DER GEMÜSEGARTEN IM JAHRESLAUF
DER GARTEN ALS ZUKUNFT
Gärtnern macht Spaß. Man bewegt sich in der frischen Luft, hört die Vögel singen und riecht den Duft der Erde, der Blüten und des Laubs. Man ist mittendrin im Leben und Weben der Natur. Das berührt uns anders, tiefer, als wenn unsere Wirklichkeit vor allem aus der Interaktion mit einem flimmernden elektronischen Bildschirm besteht.
Wer einen Garten sein eigen nennt, darf sich glücklich schätzen: Er ist mit der Natur verbunden und kann sich seine eigenen wohlschmeckenden Lebensmittel anbauen.
Gärtnern ist gesund. Die rhythmische körperliche Arbeit entlastet den Kopf. Die Gedanken werden harmonischer, man bekommt Farbe im Gesicht und wird geerdet. Wenn man barfuß über den weichen oder auch harten Erdboden läuft, dann erhält man zugleich eine kostenlose Reflexzonen-Massage. Und übrigens, wo bekommt man dermaßen frisches, unverdorbenes, vitaminreiches Gemüse, Obst oder Salat wie aus dem eigenen Gemüsegarten unmittelbar hinter dem Haus? Nicht mal die teuersten Nobelrestaurants vermögen so etwas zu bieten.
Aber nicht nur das. In der heutigen Zeit ist das Gärtnern – der Familiengarten, das urban gardening, der örtliche Gemeinschaftsgarten – eine echte Notwendigkeit. Es ist eine umweltfreundliche gesunde Alternative zu der mit chemischen Rückständen belasteten, von weither gekarrten, lieblos gezogenen Massenware, die in den Handelsketten feilgeboten wird. Dass die Versorgung mit Nahrungsmitteln auch in diesen modernen Zeiten der Hochtechnologie nicht unbedingt gesichert ist, wurde mir bewusst, als ich jüngst meine alte Mutter im amerikanischen Mittelwesten besuchte. Die hochbetagte Dame, inzwischen 96 Jahre alt, lebte bis vor Kurzem noch alleine in ihrem Haus. Als sie eines Tages stürzte und sich einige Rippen brach, hatten wir keine andere Wahl, als sie in einem Altersheim unterzubringen. Während meines Aufenthalts, in dem ich ihren Umzug regeln wollte, schaute ich mir die Landschaft an, in der ich den größten Teil meiner Kindheit und Jugend verbracht hatte. Was ich sah, beunruhigte mich sehr.
Die alten Bauernhöfe verschwinden
Im Mittelwesten, der Kornkammer der Vereinigten Staaten, findet man kaum mehr die traditionellen Familienfarmen, die noch in den 1950er-Jahren vor allem die Bevölkerung der Region versorgten. Milch, Eier, Brot und Gemüse waren damals noch relativ unverdorben, gesund und billig. Zu dieser Zeit gab es noch rund sieben Millionen solcher Farmen in den Staaten, heutzutage sind es nur noch um die 500.000, davon die Hälfte hoch verschuldete Agrarbetriebe mit Tausenden Hektaren Monokulturen oder Massentierhaltung; der Rest besteht aus Nebenerwerbs-Bauernhöfen. Agrarkonzerne, Saatgut-Multis, Chemie- und Ölgiganten haben die Familienfarm verdrängt. Sie beherrschen nun die Erzeugung von Lebensmitteln, die dann von Großhandelsgesellschaften und Supermarktketten vertrieben werden.
Auf dem Land, wo es einst richtige Bauernhöfe mit Kühen samt Bullen, Schweinen, Hühnern, Truthähnen, Gemüsegärten, Obstbäumen, Getreidefelder und Weiden gab, sieht man nun endlose Monokulturen mit genverändertem Mais und Soja. Kein »Unkraut« wächst zwischen den Reihen – alles wird mit Totalherbiziden (Glyphosat) weggeputzt. Die vielen verschiedenen Insektenarten, Falter, Käfer und anderes durch die Luft schwirrendes Volk sind rar geworden – nicht nur wegen Pestizid-Spritzungen aus Flugzeugen und Hubschraubern, sondern auch wegen der Einschleusung von Bacillus-thuringiensis-Genen in das Erbgut der Mais- und Sojapflanzen. Insekten, die an solchen Pflanzen fressen, oder Bienen, die den Pollen sammeln, sterben. Die Straßenbeleuchtungen werden nachts kaum mehr von Faltern und Käfern umkreist; die Windschutzscheiben der Autos bleiben sauber. Auch die Abermillionen von Leuchtkäfern, die einem Feuerwerk gleich nachts durch die lauen Lüfte des Mittelwestens tanzten, sucht man vergebens und die Zikadenchöre sind weitgehend verstummt.
Zwischen den schier endlosen Maiswüsten sieht man hier und da noch die verlassenen, eingefallenen Häuser und Scheunen der einstigen Familienfarmen – das heißt, wenn sie nicht schon wegplaniert wurden, um den Monstermaschinen freien Manövrierraum zu lassen. Die einst blühenden kleinen Ortschaften, die ich in meiner Jugend noch kannte, haben sich in Geisterstädte verwandelt. Wo einst Gaststätten, Geschäfte, Werkstätte, Läden und Kinos gediehen, bleiben nur noch Tankstellen für Fernfahrer und Filialen der Fast-Food-Ketten.
