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E-Book

Der Zufall, das Universum und du

Die Wissenschaft des Glücks

AutorFlorian Aigner
VerlagChristian Brandstätter Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783710601354
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Der Zufall regiert unsere Welt. Mit welchen Zahlen man morgen im Lotto gewinnt oder wo es in zwei Jahren regnen wird, ist reine Glückssache. Trotzdem gehen wir davon aus, dass sich die Welt an berechenbare Naturgesetze hält - wie eine Uhr, in der ein Zahnrad das nächste bewegt. Wenn man sich auf die Suche nach den wissenschaftlichen Wurzeln des Zufalls begibt, stößt man auf Schmetterlinge, die mit einem Flügelschlag den Lauf der Welt verändern, auf winzige Teilchen, die ihre Eigenschaften ganz zufällig festlegen, und auf genetische Mutationen, die das Leben in neue Bahnen lenken. Seltsamerweise fällt es uns aber schwer, den Zufall richtig einzuordnen. Wir glauben Muster zu sehen, wo in Wirklichkeit nur das Chaos am Werk ist, wir verwechseln echte Leistung mit purem Glück. Florian Aigner nimmt den Leser mit auf eine Reise von der Physik über die Biologie bis zur Psychologie. Leichtfüßig und unterhaltsam manövriert er uns durch ein Panoptikum der Wissenschaften, auf der Suche nach der tiefen Bedeutung des Zufalls für das Universum, für das Leben und für uns alle.

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er promovierte über theoretische Quantenphysik und schreibt heute über Wissenschaft und Technik - unter anderem in seiner Kolumne 'Wissenschaft und Blödsinn' in der Futurezone. Oft hinterfragt er auch esoterische Behauptungen, die immer wieder mit echter Wissenschaft verwechselt werden.

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Leseprobe

DER ZUFALL IST NICHT UNSERE STÄRKE


Pflaumenpudding, brennende Teilchenbeschleuniger und der Zufall als heimtückischer Mörder: Warum wir Zufälligkeiten nur schwer erkennen können.


„So ein Zufall!“, dachte Émile Deschamps. Er saß in einem Restaurant in Paris und freute sich darüber, auf der Speisekarte Pflaumenpudding entdeckt zu haben. Als Kind hatte ihm ein Mann, den er kaum kannte, Pflaumenpudding zu kosten gegeben – ein gewisser Monsieur de Fontgibu. Doch seither hatte er diese Nachspeise nirgendwo mehr bekommen.

Doch als er den Kellner rief und den Pudding bestellte, erfuhr er, dass die letzte Portion gerade von einem anderen Gast verspeist worden war – und zwar von eben diesem Monsieur de Fontgibu von damals, der zufällig gerade im selben Restaurant saß.

So einen merkwürdigen Zufall vergisst man nicht so leicht, und so musste Monsieur Deschamps auch Jahre später wieder daran denken, als er bei Freunden ein weiteres Mal Pflaumenpudding serviert bekam. „Jetzt fehlt nur noch Monsieur de Fontgibu“, meinte er.

In diesem Moment geht die Tür auf und ein alter, verwirrter Mann kommt herein. Es ist Monsieur de Fontgibu, der sich in der Adresse geirrt hat und versehentlich in die falsche Wohnung stolpert.

Dreimal Pflaumenpudding und immer hatte Monsieur de Fontgibu seine Hände im Spiel. So viel Zufall kann doch kein Zufall sein! Der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung war zumindest davon überzeugt, dass gewisse Dinge auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden sein können. Er erzählte die Geschichte vom Pflaumenpudding als Beispiel für „Synchronizität“, für Ereignisse, die auf mysteriöse Weise zusammengehören. Durch bloßen Zufall, meinte Jung, ließen sich solche Merkwürdigkeiten nicht erklären.

