»Was möchtest du später einmal werden?«, fragte mich mein Vater, als ich als Fünfjähriger auf der Rückbank in seinem Auto saß. Ich konnte es damals nicht formulieren, aber ich hatte zwei Bilder im Kopf: eine Bühne, auf der ich einen Vortrag halte, und schneebedeckte Berggipfel.
Jahre verstrichen, ich begann Psychologie und Fitnessökonomie zu studieren. Schon bald merkte ich: Die universitäre Art der Wissensvermittlung ist nicht meine Art zu lernen. Ich brach beide Studiengänge ab. Fortan untermauerte ich mein Wissen durch zahlreiche Zertifizierungen im Fitness-, Ernährungs- und Mentalbereich an verschiedenen Berufsakademien. Meinen Lebensunterhalt verdiente ich als selbstständiger Personal Trainer, indem ich in erster Linie Unternehmer abseits der gängigen Trainings in Fitnessstudios in ein gesünderes und körperlich aktiveres Leben begleitete. Die Traumbilder von damals flackerten dabei immer wieder auf und wurden wieder leise. Bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr kannte ich schneebedeckte Berggipfel nur aus dem Fernsehen. Ich war noch nie in den Alpen gewesen, bin nie länger als drei Stunden am Stück gewandert und besaß noch nicht einmal Wanderschuhe.
Wie der Kilimandscharo mein Leben verändert hat
2007 entschied ich mich, meine Traumbilder in die Realität zu tragen und meinen ersten Berg zu besteigen. Zwar besaß ich zu dieser Zeit nicht die finanziellen Mittel für große Reisen und eine teure Ausrüstung, aber ich hatte eine Idee: Warum nehme ich meine Klienten aus dem Personal Training nicht einfach mit und biete ihnen mit der Bergbesteigung ein Ziel, für das es sich zu trainieren lohnt? Ein Ziel, das kickt? Nach einer intensiven körperlichen und mentalen Vorbereitung stieg ich mit drei meiner Klienten auf das Dach von Afrika. Der Kilimandscharo war nicht nur der erste Berg, den ich jemals bestiegen habe, sondern auch der Startschuss einer siebenjährigen persönlichen und beruflichen Reise. Als ich nach einem langen und harten Aufstieg auf dem Gipfel stand, hatte ich das Gefühl, schon einmal dort gewesen zu sein. Es war ein so tiefes, starkes Gefühl, das mich in dieser kargen Landschaft, an diesem einsamen Punkt überkam. Noch nie war ich mir selbst so nah gewesen. Ich hatte mir meinen Traum erfüllt. Ich hatte es tatsächlich geschafft. Ich realisierte, dass es Orte und Momente gibt, die die Kraft haben, unser Leben zu verändern – und dass der Kilimandscharo ein solcher Ort ist. Ich wusste, davon will ich mehr!
Faszination Mount Everest
Direkt im Anschluss an die Kilimandscharo-Reise flog ich nach Mallorca, um mich zu regenerieren und den Ereignissen der Besteigung bewusst Raum zu geben. Ich wollte innehalten, die Erkenntnisse sacken lassen und mir darüber bewusst werden, was die Besteigung mit mir gemacht hatte – denn ich spürte, dass sich etwas in Gang gesetzt hatte, auch wenn ich damals noch nicht wusste, was es war. Ich spürte, mir diesen Traum erfüllt zu haben, gab mir Kraft.
Auf Mallorca sah ich im Fernsehen zufällig einen Trailer für die sechsteilige Filmdokumentation »Everest – Höllentrip in eisigen Höhen«. Ich glaube nicht an Zufälle und dachte: »Es ist wichtig, dass ich diese Dokumentation sehe!« Für die nächsten sechs Tage bestimmte das Fernsehen mein Abendprogramm. Ich plante alle anderen Aktivitäten um die Sendetermine herum. An sechs Abenden sog ich die Bilder und Stimmung der Bergsteiger in mich auf. Die Sherpas trugen Helmkameras, um auch in großer Höhe noch Bilder davon zu übermitteln, wie eine Gruppe von Bergsteigern versucht, das Dach der Welt zu besteigen. Alle hatten viel Zeit und Geld investiert, um für ihren Traum ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Laut Statistik bleibt einer von zehn Bergsteigern für immer am Berg. Auch in der Dokumentation hatten einige Erfolg, andere Pech, wieder andere legten eine für den Beobachter schier unglaublich scheinende Unvernunft an den Tag. Einer der Bergsteiger ließ sich nur hundert Meter unterhalb des Gipfels völlig entkräftet in den Schnee fallen. Er war unterkühlt, hatte kaum noch Sauerstoff in der Flasche – und widersetzte sich dennoch der vom Expeditionsleiter per Funk gegebenen Anweisung zum Umdrehen.
Obwohl er völlig am Ende war, wollte er weiter hoch, nicht zurück. Er war wie im Rausch. Wie so viele Bergsteiger hatte ihn das Gipfelfieber gepackt: Er war hundertprozentig auf den Gipfel fokussiert, aufgrund der höhenbedingten psychischen und physischen Beeinträchtigungen war er nicht mehr in der Lage, eine gesunde Entscheidung zu treffen. Ich fragte mich: »Hätte ich den Mut, mich den körperlichen und mentalen Herausforderungen einer Everestbesteigung zu stellen? Wäre ich in der Lage, den richtigen Zeitpunkt zum Umdrehen zu finden?« Ich wusste es nicht. Aber ich wollte herausfinden, wie groß die innere Ruhe und Zufriedenheit, wie groß sich der Stolz anfühlt, den ich nach solch einem Aufstieg in mir tragen würde.
