker ein hilfreiches Werkzeug sein kann, um das Leben erfolgreich zu meistern. Wieder andere, wie Phil Hellmuth, veranstalten Seminare zum Thema „Körpersprache“. Und selbst in unserem Land erschien 2009 ein Buch mit dem Titel „Royal Flush. Pokern oder die Kunst, das Leben zu meistern“. Großer Beliebtheit erfreuen sich im Zuge des Aufschwungs die Pokerspieler, die oft verehrt werden wie Popstars. Es werden Poster aufgehängt, Autogramme gesammelt und die Vorbilder angehimmelt. Zu beobachten bei der „Full Tilt Poker One Million Euro Challenge“, die am 12. September 2009 im Salzburger Messezentrum gastierte. Mit dabei waren die größten Namen der Szene. Wie etwa der Amerikaner Phil „The Tiger Woods of Poker“ Ivey, der beim Poker Geldgewinne in Höhe von 12 Millionen Dollar „erwirtschaften“ konnte, oder Chris „Jesus“ Ferguson, der im April 2006 bei einer speziellen Herausforderung aus null Dollar innerhalb von 16 Monaten 10.000 Dollar machte. Und der Andrang war gigantisch: 8.000 Besucher strömten in das Messezentrum, nahmen an Workshops teil und beobachteten bzw. feierten den Einmarsch der Pokerspieler zur epochalen Filmmusik von Ridley Scotts Oscarprämiertem Blockbuster „Gladiator“. Poker wurde zu einem Phänomen, herausgeholt aus einem Jahrzehnte andauernden Schattendasein. Vorangetrieben durch den Buchhalter Chris Moneymaker, der 2003 ein 40-Dollar-Online- Qualifikationsturnier für die „World Series of Poker“ gewann und wenig später am Finaltisch des Turniers mit einem der größten Bluffs der Geschichte 2,5 Millionen Dollar abräumte. Und damit einen weltweiten Pokerboom auslöste. In den Vereinigten Staaten ist Poker nach American Football und Nascar die beliebteste regelmäßige Sportart im TV, noch vor Basketball und Baseball.
Bleibt noch immer die Frage nach dem Reiz des Spiels. Poker ist leicht zu lernen, ein netter Zeitvertreib mit Freunden und Bekannten und vor allem ein Spiel, das man niemals perfektionieren kann. Selbst der gewiefte Profi lernt bei jeder Begegnung aufs Neue dazu. Niemand beherrscht das Spiel vollends, aber ein jeder versucht es. Konzentration, Entschlossenheit und Fantasie spielen eine wichtige Rolle. Am Pokertisch kann ein falscher Blick, eine verdächtige Handbewegung oder ein unscheinbares Zwinkern über Unmengen von Geld entscheiden. Die Rede ist von „Tells“, unbewussten oder bewussten Signalen, die beim Poker „gesendet“ werden; oder anders formuliert, den Zeichen im semiotischen System von Poker. Denn auch wenn es oft so heißt: Poker ist kein reines Glücksspiel. Ebenso wichtig ist eine Strategie, Geschick und die Fähigkeit den Gegenspieler zu „lesen“, seine Körpersprache richtig zu deuten, verdächtige Zeichen zu erkennen und ihn punktgenau zu analysieren. Beim Poker kommt es auf Menschenkenntnis an. Hier möchte ich Jan Meinert (2007: 52f), Rechtsanwalt, Autor und selbst erfolgreicher Pokerspieler, zitieren:
„Poker ist ein Skill-Game, das gerade so viele Glückselemente enthält, wie nötig sind, um schlechten Spielern weiszumachen, es sei ein Glücksspiel. [...] Ein guter Pokerspieler hat maximale Kontrolle über den Glücksfaktor.“
Man muss am Pokertisch kommunizieren um Erfolg zu haben, die Sprache des Gegners verstehen, seine nonverbalen Signale entschlüsseln und dabei selbst jedwede Gemütsregung unterdrücken. Enkodierte Botschaften müssen vom Empfänger dekodiert, verbale und nonverbale Botschaften richtig gelesen werden. Diezwischenmenschliche bzw. nonverbale Kommunikation spielt am Pokertisch eine mindestens ebenso große Rolle wie die Wahrung des berühmten „Pokerface“. Poker ist Kommunikation. Um an dieser Stelle ein anschauliches Beispiel anzuführen, verweise ich auf ein Duell zwischen dem Dänen Gus Hansen, seines Zeichens einer der besten Pokerprofis der Welt und dem US-Bundespolizisten Joe Navarro. Gus Hansen hält die Hand J7, hat damit bei dem aufgedeckten Flop eine Siegeschance von lediglich 5,7 Prozent. Eine Sonnenbrille verdeckt seine Augen. Dennoch