Einführung
Heinz Aschebrock & Günter Stibbe
Seit geraumer Zeit ist in der sportdidaktischen Diskussion ein zunehmendes Interesse an Fragen und Problemen des Schulsports zu beobachten (vgl. Balz, 2009, S. 25). Dies zeigen nicht zuletzt Grundlagenwerke zur Sportdidaktik, die in den letzten Jahren erschienen sind. So werden mit den „Handbüchern” zur Sportdidaktik (Lange & Sinning, 2009) und zum Schulsport (Fessler, Hummel & Stibbe, 2010) umfangreiche Textsammlungen zu neueren fachdidaktischen Entwicklungen vorgelegt, in denen zahlreiche Autorinnen und Autoren den „State of the Art” beschreiben. Während die Monografie von Horn (2009) als schulstufenübergreifende Einführung in die Theorie und Praxis des Bewegungs- und Sportunterrichts gedacht ist, setzt sich Kuhn (2009) in seinem Studienbuch mit grundschulspezifischen Aspekten einer „kindgemäßen Bewegungserziehung” auseinander. Schließlich versuchen Scheid und Prohl (2012) in ihrer „Sportdidaktik” die bildungstheoretischen Grundlagen und Vermittlungsformen des erziehenden Sportunterrichts zu erläutern, Neumann und Balz (2011) legen mit ihrem Sammelband praxisnahe pädagogische Anregungen zum mehrperspektivischen Sportunterricht vor. Darüber hinaus haben „konzeptorientierte Trendberichte” (Balz & Schierz, 2004, S. 9) Konjunktur, die entweder schulformübergreifend (vgl. z. B. Balz, 2009; Hummel, 2010) oder schulformspezifisch (vgl. u. a. die Beiträge in Fessler, Hummel & Stibbe, 2010, S. 262-351) angelegt sind.
Die in diesen Studien geführte Diskussion zu sportdidaktischen Leitfiguren und Ansätzen erweist sich allerdings als unübersichtlich und vielfach kontrovers. Vor diesem Hintergrund ist es das Anliegen der vorliegenden Textsammlung, eine differenzierte Standortbestimmung der gegenwärtigen fachdidaktischen Diskussion im Blick auf konzeptionelle Positionen, Konzepte und Leitideen vorzunehmen. In diesem Zusammenhang soll ein Überblick über Bedeutung und Begründung, Veränderungen und Abgrenzungen, zentrale Leitideen und Merkmale bekannter, aber auch weniger bekannter sportdidaktischer Entwürfe und konzeptioneller Teilaspekte gegeben werden. Dabei kann es allerdings nicht gelingen, alle didaktischen Konzepte und Leitideen für den Schulsport gleichermaßen zu beschreiben und zu würdigen. In erster Linie geht es um eine allgemein-orientierende Darstellung der Vielfalt konzeptioneller Positionen im Lichte der aktuellen Fachdiskussion. Dies bedeutet zugleich, sich auf ausgewählte, als bedeutsam erachtete konzeptionelle Ansätze zu beschränken1 und auch neuere Impulse der Fachdiskussion aufzunehmen.
Unter „fachdidaktischen Konzepten” sollen gedanklich durchdachte Vorstellungen von Sportdidaktikern verstanden werden, die angeben, wie Sportunterricht und Schulsport pädagogisch begründet und gestaltet werden sollen (vgl. Balz, 2009, S. 25). In sportdidaktischen Systematisierungsversuchen werden solche normativen Entwürfe meist als Planungsdidaktik für die Gesamtkonzeption des Sportunterrichts (bzw. des Schulsports im weiteren Sinne) in allen Schulstufen und Schulformen ausgewiesen (vgl. Scherler, 2006, S. 294). Wenngleich sich die sportdidaktische Aufmerksamkeit inzwischen auch vermehrt auf die Gestaltung des Sportunterrichts in einer konkreten Schulform richtet (vgl. Stibbe, 2010, S. 259), liegt doch der Fokus in diesem Sammelband auf schulformübergreifenden didaktischen Konzepten und damit verknüpften Leitideen.
Pädagogisch-didaktische Leitideen werden als verdichtete Chiffren genutzt, um z. B. in Lehrplänen kompakt und konzis zu beschreiben, welche konzeptionelle Grundausrichtung von Sportunterricht vorherrscht. In der Sportdidaktik dienen Leitideen dazu, wesentliche Erziehungsziele sportdidaktischer Ansätze bündig zu umschreiben und von anderen Entwürfen abzuheben (vgl. z. B. Balz & Kuhlmann, 2003, S. 67). Gleichwohl können mit der gleichen Leitidee durchaus verschiedene Interpretationen verbunden werden.
Die Beiträge der Textsammlung sind drei Themenschwerpunkten zugeordnet: „Übersichten” (I), „Grundlagen” (II) und „Differenzierungen” (III). In Teil I („Übersichten”) werden Autoren zusammengefasst, die jeweils einen einführenden Überblick über die gegenwärtige Fachdiskussion zum Spektrum sportdidaktischer Positionen, zum Wandel curricularer Leitideen sowie zu Problemen und Gestaltungsmöglichkeiten eines kompetenzorientierten Sportunterrichts geben.
