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Von der Universität zur university

Sackgassen und Umwege der Hochschulpolitik seit 1945

AutorGeorge Turner
VerlagBWV Berliner Wissenschafts-Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl108 Seiten
ISBN9783830529743
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,00 EUR
'Wer eine schnelle Übersicht mit den wichtigsten Tangenten durch die Geschichte der Hochschulpolitik in der Bundesrepublik sucht, ist hier gut aufgehoben.' Uwe Schlicht, Tagesspiegel, zur 1. Auflage Wie entwickelte sich die elitäre Universität zur heutigen 'university'? Wie ist der Anstieg von 3 % Studenten eines Jahrgangs auf 50 % Studierende zu erklären? George Turner, der das deutsche Hochschulleben wie kaum ein anderer kennt, beantwortet diese Fragen nachvollziehbar und gut verständlich mit einem Überblick über die Etappen der deutschen Hochschulentwicklung seit Kriegsende. Auf die 1945 einsetzende Restaurierung der Ordinarien-Universität folgte ab Mitte der 60er Jahre ein Jahrzehnt der politischen Mobilisierung, geprägt von der Studentenrevolte, und anschließend eine Epoche der Verrechtlichung und Bürokratisierung. Nach der Wiedervereinigung, die die hochschulpolitische Eingliederung der DDR-Universitäten erforderte, machte sich eine Trendwende hin zu mehr Wettbewerb und Ökonomisierung bemerkbar. Seit Beginn des neuen Jahrtausends bestimmt der sogenannte Bologna-Prozess die Debatte; die vergangenen zehn Jahre sind geprägt von der Exzellenzinitiative und deren Folgen. Sachlich, aber auch schonungslos benennt George Turner Fehlsteuerungen, falsche Weichenstellungen und politische Verirrungen, wie die Exzellenzinitiative und die Vernachlässigung der kulturrelevanten Fächer, und gibt konstruktive Verbesserungshinweise.

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Leseprobe

Das HRG von 1976 ist als Novum in der deutschen Hochschulgeschichte anzusehen. Neben einer Reihe anderer Bestimmungen werden darin Grundsätze und Verfahrensregelungen für die Studienreform aufgeführt, so zur Neuordnung des Studienangebots mit dem Ziel, überlange Studienzeiten zu verkürzen. Obwohl das Gesetz detaillierte Regelungen über Studienordnungen und -gänge enthält, hat es keine durchgreifende Änderung bewirkt. Bis Ende der siebziger Jahre mussten die Länder ihr Hochschulrecht an das HRG anpassen, wobei ihnen ein gewisser Spielraum für eigene Akzente blieb. Kritischen Beobachtern galt das HRG von 1976 als kleinster gemeinsamer Nenner aller politischen Kräfte und als Zeichen von Resignation.

Die gängigen Forderungen im Zusammenhang mit der Hochschulpolitik waren Gemeingut der Bildungspolitiker aller Parteien. Irgendwelche Reformen wollten Ende der sechziger Jahre nahezu alle.

Es bedeutete keinen Einschnitt, wenn Brandt in seiner Regierungserklärung des ersten sozial-liberalen Koalitionskabinetts 1969 der Bildungspolitik Priorität einräumte, sondern vielmehr die Bestätigung eines laufenden Prozesses. Das Pathos des (vermeintlichen) Neuanfangs erhöhte allerdings den Erwartungsdruck. Vor allem aber förderte die noch wachsende Bewertung der Bildungsreform als Grundlage der Gesellschaftsveränderung die parteipolitische Polarisierung und Ideologisierung der Bildungspolitik62. Aus dem anfänglich zu beobachtenden Zusammenraufen wurde immer mehr ein Auseinanderstreben der Bildungspolitiker der jeweiligen Regierungen und Oppositionen in Bund und Ländern. In der Kompromissfindung haben sich in jener Zeit besonders die Länderminister aus Rheinland-Pfalz und NRW, Bernhard Vogel, CDU, und Hans Schwier, SPD, bewährt. Auch später hat es immer wieder solche „Tandems“ aus den sog. A- und B-Ländern63 gegeben, wie z. B. Hans Zehetmair (Bayern, CSU) und Jürgen Zöllner (Rheinland-Pfalz, SPD).

