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Der Machtkampf

Seehofer und die Zukunft der CSU - Ein SPIEGEL-Buch

AutorPeter Müller
VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783641200404
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Intrigen, Selbstzweifel und Größenwahn - der Machtkampf hinter den Kulissen der CSU
Die CSU steht vor einem entscheidenden Einschnitt: Parteichef Horst Seehofer hat angekündigt, spätestens im Jahr 2018 abzutreten. Doch nun hadert der alte König mit seinem Entschluss. Aus seinem Bemühen um einen Abschied in Würde ist ein Machtkampf um die Zukunft der CSU geworden. Seehofer und seine möglichen Nachfolger Markus Söder und Ilse Aigner liefern sich ein zähes Ringen, dabei geht es auch um die Stellung der Christsozialen in Berlin und um die Frage, welche Partei die CSU künftig sein will. Gleichzeitig verdüstern sich die Erfolgsaussichten für die Bundes- und Landtagswahlen 2017, denn mit der AfD tritt ein Herausforderer an, der der CSU gefährlich werden könnte.

SPIEGEL-Korrespondent Peter Müller erzählt in seinem Buch packende Geschichten über eine Partei, mit der der Rest der Republik zunehmend fremdelt. Vor allem in der Flüchtlingskrise liebäugeln die Christsozialen offen mit dem rechten Rand. Ausgerechnet der Chef der Schwesterpartei entwickelt sich so zum größten Widersacher von Kanzlerin Angela Merkel.

Peter Müller begleitet die CSU, ihr Personal und ihre Skandale seit über zehn Jahren als Journalist, zunächst für 'Welt am Sonntag' und 'Handelsblatt', seit sechs Jahren nun für den SPIEGEL. Er war mit Horst Seehofer im Bierzelt in Straubing, als ihn die Enthüllungen über sein uneheliches Kind verfolgten, diskutierte mit Ilse Aigner bei Almwanderungen im Grenzgebiet zu Österreich, ob man einem wie Söder trauen kann, und ließ sich von Söder seinen Nürnberger Wahlkreis zeigen, in dem die Eiscafés noch aussehen wie in den fünfziger Jahren.

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Leseprobe

Los geht’s

»Um in Bayern zu regieren, muss man sich auf die Spielregeln verstehen. In Bayern muss man, damit die Volksseele kocht und wieder still wird, simplere Mittel anwenden als in der übrigen Welt. Anderswo muss man krumm regieren: in Bayern senkrecht.«

Lion Feuchtwanger, »Erfolg«

Im Sommer vergangenen Jahres war die CSU eine Partei im Sinkflug, ein konservatives Auslaufmodell, ein bajuwarischer Witz. Die EU-Kommission in Brüssel hatte die Maut für Ausländer gestoppt, das Prestigeprojekt der Partei, und das Bundesverfassungsgericht erklärte ihr zweites Lieblingsvorhaben, das Betreuungsgeld, für verfassungswidrig.

Am Kabinettstisch in Berlin drohte die Handschrift der CSU zu verblassen, aus allen Ecken Deutschlands ergossen sich Spott und Häme über die Christsozialen, ein Zustand, der für die Partei schon immer gefährlich war. Betreuungsgeld und Maut, das wirkte mit einem Mal wie die politische Variante von Schuhplattln und Fingerhakeln. Die Vorstöße der CSU galten bloß noch als bayerische Spleens, als Schrullen einer übergeschnappten Regionalpartei. Folklore, unterhaltsam, aber unerheblich.

Hinzu kam ein Parteichef, der erkennbar nicht mehr bei Kräften war und der sich in Scharmützeln mit seinem drängelnden Thronfolger Markus Söder verschliss. Immer wieder ersann Horst Seehofer neue Finten, um seinen für 2018 selbst angekündigten Abschied hinauszuzögern. Es wirkte, als wüsste ein alter Mann nicht, wann es Zeit ist zu gehen. Wenn die einstige bayerische Staatspartei bei politisch Interessierten überhaupt noch eine Gemütsregung hervorrief, dann war es Mitleid. Für eine Partei, die schon immer zwischen Hybris und Selbstzweifeln schwankte, kam das einem Todesurteil gleich.

