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E-Book

Der Schöne und die Beats

Autor'Shindy' Michael Schindler, Josip Radovic
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783959711371
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Vom Hate zum Hype zum modernen Klassiker: Shindy ist ein Phänomen. Sein Weg führte ihn aus der schwäbischen Provinz an die Spitze der deutschen Charts. Von seinen ersten Versuchen als Rapper arbeitete er sich hoch, bis er schließlich von Bushido unter Vertrag genommen wurde. Mittlerweile ist er ein Superstar der deutschen Hip-Hop-Szene. Mit dem Skandalsong 'Stress ohne Grund' beherrschte er wochenlang die Schlagzeilen der Republik. Mit nur zwei Alben revolutionierte er anschließend den Deutschrap, erklärte die Ignoranz zum Prinzip und verkörperte mit seinem Mix aus Style und Sound den Prototyp eines modernen Popstars. Seine Alben stürmten nicht nur die Chartspitze, sie erreichten Goldstatus und er wurde zum Vorbild einer ganzen Generation. In seiner Autobiografie Der Schöne und die Beats gewährt Shindy zum ersten Mal einen Blick hinter die Fassade: Wie steinig war der Weg nach oben, wie lebt es sich als gefeierter Star der Deutschrap-Szene und wer ist eigentlich der Mensch Michael Schindler hinter dem Phänomen Shindy. Mit einem Nachwort von Arafat Abou-Chaker.

Shindy, bürgerlich Michael Schindler, wurde 1988 in Bietigheim-Bissingen geboren. Mit 12 Jahren begann er zu rappen, wurde ein paar Jahre später bei Bushidos Label ersguterjunge unter Vertrag genommen und veröffentlichte bislang drei Alben, die alle die Spitze der deutschen Charts erreichten.

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Leseprobe

Kapitel 1

Peter Pan


Jede Geschichte hat ihren Anfang und meine Geschichte beginnt, wie sie auch enden wird: mit Zigaretten, Alkohol und Musik. Ich verbrachte die meiste Zeit meiner Kindheit in der Gaststätte meiner Großeltern. Als Opa meine Oma, meine Mutter und meinen Onkel aus Griechenland nachholte, führten sie zunächst ein Hotel inklusive Gasthaus. Das Hotel Funk am Bahnhof von Bietigheim-Bissingen, einem 40 000-Seelen-Ort nördlich von Stuttgart. Das lief richtig gut und so hatten sie schnell etwas Geld zusammen und kauften sich ein altes Fachwerkhaus im Stadtteil Bissingen. Sie zogen in der ersten Etage ein, die Zimmer im zweiten Stock vermieteten sie und im Erdgeschoss eröffneten sie eine Gastwirtschaft. Das »Bruddler«. Warum das so hieß, weiß keiner. Meine Großeltern konnten noch kein einziges Wort Deutsch, aber das war den Gästen hier vollkommen egal. Sie wussten, sie bekamen ihr Bier mit Liebe auf den Tisch gestellt, und die Stimmung war auch so immer bestens.

Meine Mutter half schon als Kind mit, wo sie nur konnte. Als sie 16 wurde, fing sie an, hinter dem Tresen auszuhelfen. Sie kam jeden Tag nach der Schule und blieb bis zum späten Abend. So lernte sie Jahre später auch meinen Vater kennen. Er war Fabrikarbeiter und kam immer freitagabends, um mit seinen Freunden ein Feierabendbier zu trinken. Es war wohl Liebe auf den ersten Blick. Und irgendwann kam er nicht mehr nur freitags, sondern auch samstags und sonntags. Als meine Oma mitbekam, dass die beiden miteinander anbändelten, wurde sie richtig sauer. Sie verbot meiner Mutter, mit meinem Vater zu sprechen, was die Sache natürlich noch viel schlimmer machte. Hinzu kam, dass mein Vater ein sehr guter Freund meines Onkels war, was ihn für meine Mutter noch interessanter machte. Verbotener Apfel und so. Opa war das ganz egal. Er war der entspannteste Typ, den man sich nur vorstellen kann. Seine Geduld ließ ihn über allem schweben, nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen. Er guckte mir manchmal stundenlang zu, wie ich Buchstaben ausmalte, und machte mir sogar Komplimente dafür. Opa meinte es einfach nur gut mit jedem und so auch mit meiner Mutter, als die Sache mit meinem Vater anfing »Ja, was soll ich denn jetzt machen?«, fragte er nur und zuckte mit den Schultern. »Ihr macht doch eh, was ihr wollt!«

