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E-Book

Der Mann, der den Tod auslacht (DuMont Reiseabenteuer)

Begegnungen auf meinen Reisen durch Äthiopien

AutorPhilipp Hedemann
VerlagDumont Reiseverlag
Erscheinungsjahr2017
ReiheDuMont Reiseabenteuer E-Book 
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783770199471
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR

»Wer nicht reist, wird immer glauben, dass seine Mutter die beste Köchin ist«, lautet ein afrikanisches Sprichwort. Der Autor wollte wissen, wie andere Mütter kochen, und reiste mit dem Jeep mehrere Tausend Kilometer durch Äthiopien. Er ist immer wieder von den unzähligen Gesichtern des Landes überrascht: In der Metropole Addis Abeba begegnet er so ungewöhnlichen Menschen wie dem Mann, der den Tod auslacht, er trainiert mit den weltberühmten Langstreckenläufern, auf einer historischen Route kommt er zu sagenumwobenen Kulturdenkmälern, und im Süden trifft er auf Stämme, deren Frauen sich mit Tellerlippen schmücken. Philipp Hedemann erzählt humorvoll von abenteuerlichen Begegnungen und porträtiert unterhaltsam das geheimnisvolle und widersprüchliche Land im Osten Afrikas.

Dieses E-Book basiert auf: 2. Auflage 2017, Dumont Reiseverlag



<p>Philipp Hedemann, 1979 in Bremen geboren, studierte in Passau und Cardiff (Wales) Politik, Soziologie und Germanistik. Nach seinem Zeitungsvolontariat, u.a. beim Springer Auslandsdienst in London, lebte er von 2010 bis 2013 in Addis Abeba und berichtete von dort aus Äthiopien und ganz Afrika. Seine Texte und Fotos erscheinen u. a. in der Welt, der Zeit, der FAS, NZZ und Cicero. 2011 gewann er den zweiten Platz des Meridian Journalistenpreises, 2013 für seine Reportagen aus Afrika den BIGSAS-Journalistenpreis.</p>