Die Besteigung des Kilimandscharo hatte mir Mut gemacht, noch größer zu denken. Nun dachte ich über den höchsten Berg der Welt nach. Ich war beeindruckt, dass es Menschen gab, die für das Erreichen ihrer Träume ihr Leben aufs Spiel setzten. Die Faszination, die der Mount Everest seit Generationen ausübt, hatte auch mich gepackt. Während ich am Fernseher mitfieberte, wie die Expeditionsteilnehmer mit der Natur und vor allem mit sich selbst kämpften, entschied ich: Das will ich auch!
Die Entscheidung für die 7 SUMMITS
Schon auf dem Kilimandscharo mit seinen knapp 6.000 Metern Höhe fühlte ich mich am Limit meiner körperlichen und mentalen Möglichkeiten. Der Mount Everest als höchster Berg der Welt ist noch einmal knapp 3.000 Meter höher. Mir war bewusst: Das wird ’ne harte Nummer! Als Bergneuling fragte ich mich natürlich, wie ich mich auf diese Herausforderung vorbereiten könnte. Bei der Recherche stieß ich auf die 7 SUMMITS, die jeweils höchsten Berge der sieben Kontinente. Durch steigende Höhen und immer ungemütlichere Wetterverhältnisse stellt jeder SUMMIT höhere physische und mentale Anforderungen als sein Vorgänger.
Der erste Mensch, der erfolgreich alle Gipfel, alle 7 SUMMITS, bestiegen hatte, war 1985 der amerikanische Fotograf Dick Bass. Bis heute haben entsprechend einer Dokumentation des Niederländers Harry Kikstra (www.7summits.com) nur zweihundert Menschen die Tour von Dick Bass wiederholt. Lediglich fünf davon kamen aus Deutschland, hatten ein Durchschnittsalter von etwa 50 Jahren und haben gemittelt jeweils 14 Jahre für alle Aufstiege gebraucht. Reinhold Messner war der erste Bergsteiger, der ausnahmslos alle Gipfel ohne Sauerstoff bestiegen hat. Die bekannteste Persönlichkeit, die sich an den 7 SUMMITS versucht hat, dürfte Frank Wells gewesen sein. Der Disney-Präsident hatte bereits sechs Gipfel erreicht, als er wegen schlechten Wetters am Mount Everest umdrehen musste.
Nur vier Wochen nach meiner Kilimandscharo-Besteigung entschied ich über die nächsten sieben Jahre meines Lebens. Völlig aus dem Bauch heraus, ohne lange Recherche oder langes Abwägen beschloss ich, mich auf den Weg zu den jeweils höchsten Gipfeln unserer Kontinente zu machen. Es fühlte sich absolut richtig an, ich wollte die Traumbilder meiner Kindheit weiter realisieren. Ich wollte das Gefühl, das ich auf dem Gipfel des Kilimandscharo so intensiv erlebt hatte, wieder erleben. Ich hatte einen neuen, noch größeren Traum, auf den ich mich freute – auch wenn ich noch nicht genau wusste, wie der Weg dorthin aussehen würde.
Der Erste, mit dem ich meine lebensverändernde Entscheidung teilte, war noch auf Mallorca mein Freund Markus, der mich aus Köln besuchen kam. Indem ich ihm und später anderen von meinem Vorhaben erzählte, schaffte ich für mich selbst Verbindlichkeit. Ich wusste: »Jetzt geht es wirklich los.« Das Vorhaben, alle 7 SUMMITS zu besteigen, würde zu meinem Lebensmittelpunkt werden.
Ein Selbstversuch mit hohem Risiko und ohne Erfolgsgarantie
Bei der 7 SUMMITS Tour geht es mir nicht darum, mich mit anderen Bergsteigern zu messen, indem ich schneller bin oder kompliziertere Routen gehe. Es geht mir auch nicht darum, nach dem in der Bergsteiger-Szene oft anzutreffenden Höher-schneller-weiter-Prinzip die höchsten Gipfel der Welt zu erreichen. Für mich ist die 7 SUMMITS Tour ein siebenjähriges Lernprojekt: ein Selbstversuch mit hohem Risiko und ohne Erfolgsgarantie. Ich glaube, nur wenn wir etwas Neues machen, können wir auch etwas Neues lernen. Ich bin überzeugt, dass Schritte ins Ungewisse notwendig sind, um sich als Mensch weiterzuentwickeln. Und das ist das, was ich möchte.
Vielleicht hätte ich auch andere Dinge ausprobieren können, um Lernerfahrungen zu provozieren: ein Jahr lang als Selbstversorger alleine im Wald leben, die Welt umsegeln oder in ein Kloster gehen. Letztlich aber war es das Gefühl auf dem Gipfel des Kilimandscharo, das mich weiter auf die Berge zog. Schließlich ist auch das Leben mit all seinen...