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E-Book

Der Tanz ums Ich

Risiken und Nebenwirkungen der Psychologie

AutorJens Bergmann
VerlagPantheon
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783641157746
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Die Psychologie auf der Couch
Wer bin ich? Und warum bin ich, wie ich bin? Was geht in mir vor und was in den anderen? Diese Fragen bewegen uns, weil uns unsere Mitmenschen rätselhaft erscheinen und weil es uns mit uns selbst häufig nicht anders ergeht. Aufklärung und Hilfe verspricht die Psychologie. Sie ist die Religion unserer Zeit. Wie sie es so weit bringen konnte, auf welchem Mythos sie beruht und wie das Geschäft mit ihr funktioniert, zeigt dieses Buch: Es klärt auf über die Risiken und Nebenwirkungen der populärsten aller Wissenschaften.

Psychologen fühlen sich in allen gesellschaftlichen Sphären für alles zuständig. Sie behaupten, Intelligenz messen zu können ebenso wie Persönlichkeit und Kreativität. Sie deuten Emotionen, geben Anleitungen zu glückender Kommunikation und Selbstmanagement. Sie konstruieren Tests zur angeblich optimalen Online-Partnerwahl, sagen uns, wie wir unsere Ehe führen, unsere Kinder erziehen und welche Ziele wir im (Berufs-)Leben anstreben sollen. Psychologen diagnostizieren, ob wir normal sind oder nicht, und geben unseren Leiden einen Namen: vom posttraumatischen Stress- über das Messie- bis hin zum Burnout-Syndrom. Die Psychologie spendet einerseits Trost und nimmt uns andererseits an die Kandare. Jens Bergmann schildert, was den Reiz dieser Disziplin ausmacht und mit welchen Folgen der Glaube an sie verbunden ist. Er enthüllt das Grundproblem des psychologischen Denkens: Niemand kann anderen Menschen in den Kopf schauen. Von der Legende, es doch zu können, lebt eine ganze Industrie.

Jens Bergmann, Jahrgang 1964, in Hannover geboren und aufgewachsen, studierte an der Universität Hamburg Psychologie und Journalistik und absolvierte die Henri-Nannen-Schule. Danach arbeitete er als Redakteur und Autor für verschiedene Printmedien, u.a. für das Wirtschaftsmagazin brand eins, Spiegel Reporter, Bild der Wissenschaft und Merian. Seit 2001 ist er Redakteur bei brand eins, seit 2017 stellvertretender Chefredakteur.

Bergmann lehrt u.a. am Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg. Dort erarbeitete er mit Professor Bernhard Pörksen (heute Universität Tübingen) und Studierenden die Interview-Bände 'Medienmenschen. Wie man Wirklichkeit inszeniert' sowie 'Skandal! Die Macht öffentlicher Empörung'.

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Leseprobe

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»Ihr EQ liegt im Durchschnitt. Ihre Antworten zeigen, dass Ihre emotionale Intelligenz gut entwickelt ist. Es gibt allerdings noch einige Punkte, die Sie verbessern könnten.

Sie erkennen meist die eigenen Gefühle und wissen diese auch zu deuten. Sie sollten versuchen, diesen persönlichen Erfolg dadurch zu steigern, dass Sie noch mehr als bisher in sich hineinhorchen.

Sie bringen zusätzlich die besonders wichtige Fähigkeit mit, Ihre Gefühle nicht nur zu erkennen, sondern auch noch ›managen‹ zu können. Die Kontrolle der Gefühle gelingt Ihnen eigentlich sehr gut, solange es sich um besonders starke Gefühle wie etwa Angst handelt.

Allerdings kommt es schon öfter einmal vor, dass Sie die Fassung verlieren. Und das seltsamerweise gerade bei Kleinigkeiten, etwa wenn der Parkscheinautomat zwar das Kleingeld annimmt, aber keinen Parkschein dafür ausspuckt. Sie sollten daher mit besonderer Aufmerksamkeit versuchen, diese Ausreißer in den Griff zu bekommen.«

Auszug aus dem Ergebnis eines aus hundert Fragen bestehenden Online-Persönlichkeitstests (»Wie lebensklug sind Sie?«), dem sich der Autor auf sueddeutsche.de unterzogen hat