Ein Jahr später, im Herbst 2016, ist von diesem Mitleid nicht viel geblieben. Wenn schon, dann hat sich die Häme in Hass verwandelt, und das ist ein Gefühl, mit dem die CSU weit besser leben kann. Parteichef Seehofer sitzt so fest im Sattel wie seit der Landtagswahl 2013 nicht, als er mit der CSU die absolute Mehrheit der Sitze im bayerischen Landtag zurückeroberte. Und laut Umfragen käme die Partei beinahe auf 20 Prozent, wenn sie in ganz Deutschland antreten würde.

Der Streit um die Frage, wie viele Flüchtlinge Bayern und Deutschland aufnehmen können, katapultierte Seehofer zurück in die erste Reihe der deutschen Politik und, genauso wichtig, vielleicht zum ersten Mal ins Herz seiner Partei. Natürlich ist die Flüchtlingskrise eine große Belastung für Bayern, und in manchen Teilen Deutschlands wirkt Seehofer mit seiner Daueropposition gegen die eigene Kanzlerin wie ein weiß-blauer Donald Trump – rechts, populistisch, vielleicht sogar gefährlich. Doch für die CSU und ihren Vorsitzenden ist die Krise ein Lebenselixier.

Angesichts der Flüchtlinge, die nach Deutschland drängen und später der Anschläge in Bayern, beharrt Seehofer auf Abschottung, Grenzkontrollen und Obergrenzen, ausgerechnet der Chef der Schwesterpartei stieg so zum prominentesten Widersacher von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf. Bisweilen wurde die Debatte innerhalb der Unionsparteien so hart geführt, dass manche Beobachter fast schon mit Sehnsucht an die beinahe heile Welt von einst zurückdachten, an den Streit um so harmlose Dinge wie die Mütterrente etwa.

Die Flüchtlingskrise ist ein Machtkampf mit höherem Einsatz. Es geht um die Entscheidung, welches Land Deutschland künftig sein wird. Für die CSU als Partei ist das zugleich eine Überlebensfrage, was die Sache nicht entspannter macht. Denn Merkels »Wir schaffen das« droht der CSU dort zu schaden, wo schon immer über ihr Schicksal entschieden wurde – bei der bayerischen Landtagswahl. 2018 müssen die Christsozialen ihre absolute Mehrheit verteidigen. Von den Jahren von 2008 bis 2013 abgesehen, gelingt ihnen das seit Anfang der sechziger Jahre ununterbrochen. Die CSU ist eine Dynastie, nur die Wittelsbacher regierten Bayern länger.

»Wenn die Asylpolitik nicht korrigiert wird, dann geht das an die Existenz von CDU und CSU«, sagte Seehofer bereits im Oktober 2015. Der Satz löste viel Kopfschütteln aus, und er ist auch nicht ganz korrekt: Er stimmt nur für die CSU. Die CDU kann damit leben, dass ihre – wenigen verbliebenen – Ministerpräsidenten mit mageren Ergebnissen um die 30 Prozent und mit verschiedensten Partnern in Koalitionen von Jamaika bis Kenia regieren. Die Hürde für die Existenzberechtigung der CSU liegt höher – bei genau der Hälfte der Mandate im bayerischen Landtag. Die CSU ist eine Partei, die ständig am Abgrund balanciert.

Eine CSU ohne Alleinregierung in Bayern ist nichts, sagt Horst Seehofer mit der ihm eigenen Dramatik. Doch ausnahmsweise übertreibt er nicht. Das Herz der CSU schlägt in Bayern, zwischen der Wieskirche und dem Kloster Banz wurzelt ihre Stärke, hier hat sie knapp 144 000 Mitglieder, hier verfügt sie über Tausende Gemeinderäte, Bürgermeister und Landräte. In Kombination mit der Landesgruppe der CSU im Deutschen Bundestag kann ihr das eine Durchschlagskraft verleihen, die keine andere Unions-Landespartei zu erzielen vermag. Bayerns Ministerpräsident ragt daher aus der heute recht farblosen Gruppe der Länderregierungschefs heraus. Wenn er in Berlin verhandelt, sitzt der Freistaat mit am Tisch, und in Bayern gilt er manchen noch immer als eine Art Ersatz-Fürst.

Als Seehofer nach dem Verlust der absoluten Mehrheit 2008 Parteichef und bayerischer Ministerpräsident wurde, war die CSU in der Krise. Das langfristige Überleben der Partei stand auf dem Spiel, das macht seine ersten Jahre an der CSU-Spitze so entscheidend. 2018 wird erneut eine Schicksalswahl für die CSU und ihren Parteichef sein. Die Ausgangsbedingungen für einen Erfolg der Christsozialen sind nicht besser geworden, im Gegenteil: Das Verhältnis zur Kanzlerin ist auf lange Zeit zerrüttet, und mit der AfD hat ein neuer, gefährlicher Herausforderer am rechten Rand die Bühne betreten.

