Ups, Ramadan im Senegal
Diesen Oktober verbringt Maria ihre zwei Wochen Urlaub nicht, wie üblich, in der günstigen Villa der französischen Residenz, wo sie morgens zu ihrer Freude von frühstückenden Arbeitern, die an der Straße vorm Haus so fröhlich plappern, geweckt würde.
Es ist Ramadan, der Fastenmonat der Muslime und neunte Monat des islamischen Mondkalenders. In ihm wurde nach muslimischer Auffassung der Koran herabgesandt. Gefastet wird, wenn die Mondsichel Hilal zu sehen ist. Das Fasten wird gebrochen, wenn sie nach einem Monat wiedererscheint. Reisende, Schwangere, Kranke und Kinder sind nicht zum Fasten verpflichtet. Wer kann, sollte die Fastentage nachholen. Das Fasten beinhaltet die Enthaltung bestimmter Tätigkeiten: Verzehr von irdischen Substanzen und Speisen sowie Getränken, Rauchen, Geschlechtsverkehr und Trunkenheit.
Diese Zeit will sie in dem von ihr so geschätztem Hotel Royam, in dem sie ihre erste Reise in den Senegal verbrachte, erleben. Der Hoteldirektor und das Personal freuen sich, sie wieder zu beherbergen. Hier fühlt sie sich weniger als Hotelgast, sondern vielmehr als Mitglied einer großen Familie.
Nach einem ausgiebigen Frühstück bei Vogelgezwitscher und bettelnden Katzen macht sie sich auf den Weg zur Schule in Niakh-Niakhal. Das war nötig, denn zur Ramadanzeit ist in der Schule kein Pausenbrot, Erdnüsse, Wasser oder dergleichen zu erwarten. Schulleiter und Lehrer strahlen über beide Backen, als sie den Schulhof betritt. Sofort führen sie sie übers Gelände, zeigen ihr voller Stolz die beiden neuen Nebengebäude und den Aufbau des Verwaltungsgebäudes. Dort ist eine Schulbibliothek entstanden. Ein zweiter Raum im ersten Stock soll ein Informatikraum werden. Die Schülerzahl hat sich von 200 auf 850 erhöht. Sie ist völlig von den Socken, dass das geklappt hat. Ihr Schweiß und Einsatz haben sich gelohnt. Sie schaut zum Schulleiter, der bei ihrem letzten Besuch noch total ungläubig dem Bildungsministerium gegenüber war: „Na, geht doch! Man darf den Mut nicht verlieren und niemals aufgeben!“
Er schaut entgeistert zurück und erwidert: „Du kannst dir nicht vorstellen, was das für eine Arbeit war. Ich musste nach Mbour fahren. Ich musste nach Thies fahren. Und ich musste nach Dakar fahren. Das kostet! Überall musste ich Formulare ausfüllen. Und dann die Baumaßnahmen. Was für ein Dreck und Staub!“
Hört sie da einen Unterton heraus? Will er sagen, dass dieser Erfolg einzig ihm zuzuschreiben sei? Sie will kein großes Dankeschön. Ihr Name soll auch nicht dick in Stein gemeißelt werden. Ganz unbeteiligt war sie aber an diesem Projekt nun wirklich nicht.
Alle neuen Bauten dieser Schule entsprechen vollkommen dem Architektenplan, den sie mit dem Bildungsminister, seinem technischen Berater und Adama erarbeitet hatte. Ein kleines Lob hätte sie erwartet. Stattdessen bittet man sie, sich um die Ausstattung des Informatikraums zu kümmern.
Ihre leicht aufkommenden Eitelkeiten steckt sie zurück. Was zählt, ist, dass 650 Kinder mehr als zuvor die Möglichkeit haben, zur Schule zu gehen. Das ist doch ein Grund zur Freude und ein Grund, sich hier weiter zu engagieren. Der Aufwand hat sich gelohnt.
