II.
Vorgeschobene Begründungen, unangemessene Erhöhungen: Kritik der einzelnen Teile der Änderungsgesetze
1. Zu hohe Entschädigung
Die Diätengesetze von 2008 und 2010
Der Stuttgarter Landtag hatte 2008 beschlossen, die staatliche Altersversorgung künftig zu beseitigen und es den Abgeordneten zu überlassen, sich eine private Altersversorgung zu beschaffen; dazu wurde der Vorsorgebeitrag eingeführt (der heute 1679 Euro beträgt);12 Abgeordnete, die zum Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Mai 2011 bereits eine Anwartschaft auf eine Versorgung nach dem bis dahin geltenden Recht erlangt hatten – dafür waren damals acht Parlamentsjahre erforderlich –, kamen weiterhin in den Genuss einer späteren Staatspension.13 Man war sich im Landtag darüber im Klaren, dass die Regelung für neue Abgeordnete eine Verschlechterung der Altersversorgung mit sich brachte, sah darin aber einen Gewinn für die Transparenz.14
Auch um den Abbau der Altersversorgung zu kompensieren,15 erhöhte der Landtag gleichzeitig das Gehalt der Abgeordneten, die sogenannte Entschädigung, um 31,5 Prozent: von 4750 auf 6247 Euro.16 2011 bewilligte der Landtag sich – entgegen dem Votum der Grünen – eine weitere Erhöhung: auf 6462 Euro.17
Auch Alt-Abgeordnete wie der heutige Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion Reinhold Gall18 und der heutige Ministerpräsident Winfried Kretschmann kamen in den Genuss der erhöhten Entschädigung, obwohl sie weiterhin Anspruch auf eine üppige staatliche Versorgung hatten.
Die erhöhte Entschädigung trat zum 1. Mai 2011 in Kraft. Der Landtag von Baden-Württemberg bezeichnet sich seitdem als Vollzeitparlament,19 obwohl die Gewährung einer Vollalimentation keineswegs bedeutet, dass der Landtag auch zum Vollzeitparlament geworden ist. Das hat auch der Rechnungshof nachdrücklich festgestellt.20
Die Wiedereinführung der staatlichen Altersversorgung – Ein Wortbruch
Auch die seit 2011 in den Landtag eingetretenen Abgeordneten sollten wieder eine üppige, allein vom Steuerzahler finanzierte Altersversorgung haben – darum ging es den Fraktionen der Grünen, der CDU und der SPD bei ihren Beschlüssen vom 9. und 10. Februar 2017, mit denen sie zur Staatsfinanzierung zurückkehren wollten. Begründet wurde der Schritt mit der Benachteiligung der neuen Abgeordneten und mit dem niedrigen Zinsniveau, das die Altersversorgung weiter gemindert habe.21
Das hatte jedoch einige Schönheitsfehler, allen voran wurde die vorangegangene Erhöhung der Entschädigung nicht zurückgenommen, obwohl sie ausdrücklich mit der Einrichtung einer privaten Vorsorge begründet worden war – und mit der Rückkehr zur staatlichen Altersversorgung entfiel dieser Grund ja nun. Zudem war die Benachteiligung neuer Abgeordneter bereits bei der Abschaffung der damaligen Altersversorgung durchaus bekannt gewesen und bewusst in Kauf genommen worden.22 Und schließlich leiden unter den niedrigen Zinsen auch Bürger, die – etwa durch Versicherungen – für ihr Alter vorsorgen.
Die Wiedereinführung der staatlichen Altersversorgung stellt einen Wortbruch gegenüber der Öffentlichkeit dar. Denn man hatte sich damals damit gebrüstet, dass man das umsetze, was in der Öffentlichkeit immer wieder gefordert worden war.23 Zugleich kommt die Wiedereinführung der Altersversorgung auch für neue Abgeordnete einer Rosinenpickerei gleich, die für die betroffenen Abgeordneten höchst lukrativ ist: Konsequenterweise hätte die Entschädigung nämlich jetzt wieder abgesenkt werden müssen, um die seinerzeitige Erhöhung um 31,5 Prozent ungeschehen zu machen. Doch dieser eigentlich zwingenden Logik konnte das Parlament in eigener Sache nichts abgewinnen. Auch früher hatte man ja schon Rosinenpickerei betrieben: Als die Entschädigung zum Ausgleich für die Abschaffung der Altersversorgung aufgestockt worden war, hatten Alt-Abgeordnete die erhöhte Entschädigung bekommen, obwohl sie die staatliche Altersversorgung behalten hatten.
Im Gesetzentwurf vom 8. Februar 2017 wurde die Nicht-Absenkung der Entschädigung gar nicht erwähnt, geschweige denn begründet.24 Die Anlehnung an die Versorgungsregelung des Bundes, mit der die Einführung der Altersversorgung begründet wird,25 ist aus der Luft gegriffen und vergleicht Äpfel mit Birnen. Der Status von Bundestags- und Landtagsabgeordneten unterscheidet sich fundamental: Der Bundestag ist ein Vollzeitparlament, der Landtag von Baden-Württemberg ist dagegen in Wahrheit ein Teilzeitparlament geblieben, das sehr viel geringere Aufgaben hat als der Bundestag (siehe hier).
