ARMIN MOHLER – DIE ERFINDUNG EINER TRADITION
Ein ganz anderes Geburtsdatum einer Neuen Rechten, lange vor dem symbolischen »1968«, ergibt sich aus der Betrachtung von Leben und Werk des Schweizers Armin Mohler, um den sich diverse Legenden ranken. Wie die gesamte Strömung changierte er zeit seines Lebens zwischen Nationalsozialismus, europäischem Faschismus und Radikalkonservatismus. Seine Schriften zählen zum weltanschaulichen Kanon und werden zu jeder sich bietenden Gelegenheit in neurechten Debatten zitiert. Mohlers persönlicher Einfluss auf die Akteure der Neuen Rechten ist kein Geheimnis. Karlheinz Weißmann beschrieb das gegenseitige Verhältnis als das von Lehrer und Schüler und wurde schließlich Mohlers Biograph. Das Buch erschien im Verlag Kubitscheks, der wiederum bei Mohlers Beerdigung 2003 als »Vertreter« von dessen »letzter Schülergeneration« sprach.1 Kurzum, Mohlers Name genießt Autorität und sein Werk ist ein weiterer Schlüssel zur Genese einer Neuen Rechten. Weißmann urteilte gar: »Mit dem Tod Armin Mohlers ist eine Epoche in der Geschichte des Konservatismus der Nachkriegszeit zu Ende gegangen. Stärker als jeder andere Vertreter der rechten Intelligenz hat er prägend gewirkt.«2 Ob er tatsächlich »epochale« Wirkung, zumal für den Konservatismus, hatte, sei dahingestellt. Denn Mohler hatte dessen Diskursrahmen eigentlich stets gesprengt. Diese Taktik, unter der Fahne des Konservativen die Grenzen bis weit in faschistisches Gelände hinein zu verschieben, wenden seine Epigonen bis heute an. Nicht nur deshalb wirkte er für die deutsche Nachkriegsrechte zweifellos als ein unverzichtbarer Autor und Netzwerker. Vor allem aber stiftete er ihr einen Mythos, mit dem sie nach der Niederlage des Deutschen Reiches 1945 einen Neubeginn wagen konnte. Es war der Mythos einer »Konservativen Revolution«.
»MONUMENTALE UNTERERNÄHRTHEIT«
Armin Mohler hatte bereits ein bewegtes Leben hinter sich, als er zu einem der zentralen Denker der äußersten Rechten wurde. Begonnen hatte die politische Biographie des 1920 Geborenen in Basel, das in der Vorkriegszeit einen »roten« Ruf genoss. Der junge Mohler will dort Kontakt mit linksintellektuellen Studentenkreisen gepflegt haben, was ihm zeitlebens den Nimbus eines marxistischen Konvertiten einbrachte. Es ist allerdings wahrscheinlicher, dass die Geschichte von der linken Studentenzeit vor allem dem Zweck diente, sich interessant zu machen. Günter Maschke jedenfalls, ein ehemaliger APO-Aktivist, der den Weg vom Marxismus in die Neue Rechte selbst beschritten hatte, merkte dazu einmal an, Mohlers linke Vergangenheit könne »unmöglich stimmen«. Gleichwohl er Mohler kannte und durchaus schätzte, wies Maschke zu Recht darauf hin, dass dessen Repertoire keinerlei Spuren marxistischer Begriffe enthalten habe, wie es bei »Überläufern« wie ihm selbst gang und gäbe gewesen sei. Vielmehr glaube er, »daß seine Kenntnis des Marxismus sehr bescheiden war, fast null«.3 Tatsächlich hat sich Mohler nur wenig mit marxistischer Theorie befasst. Sein Hauptfeind war, wie er immer wieder betonte, der Liberalismus, dem er den Marxismus kurzerhand zuschlug. Die Modelle beider Großmächte galten ihm als Gleichmacherei, die die natürlichen Hierarchien unter den Menschen zerstörten. »Wir werden alles nur Menschenmögliche tun, um nie zwischen Ost und West, zwischen Liberalismus und Kommunismus wählen zu müssen«, schrieb in dieser Tradition Mohlers Freund Alain de Benoist. Egalitarismus sei eine typische Zerfallserscheinung, der man entschieden begegnen müsse: »Jede Diktatur ist verächtlich, aber verächtlicher noch ist jede Dekadenz. Eine Diktatur kann uns morgen als Individuen vernichten. Dekadenz jedoch vernichtet unsere Überlebenschancen als Volk.«4 Letztlich fochten Mohler und seine Schüler einen Kampf gegen den Universalismus der Aufklärung, der ihnen als Grundlage aller egalitärer Konzepte galt.
