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Der Wunsch nach dem Tod. Zur ethischen Vertretbarkeit von Sterbehilfe

AutorChristoph Staufenbiel, Helmut Kaiser, Maria Röttger, Thomas Must
VerlagScience Factory
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl174 Seiten
ISBN9783656602422
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Unerträglichen Schmerzen endlich entkommen, das Leiden beenden und friedlich einschlafen - ein verständlicher Wunsch für viele Todkranke und Sterbende. Doch ist es für Angehörige und Ärzte ethisch vertretbar, Sterbehilfe zu leisten? Gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe, also zwischen Tun und Unterlassen? Die Frage nach dem selbstbestimmten kontrollierten Tod beschäftigt die Menschen seit der Antike und ist doch aktueller denn je. Der vorliegende Band erläutert die Begrifflichkeiten und beleuchtet die Positionen von Kirche, Staat und Medizin vor dem Hintergrund ethischer Werte. Am Beispiel der Schweiz wird dabei ein mögliches Modell diskutiert, das die Beihilfe zum Suizid durch eine Sterbehilfeorganisation erlaubt. Aus dem Inhalt: Aktive und passive Sterbehilfe Positionen von Kirche und Gesellschaft Autonomie und Menschenwürde Situation in Langzeitpflegeinstitutionen

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Leseprobe

Einleitung


Bei einem Autounfall wird Herr A. schwer verletzt und muss sofort ins Krankenhaus. Nach einigen Notoperationen stellen die Ärzte fest, dass dem Patienten letztlich aufgrund seiner schweren Verletzungen nicht mehr geholfen werden kann und er bald sterben wird. Wie viel Zeit dem Patienten noch bleibt, können die Ärzte jedoch nur vage vermuten. Um den prophezeiten Tod hinauszuzögern, müssen verschiedene Maschinen dessen Leben erhalten und Schmerzmittel soweit möglich das Leid lindern. Er selbst ist bei Bewusstsein und kann unter extremen Schmerzen manchmal auch sprechen. Andere Bewegungen sind nicht ausführbar, bis auf gelegentliche, krampfartige Zuckungen. Seine Angehörigen trauern um sein Leid, aber noch viel mehr darum, dass er unter solchen Umständen und Schmerzen auf seinen Tod hinsiecht. In Anwesenheit des behandelnden Arztes bittet der Patient diesen plötzlich um einen letzten Wunsch: Keine Schmerzen mehr. Sterben.

Herr A. hat damit einen Willen geäußert, der im Laufe der Geschichte bis heute für brisante Diskussionen gesorgt hat. Er entschließt sich für den Freitod, d.h. für die eigenwillige Tötung seiner selbst. Dieser Tatbestand ist freilich besonders heute nicht mehr das Problem. Doch Herr A. ist nicht imstande, sich selbst zu töten und bittet darum den Arzt um Hilfe: Sterbehilfe. Eine der größten Problematiken in der Medizin, Ethik, Religion und im Recht, die den betroffenen Arzt sowohl in einen Gewissens- als auch Rechtskonflikt treibt, wird heute in Politik, Medizin und Philosophie mehr denn je diskutiert. Dogmatische Gebote und Verbote aus Religion und Tradition scheiden die Gesellschaft und errichten eine kaum überwindbare Mauer zwischen den Befürwortern und Gegnern der Sterbehilfe. In der vorliegenden Arbeit soll die Position der Befürworter eingenommen werden, um im Hinblick diverser Argumente aufzuzeigen, dass der Mensch ein Recht auf den moralisch gerechtfertigten Freitod hat und das auch, wenn er selbst dazu nicht imstande ist und über die Sterbehilfe sein Recht einfordern muss.