Die Psychologie erwies sich nach der Emanzipation von ihrer Mutter, der Philosophie, von der sie bald nichts mehr wissen wollte, als ebenso ehrgeizige wie pragmatische Wissenschaft. Sie versprach ihren Auftraggebern – häufig handelte es sich um staatliche Einrichtungen oder Unternehmen – Antworten auf Fragen, die sie nicht hinterfragte. Oder, um es mit den Worten der Historikerin Miriam Gebhardt auszudrücken: Psychologische Theorie und Praxis seien immer dort zur Stelle gewesen, »wo die Gesellschaft am meisten Modernisierungsbedarf hatte: in der Fabrik, an der Front, in der Familie, in der Sexualität, am Ende in jedem selbst«.55

Der Eindruck, die Psychologie betreibe ihr Geschäft zum Wohle des einzelnen Menschen, täuscht. Die Vertreter des Fachs legten sich rasch eine Art Tunnelblick zu, schauten weder rechts noch links, sondern immer nur nach vorn. Die Beschäftigung mit für ihr Gebiet grundlegenden Problemen – Was ist das Psychische? Wie hat es sich entwickelt? Warum ist der Mensch geworden, was er ist, und was macht ihn aus? – geriet im Laufe der Zeit immer weiter aus dem Fokus. William Stern war einer der letzten einflussreichen Ordinarien in Deutschland, der sich über das Menschenbild der Psychologie den Kopf zerbrach, auch wenn dies kaum Auswirkungen auf seine praktische Arbeit hatte.

Heute bedeutet universitäre Psychologie das Bohren dünner Bretter. Die Vertreter des Fachs bleiben gern unter sich, das Interesse an anderen Disziplinen, die zum Verständnis des komplexen Gegenstands beitragen könnten, ist gering. Wenn diskutiert wird, dann vor allem über Fragen der Methodik. Die vorherrschenden, auf statistisch auswertbaren Experimenten beruhenden Methoden, hat man der Einfachheit halber aus den Naturwissenschaften übernommen – weil die für Exaktheit und gesellschaftliche Anerkennung standen. Ausgerechnet diese geborgten Methoden haben mittlerweile eine »identitätsstiftende Funktion«, wie Elfriede Billmann-Mahecha, Psychologie-Professorin an der Leibniz Universität Hannover, in einem Aufsatz zum Thema schreibt. Ihre Begründung für das seltsame Selbstverständnis der Psychologie: Das Fach definiere sich weniger durch seinen Gegenstand als andere Wissenschaften.56

Erstaunlich. Sollte die Wahl der Methode nicht grundsätzlich vom Gegenstand abhängen? So wie der Handwerker erst darüber entscheidet, ob er einen Nagel ins Holz treiben oder ein Loch in die Wand bohren will, und dann sein Werkzeug wählt? In der akademischen Psychologie sieht man das skurrilerweise anders. Die dort verbreitete Haltung erinnert an die des Betrunkenen, der auf die Frage, warum er seinen Schlüssel ausgerechnet unter der Laterne suche, antwortet: weil man da so schön sehen kann. Mehr zu diesem Thema in Kapitel 3.

Zur Sonne, an die Futtertröge

Der Weg zur wissenschaftlichen Anerkennung des Fachs war steinig. Sie gelang nicht dank intellektueller Glanzleistungen der Psychologen, sondern dank ihres Fleißes und ihres ausgeprägten Machtinstikts. Als ehrgeizige Emporkömmlinge wurden sie von der akademischen Welt zunächst nur geduldet. Die Anfänge waren bescheiden, an den Universitäten hatten die Psychologen lange keine eigenen Fakultäten, sondern waren Teil der Philosophie oder Pädagogik, in deren Schatten sie standen. Abschlüsse waren nur in Form von Promotionen möglich und oft auch nicht mit Psychologie als eigenständigem Fach, weshalb etliche Absolventen den Titel Dr. phil. führten.

Jenseits des Hochschulbetriebs gab es mit Ausnahme der Eignungsdiagnostik in Arbeitsämtern und beim Militär keine Jobs, für die Psychologen prädestiniert gewesen wären. Anfang der dreißiger Jahre arbeiteten in Deutschland weniger als 50 hauptberuflich tätige.

Heute verzeichnet die Statistik in Deutschland rund 104 000 Erwerbstätige mit einem Hochschulabschluss in Psychologie. Hinzu kommen andere Berufsgruppen wie Sozialarbeiter, Pädagogen, Ärzte, Betriebswirte, Pastoren, Publizisten, Talkmaster oder Künstler, die sich psychologischer Methoden bedienen. Außerdem selbsternannte Therapeuten, Heiler und Gurus, die auf dem grauen Markt tätig sind. Nicht zu vergessen zahllose Küchenpsychologen, die ihren Teil zur Psychologisierung der Welt beitragen. Wir alle also.