Da schießt es ihr durch den Kopf: „Warum bin ich in den Senegal gekommen? Was war mein Anliegen, die wahren Gründe? Ich will eine fremde Kultur in der Tiefe kennen lernen, um meinen Horizont zu erweitern. Ich will nicht die Welt retten, kein Helfersyndrom befriedigen! Ich will tun, was mir zu tun beliebt.“
Oh ja, Kinder liegen ihr am Herzen. Sie hätte so gerne eigene gehabt. Leider waren die Männer, die zeitweise ihr Leben begleiteten, nicht die Richtigen, um eine Familie zu gründen. Sie fühlte sich nur von Männern angezogen, mit denen sie die Vielseitigkeit des Lebens kreativ ausschöpfen konnte. Verantwortung für eine Kleinfamilie zu übernehmen, erschien ihr zu wenig. Das war für sie wie eine Beschneidung von Gottes Schöpfung. Ihre Neugierde auf alles, was sich ihr bot, war grenzenlos. Länger als sieben Jahre Lebensgemeinschaft sollte ihr nicht gelingen. Ehe sie sich versah, machte ihr Alter einen Strich durch die Rechnung. Ihr Kinderwunsch ging nicht in Erfüllung. Inzwischen hat sie sich damit abgefunden, dass ihr Lebensweg von der Norm abweicht. Intensiv hat sie sich damit auseinandergesetzt, dass sie die Fähigkeiten eines Teils ihres Körpers ausgespart hat: dem des Mutterwerdens.
Heute bleibt ihr die Freude an den drei Kindern ihrer Zwillingsschwester Daria und Mann Diego. Sie sind für sie wie eigene Kinder. So eng sind sie miteinander verbunden. Und dann ist da noch die Tochter ihrer Freundin aus Schulzeiten, die sie Milchmutti nennt. Sie hatte täglich diesem Frühchen, das gleich nach der Geburt von der Mutter getrennt und in ein sieben Kilometer entferntes Krankenhaus verlegt wurde, die Flasche mit der Muttermilch ihrer Freundin gegeben. So wurde sie zur Zweitmama beziehungsweise Milchmutti. Und schließlich sind da noch die vielen Kinder im Senegal, die sie alle Mama nennen.
Wie oft hat sie beobachtet, dass pubertierende Jungs in Cyber-Cafés gehen, um dort Verbindung zu Europäern, Amerikanern, Kanadiern und der weiten Welt aufzunehmen. Sie haben nur ein Ziel, Geld für ihre Familien zu erheischen. Da wäre es doch besser, wenn diese jungen Leute zur Schule gingen, sich bildeten, dort zusätzlich in Informatik unterrichtet würden und von Lehrern kontrolliert im Informatikraum nach dem üblichen Schulunterricht die Computer nutzen könnten. Ihr Entschluss ist gefasst. Die Suche nach ausgelagerten Computern und Druckern beginnt.
Den Abend lässt sie im Hotel ausklingen. Sie sitzt in der feuchtschwülen Luft auf ihrer Hotelzimmerterrasse und lauscht den Klängen eines Gitarrensolos des Orchesters, das am Swimmingpool vor der Bar die Gäste bespaßt. Ihre Anerkennung zollt sie dem Bassisten per SMS: „Ich mag mich nicht in die Menge der Touristen einreihen. Du sollst aber wissen, dass ich mich aus der Ferne über dein Gitarrensolo freue. Du bist ein großartiger Musiker!“
Abgeschickt und schon klingelt ihr Handy. Eine fremde Stimme unterbricht ihren Ohrenschmaus: „Wer hat dir meine Telefonnummer gegeben?“
Gelassen antwortet sie: „Wer sind Sie? Ich bin Maria aus Deutschland und mache hier im Senegal Urlaub.“
Er antwortet. Sein Tonfall kennt auch Freundlichkeit. „Ich bin Marius, ein Musiker aus Dakar. Ich habe soeben eine SMS von Ihnen bekommen.“
Sie: „Das muss ein Irrläufer gewesen sein. Sie war für einen Musiker im Hotel bestimmt. Entschuldigen Sie bitte.“
Die Überprüfung der Telefonnummern ergab zwei gänzlich unterschiedliche Nummern. Sie sind Beide verwundert über diese Fehlverbindung. Sie hätte schon fast aufgelegt, als Marius ihr ein Kompliment macht: „Sie sind sehr nett.“
Das lässt sie reserviert antworten: „Sie kennen mich doch gar nicht.“
Er gibt alles: „Doch, wer so etwas einem Musiker schreibt, ist nett.“
Dann stellt sich heraus, dass Marius in 18 Tagen nach Deutschland fliegt, um in Hannover auf dem Expo-Gelände ein Konzert zu geben.