Die industrialisierte Landwirtschaft verseucht das Grundwasser mit Pestizidrückständen und Nitraten und zerstört mit Giften und Mineraldüngern das Bodenleben. Schwere Maschinenkolosse verdichten die Erdkrume, die normalerweise zur Hälfte aus Luft und Wasser besteht, mit dem Ergebnis, dass die Mikroorganismen, die für die natürliche Fruchtbarkeit zuständig sind, allmählich ihre Lebensgrundlage verlieren und absterben. Auf diese Weise verkommen einst fruchtbare, humusreiche Böden zu »Agrarwüsten«. Das ist keine bloße Metapher: Alle Böden, die weniger als fünf Kilo Kohlenstoff pro Quadratmeter aufweisen, gelten als Wüsten (Benjamin Seiler, 2015).
Internationale Großkonzerne, denen es nicht um die Gesundheit von Mensch, Vieh und Natur geht, sondern vor allem um Dividende, haben heute das Sagen. Sie bestimmen nicht nur, was angebaut und was gegessen wird, sondern zunehmend die Politik, die Medien, die Erziehung. Die Bevölkerung, abgelenkt und endlos unterhalten durch Soaps und Sportevents, scheint diesen neuzeitlichen Feudalismus kaum wahrzunehmen. In Europa ist diese Entwicklung noch nicht so weit fortgeschritten, aber mit dem sich anbahnenden transatlantischen Handelsabkommen sind wir auf dem besten Weg dazu.
Warum ist diese Entwicklung, dieser landwirtschaftliche Strukturwandel, problematisch? Vielleicht sind das nur vorübergehende Anpassungsschwierigkeiten? Wie soll man sonst die wachsende Weltbevölkerung ernähren, wenn nicht mit den Mitteln der Agrarindustrie, mit Gen-Technologie, Massentierhaltung, Agrarchemie und globalem Handel?
Die Antwort ist, dass diese Agrarindustrie gar nicht so effizient ist, wie sie von ihren Befürwortern dargestellt wird. Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Agrarwissenschaftler und Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft, hat recht, wenn er sagt: »Eine solche Landwirtschaft verhindert den Hunger nicht – sie produziert ihn!« (Löwenstein, 2011).
Die Agrarindustrie erzeugt zwar Rekordernten, aber sie verschlingt Unmengen an fossiler Energie; sie funktioniert nur mithilfe von Pestiziden, Herbiziden, Fungiziden, Kunstdüngern, Bewässerungssystemen und – das sollte nicht vergessen werden – mit erheblichen staatlichen Subventionen. Was von den meisten nicht bewusst wahrgenommen wird, ist, dass sich die genetisch veränderten Hochleistungssorten in den Monokulturen auf einer sehr engen genetischen Basis befinden. Viele Tausende an das regionale Klima angepasste Sorten von Nahrungspflanzen sind schon verloren gegangen oder ruhen in Saatgutbanken. Es braucht nur einen neuen Virus oder einen Pilz, der sich – möglicherweise begünstigt durch Klimaveränderung – rapide ausbreitet, um eine weltweite Hungersnot hervorzurufen. Das ist keine nur theoretische Gefahr. So etwas hat es schon gegeben. Etwa, als die genetisch einheitliche Monokultur der irischen Kartoffel im Jahr 1845 von dem Phytophthora-Pilz befallen wurde und die Kartoffelfäule hervorrief. Die Bevölkerung der grünen Insel wurde halbiert; ein Viertel der Iren verhungerte, ein Viertel wanderte aus.
Unser Gemüsegarten, eingebettet in die Wiesen- und Waldlandschaft im Allgäu, versorgt die ganze Familie das Jahr über mit frischem Gemüse und Salaten, mit Obst, Beeren und Nüssen.
Der Nutzgarten – beste Erträge auf kleiner Fläche
Es gibt mehr als genug empirische wissenschaftliche Studien, die eindeutig belegen, dass nirgendwo der Leistungsgrad pro Hektar und Energieaufwand höher ist als auf kleinen, liebevoll gepflegten intensiv bearbeiteten Flächen. Dass das so ist, hat sich in den französischen Marktgärten gezeigt, ebenso wie in der Gartenkultur Chinas oder in den Privatgärten, den Datschas, in Russland, wo auf einer Nutzfläche von nur einem Prozent des Landes ein Drittel der Nahrung der Sowjetunion erzeugt wurde. Auch der zweitausend Seiten dicke Weltagrarbericht der IAASTD (International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development) – 400 Wissenschaftler und Experten, gesponsert von UNESCO, WHO und Weltbank, arbeiteten daran – kommt zu dem Schluss, dass Ernährungssicherheit am besten durch kleinbäuerlichen, lokalen, arbeitsintensiven, ökologischen Landbau gewährleistet wird.
WIE ICH ZUM GÄRTNERN KAM
Nach dem Krieg herrschte große Not in der sowjetischen Besatzungszone. Man hatte ständig Hunger im Bauch, träumte nachts von Brot und wachte weinend auf, wenn man hineinbeißen wollte und der Traum der Wirklichkeit wich. Wir überlebten, weil wir auf »Hamstertouren« bei den Bauern Tafelsilber gegen Kartoffeln tauschten, weil wir die Wiese und den Rasen rund um die Familienvilla umgruben, um Gemüse anzubauen, und weil Brennnesseln, Giersch, Wegerich und andere Wildpflanzen in die dünne Suppe kamen. Auf mich als kleinen Jungen machte ein...