Die Expansion gelang einerseits dank der Erfindung neuer Tätigkeitsfelder wie Psychodiagnostik, Psychotherapie, Coaching oder Motivationstraining. Andererseits drangen Psychologen in Sphären vor, die zuvor anderen Professionen vorbehalten gewesen waren: zum Beispiel – gegen den erbitterten Widerstand der Ärzte – in die Psychiatrie; in Schulen und Erziehungsberatungsstellen, die Domäne der Pädagogen und Sozialarbeiter; außerdem in die Personal-, Marketing- und Marktforschungsabteilungen von Unternehmen, wo sie Betriebswirten den Platz streitig machten. An Nachwuchs mangelt es bis heute nicht: Das Interesse an Psychologie ist ungebrochen, das Studienfach gehört seit Jahrzehnten zu den beliebtesten. Nur Abiturienten mit sehr guten Noten oder langen Wartezeiten werden zugelassen; der Numerus clausus an deutschen Universitäten liegt fast überall zwischen 1,1 und 1,7.

Als ein entscheidender Faktor für die Erfolgsgeschichte erwies sich die bereits von Wilhelm Wundt, dem Begründer der Experimentellen Psychologie, empfohlene Popularisierungsstrategie. Das Fach eignet sich dazu wie kein anderes, weil es Einsichten über das verspricht, was Menschen am meisten interessiert: das eigene Innenleben und jenes anderer Menschen. So gingen Psychologen mit ihren Erkenntnissen beziehungsweise Pseudoerkenntnissen schon früh an die Öffentlichkeit.

Die enge Beziehung zu den Medien erwies sich für beide Seiten als vorteilhaft: Psychologen können Werbung für sich machen und der Allgemeinheit Kompetenz demonstrieren, die Medien ihrerseits mithilfe von sogenannten Experten Seriosität. Besonders beliebt sind solche, die bereit sind, sich zu nahezu allem und jedem zu äußern. Zu ihnen zählt Erich H. Witte, emeritierter Professor für Sozialpsychologie an der Universität Hamburg, der sich allem Anschein nach bei vielen Themen kompetent fühlt. So äußerte er sich zum Beispiel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über Macht: »Machtbeziehungen gibt es überall, in jedem sozialen Gefüge. Und nur in den seltensten Fällen kann jemand Machtmissbrauch widerstehen.« In der Hamburger Morgenpost benannte er die Zutaten für ein Erfolgsbuch: »Zu 90 Prozent ist ein Bestseller machbar. Man nehme einen Autor, der sich gut und gern inszenieren lässt. Einen Stoff, der oberflächlich genug ist, um die Massen zu interessieren – idealerweise leicht autobiografisch. Und eine Werbung, die in die Zeit passt.« Den Lesern des Hamburger Abendblatts erklärte er, warum so viele Leute auf klobige Autos abfahren: »Die Geländewagen ermöglichen es dem Fahrer, sich so zu fühlen, als sei er im Gelände. Er kann sich als frei Reisender empfinden, der Großstadt entflohen – ohne dass er wirklich entflohen ist. Er tut das auf eine symbolische Weise. All die Wünsche, die wir haben nach Freiheit, Unabhängigkeit, in der Natur zu sein, raus aus den Zwängen des Alltags, werden durch diesen Wagentypus symbolisiert und damit indirekt befriedigt.«

Dank des engen Schulterschlusses zwischen Wissenschaftlern, Praktikern aller Couleur und Medien gibt es kein anderes Fachgebiet, dessen Botschaften so tief ins kollektive Bewusstsein eingegangen sind wie die der Psychologie. Unsere Sprache und unser Denken sind getränkt mit psychologischen Begriffen und Konzepten wie unbewusst (gern auch unterbewusst), Depression, Trauma, Burnout, Motivation, Selbstwertgefühl, emotionale Intelligenz, Achtsamkeit, Resilienz. Unser Blick auf die Welt ist psychologisch. Unter den vielen Medien, die dazu beigetragen haben, ist Psychologie Heute hervorzuheben. Das Zentralorgan zur Popularisierung psychologischer Themen erscheint seit 1974 nach amerikanischem Vorbild, um, so das Editorial der Nullnummer, die »Sprachbarriere« zwischen Wissenschaftlern und Bürgern abzubauen.

Diese Mission kann als erfüllt gelten. In den siebziger Jahren nahm auch die Zahl der Bücher mit einschlägigem Inhalt um mehr als das Dreifache von 1,5 Prozent auf 5 Prozent aller Titel zu und ist seither auf diesem Niveau stabil.57 Wer in der Buchabteilung des Versandhändlers Amazon das Stichwort Psychologie eingibt, erhält fast 87 000...

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