In diesem Sinne versucht Günter Stibbe in seinem Trendbericht, Vielfalt und Entwicklungstendenzen konzeptioneller Positionen in der aktuellen sportdidaktischen Diskussion zu bilanzieren. Er kommt zum Ergebnis, dass sportdidaktische Konzepte und Leitideen nach wie vor – nicht selten mit ritualisierten Argumentationsstrategien in Rede und Gegenrede – kontrovers diskutiert werden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich jedoch verschiedene Ansätze des erziehenden Sportunterrichts entwickelt, die – angeregt durch den curricularen Ansatz in Nordrhein-Westfalen – die Bildungs- und Erziehungsidee in unterschiedlicher Weise begründen und weiterführen. Dabei werden inzwischen auch verstärkt didaktisch-methodische Konsequenzen eines erziehenden Sportunterrichts reflektiert.
Heinz Aschebrock zeichnet wesentliche Entwicklungsstationen curricularer Leitideen in der (westdeutschen) Fachdidaktik des Schulsports vom Übergang der bildungstheoretisch orientierten Leibeserziehung zur Sportdidaktik Ende der 1960er-Jahre bis zur gegenwärtigen Kompetenzorientierung nach. Dabei wird in der Perspektive deutlich, dass die Verbindung zwischen der fachdidaktischen Leitkonzeption „erziehender Schulsport” und der bildungspolitisch stark forcierten Kompetenzorientierung für die Kernlehrpläne und den Unterricht aller Fächer die zentrale Herausforderung für die zukünftige sportdidaktische Theorienkonstruktion darstellen wird.
In der kritischen Analyse von André Gogoll und Dietrich Kurz geht es um Chancen und Grenzen der Modellierung und Umsetzung sportdidaktischer Bildungsvorstellungen in einem kompetenzorientierten Sportunterricht. Im Blick auf die Entwicklung der Handlungsfähigkeit von Schülern stellen sie Kriterien vor, an denen sich die Bildungsvorstellungen von Standards und Kompetenzmodellen im Fach Sport überprüfen lassen. Die Autoren sehen Kompetenzen als „Bausteine” der Handlungsfähigkeit an, die jedoch nur vom lernenden Subjekt in einem selbst gestalteten Bildungsprozess angeeignet werden können.
Der zweite Teil der Textsammlung („Grundlagen”) widmet sich grundlegenden sportdidaktischen Konzepten und Leitideen, die seit längerer Zeit die fachliche Auseinandersetzung bestimmen. Ziel der hier zusammengestellten Beiträge ist es, wesentliche Ideen, Merkmale und Weiterentwicklungen der jeweiligen Konzeption vorzustellen und in den allgemeinen Fachdiskurs einzuordnen.
Zu Beginn beschäftigt sich Albrecht Hummel mit dem Ansatz der körperlich-sportlichen Grundlagenbildung, den er als zeitgemäße Alternative zu anderen sportdidaktischen Entwürfen betrachtet. Die körperlich-sportliche Grundlagenbildung, die bereits Ende der 1960er-Jahre entstanden ist und um die Wende zu den 1990er-Jahren weiterentwickelt wurde, zeichnet sich durch eine enge Verflechtung mit trainingswissenschaftlichen Prinzipien des Übens, Trainierens und Belastens aus. Angesichts ihres pragmatischen Zuschnitts, der nicht mit einer pädagogischen Anspruchslosigkeit verwechselt werden dürfe, und der Aufnahme neuerer pädagogischer Impulse, hat sich diese Konzeption nach Ansicht des Autors bewährt.
Matthias Schierz und Jörg Thiele plädieren für eine Fortentwicklung der fachdidaktischen Leitidee der Handlungsfähigkeit, die in den Konzeptionen von Ehni und Kurz in unterschiedlicher Weise in den 1970er-Jahren begründet wurde. In Anbetracht der Veränderungen von Sport und Schule könne auf den Grundansatz der Handlungsfähigkeit heutzutage nicht einfach zurückgegriffen werden, sondern es bedürfe der aktualisierten Weiterentwicklung. Aus diesem Grund entwerfen sie Konturen eines Fachmodells, in dessen Mittelpunkt der Erwerb einer reflexiven Handlungsfähigkeit im Sportunterricht steht.
Für Eckart Balz und Peter Neumann erweist sich Mehrperspektivität als charakteristisches Merkmal eines zeitgemäßen Sportunterrichts. Sie interpretieren Mehrperspektivität als fachdidaktisches Prinzip, das in Verbindung zu Leitideen wie Bildung, Handlungsfähigkeit und Doppelauftrag steht, aber auch offen ist für Veränderungen, Ergänzungen und theoretische Vertiefungen. In diesem Kontext untersuchen sie die Bedeutung der Mehrperspektivität in der Unterrichtswirklichkeit und in Lehrplänen, um schließlich Gestaltungsmöglichkeiten eines mehrperspektivischen Sportunterrichts darzustellen.
Im Anschluss daran setzt sich Edgar Beckers mit der Kritik an den Prinzipien des erziehenden Sportunterrichts auseinander, die im...