Dass der Mensch sich an die Spitze der Nahrungskette gestellt hat, scheint unbestreitbar. Wie andere Lebewesen und Organismen ist der auf ständige Nahrungszufuhr von außen angewiesen um zum Leben erforderliche Funktionen aufrecht zu erhalten. Wie sich diese Nahrungsbeschaffung kulturanthropologisch darstellt, soll der folgende Abschnitt unter Berücksichtigung des historischen Mensch-Tier-Verhältnisses wie ethischer Gesichtspunkte erläutern.
Als das „Urproblem des Lebens“ (Wuketits 2011, S. 25), stellte die Versorgung mit Nahrung eine Herausforderung dar, im Kontext derer sich Generalisten und Spezialisten entwickelt haben. Erstere sind im weitesten Sinne Allesfresser bzw. Omnivoren und zu ihnen zählt allgemeinhin die Gattung Mensch. Spezialisten hingegen sind meist abhängig von einer Nahrungsquelle und somit weniger flexibel und empfindlicher für Veränderung ihrer Umwelt und des Nahrungsangebotes (ebd., S. 28). Eine weitere Unterscheidung erfolgt zwischen Pflanzenfressern und den Spezies, die andere Tiere, also fleischliche Nahrung, verzehren, statt. Auch hier erweist sich der Mensch als Generalist, der sowohl pflanzliche als auch tierliche Nahrung zu sich nimmt. Um heutige Ernährungsmuster- und Gewohnheiten zu verstehen ist es zunächst erforderlich, die menschliche Nahrungsbeschaffung und die Bedeutung des Tieres hierin historisch und ansatzweise auch philosophisch zu beleuchten.
Evolutionstheoretisch umfasst die Zeitspanne der Jäger und Sammler „mehr als 99,5 Prozent der gesamten Menschheitsgeschichte“ (Wuketits 2011, S. 17) und „in ihr kam es zur Evolution von allem, was typisch menschlich ist“ (ebd.). Der österreichische Biologe Franz M. Wuketits postuliert in dem Zusammenhang, dass sich in dieser Zeit die Grundmuster der menschlichen Ernährung entwickelten, die darüber hinaus „grundlegende Merkmale des modernen Homo sapiens geformt haben“ (ebd.). Kultur ist dabei zwar als bedeutsames Merkmal der menschlichen Natur zu erachten und ebenfalls dem evolutionären Wandel unterworfen, dennoch stelle sie kein „Exklusivmerkmal“ (ebd. S. 20f.) der Gattung Mensch dar, sondern ist in Form von Traditionsbildung und sozialen Gefügen darüber hinaus in der Tierwelt anzutreffen (ebd.).
Die menschlichen Vorfahren bzw. Urahnen fanden sich zunächst in einer Situation vor, in der sie mit der umgebenden Tierwelt um Nahrungsvorkommen konkurrieren mussten (ebd., S. 37). Lange Zeit war der Mensch selbst der Gejagte und Unterlegene in einem ungleichen Kräfteverhältnis. Eine Erfahrung, die die Kulturwissenschaftlerin Nan Mellinger als das „Urtrauma“ (Mellinger 2003, S. 29) des frühzeitlichen Menschen bezeichnet. Ferner sieht sie in diesem Trauma den Grund für die Assoziation von Fleisch bzw. dem Einverleiben des Gegners in Form seines Fleisches, mit Macht, physischer Stärke und Überlegenheit (ebd.). Steinzeitliche Höhlenmalereien lassen erahnen, dass der Mensch den Tieren unterlegen war und stellen ferner das asymmetrische Machtverhältnis der Mensch-Tier-Beziehung zugunsten der nicht-menschlichen Lebewesen dar (ebd., S. 31).
Unter Berücksichtigung der damalig vorherrschenden ökologischen Rahmenbedingungen und auf Basis von Untersuchungen von Zähnen- und Knochenfunden ist festzuhalten, dass sich der prähistorische Mensch omnivor, also durch pflanzliche wie auch tierliche Nahrungsquellen, ernährt hat (Wuketits 2011, S. 42), wobei davon auszugehen ist, dass Nahrung tierlichen Ursprungs anfänglich nicht durch Jagd beschafft wurde, sondern vielmehr durch den Verzehr von Aas erfolgt ist (ebd., S. 44f). Bedingt durch die evolutionären Weiterentwicklung, die mit einer sukzessiven Vergrößerung des Gehirns und der Steigerung kognitiver Leistungen einherging, war es dem Menschen im Folgenden möglich, effizientere Werkzeuge zu entwickeln und Tiere aktiv zu jagen, zu erlegen und als Nahrungslieferanten zu nutzen (ebd., S. 49). Die paläolithischen Jäger sahen sich dabei stets mit der Ungewissheit der Nahrungsbeschaffung konfrontiert und so wurde weiterhin auf eine Vielfalt an Nahrungsquellen zurückgegriffen um das Überleben zu sichern.
Die Entdeckung des Feuers ist hinsichtlich der Zubereitung und Konservierung von Nahrungsmitteln von besonderer Bedeutung und hat „entscheidende Prozesse in der Evolution des Menschen in Gang gebracht“ und weiterhin „soziale Veränderungen bewirkt“ (ebd., S. 59). Die Nahrungszubereitung durch Kochen verschaffte der Spezies Mensch einen erheblichen Anpassungsvorteil und begünstigte somit die natürliche Auslese zu seinem Vorteil (ebd., S. 62).