Für Seehofer geht es auch um seinen Platz in der Partei-Geschichte. 2018 wird sich entscheiden, ob sein Name für eine neue Ära in der CSU steht oder ob sein Wahlsieg 2013 nur ein Zwischenhoch war beim unaufhaltsamen Abrutschen zur CSU in die zumindest bundespolitische Bedeutungslosigkeit. Es wäre ein schnödes Ende, gut 40 Jahre, nachdem sich die Partei mit dem Kreuther Trennungsbeschluss 1976 für einen kurzen Augenblick sogar dazu aufschwingen wollte, Wähler in ganz Deutschland zu erobern.

Hinzu kommt, dass Seehofer derzeit an zwei Fronten ringt: Neben dem Machtkampf mit Merkel um die richtige Politik in Berlin geht ein zweiter Machtkampf in seine entscheidende Runde – der um die Nachfolge Seehofers. Selten seit den Zeiten von Franz Josef Strauß war das Machtzentrum der CSU so klar definiert, wie in den Seehofer-Jahren. Spätestens seit die Plagiatsaffäre Karl-Theodor zu Guttenberg im März 2011 in die USA wehte, gab es keine Alternative zu dem Mann, der erst durch das Wahldebakel 2008 überhaupt Parteichef werden konnte. Doch selbst die neugewonnene Popularität in der Flüchtlingskrise schützt Seehofer nicht vor der Debatte über sein Ende.

Eigentlich hatte Seehofer im Wahljahr 2013 angekündigt, 2018 abtreten zu wollen. Glaubt man den üblichen Regeln des Politikbetriebes, war diese Aussage ein schwerer Fehler. Ein Chef, der sich selbst ein Verfallsdatum gibt, wird zum Auslaufmodell oder, wie die Amerikaner sagen, zur »lame duck«. Die Macht, Ämter zu verschaffen oder zu strafen, schwindet. Bei Seehofer ist das nicht anders, zumal Markus Söder schon ewig in den Startlöchern steht. Bayerns Finanzminister will nicht als Prinz Charles der bayerischen Politik enden, er will nicht länger Thronfolger sein, sondern Regent. Doch putschen kann er nicht, zu tief steckt der Partei noch das Trauma vom Stoiber-Sturz 2007 in den Knochen.

Seehofer wiederum schiebt die Entscheidung seiner Nachfolge immer weiter auf, er zaudert, seine Ämter an Söder zu übergeben. Die beiden sind sich seit Jahren in herzlicher Abneigung verbunden. Es ist ein Gleichgewicht des Schreckens: Söder wartet auf seine Gelegenheit, Seehofer loszuwerden, und Seehofer darauf, seinem Kontrahenten den Aufstieg an die Spitze des Freistaates womöglich doch noch zu verbauen. Beide haben alte Rechnungen offen, auch das spielt eine Rolle.

Mehr als in anderen Parteien geht es in der CSU zu wie in einer großen Familie. Das verleiht den Rangeleien zwischen ihren Spitzenpolitikern eine besondere Würze. Persönliche Schwächen, frühere Ehepartner, heimliche Affären – man kennt sich und weiß vieles voneinander. Ilse Aigner und Markus Söder etwa ringen nicht erst heute um die Macht, sie wetteiferten schon vor über 20 Jahren an der Spitze der Jungen Union miteinander. In anderen Teilen Deutschlands wäre klar, wie ein Rennen zwischen Söder und Aigner ausginge, doch Bayern ist anders. Hier wurde, vor allem in der CSU, schon immer mit härteren Bandagen gekämpft. Und so geht es beim Duell um die Seehofer-Nachfolge auch um die Seele der Christsozialen und die Frage, welche Partei die CSU künftig sein wird: Will sie ihr Raufboldimage pflegen, oder sind die Tage der Kraftpolitik auch in Bayern gezählt?

Es menschelt in der CSU weit stärker als in der oft aseptischen großen Schwesterpartei. Das gilt umso mehr, als ihre Anführer sich sehr ähnlich sind. Viele eint ihre Aufstiegsbiographie und damit...

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