Seit Beginn der Industrialisierung Anfang des 19. Jahrhunderts ist die wirtschaftliche Entwicklung des Saarlandes „untrennbar mit der Montanindustrie, d.h. dem Bergbau und der Eisen schaffenden und verarbeitenden Industrie, verbunden“ (LERCH 2007, S. 125). Daher können die erste Kohlekrise und die erste Stahlkrise als Ausgangspunkt des saarländischen Strukturwandels gesehen werden (vgl. ebd., S. 125f.). Noch heute erinnern die verbliebenen Großbetriebe der Montanindustrie, Altindustriestandorte, aufgegebene Förderstandorte und Bergarbeitersiedlungen an diese Zeit (vgl. HARTZ 2007, S. 47). Neben dem wirtschaftlichen Strukturwandel hat zusätzlich der demographische Wandel zu verschiedenen Schließungen geführt und auch die in Kapitel 2 angesprochenen Umstrukturierungen der Deutschen Bahn haben sich auf Saarbrücken in Form von Stilllegungen von Bahnanlagen ausgewirkt (siehe Kapitel 5).
Die Folge ist, dass eine Neuinterpretation der Stadtlandschaft notwendig wird. Hierbei kommt es zu einem Bedeutungsgewinn des Unfertigen und Temporären (vgl. ebd., S. 52). „Die Gründe liegen in erster Linie in der Beschleunigung von Strukturwandel und Nutzungszyklen sowie in der wachsenden Vielfalt und Heterogenität gesellschaftlicher Anforderungen an urbane Räume“ (ebd., S. 52).
Eine Neuinterpretation ist auch deshalb notwendig, da die traditionelle lineare Planungslogik der Nachnutzungen im Sinne eines „Industrie- oder Bergbaustandort alt – Gewerbe neu“ heute aufgrund des großen Flächenangebotes und der geringen Nachfrage nicht mehr zutrifft (vgl. ebd., S. 52).
So kam es u.a. ab den 1980er Jahren zu einer Auseinandersetzung mit den Relikten der stillgelegten Hüttenwerke. Beispiele hierfür (innerhalb des Regionalverbands Saarbrücken) sind die hochwertigen Umnutzungsbeispiele der Völklinger Hütte, der Erhalt der besonderen Bauten wie der Elektromotorenzentrale 2 und der Kohlenbrechanlage von 1897 der Burbacher Hütte, welche als Einzelobjekte unter Denkmalschutz stehen und heute im Rahmen ihrer Umnutzung Verbindungsglieder zwischen der Vergangenheit des ehemaligen Hüttenstandorts und des neuen Gewerbestandorts darstellen, sowie die Brachflächen der Halberger Hütte in Brebach, die weiter zu industriellen Zwecken genutzt werden (vgl. BÖCKER 2007, S. 41f.).
Nicht zu unterschätzen ist die sehr hohe identitätsstiftende Bedeutung der Bauten der hochindustriellen Epoche für das Saarland (vgl. ebd., S. 43).
Bereits seit Anfang der 1970er Jahre gab es im Saarland Strömungen in Politik und Gesellschaft, die den Erhalt solcher historischer Bauten und Strukturen zum Ziel hatten. Ein prominentes Beispiel hierfür waren u.a. die Diskussionen um den in den Jahren 1971 bis 1973 geplanten Abbruch der Saarbrücker Bergwerksdirektion. Dem Gebäude wurde im Rahmen der Bestrebungen des Eigentümers, dort ein Kaufhaus zu errichten, erstmals eine größere Würdigung zuteil. Das mit den Diskussionen einhergehende erhöhte gesellschaftliche Interesse sorgte für eine kunsthistorische Neubewertung des Gebäudes. Schließlich wurde der Bau von den Saarbergwerken saniert (vgl. ebd., S. 33f.) und bildet auch heute integrierter Gebäudeteil der 2010 eröffneten EUROPA-Galerie einen historischen Ankerpunkt.
Industriebauten und –areale, die keine Umnutzung erfahren, werden oftmals als ‚Schandflecken‘ betrachtet (vgl. ebd., S. 43). Wenn eine rein gewerbliche Nachnutzung nicht zu finden ist, können auch hier Kunst und Kultur aktivierend wirken, denn „künstlerische Aktionen fordern zum Perspektivwechsel auf: Aus alltäglichen Situationen werden besondere Orte – auf Zeit. Auch wenn diese Aktionen zeitlich begrenzt sind, so hinterlassen sie dennoch neue Bilder der Landschaft und tragen dazu bei, Räume für die Menschen zu ‚öffnen‘“ (HARTZ 2007, S. 53). Dies zeigt sich in Saarbrücken auch deutlich durch die kulturelle Zwischennutzung der untersuchten Standorte durch das Festival Perspectives wie in Kapitel 5 verdeutlicht wird.
Das Stadtgebiet Saarbrücken verfügt aktuell über rund 170 Hektar Brachflächen (vgl. GIU, Email MEISER, 28.11.14). Allerdings handelt es sich hierbei nur noch in wenigen Fällen um Brachen im großindustriellen Bereich. Hierzu zählen beispielsweise die Flächen der Halberger Hütte (vgl. LEG, Interview KLEIN, 17.11.14). Insgesamt gehen innerhalb Saarbrückens große, zusammenhängende Areale, die brachliegen, zur Neige (vgl. GIU, Interview SCHÄFER, 24.11.14).