Im Zuge der neolithischen Revolution, also dem Beginn des Neolithikums[39] bzw. der Jungsteinzeit, ließen sich einige Populationen der Menschheit in einzelnen Regionen sesshaft nieder und es entwickelte sich eine Lebensweise, mit der Nahrung nicht mehr nur gesammelt oder erjagt, sondern angebaut und aktiv produziert wurde. Tiere dienten fortan nicht primär dem Verzehr, sondern erfüllten darüber hinaus Aufgaben als Lasten- und Zugtiere wie auch die Funktion des Haus- und Jagdgenossen und erleichterten somit unter anderem den Ackerbau und die Landwirtschaft, die zur Versorgung der neuen Großgesellschaften mit Nahrung erforderlich waren (ebd., S. 72f.). Effektiver Ackerbau und Viehzucht trugen zu einer konstanten Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln bei und wirkten sich förderlich auf das Bevölkerungswachstum aus, so dass Landwirtschaft sich im folgenden Zeitraum auf allen Kontinenten zur „dominierenden Überlebensstrategie“ (ebd., S. 78) entwickelte. Die erste Domestikation von anderen Lebewesen, hier beispielhaft dem Schaf, datiert ca. 10.000 Jahre zurück und ist regional in Vorderasien zu verorten (ebd., S. 75). Bereits zu diesem Zeitpunkt schienen die Menschen zwischen einzelnen Tierarten zu unterscheiden, jenen, die sie essen und solchen, die sie als Hausgenossen züchteten und mitversorgten (ebd., S. 78). Dies zeugt bereits von einem sehr ambivalenten Verhältnis des Menschen zu seinen tierlichen Mitgeschöpfen.
Antike griechische Deutungsschemata der Mensch-Tier-Beziehung legten, nebst dem frühen christlich-religiös geprägten Weltverständnis, „den wohl bedeutendsten Grundstein für die Subordination des Tieres in der abendländischen Ideengeschichte“ (Mütherich 2004, S. 25) und zeugen darüber hinaus von einer gewissen Ambivalenz der Beziehung beider Spezies zueinander respektive einer Ambivalenz der damaligen Auffassung und des Verständnisses des Menschen vom Tier (ebd.). Zum einen weisen Schriften und Abhandlungen[40] auf eine Versachlichung und demzufolge vermutete Inferiorität tierlicher Lebewesen hin (ebd.), zum anderen distanzierten sich einige philosophische Strömungen[41] von religiösen Opferritualen sowie der Gewalt an und der Tötung von Tieren zum Verzehr (Mellinger 2003, S. 76). Letzt genannte Ansichten entsprangen, laut Mellinger, jedoch lediglich aus einer Gegenbewegung von, aus der Gesellschaft ausgeschlossenen, Intellektuellen, die sich mit ihren Anschauungen unfreiwillig von dem dominierenden philosophischen Meinungsbild abzugrenzen suchten (ebd., S. 77). Die Wahrnehmung des Tieres basierte im antiken Griechenland insgesamt hauptsächlich in einer strikten Unterscheidung zum Menschen. Diese Differenzbestimmung begründete sich nach Platon (428/427 - 348/347 v. Chr.) primär aus der Annahme, dass Tiere im Gegensatz zum Menschen durch Unvernunft gekennzeichnet sind (Mütherich 2004, S. 26) und es ihnen darüber hinaus an Sprache, Verstand, aufrechtem Gang und Religionssinn mangelt (ebd.). Als Schüler Platons entwickelte Aristoteles (384 - 322 v. Chr.), auf Grundlage eines naturphilosophischen Konzeptes, die Annahme, dass ein jedes Lebewesen verschiedene Lebensstufen bezwingt und so „zunächst eine Art Pflanzenstadium und dann ein tierhaftes Stadium der Vernunftlosigkeit“ (ebd., S. 27) durchläuft und manifestierte hierin die naturgegebene untergeordnete Stellung tierlicher Subjekte.
Die grundlegende Grenzziehung zwischen menschlichen und tierlichen Lebewesen fand ihren Höhepunkt im Anthropozentrismus, der den Menschen in den Mittelpunkt stellte, „die Unterwerfung der Tiere unter menschliche Zwecke“ (ebd.) endgültig legitimierte und überdies naturrechtlich begründet. Ein Auszug aus Aristoteles Werk Politika verdeutlicht diese Position:
So müssen wir also offensichtlich denken, daß (sic) die Pflanzen nach ihrer Entstehung um der Lebewesen willen existieren und die anderen Lebewesen um der Menschen willen, die zahmen sowohl für den Gebrauch (bei der Arbeit), als auch für die Ernährung und zu anderen Nutzen (…). Wenn nur die Natur nichts unvollkommen und nichts zwecklos macht, muß (sic) sie diese all um der Menschen willen hervorgebracht haben (Aristoteles, zit. n. Mellinger 2003, S. 78).
Aristoteles setzt den Menschen in diesem Zitat an die Spitze einer natürlichen Hierarchie und betont zudem die Zweckmäßigkeit des Tieres zum Vorteil und Nutzen des Menschen. Das Selbstbild, das der Mensch von sich selbst entworfen hatte, beruhte nach diesen Ansichten also primär auf einem Vergleich des Menschen zu seinen tierlichen Mitgeschöpfen und bot somit einen konstanten Bezugspunkt, der sich aus einer grundlegengen Ordnung, die naturgegeben zu sein scheint,...