2. Wenn es »klick« macht: die neurobiologischen Gesetze der Anziehung
Berlin, ein verregneter Nachmittag im Mai 1990. Ich mache mich auf den Weg ins Gemeindehaus, denn es ist der erste Tag meines Konfirmationsunterrichts. Große Lust verspüre ich nicht, bei dem Wetter wäre ich lieber zu Hause geblieben. Als ich fünf Minuten zu spät endlich eintrudele, sind die anderen schon da, und der Pfarrer begrüßt mich mit den Worten: »Du musst dann also Dirk sein.« Doch ich höre seine tiefe Stimme nur leise in entfernter Weite, weil mein erster Blick auf das blonde Mädchen fällt, das vorne links sitzt. Als sie mich anschaut, schlägt mein Herz schneller, und vor Aufregung wird mir fast ein bisschen übel. Einen Wimpernschlag später bin ich verliebt bis über beide Ohren. Mit weichen Knien gehe ich auf den letzten freien Platz zu und setze mich, leider nicht neben sie. Doch das stellt sich später als gut heraus, denn noch in der selben Stunde erfahre ich, dass ich nicht die kleinste Chance bei ihr habe. Sie hat einen Freund und ist glücklich verliebt.
Ein kleiner Zeitsprung: Berlin, 15 Jahre später. Wieder ist es Nachmittag, und es gießt wie aus Kübeln. Dieses Mal bin ich zum Glück nicht zu Fuß unterwegs. Ich sitze gemütlich und trocken in meinem Auto und fahre zu einem Service-Termin beim Vertragshändler um die Ecke. Ich parke und renne über den Parkplatz, um nicht allzu nass zu werden. Endlich im Trockenen, schaue ich mich um, und dann sehe ich sie. Immer noch die gleichen blauen Augen, in denen man versinkt. Als unsere Blicke sich treffen, erwachen die Schmetterlinge aus ihrem fünfzehnjährigen Schlaf. »Großartig«, denke ich, »das hat mir gerade noch gefehlt, es hat lange genug gedauert, bis ich sie vergessen habe.« Was ich in diesem Moment noch nicht weiß: Auch sie hat es voll erwischt. Zwei Jahre später sind wir verheiratet, und unsere erste Tochter erblickt das Licht der Welt. Meine eigene Erfahrung hat mir gezeigt: Nicht bei jeder großen Liebe macht es gleichzeitig »klick«. Lassen Sie sich also nicht entmutigen, wenn es nicht auf Anhieb funkt.
Magnet der Aufmerksamkeit: das Gesicht
Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2014 glauben 73 Prozent der Männer und 76 Prozent der Frauen an die Liebe auf den ersten Blick. Tatsächlich treffen Amors Pfeile manchmal schon im ersten Moment, doch meistens dauert es ein bisschen länger, bis sie im Ziel landen. Aber was sind die Faktoren, die den ersten Augenblick einer neuen Begegnung magisch machen? Und was können wir tun, damit uns der oder die andere bemerkt? Um diese Fragen zu beantworten, schauen wir uns nun die erste Stufe auf dem Weg zum Liebesglück genauer an: die Phase der Aufmerksamkeit.
In dieser ersten Phase des Liebeswerbens geht es ja darum, zu sehen und gesehen zu werden. Um einen Kontakt zum potentiellen Partner herzustellen, müssen Sie zunächst seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und dabei spielt das, was in unserem Gesicht passiert, eine besondere Rolle. Das betont auch David Givens, dem wir unser Fünf-Phasen-Modell verdanken: »Im Gegensatz zu seinen tierischen Verwandten verlässt sich der Mensch beim Liebeswerben hauptsächlich auf die Merkmale und Signale des Gesichts.« Das Gesicht macht zwar nur rund fünf Prozent unserer gesamten Körperoberfläche aus, prägt aber dennoch unsere nonverbale Ausstrahlung und wie wir auf andere Menschen wirken. So ist zum Beispiel einer der wichtigsten Aspekte beim Flirten der Blickkontakt. Allein dieser verrät uns, ob jemand Interesse hat oder nicht. Wie sehr das Gesicht unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht, lässt sich live im Musical »Der König der Löwen« erleben. Dort tragen die Darsteller an einem Gestell mit einigem Abstand vor ihrem Gesicht hölzerne Tiermasken, zum Beispiel ein Löwenantlitz. Wenn Sie sich das Musical ansehen sollten, probieren Sie einmal Folgendes aus: Versuchen Sie statt auf die Gesichter der Darsteller auf die Tiermasken zu schauen. Sie werden sehen, so sehr Sie es auch probieren, es gelingt nur unter größter Anstrengung. Wie von Geisterhand geführt, wandert Ihr Blick immer wieder zurück zum Gesicht. Dafür sorgt unser Gehirn, das uns fortwährend sagt: Schau auf die Mimik. Sie transportiert die wichtigsten Informationen.
Was über den Erfolg des ersten Augenblicks entscheidet
Sie möchten den Mann oder die Frau Ihrer Träume für sich gewinnen? Dann sollten Sie mit Gesicht und Körper genau drei Botschaften transportieren:
1.»Hier bin ich«: Zeigen Sie Präsenz, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
2.»Ich bin attraktiv«: Strahlen Sie Attraktivität aus, verstärken Sie Ihre Anziehungskraft.
3.»Ich bin harmlos«: Signalisieren Sie, dass Sie ungefährlich sind, damit andere sehen, dass keine Gefahr besteht, wenn sie sich annähern.