Parteipolitische Kontroversen

Die Abkehr vom Konsens in der Bildungspolitik vollzog sich in einem Hin und Her zwischen Vorstößen der sozialliberalen Mehrheit auf Bundes- und Länderebene einerseits und dem Ausbau der Gegenpositionen auf beiden Ebenen durch CDU und CSU andererseits. Dabei trugen die Versuche der Bundesregierung, ihre neuen Mitwirkungsmöglichkeiten im Bildungsbereich, u. a. in der Bund/ Länder-Kommission, offensiv wahrzunehmen, dazu bei, die Konsensgrundlagen des bildungspolitischen Aufschwungs zu gefährden. Die Bildungspolitik wurde zu einem der Politikbereiche, die es mit anderen und in Konkurrenz dazu „zu verkaufen“ galt. Dies führte zur Akzentuierung von „Expansion“, „Modernisierung“, „Strukturreform“ und „Demokratisierung“ als bildungspolitische Ziele der sozial-liberalen Koalition. Aber besonders die Überlegungen der beiden „politischen Grundwellen“ der „weltweiten Bildungsreform-Debatte“ – Demokratisierung der Strukturen und Ausbau der Hochschulen – blieb nicht ohne Widerspruch. Die CDU/CSU-Opposition betonte demgegenüber zunehmend die Grenzen der Finanzierbarkeit. Die Schärfe der Auseinandersetzung in den Jahren 1970 –1973 beruhte wesentlich auf einer von Regierung und Opposition bewusst betriebenen Konfrontation ideologischer Art64.

Universitäten am Abgrund

Parallel zur allgemeinen politischen Polarisierung machte man die Hochschulen auch verstärkt zum Objekt parteipolitischen Streits. Dies wurde am deutlichsten in den Ländern, wenn es um die Einschätzung von Entwicklungen und Vorhaben an bestimmten Institutionen ging.

Breit diskutierte man in der Öffentlichkeit z. B. die Verhältnisse an den Universitäten in Bremen, Marburg Berlin (FU) und Heidelberg. Diese Universitäten standen seit 1968, zum Teil über mehr als ein Jahrzehnt für Chaos, Zügellosigkeit und drohenden Untergang der Wissenschaft. Zwar wurden auch andernorts Störungen und Rechtsverletzungen bis hin zu Gewalttätigkeiten gegen Sachen und Personen registriert; die genannten vier Einrichtungen aber waren „führend“. Amtsträger und damit letztlich verantwortlich waren die Rektoren bzw. Präsidenten von der Vring, Zingel, Kreibich und Rendtorff. Drei der genannten seinerzeit aus dem Ruder gelaufenen Hohen Schulen, nämlich Heidelberg, die FU und Bremen, sind inzwischen zu sog. Elite-Universitäten gekürt worden. Die positive Entwicklung der drei im Exzellenz-Wettbewerb Erfolgreichen hätte lange Zeit niemand für möglich gehalten, zu sehr schien die Wissenschaft unter der auf politische Effekthascherei ausgerichteten und von „fortschrittlichen Kräften“ beeinflussten Führung zu leiden. Zwar gab es auch an den besonders betroffenen Universitäten selbst zu den schlimmsten Zeiten hervorragende Leistungen, mithin ausgezeichnete Wissenschaftler. Befürchtet aber wurde deren Abwanderung, mindesten ihre Behinderung durch zum Teil politisierte Administrationen unter der Leitung von Präsidenten und Kanzlern, die missliebigen, d. h. nicht der Linie der Leitungen entsprechenden Professoren das Leben schwer machten.

