GEFANGEN IM SCHAFSTALL - JOOP EPSKAMP ERINNERT SICH AM 26. JUNI 1996
UNTERKUNFT UND ARBEITEN AUF DEM FLUGPLATZ IN SCHAFSTÄDT
Anfang oder Mitte Oktober 1944 wurden wir mit hundert Holländern per Zug vom Hauptlager Zöschen nach Schafstädt gebracht. Wir kamen bei einem verlassenen Schafstall an, der an einem Weg am Rande des Flugplatzes stand und erst noch bewohnbar gemacht werden musste. Am ersten Tag begannen wir notgedrungenermaßen, die Seitenwand mit Holz zu verschließen. Dann wurden auf Lastwagen eiserne Doppelbetten, Decken und Matratzen angefahren. Abends standen zwar die Betten, aber die Seitenwand war noch nicht geschlossen. In jenem Oktober gab es bereits Nachtfrost. Müde, hungrig und verfroren sind wir am ersten Abend eingeschlafen. Am nächsten Morgen ging der größte Teil der Häftlinge auf den Flugplatz, um dort zu arbeiten. Zehn bis fünfzehn Mann blieben im Stall, um die Küche zu bauen, den Stacheldrahtzaun zu ziehen, die Latrine zu richten und Schornsteine für zwei Öfen hochzuziehen. Der Boden um den Schafstall war sehr feucht. Wir standen bis zu den Knöcheln im Wasser. Ein Lastwagen brachte Schotter, mit dem wir den Boden begehbar zu machen versuchten. Als die Küche fertig war, verbesserte sich das Essen ein wenig, aber wir bekamen nicht viel. Wenn die Häftlinge abends zurückkehrten, müde, hungrig, durchnässt und verdreckt, kriegten sie nur den Topf mit Suppe, in dem mehr Wasser schwamm als alles andere, und ein Stück Brot. Die meisten aßen mit der Suppe auch gleich das Brot, damit es nicht gestohlen werden konnte. Der Hunger verwandelte viele der Menschen. Eine Waschgelegenheit gab es nicht. Das Wasser wurde mit einem Tankwagen herangekarrt und war hauptsächlich für die Küche bestimmt. So gingen wir Häftlinge gezwungenermaßen in schmutzigen Kleidern zu Bett. Wir besaßen nur die Kleidung, die wir am Körper trugen. Die Koffer mit unseren übrigen Habseligkeiten waren in Zöschen geblieben. Nach zwei oder drei Wochen wurden die ersten krank. Nach drei oder vier Wochen hatte es so viele erwischt, dass aus Zöschen noch einmal hundert Mann zur Verstärkung hinzugezogen werden mussten. Darunter waren auch weitere Holländer, vor allem aber Polen, Russen, Italiener und welche vom Balkan. Allesamt mussten sie im Schafstall untergebracht werden. Also erhöhten wir die Betten. Beiderseits eines engen Korridors standen nun drei bis vier Betten übereinander. Abends wurden die Türen verschlossen. Wer Durchfall hatte, konnte dann nicht zur Latrine. Das alles hatte zur Folge, dass die Luft sich in der Nacht so sehr verschlechterte, dass sie sich kaum noch atmen ließ. Überhaupt gerieten wir mehr und mehr in schreckliche Zustände. Matratzen, Decken, Kleidung - alles verrottete.
Die unter Bäumen versteckten Ruinen des Schafstalls auf dem ehemaligen Flugplatzgelände Schafstädt-Obhausen.
