Faszien lieben
Dehnen
Lernen Sie Ihren Körper als Gesamtkunstwerk kennen! Wenn Sie nämlich einen bestimmten Körperteil mit dynamischem Faszien-Yoga bearbeiten, spüren Sie die Auswirkungen womöglich ganz woanders. Und Ihre Faszien werden begeistert sein. Dazu müssen Sie noch nicht einmal wissen, dass Forschungen bestätigt haben, wie gut das Dehnen den Faszien tut. Sie werden es einfach spüren. Entdecken Sie also die Katze oder den Kater in sich und rekeln und strecken Sie sich nach allen Regeln der Kunst.
Tensegrity – stabile Beweglichkeit
Nach all den Details zu den Faszien ist es sinnvoll, sich den Körper als Ganzes genauer anzusehen. Wie wird er eigentlich zu dem stabilen und doch so beweglichen Gebilde, das er ist? Das kann uns am besten das Tensegrity-Modell verdeutlichen.
Dieses Modell stammt aus der Architektur. Das Wort ist zusammengesetzt aus »tension« (Federkraft, Spannung) und »integrity« (Vollständigkeit, Intaktheit). Feste Körper werden mit elastischen Zugelementen (etwa Gummibändern) verbunden, die unter Spannung stehen, und erlangen so eine enorme Stabilität. Die festen Elemente berühren einander dabei nicht.
Was passiert nun, wenn von außen Druck auf das Gebilde ausgeübt wird? Das ganze System reagiert darauf, und zwar dynamisch. Es verformt sich der Krafteinwirkung entsprechend und kommt anschließend wieder in den Ausgangszustand zurück.
Häuserarchitektur versus Körperbau
Häuser sind aus festen Materialien gebaut, sie sollen ja dem Menschen nicht nur Schutz bieten, sondern auch Unwetter und Stürmen standhalten. Erst durch einen heftigen Orkan können sie zusammenbrechen.
Der menschliche Körper hingegen lässt sich mit dem Tensegrity-Modell vergleichen. Wir verfügen über feste Elemente, etwa die Knochen, und dazwischen elastische Elemente, die Faszien. Und noch etwas unterscheidet unsere Anatomie von der normalen Häuserarchitektur: Es gibt in ihr keine geraden Linien. Selbst die Knochen sind nicht wirklich gerade, sondern spiralförmig. Darüber hinaus ist jeder Knochen durch die Faszien elastisch vom nächsten abgeschirmt, damit die Bewegungen geschmeidig verlaufen können.
Flüssigkeit ist auch in den festen Bestandteilen unseres Körpers. Sogar in den Knochen befinden sich Blutgefäße, in ihrem Inneren das Knochenmark. Die Flüssigkeiten in den Faszien und um sie herum verhindern beispielsweise, dass unsere Lunge beim Atmen gegen den Magen stößt. Überhaupt: In unserem Inneren findet keine Reibung statt.
Wie beim Tensegrity-Modell ist es in unserem Körper so, dass ein Ziehen beispielsweise ganz unten auf die Struktur ganz oben einen Effekt hat. Mit anderen Worten: Das Dehnen der Fußsohle kann sich auf den Nackenbereich auswirken und möglicherweise sogar Kopfschmerzen positiv beeinflussen. Das ist, wenn man sich den Verlauf der Faszien im Körper anschaut, nicht verwunderlich, denn wir dehnen ja entlang der Zuglinien, die weite Strecken umfassen (ab >). Denken Sie großflächig, nicht von Muskel zu Muskel!
Übrigens: Die Zuglinien sind nahezu identisch mit den Meridianen aus der Traditionellen Chinesischen Medizin – den Energiebahnen, auf denen in der Akupunktur die Nadeln gesetzt werden. Lange bevor der wissenschaftliche Beweis für die Faszienbahnen erbracht wurde, hatte man also in China bereits die Bedeutung der Faszienbahnen erkannt, natürlich ohne sie als solche zu bezeichnen. Das ist wieder einmal ein schönes Beispiel, wie sich westliche Wissenschaft mit östlicher Weisheit vereint.
Das Segelschiff ist ein weiteres Beispiel... das Tensegrity-Modell: Dank seiner ausgeklügelten Konstruktion sorgen die beweglichen Elemente dafür, dass eine Änderung an einem Ende das gesamte Gefüge neu ausrichtet.
Ein Hoch auf die Müllabfuhr
Durch Faszien-Yoga sorgen wir dafür, dass das Gewebe rehydriert wird und die Fibroblasten alte Kollagenfasern fressen, diese ausspucken, also abbauen, und neue aufbauen. Wir wollen so die Fibroblasten »irritieren«, damit sie mit ihrer Arbeit in die Gänge kommen und die Zellerneuerung schneller vonstattengeht. So werden mit Absicht winzige Risse im Fasziengewebe erzeugt. Man kann auch sagen: Wir produzieren Müll im Körper, damit die Müllabfuhr zu tun hat. Alles bleibt dadurch in Bewegung. Je mehr wir also die Fibroblasten dazu anregen, Kollagen ab- und gleichzeitig aufzubauen, je dünner die Hyaluronsäureschicht bleibt und je besser es fließt, desto beweglicher, jünger und schmerzfreier bleiben wir.