Pauli war schuld


C. G. Jung diskutierte das Thema auch mit dem Physiker Wolfgang Pauli, einem etwas eigentümlichen Wissenschaftler. Unter Physikern gibt es zwei verschiedene Völker mit ganz unterschiedlichen Kulturen – Theoretiker und Experimentalphysiker. Die Theoretiker fühlen sich überlegen, weil sie meinen, die Experimentalphysiker können nicht mit komplizierten Gleichungen umgehen; die Experimentalphysiker fühlen sich überlegen, weil sie meinen, die Theoretiker können nicht mit komplizierter Technik umgehen. Beide Seiten halten sich selbst für die eigentlichen, wahren Wissenschaftler und machen gerne Witze über die Gegenpartei. Ab und zu gibt es Physiker, die sich in beiden Bereichen wohlfühlen, doch Wolfgang Pauli war keiner von ihnen. Er war Theoretiker, daran bestand kein Zweifel. Schon in der Schule fiel er durch seine mathematische Begabung auf, aber Experimentieren war nicht seine Stärke.

Man erzählt, dass physikalische Apparaturen die Angewohnheit hatten, in Paulis Anwesenheit kaputt zu gehen. Er musste nur durchs Labor spazieren, und schon war es ringsherum vorbei mit den Experimenten. 1945 bekam er den Nobelpreis für die Entdeckung des „Pauli-Prinzips“: Zwei Elektronen eines Atoms können sich nicht im exakt gleichen Zustand befinden – mit diesem Grundsatz konnte Pauli den Aufbau von Atomen erklären. In Anlehnung daran wurde der Begriff des „Pauli-Effekts“ eingeführt: Pauli und ein funktionierendes Gerät, so hieß es, können sich nicht im selben Raum aufhalten. Das war sicher scherzhaft gemeint, doch Pauli selbst soll tatsächlich davon überzeugt gewesen sein, dass es sich dabei um einen realen Effekt handelte – um eine „Synchronizität“, wie C. G. Jung gesagt hätte.

Der Physiker Otto Stern erteilte Pauli Institutsverbot, um die Experimente in seinem Labor nicht zu gefährden. Als Pauli die Princeton University besuchte, geriet dort ein Teilchenbeschleuniger in Brand. Als im Labor von James Franck in Göttingen ein teures Gerät kaputt ging, war Pauli nicht im Labor – diesmal treffe ihn also keine Schuld, scherzte Franck in einem Brief an Pauli. Wohl aber doch, antwortete Pauli. Auf einer Zugreise nach Kopenhagen hatte er genau zu dieser Zeit einen Aufenthalt in Göttingen gehabt, er war während des Unglücks also gar nicht weit vom Labor entfernt gewesen.

Wie kann man solche Absonderlichkeiten erklären? Ist das alles bloß Zufall? Vielleicht gibt es hier gar nichts zu erklären.

Wir Menschen sind Geschichtenerzählmaschinen. Wenn wir auf eine schöne Geschichte stoßen, dann merken wir sie uns und tragen sie weiter. Wir fügen Dinge hinzu, die uns gefallen, und lassen Details weg, die uns nicht passen. Wir ordnen unsere Erlebnisse, indem wir sie zu hübschen Geschichten schnüren und in unserem Gedächtnis ablegen. Wie viel diese bunt zurechtgebastelten Geschichtenbündel in unserem Gedächtnis mit der Wirklichkeit am Ende noch zu tun haben, können wir irgendwann selbst nicht mehr so genau sagen.

Stimmt die Geschichte von Monsieur Deschamps und dem Pflaumenpudding, oder hat in dieser Überlieferung jemand ein bisschen übertrieben, damit die Erzählung unterhaltsamer wird? Vielleicht hat Deschamps in seinem Leben sehr oft Pflaumenpudding zu essen bekommen und die zahlreichen Fälle, in denen der geheimnisvolle Monsieur de Fontgibu nicht mit dabei war, sind einfach vergessen worden?