Meine Oma sah das ganz anders. Sie wäre in der Lage gewesen, meine Mutter zwangszuverheiraten, nur damit sie einen griechischen Schwiegersohn bekam. Irgendwann eskalierte der Konflikt zwischen ihr und meiner Mutter so sehr, dass meine Mutter mit meinem Vater durchbrannte. Sie nahmen sich eine gemeinsame Wohnung in einer anderen Stadt. Ein halbes Jahr dauerte das. Absolute Funkstille. Bis Oma meiner Mutter über drei Ecken ausrichten ließ, dass sie die Beziehung jetzt akzeptieren würde. Hauptsache, Mama würde zurück nach Hause kommen. Von da an war alles wieder okay. Kurz darauf heirateten meine Eltern und Oma fand das in Ordnung. Das »Bruddler« war Teil unserer Familiengeschichte. Später wurde es dann zu unserem Familienmittelpunkt. Meine Mutter half meinen Großeltern bei dem ganzen Papierkram und ging für sie im Großhandel einkaufen. In der Mittagspause kamen mein Cousin und meine Cousine zum Essen vorbei. Und ich, ich hing jede freie Minute dort rum.

Neben unserer Familie kamen nur Stammgäste ins »Bruddler«. Wir kannten jeden Einzelnen. Wenn ich von der Schule zurückkam und da saß mal ein Fremder, wurde ich direkt skeptisch und fragte Oma, was der Unbekannte denn hier will. Im zweiten Stock vermieteten meine Großeltern einzelne Zimmer. Eigentlich waren die als Unterkünfte für Bauarbeiter gedacht, die gerade auf Montage waren und billige Zimmer brauchten. Es gab da eine Gemeinschaftsküche und ein Gemeinschaftsbad, das sich alle Bewohner teilen mussten. Aber aus irgendeinem Grund mieteten sich dort Männer ein, die gar nicht wieder ausziehen wollten. Und die hingen dann eben den ganzen Tag unten in der Gaststätte rum.

Da gab es Branko, einen großen dicken Jugoslawen mit einer riesigen Säufernase. Der hat mir jedes Mal Erdnüsse geschenkt, wenn er mich gesehen hat. Und Oskar. Ich glaube, Oskar war Frührentner. Er kam immer in einem langen blauen Mantel und bekam von seiner Frau ein ganz strikt eingeteiltes Taschengeld. Pro Tag hatte er zehn Mark zur Verfügung. Das reichte genau für eine Packung Zigaretten, zwei Bier und zwei Schnäpse. Alle liebten Oskar, weil er immer so fröhlich war. Aber wenn Oskar sein Taschengeld aufgebraucht hatte, exte er seinen letzten Schnaps, wischte sich mit einer Serviette den Mund ab und stand auf. »Jetzt isch nix mehr zu hole«, sagte er und verabschiedete sich. Die anderen wollten Oskar immer überreden, dass er noch etwas länger bleibt, und dann luden sie ihn noch auf eine Runde Schnaps ein. »I sags euch gloi, zurückzahle kann i euch nix«, warnte er die anderen immer überkorrekt vor. Aber das war denen total egal. Hauptsache, Oskar blieb noch für eine Runde.

Und es gab Ivo, einen weiteren Jugoslawen. Er war spindeldürr und ziemlich klein geraten. Ivo wollte immer gegen mich Billard spielen. Wenn ich an meinem Tisch saß, kam er rüber zu mir. »Habe Luscht und Zeit?«, fragte er mich dann mit seinem breiten Akzent. Das fragte er mich jeden Tag in genau diesem Wortlaut. Ich habe diesen Satz bestimmt Tausende Male von Ivo gehört. Ich verstand nicht, warum er das jedes Mal machte. Mann, ich war fünf Jahre alt. Als hätte ein Fünfjähriger irgendwelche wichtigen Termine, die ihn am Billardspielen hindern würden. Ivo war kein besonders guter Spieler, aber er nahm das sehr ernst. Er war voll konzentriert und hätte mich niemals gewinnen lassen. Manchmal gewann ich aber trotzdem. Dann hat er sich wahnsinnig aufgeregt, weil er gegen einen verfickten Fünfjährigen verloren hatte und alle anderen ihn auslachten. Opa gab ihm dann immer einen Beruhigungsschnaps aus.