Zweck dieser Arbeit ist nicht im Hauptaspekt die Unterscheidung zwischen der allgemein erlaubten passiven und der fast überall verbotenen aktiven Sterbehilfe, sondern generell darzulegen, dass der Mensch ein Recht auf diese Hilfe hat, sei es passiv oder aktiv. Da die Gesetzeslage von Staat zu Staat sehr unterschiedlich ausfällt, sollen hier nicht alle Beispiele aufgeführt werden. Diskussionsmittelpunkt ist die Lage in Deutschland und gegebenenfalls der Vergleich zu den Niederlanden und der Schweiz. Zu Beginn sollen bestimmte Begrifflichkeiten geklärt werden, die wichtig für das Verständnis der vorgelegten Argumentationen sind. Danach werden diverse Argumente und Positionen herangezogen, die ein solches Recht, inklusive der Sterbehilfe, befürworten und gar fordern, wobei der Ausdruck „uneingeschränkte Sterbehilfe“ verwandt wird, der jedoch nichts anderes meint als die Erlaubnis zur aktiven, passiven und indirekten Sterbehilfe. In einem dritten Punkt stehen verschiedene Meinungen der gegnerischen Position zur Verfügung, die unter anderem mithilfe der vorangegangenen Pro-Argumente negiert werden sollen. Abschließend ist zu sagen, dass, wie bereits weiter oben gesagt, nicht die Unterscheidung zwischen der aktiven und passiven Sterbehilfe im Mittelpunkt dieser Arbeit steht, sondern die Frage nach der moralischen Rechtfertigung zu einem Freitod mittels der Anwendung der Sterbehilfe.

Zum Vorverständnis


Um die hier geführte Argumentation nicht in die Irre verlaufen zu lassen und Missverständnissen vorzubeugen, werden die wichtigsten Begriffe angeführt und verdeutlicht, inwiefern sie in der vorliegenden Arbeit zu verstehen sind und wie sie verwendet werden. Besonders die Erläuterung und Festlegung der Begriffe „Freitod“ und „Sterbehilfe“ ist von großer Bedeutung, da in herrschenden Diskussionen und der themenverwandten Literatur eine einheitliche Definition in der Form nicht vorzufinden ist.

Der Begriff des Freitods


Der Freitod beschreibt grundsätzlich das freiwillige Sterben. In der Antike waren es vor allem römische Heerführer, die sich bei einer schweren Niederlage das Leben nahmen, um ihre Ehre zu retten. Ein Tod, der moralisch vollkommenen vertretbar schien: mors voluntaria – ein Begriff, den besonders japanische Offiziere noch bis ins 20.Jahrhundert hinein als moralischen Ausweg aus einer „unehrenhaften“ Situation vorzogen. Von der „helden-umwobenen“ Definition wird hier jedoch eher abgesehen, um sich auf die der antiken Philosophie zu stützen: Der Freitod im Sinne eines würdigen oder friedlichen Sterbens, sowie es die Stoa und besonders die Eudaimonie lehrt. Somit sollte ein unnötiges Leiden für einen ruhigen und friedlichen Tod aufgegeben werden. Auch hier beschreibt man diesen Freitod als mors voluntaria, wodurch noch einmal der Charakter der freiwilligen Handlung zum Ausdruck kommt. Schon bald jedoch wurde der Begriff des Freitods durch den christlich geprägten „Selbstmord“ ersetzt. Nun war der einstige antike Begriff zu einer verwerflichen Sünde mit einem moralisch arg negativen Beigeschmack umformuliert worden. Der Selbstmord stand jetzt für das gewaltsame Nehmen eines Lebens, in dem Fall des eigenen, das nach religiöser Auffassung heilig ist. Genau in diesem Punkt setzt auch die heutige Diskussion zu diesem Thema und die Uneinigkeit der Parteien an: Der Streit um „Freitod“ oder „Selbstmord“.[41] In der weiteren Argumentation spielt dennoch das antike Verständnis des Freitods eine Rolle. Gesetzlich gesehen ist die Absicht zum Freitod und der Freitod selbst in Deutschland nicht strafbar[42].