Als zentrales Ereignis in Mohlers jungen Jahren nennt dieser selbst auch keine klassenkämpferischen Aktionen oder Lektüren, sondern den Versuch, sich als Schweizer Freiwilliger in den Reihen der Waffen-SS dem Kampf des Deutschen Reichs gegen die Sowjetunion anzuschließen. Rückblickend schilderte er diese Episode als eine spontane Entscheidung zur Tat, die er in die Legende seiner linken Anfänge einbettete: »[D]ieser Moment während des Krieges, 1941, wo meine Mutter ins Zimmer kommt und mir, dem linken, antifaschistischen Studenten sagt, die Deutschen sind in Rußland einmarschiert. Das hatte nichts mit Antikommunismus zu tun. Ich hatte einfach das Gefühl, jetzt geht’s um die Wurscht! und: da gehörst du irgendwo hin. Meine größere Identität, die über die bloße Heimat hinausging, das war eben doch Deutschland. Das war auch die Zeit, wo ich [Ernst] Jünger zu lesen begann. So kam ich an den ›Arbeiter‹, und der wirkte derart explosiv, daß ich dann das Buch zumachte und am 5. Februar über die Grenze nach Deutschland ging.«5
Für einen angeblichen Linken war das ein überraschender Schritt. Mohler begründet ihn damit, dass ihm das Leben in der Schweiz schlicht zu langweilig geworden sei und er sich nach einer mannhaften Bewährung gesehnt habe. Die Entscheidung, so will es das sorgsam gehegte Legendengebäude um Mohler, sei daher keine politische für das nationalsozialistische Deutschland, sondern eine geradezu transzendente für das »ewige Reich« gewesen. Sie galt, wie Karlheinz Weißmann schreibt, nie nur »Deutschland als Machtstaat«, sondern »Deutschland als geistige[m] Prinzip, als metaphysische Größe, als Heilmittel für die ›monumentale Unterernährtheit‹«.6 Damit stilisierte Mohler seinen illegalen Übertritt auch zu einer geistigen Grenzquerung. Im Deutschen Reich hoffte er alle Erhabenheit zu finden, die ihm unter den Eidgenossen fehlte.
Der junge Überläufer kam zunächst in das Stuttgarter Panoramaheim, eine Sammelstelle für Freiwillige, die Schweizer Nationalsozialisten in Zusammenarbeit mit der SS betrieben. Allerdings erreichte er nie sein Ziel, in deutscher Uniform gegen die Sowjetunion zu kämpfen. Die genauen Gründe dafür sind nicht bekannt, überliefert sind nur Mohlers eigene Darstellungen. Gegenüber dem Landgericht Bonn gab er 1969 zu Protokoll, ihn habe das Interesse deutscher Vernehmungsbeamter an der Bewaffnung Schweizer Grenzgarnisonen und an innenpolitischen Aktivitäten der Schweiz abgeschreckt. Er habe Soldat und nicht Spitzel werden wollen. Zudem, so Mohlers Selbstdarstellung, störten ihn die deutsche Bürokratie und die »Kommissartypen« in den Reihen der SS.7 Kurzum, das Abenteuer verlief nicht in den erwarteten heroischen Bahnen, weshalb Mohler sich statt an die Ostfront nach Berlin begab, um dort Kunstgeschichte zu studieren.
In der Reichshauptstadt, so schrieb er 1969, sei er in »konservative« Kreise gekommen, die »kritisch zum Nationalsozialismus eingestellt« gewesen seien. Durch diesen Umgang habe er auch von den »Massenvernichtungen« im Osten gehört und daher nicht mehr mit »hundertprozentige[r] Überzeugung« hinter der deutschen Sache gestanden.8 Desillusioniert sei er schließlich in die Schweiz zurückgekehrt. Später, das sei hier bereits erwähnt, sollte er jedoch scharf gegen eine kritische Aufarbeitung des Nationalsozialismus polemisieren. Denn seiner Ansicht nach hätten die Deutschen »allenfalls Einfluß darauf, wie sie bewältigen. Ob sie überhaupt bewältigen müssen, wird vorerst noch von außen entschieden.«9 Auch seine Parteinahme für Holocaust-Leugner lässt an seiner Berliner Legende zweifeln.
Ohnehin beschrieb Mohler Jahrzehnte später ein anderes Ereignis in dieser Zeit, das so gar nicht zum »kritischen« Blick auf die SS passen will. In einem ausführlichen Interview berichtete er von einer Art paneuropäischem Erweckungserlebnis, das ihn auf einem Sommerlager 1942 an der Ostsee ereilt habe. Dort sei unter nationalsozialistischer Schirmherrschaft eine »Internationale der Jugend« aus verschiedenen nationalistischen Organisationen Europas versammelt gewesen. Daran teilgenommen hätten mitten im Krieg Flamen, Wallonen, Dänen, Spanier, Holländer und Franzosen, selbst Briten seien angereist, um »ein Europa freier Nationen« zu schaffen. Für Mohler war das eine Ansammlung der europäischen Elite, die eine endgültige und lebenslange Entscheidung bewirkte: »[V]on da an war ich Wahldeutscher.«10 In dieser Schilderung ist die zum »europäischen Geist« glorifizierte multinationale Konzeption der Waffen-SS unübersehbar, die im Europagedanken des westeuropäischen Faschismus ihre Entsprechung hatte.11 Dies stellt das europapolitische Erbe...