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Leseprobe

Kapitel 1


Der Mann, der den Tod auslacht


In Äthiopien ist, das begreift man schnell, manches einfacher, wenn man es mit Humor nimmt. Doch für die meisten Menschen gibt es in dem nach wie vor armen Land nicht viel zu lachen. Auf meinen Reisen in andere afrikanische Länder höre und sehe ich erheblich mehr Menschen lachen. In Äthiopien hingegen umgibt die Menschen eine mal traurige, mal leidende, oft stolze und fast immer misstrauische Schwermütigkeit. Über das »krankhafte Misstrauen der Amhara«, einer der in Äthiopien dominierenden Ethnien, schrieb der polnische Journalist und Äthiopienkenner Ryszard Kapu´sci´nski vor fünfunddreißig Jahren: »Man kann niemandem trauen, nicht einmal einem anderen Amhara, man kann auf niemanden zählen, denn die Absichten des Menschen sind schlecht und verräterisch und alle Menschen Verschwörer. Die Philosophie der Amhara ist pessimistisch und traurig, und traurig sind daher auch ihre Augen, aber gleichzeitig wachsam und forschend, ihre Gesichter ernst, die Züge straff, und sie lächeln nur selten.« Für viele Amharen und andere Äthiopier gilt das noch heute.
Umso erstaunter war ich, als ein Freund mir erzählte, dass der amtierende Lachweltmeister – ja, den gibt es – ausgerechnet in Addis Abeba wohnt. Ich beschloss, eines seiner Lachseminare aufzusuchen. Als ich Belachew Girma das erste Mal sah, kugelte er sich, in einen weißen Kittel gehüllt, auf dem Boden und lachte hysterisch. Seine Augen traten hervor, Schweiß und Tränen rannen über sein erhitztes Gesicht, aus den Mundwinkeln quoll Spucke. Er zuckte mit den Beinen, ruderte mit den Armen, dann zerrte er an seiner eng gebundenen Krawatte, um Luft zu bekommen. Ist der Mann verrückt geworden? Hat er Drogen genommen? Muss ich einen Arzt rufen, fragte ich mich als der scheinbar Irre plötzlich aufstand, sich Schweiß, Speichel und Tränen aus dem Gesicht wischte, einmal tief durchatmete und dann mit einer erstaunlich tiefen und ernsten Stimme sagte: »Jetzt möchte ich, dass du so lachst.«
Ich weiß, dass ich das nicht kann. Belachew ist Lachweltmeister, ich bin Lachamateur. In Dachau lachte er im Jahr 2008 drei Stunden und sechs Minuten. Am Stück. Ich glaube, ich hatte in meinem ganzen Leben nur einen echten Lachkrampf, und der liegt Jahre zurück. Und auf Befehl lachen kann ich erst recht nicht. Doch laut Belachews Homepage kann man das lernen. Ich wollte es probieren.
Die zweiundzwanzig Äthiopier, die sich zum Lachseminar angemeldet haben, finden es sehr lustig, als ich das erste Mal versuche, auf Befehl zu lachen, und fangen an zu kichern. Ich finde es nicht so lustig, habe eher das Gefühl, sie lachen über mich, nicht mit mir. Nach ein paar endlosen Lachsekunden werde ich erlöst. Belachew geht zum nächsten Kursteilnehmer. Er hat offensichtlich schon ein bisschen mehr Routine als ich, sein Lachen klingt nicht so gekünstelt, nicht so gequält wie meins. Aber so richtig von innen kommt es auch noch nicht.
»Wir geben Training, wie man über Hunger und Zerstörung lacht«, hieß es auf der Homepage des Lachinstituts. Ich würde eigentlich lieber über heiterere Dinge lachen, aber wenn ich nach dem Training selbst über Bedrückendes, Trauriges und Furchtbares lachen kann, kann mir das auf meinen Reisen durch Äthiopien sicher nicht schaden, dachte ich mir. Also meldete ich mich bei dem komischen Vogel, der im Internet mal im Anzug, mal im T-Shirt, aber immer mit vor Lachen weit aufgerissenem Mund zu sehen ist, zum Seminar an. Die Teilnahme an vier Sitzungen der ersten Lachschule Afrikas kostet vierhundertfünfzig Birr, umgerechnet rund achtzehn Euro, etwa so viel, wie ein ungelernter Arbeiter im Monat verdient. Neben den lautstarken praktischen Übungen bekomme ich dafür per Powerpoint-Präsentation auch Kalenderspruchweisheiten wie »Wenn das Leben dir eine Zitrone gibt, quetsche sie aus und mache eine Limonade daraus«, oder »Niemand ist arm, solange er noch lachen kann«, verabreicht. Ich finde die Sprüche nicht soooo witzig, aber die Streber im Kurs quittieren alles mit schallendem Gelächter, versuchen gar, das Gegluckse des großen Meisters zu übertönen.  