In der zweiten Woche des Novembers, nachdem einige der unseren bereits gestorben waren, schickte man uns plötzlich einen Arzt von der Luftwaffe, der die Kranken untersuchen sollte. Dieser Arzt war offensichtlich erschrocken über die Zustände, die hier herrschten. Daraufhin mussten sich alle Kranken bei ihm melden. Sie hatten offene Wunden an Händen und Beinen. Viele litten wegen eines Hunger-Ödems an geschwollenen Beinen und Blut im Stuhl. Ich selbst wurde abkommandiert, um dem Arzt zu helfen. Zum Verbinden gab es nur Toilettenpapier und zum Desinfizieren nur Kaliumpermanganat. Von unserer Gruppe waren etwa fünfunddreißig Mann beim Arzt. Kaum dass der die Bettlägerigen betrachtet hatte, sagte er zum Hauptscharführer und Lagerleiter:
„Wenn sich für diese Menschen die Zustände nicht rapide ändern, komme ich nicht wieder hier her.“
Nach einer Erinnerngsskizze von Jaap Epskamp („Situatie zo als ik denk dat het geweest is“ - „Situation, so wie ich denke, dass sie gewesen ist“)
Einige Tage später tauchte der Kommandant aus Zöschen auf. Was von den ersten hundert Holländern noch übrig war, musste antreten. Ich stand direkt neben dem Hauptscharführer Rudolf Barthold. Nachdem der Kommandant uns gemustert hatte, sagte er zu Barthold: „Die Holländer müssen freigelassen werden, sonst sterben die uns alle weg!“
Nicht lange danach wurde etwa die Hälfte der Häftlinge in ein Krankenrevier in Ammendorf bei Halle gebracht. Dennoch starben viele Häftlinge an Unterernährung, Krankheiten und Schlägen. Manche der Häftlinge waren an dem einen Tag noch völlig in Ordnung, bekamen am Tag darauf einen Schleier vor die Augen, und weitere ein bis zwei Tage später waren sie tot. Manche riefen in ihrer letzten Stunde nach Vater und Mutter.
ENTLASSUNG AUS DEM KRANKENREVIER AMMENDORF - FREIER ARBEITER BEI PAUL GEHEB IN MERSEBURG, ÖLGRUBE
Am 26. November 1944 bin ich mit der letzten Gruppe von Holländern aus Schafstädt im Lager Ammendorf angekommen. Zwar gab es in diesem Revier auch SS-Bewachung, aber wir brauchten nicht mehr zu arbeiten. Dazu waren die meisten unter uns auch nicht mehr in der Lage, weswegen sie gleich im Bett liegen blieben. Am 1. Dezember, morgens früh, wurden wir zum SS-Arzt bestellt. Der hatte zu untersuchen, ob wir wieder arbeitsfähig waren. Wer drei tiefe Kniebeugen machen konnte, galt als arbeitsfähig und durfte als so genannter freier Arbeiter tätig werden. Noch im Laufe des Vormittags reisten wir ab, fuhren in einem Güterzug mit und kamen im Dunkeln in Zöschen an. Am Tor stand ein SS-Mann, der Lagerführer Wilhelm Winter. Er fragte uns, ob wir alle gesund wären. Zwanzig Mann riefen wie aus einer Kehle: „Jawohl, Herr Lagerführer!“ Von da an mussten wir wieder in unseren runden Unterkünften ohne Heizung schlafen. Wir haben sehr gefroren. Am nächsten Tag bekamen wir unsere Koffer ausgehändigt. Noch einen Tag und eine Nacht frieren, dachten wir, um dann am Sonnabend im Zug mit der Gruppe nach Merseburg zu fahren. Vorher hatten wir in der Schreibstube unsere Personalausweise und etwas Geld erhalten. Wenn ich mich recht erinnere, bekamen wir etwa 60 Reichsmark. Dann mussten wir noch ein Papier unterschreiben, mit dem wir uns verpflichteten, keinem Dritten gegenüber von den Umständen unserer Gefangenschaft zu berichten.