„Wie schön“, sagt Maria, „dann bin ich auch wieder zurück in Hamburg. Du hast ja jetzt meine Telefonnummer. Ruf mich an, wenn ihr dort seid. Dann komme ich, wenn möglich, zum Konzert.“
Sie verabschieden sich auf bald. Maria wundert sich wiedermal über die vielen Kuriositäten im Senegal. Die nächste Kuriosität lässt nicht lange auf sich warten.
Es vergehen nur zwei Tage bis Marius bei ihr telefonisch anklingelt: „Maria, ich brauche deine Hilfe! Darf ich dich besuchen? Meine Bandmitglieder und ich haben Probleme mit dem Visum.“
Sie ahnt nichts Böses: „Ja, komme zum Hotel Royam und bringe alle nötigen Papiere mit.“
Am nächsten Morgen erscheint der schlanke hochgewachsene Mann mit kurzgeschorenen Haaren noch vor dem Frühstück. Er hat anscheinend alles dabei. Eine Einladung des Veranstalters, eine Verpflichtungserklärung, Versicherung, Pass und Flugbestätigung.
Auf den ersten Blick scheint alles Nötige vorhanden zu sein. Wo ist der Fehler? Er bittet sie, ihn zur deutschen Botschaft zu begleiten. Dann aber schnell. Um sicher zu gehen, noch während der Öffnungszeit dort zu sein, muss sie auf ihr Frühstück verzichten. Das wird sie noch bereuen.
Wie selbstverständlich hält er ein paar Meter vom Hotel entfernt ein Taxi an, handelt einen Preis aus, fragt Maria, ob das ok wäre und fährt mit ihr zur Botschaft nach Dakar. Geld hat er natürlich nicht. So bleibt ihr nichts anderes übrig, als zu zahlen. Wie gut, dass er nicht ein Taxi vorm Hotel aufgesucht hat. Die wären doppelt so teuer gewesen. Weiter als bis zum Empfang der Botschaft gelangen sie nicht. Die anderen fünf Bandmitglieder stehen schon wartend dort.
Die zuständige Sachbearbeiterin kommt direkt auf Maria zu: „Wer sind Sie? Sind sie die Sängerin?“
Etwas perplex von dieser harten, fast unfreundlichen Sprache antwortet sie: „Guten Tag, ich bin Maria Stahl aus Hamburg. Die Musiker haben mich gebeten mitzukommen. Sie verstehen nicht, warum ihre Visa abgelehnt wurden. Vielleicht kann ich ihnen das Problem erklären, oder können Sie mir erklären, unter welchen Bedingungen sie ein Visum erhalten können?“
Die Dame von der Botschaft holt eine Musikkassette hervor: „Sehen Sie selbst. Die Musiker, die Marius Seck mit nach Deutschland nehmen möchte, sind andere als auf dieser Kassette. Woher weiß ich, dass diese hier Musiker sind?“
„Ich verstehe“, sagt Maria. „Das Problem ist, dass Marius Seck noch nicht den Bekanntheitsgrad seines Onkels Ismael Lô hat. Der hätte immer dieselben Musiker bei sich. Diese...