Hat Pauli wirklich Apparate zum Versagen gebracht? Wer sich jemals in einem Labor über falsche Messdaten geärgert hat, weiß ganz genau: Die meisten Experimente gehen schief, das liegt in der Natur des Experiments. Wäre es einfach, hätte es schon längst jemand anderer gemacht. Normalerweise muss man sich lange mit unzähligen unerwarteten Ärgerlichkeiten herumquälen, bevor man es schafft, dem Apparat am Ende vertrauenswürdige Daten zu entlocken. Ein Experiment, das nicht funktioniert, ist eigentlich der Normalfall. Dass Wolfgang Pauli immer wieder an Experimentalphysikern vorbeikam, die sich gerade über ihr Gerät ärgerten, ist nichts Ungewöhnliches, es ist an einem Forschungsinstitut sogar völlig unvermeidlich. Wenn man sich schließlich nur die besonders einprägsamen Anekdoten merkt, die zur schönen Geschichte des Pauli-Effekts passen, dann entsteht der Mythos des experimentzerstörenden Theoretikers.

Der Zufall als Mörder


Leider sind wir Menschen außerordentlich schlecht darin, Zufälligkeiten zu erkennen und Wahrscheinlichkeiten richtig einzuschätzen. Wir haben ein ziemlich gutes Gefühl dafür, ob uns jemand sympathisch findet oder nicht, wir müssen meist nur kurz am Kochtopf schnuppern, um zu erkennen, ob uns das Mittagessen schmecken wird, aber wenn wir mit Wahrscheinlichkeiten und Statistiken, mit Glück und Zufall umgehen sollen, dann scheitert unser Bauchgefühl kläglich. Im Beurteilen von Zufälligkeiten und Wahrscheinlichkeiten sind wir Menschen ungefähr so gut wie eine schwerhörige Hauskatze im Klavierspielen.

Wir fürchten uns vor dem weißen Hai, aber nicht vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wir beobachten die Roulettekugel dabei, wie sie sich siebenmal hintereinander für Rot entscheidet, und sind davon überzeugt, dass beim nächsten Mal Schwarz an der Reihe sein muss. Die Zufälligkeiten, die uns das Leben vor die Füße wirft, biegen wir uns zu seltsamen Theorien zurecht und erfinden tiefsinnige Begründungen, wo in Wirklichkeit nur der Zufall regiert.

Manchmal kann ein falsches Verständnis von Zufall und Wahrscheinlichkeit sogar ein Leben zerstören, das zeigt die traurige Geschichte von Sally Clark aus Großbritannien. Sie brachte 1996 ihren ersten Sohn zur Welt. Einige Wochen später hörte das Kind im Schlaf plötzlich auf zu atmen. Sally Clark rief die Rettung, aber es war zu spät, ihr Sohn war tot. 1998 wiederholte sich diese Tragödie – auch ihr zweiter Sohn starb im Alter von einigen Wochen. Man spricht in solchen Fällen vom „plötzlichen Kindstod“. Die Hintergründe dieser Todesursache sind bis heute wissenschaftlich nicht geklärt. Man kann den plötzlichen Kindstod medizinisch nicht diagnostizieren, es ist bloß die Erklärung, die übrig bleibt, wenn man keine andere gefunden hat.

Im Fall von Sally Clark gab man sich damit aber nicht zufrieden, sie wurde wegen Mordverdachts festgenommen. Bei der Gerichtsverhandlung kam ein Kinderarzt zu Wort, der Sally Clarks Geschichte für höchst unglaubwürdig hielt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind an plötzlichem Kindstod stirbt, liegt bei etwa eins zu 8543. Daher, so argumentierte der Arzt, sei die Wahrscheinlichkeit für zwei solche Fälle hintereinander lächerlich gering, nämlich eins zu 8543 zum Quadrat, also eins zu 73 Millionen. Das sei eine derart geringe Wahrscheinlichkeit, dass man davon ausgehen müsse, dass Sally Clark ihre Söhne getötet habe. Sally Clark wurde schuldig gesprochen und zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt.

In den Medien wurde ausführlich über diesen Fall berichtet, und schließlich fühlte sich auch die Royal Statistical Society in London berufen,...

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