Auf dem Arbeitsamt in Merseburg wurden wir verteilt. Die meisten schickte man nach BUNA. Mich verpflichtete man an Paul Geheb in der Ölgrube, wo ich als Elektriker arbeiten sollte. Dort bekam ich ein Zimmer mit Schrank, Doppelbett, Bettwäsche und Decken. Ich glaubte, meinen Augen nicht trauen zu dürfen, denn seit dem 16. April 1944 hatte ich dergleichen nicht mehr gesehen. Paul Geheb sah, dass ich erstaunt war und sagte dann:
„Ich hole noch einen anderen Kameraden für dich.“
Eine Viertelstunde später kam er mit Wibo Marion vom Arbeitsamt. Wir beide waren sehr froh, nicht alleine zu sein. Nachdem wir etwas zu Essen bekommen hatten, sind wir ins Bett gekrochen mit dem Gedanken:
„Morgen ist Sonntag, und dann suchen wir uns eine Kirche...“
Ich denke, es war ungefähr 16:00 Uhr, als wir uns niederlegten. Als wir wieder aufwachten, war es bereits Sonntagabend. Am Tag darauf wurden wir von Paul Geheb mitgenommen in Richtung Krankenhaus und Königsmühle. Da lag auf einem Berg ein Friedhof, und unter dem Friedhof waren durch Kriegsgefangene Stollen gegraben worden zum Schutz gegen Luftangriffe. Dort drinnen mussten wir elektrisches Licht anbringen, das war Arbeit für einige Tage.
Joop Epskamp ist dann vom 16. Dezember 1944 bis zum 27. Januar 1945 noch im Krankenhaus Bad Dürrenberg gewesen. Danach hat er in einer Maschinenfabrik gegenüber dem Bahnhof gearbeitet. Nach der Besetzung von Merseburg durch die Amerikaner hat er kurze Zeit in der Waffenmeister-Schule, Geusaer Straße, gewohnt.
ACHT FRAGEN AN JOOP EPSKAMP ZUM LAGER ZÖSCHEN (WO ER VIERZEHN TAGE ZUBRACHTE), 17. OKTOBER 1996
1. Wann kamen sie in Zöschen an?
Wir sind, wenn ich mich recht erinnere, am 27. Juli 1944 mit hundert Mann von den BUNA-Werken aus nach Nietleben gebracht worden. Da sind an einem Sonntag zwei Häftlinge geflohen. Einer war aus Eindhoven und der andere war ein Hermann Klaver aus Amsterdam. Mit achtundneunzig Mann sind wir Mitte September nach Zöschen gebracht worden.
2. Was für eine Kleidung trugen die Häftlinge?
Die meisten eine graue Jacke und eine ebensolche Hose. Einige besaßen auch noch ihre eigene Zivilkleidung. Alle hatten wir ein gelbes E auf unseren Jacken. Die Gefangenen, die graue Kleidung trugen, kamen zumeist aus Osteuropa.
3. Was können sie zum Lagerpersonal sagen?
Unter dem gab es auch Ukrainer, die in den deutschen Dienst getreten waren. Ich war nicht lange in Zöschen, aber ein SS-Mann hat sich mir besonders eingeprägt. Wir nannten ihn den lachenden Tod. Von ihm habe ich beim Zementholen für den neuen Block mehrere Schläge mit dem Gummistock bekommen, weil es ihm nicht schnell genug ging. Diejenigen, die zufällig bei ihm in der Nähe standen, bekamen Schläge ab. Seinen Namen weiß ich nicht.
4. Was können sie über die Schreibstube berichten?
Es gab Gefangene, die in der Schreibstube arbeiteten, weil sie die deutsche Sprache gut beherrschten. Ich glaube, dass Rudolf Barthold die Aufsicht in der Schreibstube hatte. Unsere Personalausweise waren uns bereits am 16. April 1944 abgenommen worden. Meine Papiere habe ich erst am 3. Dezember 1944 in Zöschen zurückerhalten, weil ich von diesem Tag an als freier Arbeiter galt.
Die im Gespräch erwähnte Bescheinigung der Gestaop Halle über den Verlust des Personalausweises.
5. Was wissen sie von den Außenkommandos?
Die Kommandos wurden morgens zusammengestellt und kamen abends zurück. Ich habe in Zöschen nur im Lager...