3. Die Ursprünge des Staates (S. 25-26)
Wann, wo und wie der erste Staat entstanden ist, wissen wir nicht. Politische Wissenschaftler und Historiker sind sich darüber hinaus nicht ganz einig, was sie bereits als Staat bezeichnen können und was nicht. Für den Zweck dieses Buches erscheint mir eine möglichst einfache Definition des Staates sinnvoll: eine geografische Fläche, die einigermaßen definiert ist, mit einer Bevölkerung, die auf Dauer eine zentrale Autorität mehrheitlich akzeptiert oder gezwungen ist, sie zu akzeptieren. Wobei diese Autorität in der Lage sein muss, das Territorium und seine Bevölkerung vor feindlichen Angriffen zu schützen, sei es durch Diplomatie oder mit Waffen.
Diese einfache Definition des Staates führt dazu, dass die Ursprünge des Staates in einer Zeit liegen, als der Mensch noch Jäger und Sammler war. Aus dieser Zeit gibt es keine schriftlichen Dokumente, aber man hat die Möglichkeit, jene Jäger- und Sammlerkulturen zu studieren, die bis in die heutige Zeit überlebt haben. Manche Historiker werden nun entgegenhalten, dass der erste Staat erst im Agrarzeitalter entstanden ist, vielleicht bei den Sumerern oder Ägyptern, aber nicht bei relativ primitiven Nomaden.
Bei der gewählten Definition des Staates waren allerdings bereits die Jäger und Sammler, die über keinen festen Wohnsitz verfügen, in der Lage, Staaten zu bilden. Nomadenstämme verfügen gewöhnlich über ein Territorium, das sie beherrschen. Die Grenzen des Territoriums sind vielleicht nicht so genau definiert wie im späteren Agrarzeitalter, aber Grenzstreitigkeiten gab und gibt es während der gesamten Menschheitsgeschichte bis in die heutige Zeit.
Dieser Blick weit zurück in die Menschheitsgeschichte erleichtert es, die Ursprünge des Staates und deren Vielfalt zu verstehen. Wenn Staaten oder staatsähnliche Organisationen die Menschheitsgeschichte nicht nur die letzten paar tausend Jahre, sondern über Hunderttausende von Jahren geprägt haben, dürfte der Mensch einer staatlichen Ordnung gegenüber sehr viel empfänglicher sein, als wenn es sich um ein junges Phänomen der Menschheitsgeschichte handeln würde.
Jäger- und Sammlerkulturen, die bis heute überlebt haben, verfügen in ihren Dorf- oder Stammesgemeinschaften in der Regel über einen Häuptling. Dieses Amt ist entweder erblich oder der Häuptling wird gewählt. Bereits in der Steinzeit gab es also offensichtlich den erblichen und den gewählten Monarchen. In größeren Verbänden stand oder steht ihm ein Rat zur Seite, dem der Einzelne entweder aufgrund des Alters, der Wahl oder irgendeines anderen Kriteriums angehört. Aber auch die Stammesversammlung der stimmberechtigten Stammesmitglieder, die in wichtigen Fragen Entscheidungskompetenzen besitzt, kennen wir in diesen Verbänden. Monarchische, oligarchische und demokratische Elemente gibt es wohl nicht erst seit ein paar tausend Jahren, sondern schon sehr viel länger.
Die Einteilung und Bezeichnung der verschiedenen Staatsformen in Monarchie, Oligarchie und Demokratie geht auf die alten Griechen zurück:
Monarchie bedeutete für sie nicht unbedingt Erbmonarchie, sondern war die Herrschaft eines Einzigen, eben des Monarchen. Es gab in der Geschichte immer wieder neben den erblichen Monarchen die gewählten Monarchen. So war der Kaiser im Heiligen Römischen Reich ein gewählter Monarch. Er war auf Lebenszeit gewählt, was bei modernen Präsidenten üblicherweise nicht der Fall ist. Einen Präsidenten könnte man als Monarchen bezeichnen, der für eine gewisse Zeitperiode gewählt wurde. Mit Oligarchie wurde die Herrschaft der Wenigen bezeichnet. Den meisten Menschen ist dieser Begriff weniger vertraut als Monarchie und Demokratie, die fälschlicherweise als Gegensätze betrachtet werden. Der Begriff Oligarchiehat darüber hinaus schon früh einen etwas negativen Beigeschmack bekommen, sodass die Oligarchen es oft vorzogen, sich als Aristokraten zu bezeichnen, was auf Griechisch die Herrschaft der Besten bedeutet. Als Mitglied einer alten, aristokratischen Familie habe ich grundsätzlich gegen so eine Bezeichnung nichts einzuwenden, aber es wäre historisch ungerecht, die Oligarchie gegenüber der Monarchie und Demokratie so herauszuheben. Allerdings kann nicht genug betont werden, dass in jedem Staat der Monarch – ob gewählt oder nicht – und das Volk wichtige Aufgaben an die Oligarchie delegieren müssen, damit der Staat funktioniert. Das können Aufgaben in der Regierung, der Verwaltung, der Landesverteidigung, der Wirtschaft, der Rechtssprechung sowie die Ausarbeitung und die Beschließung von Gesetzen sein, so zum Beispiel in Parlamenten. Die Oligarchen, ob Mitglieder der Regierung, des Parlamentes, der Gerichte, des Beamtenapparates, der Parteien usw., könnte man als die Technokraten der Macht im Staat bezeichnen. Ohne Oligarchie kann der Staat auf Dauer seine Aufgaben gegenüber dem Staatsvolk nicht wahrnehmen. Die Oligarchie ist deshalb das stärkste Element in einem sie das Vertrauen des Volkes oder des Monarchen und die Existenz des Staates ist bedroht.