Der Begriff der Sterbehilfe


Aus dem Wort selbst ist bereits das wichtigste Verständnis herauszunehmen: Die Hilfe zum Sterben. Doch lässt diese Definition viel Spielraum übrig, um dieses Wort für die jeweilige Situation passend auszulegen. Schwierig ist dabei besonders die Wertung nach dem bloßen „Sterbenlassen“ und dem „aktiven Töten“, wovon hier jedoch abgesehen wird, um den Schwerpunkt dieser Arbeit nicht zu weit ausufern zu lassen. Daher ist man sich bis heute soweit einig, die Sterbehilfe in drei Formen zu untergliedern, um die Intensität der Absicht des Helfenden zum gewollten Tod deutlich zu machen:

Passive Sterbehilfe

Hierbei geht es um das bloße Nichtstun des Helfenden. Man überlässt den Sterbenden seiner selbst. D.h. man unterlässt jegliche Versuche, den Tod hinauszuzögern oder zu beschleunigen. Er wird weder mit Medikamenten noch mit Maschinen versorgt, um einen dieser Vorgänge zu erreichen. Die passive Sterbehilfe ist in allen Staaten gesetzlich erlaubt und wird in heiklen Fällen sogar empfohlen.[43]

Indirekte Sterbehilfe

Bei der indirekten Sterbehilfe wird der Arzt insofern tätig, als dass er versucht, die Schmerzen des Sterbenden soweit wie möglich zu lindern. Er nimmt dabei als Nebenwirkung auch das Risiko des Sterbens in Kauf, d.h., dass der Patient aufgrund der durchgeführten Schmerzbehandlung stirbt. Diese Form der Sterbehilfe ist zwar in den meisten Staaten, so auch in Deutschland, gesetzlich erlaubt, doch ist sie problematisch, da sie wegen dem aktiven Tun des Arztes bereits der aktiven Sterbehilfe sehr nahe kommt. Einziger Unterschied ist hier die Absicht des Arztes, die sich nicht direkt auf den Tod des Sterbenden richtet, sondern auf die Linderung der Schmerzen.[44]

Aktive Sterbehilfe

Wird der Arzt direkt tätig und beabsichtigt mit einer Medikamentengabe oder anderen Behandlungen den Tod des Sterbenden, spricht man von aktiver Sterbehilfe.[45] Wichtigstes Argument hier ist eben genau diese Absicht als solches, die sie von der indirekten Sterbehilfe unterscheidet. Der beschleunigte Tod des Sterbenden ist das Ziel dieser Behandlung. Diese Form der Sterbehilfe ist das am meisten diskutierte Problem dieser Thematik. Nach dem Gesetz gibt es kaum Staaten, die die aktive Sterbehilfe erlauben. Doch gibt es erhebliche Unterschiede bei der negativen Sanktionierung im Falle der aktiven Sterbehilfe. Während in den Niederlanden diese Art der Hilfe gesetzlich unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleibt, ist sie in Deutschland verboten, so dass der Verurteilte mit zum Teil sehr hohen Gefängnisstrafen rechnen muss.[46] Gerade in diesem Punkt versuchen die verschiedenen Positionen zu einer Einigung zu gelangen, um eine einheitliche (negative oder positive) Sanktionierungsform für die aktive Sterbehilfe zu erhalten.[47]

Der Freitod in Form der Sterbehilfe


Nachdem nun die beiden Begriffe „Freitod“ und „Sterbehilfe“ im Zuge dieser Arbeit erläutert wurden, muss noch darauf eingegangen werden, wie sie in Einklang miteinander gebracht werden können:

Wählt ein Sterbender oder jemand, der zum Sterben bereit ist, den Freitod, kann aber aufgrund seines körperlichen Zustands nicht selbst den Akt des Tötens vollziehen, bittet er um Sterbehilfe:

„(…) Bittet ein Patient um Sterbehilfe, so handelt es sich um einen selbstgewählten Tod, denn es ist letztlich der Patient, der durch die Äußerung seines Wunsches den eigenen Tod herbeiführt. (…)“[48]

Während die passive und indirekte Sterbehilfe in der Tat nur eine Hilfe zum selbst gewählten Tod ist und der Betroffene sich in dem Fall „selbst“ tötet, sei es durch das Annehmen von...

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