Die Befürchtungen sind im Ergebnis nicht eingetreten. Für die Kehrtwende lassen sich jeweils wieder Namen an den Universitätsspitzen finden 65; entscheidend aber waren nicht zuletzt die Standhaftigkeit und das Durchhaltevermögen anerkannter Wissenschaftler. Sie haben sich entweder kräftig zur Wehr gesetzt, wenn ihre Arbeitsmöglichkeiten tangiert wurden oder sind – bei einem Rückzug in die innere Emigration – auf ihrem Feld weiterhin erfolgreich geblieben

Entdeckung der Realität

Eines der Zeichen für die Ernüchterung im politischen Bereich war – nach dem Rücktritt Brandts im Mai 1974 – die Besetzung des Bundeskabinetts durch Helmut Schmidt. Sogenannte intellektuelle Hochflieger (Klaus v. Dohnany) mussten zu Gunsten von Vertretern der Mitte des politischen Spektrums (Helmut Rohde) als Bundesminister für Bildung und Wissenschaft weichen66. Damit kam eine Abkehr von ideologischen, visionären Vorstellungen zum Ausdruck. Nach einer langen Zeit der Expansion musste gespart werden. Helmut Schmidts 1974er Regierungsmotto „Kontinuität und Konzentration“ galt auch für die Hochschulen. Die Erschöpfung nach einer Phase der Hyperaktivität war nicht nur materiell, sondern auch mental spürbar67. Im Wahlkampf 1976 war eine deutliche Zurückhaltung der Intellektuellen festzustellen, die sich 1969 und 1972 begeistert in Wählerinitiativen für Brandt eingesetzt hatten. Die Regierungserklärung von Helmut Schmidt nach dem Wahlsieg 1976 verdeutlichte das Ende der Reformpolitik. Die Aussagen zum Bildungswesen wirkten desillusionierend. Da die Reformpolitik auf wirtschaftlichen Zuwachs gebaut hatte, musste die eingetretene Verschlechterung der ökonomischen Rahmenbedingungen zu Konsequenzen führen. So reagierte auch die CDU in ihrem Grundsatzprogramm von 1978 nicht nur auf die sozial-liberale Reformpolitik, sondern auch auf frühere Reformeuphorie in den eigenen Reihen. Zum Ende der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt im Jahr 1982 konnte man feststellen: Die Mehrheit der Wähler wollte nichts mehr von Reformen wissen. Vieles erschien allem ungestümen emanzipatorischen Drang zum Trotz als Dirigismus des Staates und wurde so verstanden, dass er über die Bedürfnisse der Bürger hinweg seine technokratischen Ziele verfolgte. „Die Bildungspolitik beflügelte nicht mehr die Phantasie der Zukunftsgestaltung, sondern ächzte unter der Last des täglichen Problemdrucks“68, nicht zuletzt der Bewältigung von Folgen der vergangenen Euphorie. Der Bund zog sich aus dem Gehege der Länderhoheit weitgehend zurück. Die Reformgesetzgebung im Bereich der Hochschulausbildung wurde mit dem Hochschulrahmengesetz (HRG) von 1976 unter Mühen zum Abschluss gebracht. Es sollte die Experimentierphase nach rund 10 Jahren beenden, damals noch mit dem Fernziel des Ausbaus aller Hochschulen zu Gesamthochschulen bzw. der Koordinierung der verschiedenen Hochschularten.

Nach und nach zeigte sich eine deutliche Abkehr von Folgerungen, die früher im Konsens aller politisch Verantwortlichen gezogen worden waren, und zwar unter wechselnden Mehrheiten. Das belegen die Auflösung des Deutschen Bildungsrats (1975), der Streit um die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau (1981) und um die Graduiertenförderung (1983), das Scheitern der Fortschreibung des 1969 von der sozial-liberalen Regierung eingeführten Bildungsgesamtplans (1982), die Umstellung des BAföG auf Volldarlehen (1982), die Reform des Hochschulrahmengesetzes (1985) mit der Streichung des Ziels Gesamthochschulausbau und die partielle Auflösung der Bund/Länder-Kommission.

5. Wechselbäder der Bildungspolitik


Die elf (alten) Bundesländer setzten seit Ende der 60er Jahre Hochschulgesetze in Kraft. Diese wurden seither im Schnitt jeweils sechs bis acht Mal, zum Teil noch häufiger novelliert. Zählt man das Rahmengesetz des Bundes mit seinen...

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