Nachgeschobene Begründungsversuche
Vergleich von Pro-Kopf-Kosten? – Nicht stichhaltig!
Später wurde das Argument nachgeschoben, Baden-Württemberg liege mit den Kosten des Parlaments pro Kopf der Bevölkerung auch nach der Neuregelung immer noch unter dem Länderdurchschnitt.26 Doch darauf kann es nicht ankommen, wenn es um den angemessenen finanziellen Status von Abgeordneten geht.
Vergleich mit anderen Bundesländern? – Hochschaukeln!
Im Übrigen taugt ein Vergleich mit anderen Bundesländern von vornherein nicht. Alle Parlamente entscheiden über ihre Diäten in eigener Sache, und sie haben sich im Laufe der Jahre gegenseitig hochgeschaukelt. So hatte der Bayerische Landtag, an dem die baden-württembergischen Kollegen sich erklärtermaßen orientierten, als sie 2008 die Entschädigung um fast ein Drittel erhöhten,27 seine Vollalimentation in einem Camouflage-Gesetz unter Ausschaltung aller Kontrollen erschlichen. Dabei wurde auch die Tatsache stillschweigend übergangen, dass die Bayerische Verfassung Abgeordneten lediglich eine »Aufwandsentschädigung« zubilligt, also erkennbar von einer nebenberuflichen, wenn nicht sogar ehrenamtlichen Mandatstätigkeit ausgeht.28
Auch hessische Landtagsabgeordnete kommen nicht als Vorbild in Betracht.29 Sie erhalten aktuell zwar eine ebenso hohe Entschädigung wie ihre Kollegen in Baden-Württemberg. Aber auch das hessische Abgeordnetengesetz weist einen schweren Geburtsfehler auf, denn das überzogene Niveau der Entschädigung in Hessen beruht ebenfalls auf einer unzutreffenden Argumentation: Hier wollten die Abgeordneten die Höhe ursprünglich am durchschnittlichen Einkommen hessischer Freiberufler ausrichten. Bei der Festsetzung der Entschädigung hatten sie aber nicht berücksichtigt, dass Freiberufler ihre Altersversorgung selbst finanzieren müssen, während hessische Abgeordnete ohne eigene Beiträge in den Genuss einer staatlich finanzierten Versorgung kommen.30
Der Vergleich etwa mit Bayern und Hessen zeigt, dass nicht baden-württembergische Abgeordnete sich vor der Erhöhung zu wenig, sondern dass die anderen sich zu viel bewilligt hatten.
Auch wenn der Bundestag in Wahrheit kein geeignetes Vergleichsmodell für den Landtag von Baden-Württemberg abgibt,31 sei doch erwähnt, dass auch er die Entschädigung seiner Volksvertreter auf höchst anfechtbare Weise hochgesetzt hat. Nach dem Diätenurteil von 1975 verdoppelte er sie kurzerhand.32 Und nachdem der Versuch, die Angleichung der Entschädigung an die Bezüge von Bundesrichtern im Wege einer Grundgesetzänderung zu erreichen, 1995 am Veto des Bundesrats gescheitert war,33 setzte der Bundestag dies 2014 – ohne Grundgesetzänderung – mithilfe einer dafür ausgewählten Diätenkommission durch.34
Abdeckung erhöhten Risikos? – Inexistent!
Ein weiteres Argument der Initiatoren des Gesetzes lautet, Abgeordnete, die ja nur auf Zeit gewählt sind, gingen ein hohes Risiko ein, nach dem Ende des Mandats in ihrem eigentlichen Beruf nicht mehr Fuß zu fassen.35 Auch dieses Argument trägt nicht.
Schauen wir uns die verschiedenen Gruppen von Abgeordneten einmal näher an: Abgeordnete aus dem öffentlichen Dienst, das heißt Beamte und öffentliche Angestellte sowie ihnen insoweit gleichgestellte Richter, haben nach dem Ende ihres Mandats ein gesetzlich verbrieftes Rückkehrrecht in ein Amt mit mindestens demselben Endgrundgehalt.36 Dabei wird die Mandatszeit auf die laufbahnrechtlichen Dienstzeiten angerechnet.37
Angestellte, die Abgeordnete werden, dürfen nicht gekündigt werden,38 können ihren Beruf also, zumindest teilweise, noch weiterführen und daraus sogar eine zusätzliche Versorgung erwerben. Auch Selbstständige und Freiberufler profitieren von dem einmaligen Privileg aller Abgeordneten, zusätzlich zu ihrem Mandat noch einen privaten Beruf ausüben und daraus rechtlich unbeschränkt Einkommen beziehen zu dürfen. Viele dürften diese Möglichkeit nutzen und weiterhin ein möglicherweise hohes Einkommen beziehen, was nur dadurch verborgen bleibt, dass eine entsprechende Publikationspflicht in Baden-Württemberg bisher fehlt (siehe hier). Die Höhe der privaten Einnahmen mancher der zahlreichen Rechtsanwälte, Geschäftsführer, Consultants etc. könnte für die...