Alemayehu ist ein ergebener Jünger des Lachgurus. Als er mit Schnappatmung in das Dauerlachen des Weltrekordlers einstimmt, treten dicke Adern auf seiner Stirn hervor, doch auch die strammen Blutgefäße lenken den Blick nicht von seiner rechten Wange. Ein Krebsgeschwür, so groß wie eine Apfelsine, hat das Gesicht grotesk entstellt. »Ich kann den Krebs nicht weglachen, aber das Lachen hilft mir, mit ihm zu leben. Seitdem ich gelernt habe zu lachen, muss ich keine Schmerzmittel mehr nehmen«, sagt der achtundfünfzigjährige Ingenieur. Schulmediziner würden über den Musterschüler des Lachweltmeisters vielleicht lachen, Belachew tut es nicht. »Ich war mal HIV-positiv. Jetzt bin ich gesund. Gott hat mich geheilt, und Lachen ist die beste Medizin«, sagt er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet. Mit Gott und Galgenhumor begann vor über zehn Jahren Belachews sonderbare Wandlung vom suizidalen Drogenabhängigen zum dauerlachenden Selfmade-Psychologen.
Belachew erzählt mir, dass er einst Lehrer war, es sogar zum Direktor einer Grundschule gebracht hatte. Doch als Lehrer kann man in Äthiopien kaum Geld verdienen. Da legte der Pä­dagoge sich einen Hund zu, brachte ihm ein paar Kunststückchen bei und trat mit dem Tier auf. Das Publikum mochte den komischen Kerl mit dem Hund, und der komische Kerl mochte das Publikum. Nach der Hundenummer gründete er eine Band, zog mit der Truppe durchs Land. Die Gagen waren nicht schlecht. Belachew konnte sich bald einen kleinen Laden und ein Hotel kaufen. Außerdem blieb noch viel Geld für Qat. Jahrelang kaute Belachew die in Äthiopien weitverbreiteten, berauschenden Blätter. Den bitteren Geschmack spülte er mit reichlich Alkohol runter. Im Qat-Wahn lernte er die falschen Leute kennen, eröffnete einen Nachtclub, verdiente mit Prostituierten sein Geld – und schlief mit ihnen. Ihm war die Kontrolle über sein Leben entglitten.
Sein Hotel und sein Laden brannten ab. Als er beides gerade wieder aufgebaut hatte, wurden seine Anstrengungen durch eine Überflutung wieder zunichte gemacht. Als seine erste Frau krank wurde, ging auch Belachew zum Arzt. Kurz nachdem er die Diagnose HIV-positiv erhalten hatte, starben seine Frau und eine Liebhaberin. »Sie hatten es von mir. Ich wollte nicht mehr, ich wollte ihnen nachfolgen«, erzählt Belachew und zeigt mir ein Foto aus seinen dunkelsten Tagen. Im Qat-Delirium zielt er mit einem Revolver auf eine Flasche Bier, die er auf seinen Füßen balanciert. In jenen Tagen dachte er oft darüber nach, mit der Waffe nicht nur auf den Dämon Alkohol, sondern vor allem auf den eigenen Kopf zu zielen. Er machte es nicht. Stattdessen fielen dem vom Glauben abgekommenen Christen eine Bibel und eines der zahlreichen in Afrika kursierenden Selbsthilfebücher mittlerer Qualität in die Hand. Darin wurde die heilende Wirkung des Lachens angepriesen.
»Ich verschlang die beiden Bücher und beschloss, mein Leben zu ändern. Ich hörte auf, Qat zu kauen und zu trinken, und fing an, zu lachen, auch wenn ich eigentlich nichts zu lachen hatte«, erzählt Belachew. Zunächst lachte er meist gequält, in letzter Zeit immer häufiger zu Unterrichts- oder Rekordzwecken oder einfach nur so. In der Bibel liest Belachew täglich. Am besten gefällt ihm Vers 22, aus den Sprüchen, Kapitel 17: »Ein fröhlich Herz macht das Leben lustig; aber ein betrübter Mut vertrocknet das Gebein.« Die Bibel und das Lachen waren die Katalysatoren bei Belachews Wandel vom Saulus zum Paulus. Durch Belachew wurden zwei Mädchen zu Halbwaisen, jetzt hilft er Waisen dabei, sich zurück ins Leben zu lachen. Einmal in der Woche unterrichtet er ehrenamtlich an Schulen, regelmäßig erteilt er Waisen, Halbwaisen und Straßenkindern kostenlos Lachtherapie. Ich habe mir das mal angeschaut.
Zuerst blickt Helima noch verschüchtert zu Boden, als Belachew sich im Garten einer Einrichtung, die sich um Straßenkinder kümmert, vor sie kniet und laut beginnt zu lachen. Als der sechsfache Vater sich seinen für äthiopische Verhältnisse stattlichen Bauch bereits vor Lachen hält, stimmt endlich auch Helima in das Gegluckse ein, bald laufen ihr Tränen über die Wangen. »Wenn Belachew kommt, bin ich immer glücklich. Er hat mir gezeigt, wie man einfach so anfangen kann zu lachen«, sagt die Zehnjährige, die vor fünf Jahren mit ihrem Vater auch ihr Lachen verlor.
»In Äthiopien gibt es viele Probleme. Wenn wir lachen, können wir sie einfacher lösen«, erklärt Belachew mir. Im »Guinness Buch der Rekorde« findet man seine Spitzenleistung übrigens nicht, weil die Bibel der Höchstleistungen Dauerlachen nicht als Rekord akzeptiert. Den Halter des inoffiziellen Rekords wurmt das, denn für ihn ist Dauerlachen eine sportliche Höchstleistung wie andere eingetragene Rekorde auch: »Wenn du mehr als drei Stunden am Stück gelacht hast, bist du fix und fertig. Das ist ein Work-out für den ganzen Körper. Du hast...

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