Je besser es Ihnen gelingt, diese drei Botschaften erfolgreich an den Mann bzw. die Frau zu bringen, desto leichter erreichen Sie die nächste Stufe des Liebeswerbens. Schauen wir uns nun die drei Punkte etwas detaillierter an und stellen uns dazu die folgende Szene vor: Julia, Mitte dreißig und Single, sitzt mit ihrer besten Freundin Hannah an einem Freitagabend in einer Bar am Potsdamer Platz in Berlin. Während die beiden in ein Gespräch vertieft sind, öffnet sich plötzlich die Tür, und ein Mann kommt herein. Julia schaut kurz zu ihm herüber. »Oh Gott, jetzt nicht umdrehen, aber der Mann da, das ist genau mein Typ«, flüstert sie Hannah zu. Und schon ist Julia mittendrin in Phase 1. Wie kann sie es nun schaffen, dass der Unbekannte – nennen wir ihn Sebastian – sie bemerkt und optimalerweise sogar ein Gespräch zustande kommt?
Zeigen Sie Präsenz
Julia muss sich irgendwie bemerkbar machen, damit Sebastian auf sie aufmerksam wird. Und ihre Chancen stehen nicht schlecht, denn: Sie ist in Begleitung und unterhält sich. Dadurch ist sie nonverbal ständig in Bewegung, was wiederum zwei Vorteile mit sich bringt.
Erstens, bewegte Dinge nehmen wir eher wahr als unbewegte. Das kennen Sie wahrscheinlich aus dem Alltag. Eine kleine Bewegung im Augenwinkel, und wir reagieren sofort, wenden meist auch den Kopf in die Richtung. Aus Sicht der Evolution ist das Bewegungssehen eine der wichtigsten Fähigkeiten. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Ob wilde Tiere, die sich nähern, fallende Gegenstände oder (heutzutage) fahrende Autos – von bewegten Objekten kann immer Gefahr ausgehen. Für unser Überleben war – und ist es – notwendig, schnell zu reagieren. Unbewusst nutzen die meisten Menschen den Wahrnehmungsvorteil von Bewegung, um die Aufmerksamkeit einer attraktiven Person auf sich zu ziehen: Ist das andere Geschlecht in Sichtweite, neigen Mann und Frau dazu, einen Tick stärker und bewegter zu gestikulieren. Auch die Mimik wird ausdrucksstärker, so bewegen wir zum Beispiel die Augenbrauen mehr und deutlicher. Vorausgesetzt, wir fühlen uns sicher, sonst kann auch das Gegenteil eintreten. Wichtig ist für Sie, die Balance zu finden: Sind Ihre Signale zu aufdringlich, können Sie andere Menschen womöglich verschrecken. Denken Sie daran, beim Flirten geht es mehr ums Anlocken als ums Jagen.
Julias nonverbale Bewegungen haben noch einen weiteren Vorteil: Sie bringen ihr Sympathiepunkte bei Sebastian. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Personen, die sich körpersprachlich – insbesondere mimisch, also im Gesicht – mehr bewegen, von ihren Mitmenschen positiver eingeschätzt werden, als solche, deren Mimik relativ starr bleibt. Lächeln wirkt sich hier am stärksten positiv aus. Das gilt insbesondere für Männer, die generell weniger lächeln als Frauen. Nicht zu ihrem Vorteil, denn während Mann selbst vielleicht denkt: »Ich entspanne doch nur mein Gesicht«, können andere diesen entspannten Gesichtsausdruck schnell als unfreundlich oder gar abweisend interpretieren.
Ein entspannter Gesichtsausdruck wirkt schnell unfreundlich oder abweisend
Mein Tipp an Julia und alle anderen, die positive Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchten, lautet also: Setzen Sie Ihre Mimik und Körpersprache bewusst und viel ein, sowohl, wenn Sie zuhören, als auch, wenn Sie mit jemandem sprechen. Aber Achtung: Bleiben Sie authentisch. Eine aufgesetzte Körpersprache wirkt schnell gekünstelt und kann somit nach hinten losgehen. Suchen Sie sich deshalb bewusst Gesprächsthemen, die Sie interessieren und bei denen Sie emotional beteiligt sind. Dann werden Ihre Mimik und Körpersprache automatisch bewegter und ausdrucksstärker. Wenn es Ihnen trotz aller Bemühungen einfach nicht gelingen will, die Blicke auf sich zu ziehen, empfehle ich Ihnen eine der beiden folgenden Strategien: Suchen Sie sich einen Zielort, zum Beispiel die Bar oder das WC, und gehen Sie auf dem Weg dorthin direkt an Ihrer Zielperson vorbei. So haben Sie die Chance, Blickkontakt aufzunehmen und zu prüfen, wie die Person auf Sie reagiert. Oder versuchen Sie, sich in räumlicher Nähe oder zumindest in Blickrichtung der Person zu positionieren, lassen Sie Ihren Blick dann immer wieder schweifen, und berühren Sie den anderen dabei unauffällig und kurz mit Ihren Blicken.
So erhöhen Sie Ihre Attraktivität
Julia hat es geschafft. Sebastian ist auf sie aufmerksam geworden und ihre Blicke treffen sich. Die Entscheidung, ob Julia nun eine Chance bekommt und weiter im Rennen bleibt, fällt in Sebastians Gehirn blitzschnell und wird maßgeblich dadurch beeinflusst, wie attraktiv er sie findet. Natürlich geht es auch um die inneren Werte, schließlich machen zwei schöne Gesichter noch keine glückliche Liebesbeziehung. Dennoch spielen die inneren Werte in diesem Moment noch keine Rolle. Denn bevor wir überhaupt ein Wort gewechselt haben, ist das Erste,...