Innerhalb der Stadt könnte ein Großteil dieser Brachflächen wiedergenutzt werden, da bspw. die alten Industriestandorte, aber auch kleinere Gewerbegebiete gut erschlossen sind und in den meisten Fällen über eine Anbindung an das Verkehrsnetz verfügen – im Gegensatz zu den ehemaligen Grubenstandorten der RAG, welche nicht an den Hauptverkehrsachsen, sondern z.B. im Warndt liegen. In Saarbrücken ist die Situation damit konträr zum restlichen Saarland, wo eine Wiedernutzung unter logistischen und betriebswirtschaftlichen Betrachtungen oftmals schwieriger umzusetzen ist (vgl. LEG, Interview KLEIN, 17.11.14).
Problematisch bei vielen industriellen Brachflächen – unabhängig von einer Lage innerhalb oder außerhalb der Stadt – sind jedoch die Altlasten. Die Kosten für deren Beseitigung sind oftmals kaum abzuschätzen und viele Investoren sind auch nicht bereit, diese komplett zu tragen, sondern erwarten eine Beteiligung seitens des Veräußerers. Dadurch wurde und wird in einigen Fällen eine Wiedernutzung verhindert oder verzögert. Beispiele hierfür sind Teile des Industriegebiets Halberger Hütte (vgl. ebd.), aber auch die ehemalige Farbenfabrik Becolin, unter der vier Tanks vergraben sind, deren Beseitigung mit Auflagen des Landesamts für Umwelt- und Arbeitsschutz verbunden sind und ein unkalkulierbares finanzielles Risiko darstellen. (vgl. LHS, Telefonat SCHÖNTHALER, 17.11.14 und GIU, Interview SCHÄFER, 24.11.14, mehr zu dem Standort Becolin in Kapitel 5).
Ein weiteres Problem stellt die Finanzierung des Flächenrecyclings dar, denn die neue Nutzung muss geplant, die Fläche entwickelt – sprich Anpassung oder Wiederherstellung der Infrastruktur, Ver- und Entsorgung, Bau von Immobilien etc. – werden. Jedoch ist es im Saarland, das keine strukturstarke Region ist, meistens nicht möglich, die Entwicklung von Flächen kostendeckend zu realisieren, denn die erzielten Grundstückspreise bei der Veräußerung liegen in der Regel unterhalb der Entwicklungskosten. So würde z.B. jeder Quadratmeter Verkaufsfläche am Eurobahnhof (mehr zu diesem Standort in Kapitel 5) 300 Euro kosten, wenn die Entwicklungsmaßnahmen auf die Fläche umgelegt werden. Allerdings erzielen die dortigen Grundstücke lediglich einen Verkaufspreis von 120 bis 150 Euro pro Quadratmeter. Daher sind die Firmen, die für die Projektentwicklung zuständig sind, auf Zuschüsse angewiesen. Diese werden z.T. durch Gelder aus dem EFRE-Programm, einem Förderprogramm der EU, aber auch mit Landesanteilen gezahlt. Dennoch bleibt trotz dieser Subventionen häufig noch eine Differenz zwischen Entwicklungsmaßnahmen und Verkaufspreis bestehen, die von der Stadt Saarbrücken gezahlt wird (vgl. GIU, Interview SCHÄFER, 24.11.14). Da auch hier die finanziellen Mittel begrenzt sind, werden manche Projekte, die sich wirtschaftlich nicht selbst tragen, schließlich doch nicht umgesetzt (siehe auch Standort Altes Stadtbad, Kapitel 5).
Die stadtplanerischen Aufgaben, Immobilienwirtschaft und das dazugehörige Projektmanagement werden in Saarbrücken vor allem von zwei Gesellschaften organisiert, der Landesentwicklungsgesellschaft Saarland mbH (LEG) und der Gesellschaft für Innovation und Unternehmensförderung mbH (GIU).
Im Folgenden werden beide Gesellschaften kurz vorgestellt, voneinander abgegrenzt und ihre Rolle hinsichtlich der Saarbrücker Brachflächen und –immobilien beschrieben.
Die LEG Landesentwicklungsgesellschaft Saarland mbH ist ein Dienstleistungsunternehmen der Immobilienwirtschaft (vgl. LEG o.J., web). Traditionell war die Aufgabe der Landesentwicklungsgesellschaften, die Anfang des letzten Jahrhunderts entstanden sind, die Schaffung von Wohnraum, insbesondere in der Nachkriegszeit bis in die 1970er Jahre. In den folgenden Jahrzehnten hat sich das Aufgabenfeld der LEG zur Projektentwicklung gewandelt (vgl. LEG, Interview KLEIN, 17.11.14). Die Gesellschaft bearbeitet für Kommunen, Institutionen und andere öffentliche Auftraggeber Projekte und dient als Vermittler an den öffentlich-privaten Schnittstellen des Immobilien- und Projektmanagements. Außerdem ist die LEG Saar auch als Projektentwickler und Bauträger auf dem privaten Immobilienmarkt tätig. Weitere Tätigkeitsfelder sind nachhaltiges Flächenmanagement, integrierte Projektentwicklung sowie Projektentwicklung großflächiger...