Die frontale Zuglinie
Sind Sie ein Vielsitzer und fühlen sich am wohlsten in nach vorn gebeugter Haltung? Dann nichts wie hoch den Po und einmal die Welt mit offenen Armen empfangen! Öffnen Sie sich dem, was auf Sie zukommt, und entdecken Sie mit diesen Übungen, wie toll es sich anfühlt, die komplette Körpervorderseite zu dehnen.
Die frontale Zuglinie verläuft die gesamte vordere Körperhälfte entlang von den Füßen bis zum Kopf und stabilisiert den Oberkörper, sodass er sich bewegen und beugen kann. Sie beginnt zu beiden Seiten an der Oberseite der Zehen. Von dort läuft sie die Beine hinauf. Dann geht es als »Gesamtpaket« vom Becken über Bauch und Brust zum Hals weiter. Hier verzweigt sie sich wieder und läuft links und rechts am Hals entlang bis zum Hinterkopf.
Diese Zuglinie befindet sich nahe der Körperoberfläche. Sie bildet das Gegengewicht zur rückwärtigen Zuglinie, die Sie im nächsten Kapitel (>) kennenlernen werden. Beckenvorderseite, Brustbein und Gesicht werden unter anderem mit Unterstützung der frontalen Zuglinie in der Schwerkraft gehalten.
Tief durchatmen
Wenn Sie kurzatmig sind beziehungsweise sich mit der Atmung schwertun, kann das Dehnen der frontalen Zuglinie wahre Wunder wirken. Schon bei der ersten Übung, der »Schiefen Taube«, können Sie spüren, wie befreiend das für Ihre Lungen ist.
Schiefe Taube
Setzen Sie sich mit Ihrer linken Pobacke auf die linke Ferse.
Stützen Sie sich mit der linken Hand am Boden ab und verlagern Sie Ihr Körpergewicht etwas nach links. Kreisen Sie mit der linken Schulter einmal bewusst nach oben und hinten und ziehen Sie sie aktiv vom Ohr weg.
Strecken Sie das rechte Bein nach hinten aus, der Fußspann liegt am Boden auf.
Atmen Sie ein und strecken Sie den rechten Arm nach oben aus. Flexen Sie dabei Ihre Hand, winkeln Sie sie also nach hinten ab. Dehnen Sie den Brustkorb nach vorn oben.
Wechseln Sie nach 6 Atemzügen die Seite.
SO WIRD ES WENIGER INTENSIV
Beugen Sie den Oberkörper mehr nach vorn, wenn Sie zu viel Druck im unteren Rücken spüren.
Geneigter Hund
Ihre Beine sind lang nach hinten ausgestreckt, die Fußrücken liegen am Boden auf. Stützen Sie sich mit beiden Händen unterhalb Ihrer Schultern ab. Ziehen Sie die Schultern nach hinten und aktiv von den Ohren weg.
Heben Sie den Brustkorb weit nach vorn oben an und beugen Sie den Oberkörper nach hinten.
Drehen Sie den Kopf und neigen Sie Ihr Kinn zur rechten Schulter.
Drehen und neigen Sie Ihren Kopf nach 3 bis 4 Atemzügen nach links und verfahren Sie auf dieser Seite genauso.
SO WIRD ES WENIGER INTENSIV
Treten Sie nicht in Wettbewerb mit sich selbst und lassen Sie gern Ihre Knie am Boden, wenn es sich für Sie im Rücken besser anfühlt.
Zirkuskatze
Kommen Sie in den Vierfüßlerstand. Strecken Sie das rechte Bein am Boden lang nach hinten aus. Stellen Sie die Zehen auf. Das linke Knie befindet sich unter dem linken Hüftgelenk, Sie können die Zehen ebenfalls aufstellen oder flach ablegen.
Wandern Sie mit Ihren Armen Stück für Stück nach vorn. Winkeln Sie den linken Arm an und legen Sie ihn am Boden ab.
Strecken Sie den rechten Arm so weit nach vorn aus, wie Sie können, behalten Sie den Kopf in Verlängerung des Rückens.
Atmen Sie aus und senken Sie dabei Ihren Brustkorb zum Boden ab, legen Sie die Stirn auf den linken Unterarm.
Heben Sie mit dem Einatmen Ihr rechtes Bein nach oben. Die Zehen sind zur Decke gestreckt.
Verweilen Sie 4 bis 6 Atemzüge in der Haltung und wechseln Sie...