Eines Tages ging Ivo in seine Heimat zurück. Am Anfang schrieb er uns noch regelmäßig Postkarten. Irgendwann hörten wir gar nichts mehr von ihm. Und noch ein paar Monate später erzählte uns Oma, dass Ivo gestorben war. Sie hatte das von irgendwelchen Freunden von Freunden von Verwandten von ihm gehört. Wir waren alle ziemlich traurig. Auch wenn Ivo ein komischer Vogel war, er gehörte doch zur Familie.

Zwei Jahre später war Ivo plötzlich wieder da. Er stand bei meiner Oma vor der Haustür. Mit exakt denselben Klamotten, die er immer getragen hatte. Mit exakt demselben verrosteten Fahrrad, dass er immer dabei gehabt hatte. Er stand da einfach in der Einfahrt und starrte auf die Gaststätte.

»Oma«, sagte ich. »Der tote Ivo steht da draußen.«

»Das kann nicht sein, der ist tot.«

»Oma, er steht doch da.«

»Der steht da nicht. Ich hab’s doch gehört. Der ist in Jugoslawien gestorben.«

Ich schaute noch mal aus dem Fenster. Er stand weiterhin da und bewegte sich nicht. Er starrte nur die Gaststätte an. Ich ging auf ihn zu.

»Ivo, bist du’s?«

»Challo, Michael.«

»Sag mal, was machst du denn hier?«

Man merkte ihm an, dass er richtig gerührt war, wieder hier zu sein.

»Mama besuchen«, sagte er.

Meine Oma konnte es gar nicht glauben, dass er wieder da war. Es hatte in Jugoslawien wohl nicht so geklappt, wie er sich das vorgestellt hatte. Und dann ist er einfach zurückgekommen und wieder in sein altes Zimmer im »Bruddler« eingezogen. Tot war er jedenfalls nicht. Und meine Oma kochte ihm aus Freude, dass er wieder da war, sein Lieblingsgericht. Käsespätzle.

Oma


Meine Oma war mein absoluter Lieblingsmensch. Und ich auch ihrer. Das hat sie mir immer gesagt, ob wir allein waren oder nicht. Auch wenn ihre anderen Enkel da waren. Über all die Jahre hinweg. Immer wenn wir allein waren, kam sie und nahm mich in den Arm. »Mein Schatz, du bist mein ganzer Stolz. Ich liebe dich mehr als alle anderen Menschen. Ich liebe dich mehr als deine Mutter und mehr als deinen Bruder.« Ich glaube, das begann schon, als ich geboren wurde. Meine Oma bestand darauf, dass ich den Namen ihres Vaters trage. Michalis. Sie einigte sich mit meinen Eltern dann darauf, dass wir ihn zumindest eindeutschten und Michael daraus machten.

Ich verbrachte jede freie Minute bei meiner Oma. Mein Bruder hatte nie Bock auf dieses Rentnergelaber. Er war zwei Jahre jünger als ich und hat so gut es ging vermieden, bei unseren Großeltern zu chillen. Ich hingegen habe das geliebt. Immer wenn ich gerade nichts zu tun hatte, bin ich zu Oma gegangen und habe Kakao getrunken, später dann Kaffee. Sie hat mir dann zweitausendmal dieselbe Geschichte erzählt, wie sie damals aus Griechenland kam, wie sie sich mit meinem Opa die Gaststätte aufbaute. Sie erzählte mir von den glorreichen Zeiten des »Bruddler«. Von früher, als es noch so eine richtige Kneipenkultur gab. Da war jeden Tag mies full house. Da war noch die Renate-Generation am Zug, wie meine Oma sagte. Deutsche Frauen mit Dauerwelle und ihre Macker, die sich jeden Tag zum Saufen in der Kneipe getroffen haben. Wilde Nächte, die darin gipfelten, dass sich irgendwelche Typen besoffen mit ihren Billardqueues die Fresse einschlugen. »Einmal«, erzählte Oma dann, »einmal wollte uns jemand das »Bruddler« abkaufen. Für 1,2 Millionen Mark. Das war Mitte der Neunziger. Und ich sagte Nein. Wenn, dann für zwei Millionen. Ich wusste aber, dass der Laden niemals mehr als eine Million Mark wert war.«

»Aber warum hast du es dann nicht verkauft, Oma?«, fragte ich sie, obwohl ich die Antwort längst kannte. »Da steckte mein ganzes Leben drin. Ich weiß doch nicht, was ich ohne diese Gaststätte machen soll.« Ich liebte diese...

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