geht er exakt nach drei Sekunden „All-In“, setzt 60.000 Dollar. Im Schnitt gewinnt der Däne, ob mit oder ohne Bluff, 90 Prozent seiner gespielten Hände. Nicht in diesem Fall, denn sein Gegner war 25 Jahre lang Verhörspezialist des FBI, hat mehr als 4000 Verdächtige analysiert und auch in diesem Szenario nur die Körpersprache seines Gegners im Blick. Kein leichtes Unterfangen, Pokerprofis sind immerhin in der Lage, bis zu 90 Prozent der Body Tells zu unterdrücken. Nicht genug für Navarro. Es sind der Atem und die Finger, die schlussendlich Hansens Bluff verraten. Der Atem setzte in dem Moment, als die Karten aufgedeckt wurden, für den Bruchteil einer Sekunde aus, die Finger krümmten sich zwei Zentimeter zum Handinneren, sagte Navarro danach. Beides starke Stressindizien und in striktem Gegensatz zum selbstsicheren „All-In“. Der Körper hat den Bluff verraten. (Vgl. Wellmann 2010: 17ff)
Aus Sicht der Wissenschaft ist es daher bedauerlich, dass das sozio- oder besser populärkulturelle Phänomen Poker, das so sehr von Kommunikation abhängig ist, im etablierten und breit gefächerten Fach der Kommunikationswissenschaft bis dato keine Erwähnung oder Beachtung findet. Durchstöbert man Bibliotheken und OnlineVerzeichnisse, kommt man schnell zu der Erkenntnis, dass es zu dieser Thematik nur einschlägige Literatur gibt. Entweder zu den Grundregeln des Spiels oder von Spielern verfasste Bücher über „Tells“. Der Einzug in die wissenschaftliche Materie blieb dem Kartenspiel leider verwährt. Trotz der unverkennbaren Verschmelzung kommunikationswissenschaftlicher und sozialpsychologischer Elemente bei einem gesellschaftlichen Austausch namens Poker.
Vorrangiges Ziel der Magisterarbeit ist es, das Massenphänomen Poker in seiner ganzen Komplexität darzustellen und einerseits die Notwendigkeit der Kommunikation beim Poker aufzuzeigen und andererseits das Zeichensystem des Spiels, die „Tells“, zu „entschlüsseln“, um herauszufinden, wie man die Körpersprache des Gegners am besten analysiert, die Züge der anderen Spieler durchschaut und ihnen damit immer einen Schritt voraus ist. Es soll die Kommunikation am Pokertisch aufgezeigt werden, wobei die vermehrte Aufmerksamkeit auf den Bereich der nonverbalen Kommunikation, dessen zentrale Rolle im Laufe der Arbeit immer wieder ins Zentrum der Untersuchungen gezogen wird, gerichtet ist. Deshalb fiel die Wahl auf den Titel „Tells und Bluffs. Die interpersonelle Kommunikation am Pokertisch“.
Anzumerken ist noch, dass ich mich in den Untersuchungen und Forschungen ausschließlich auf die populärste und beliebteste Pokervariante „Texas Hold’em No Limit“ beziehe. Heutzutage werden 80 Prozent aller Spiele in dieser Variante, die gemeinläufig auch als die aufregendste gilt, ausgetragen. Andere Formen werden zu einer Vervollständigung des Gesamtbildes kurz erläutert, aber nicht näher behandelt.
Zu Beginn der Arbeit habe ich in Literatur und Musik Zitate herausgesucht, mit denen die Wichtigkeit der Kommunikation am Pokertisch untermauert wird:
„ Um herauszufmden, welche Hand dein Gegner beim Showdown zeigt, beobachte seine Bewegungen, die Adern an seinem Hals, seine Augen, die Art, wie er schwitzt.“
(Johnny Moss, 1975; führte die heutzutage beliebteste Poker-Variante, das Texas Hold’em No Limit Spiel ein)
„ 70 Prozent ihres Sieges hängen von ihrer Fähigkeit ab, ihre Gegner zu beobachten.“ (Phil Hellmuth, 1989; mehrfacher Pokerweltmeister)
„He said: Son I've made a life out of readin’ people’s faces, and knowin’ what their cards where, by the way they held their eyes. And if you don’t mind my sayin’, I would say you’re out of aces; and for one taste of you whiskey, I will give you some advice.” (Auszug aus dem Lied “The Gambler” von Kenny Rodgers)
Die Arbeit gliedert sich im Wesentlichen in die zwei Hauptabschnitte Theorieteil und empirischer Teil, wobei der Theorieteil, beim dem ich mich für eine Literaturanalyse entschieden habe, selbst noch einmal aus zwei großen...