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E-Book

Die Blumen der Mode

Klassische und neue Texte zur Philosophie der Mode

AutorBarbara Vinken
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl640 Seiten
ISBN9783608100310
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Mode und Kleidung als vielschichtiges Mittel des Selbstausdrucks und der Kommunikation fasziniert Schriftsteller, Philosophen und Soziologen gleichermaßen. Der Band versammelt 45 essentielle Schriften vom 18. bis zum 21. Jahrhundert, jeweils kenntnisreich eingeleitet von Barbara Vinken. Schon immer haben die Menschen mit der Art, sich zu kleiden, mehr intendiert, als ihre Blöße zu bedecken und den Körper zu wärmen. Repräsentation und Rang, Distinktion und Individualität, Männerbilder und Frauenrollen spiegeln sich in Kleidung, Mode, Schmuck. Entsprechend vielfältig und faszinierend tiefgründig präsentiert sich das Nachdenken über Mode quer durch die Jahrhunderte. Der Band versammelt, beginnend mit Mandeville und Jean-Jacques Rousseau, sowohl klassische Texte als auch die führenden zeitgenössischen Gedanken zu einem Thema, dessen kulturelle Bedeutung heute immer klarer erkannt wird. Jedem Text sind einleitende Worte der Herausgeberin vorangestellt, welche die Hintergründe, zeittypischen Ideen und Menschenbilder beleuchten.

<p>Barbara Vinken ist Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und unterrichtete zuletzt in New York, Paris und Chicago. Sie schreibt für »DIE ZEIT«, »NZZ« und »CICERO« und ist häufig im Fernsehen zu Gast. 2013 wurde ihr Buch »Angezogen« für den Preis der<br />Leipziger Buchmesse nominiert.<br /></p>

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Leseprobe

BERNARD
MANDEVILLE


1714

Mandevilles Kommentar zu seiner Bienenfabel ist einer der erstaunlichsten Texte zu Luxus und Mode; seine Betrachtungen sind in immer neuen Varianten zum Grundstock einer Soziologie der Mode geworden. Mandeville argumentiert in der Linie der großen französischen Moralisten. Eigeninteresse und Selbstliebe, die zu Stolz und Eitelkeit führen, sind lasterhafte Antriebsfeder eines jeden Menschen. Fast jeder verkennt diese Antriebsfeder und ist sich und seinem Verhalten gegenüber blind; aber – und hier weicht Mandeville von den Moralisten wie La Bruyère oder La Rochefoucauld ab – das ist gut so. Denn Stolz und Eitelkeit verdanken wir das Blühen der Volkswirtschaft. So manchem mag schummerig werden, wenn frivole, gaukelhafte Täuschung, der blendende Schein, ja, das Vergänglichste, Wankelmütigste schlechthin, die vanitas nämlich, zur Grundlage einer soliden Wirtschaft, zum Fundament des Reichtums einer Nation werden soll: Schall und Rauch.

Eigeninteresse und Selbstliebe als Nährboden aller anderen Laster sind Sünden – aber sie sind der Nation nützliche, ja notwendige Laster. Anders als Voltaire, der wenig später den Luxus für eine wunderbare Sache halten sollte, weil er nicht nur die Volkswirtschaft befördert, sondern den Menschen vervollkommnet und ins verlorene Paradies zurückversetzt, hält Mandeville an der blinden, verblendeten Sündhaftigkeit als Grund des Luxus fest. Alle anderen, üblicherweise vorgebrachten Argumente für gutes Anziehen, wie etwa Respekt vor dem Berufsstand oder Höflichkeit dem anderen gegenüber, hält er für bloße Ausreden, die den wahren Beweggrund eskamotieren.

Aber an Eigeninteresse und Selbstliebe soll man um Himmels willen nicht rühren. Denn was für den Einzelnen unter moralischen Gesichtspunkten verheerend, ist für die Wirtschaft unter ökonomischen Gesichtspunkten nötig. Aus Lastern erwächst Wohlstand, Stärke und Wehrhaftigkeit einer Nation. Stolz und Eitelkeit führen zu einer großen Nachfrage, die Arbeitslosigkeit verhindert. Nicht Sparsamkeit, sondern Verschwendung, die später bei dem Ökonomen Keynes deutlich freundlicher »effective demand« heißen sollte, ist für eine Volkswirtschaft nötig. Verschwenderische Verausgabung führt nach Mandeville nicht zu weibischer Dekadenz, wie Montesquieu und später Rousseau argumentieren, sondern zu ökonomischer Vitalität und Wehrhaftigkeit des Staates.

Unter Stolz versteht Mandeville blinde Selbstüberschätzung; die Moden sind das Medium, in dem diese Selbstüberschätzung sich austobt. Hier kann man sich, mit Freud zu sprechen, ganz als Held seiner Tagträume investieren. Mandeville lebte in einem Jahrhundert, in der die Moden die Stände eher als die Geschlechter trennten. Kleider machen Leute. Da die Welt in ihrer Einschätzung des Gegenübers nach dem Äußeren geht, kann man hier mit relativ wenig Mitteln mehr scheinen, als man ist, und so im »Modewahn« Stolz und Eitelkeit befriedigen. Lächerliche Selbstüberschätzung, groteske Wichtigtuerei, stolze Gockelei dienen so dem Wohle des großen Ganzen – ja, sie sind ökonomisch unabdingbar. Würden sich alle Leute eines Besseren besinnen und sich bekehren, würde die Wirtschaft schlicht zusammenbrechen.

Mandevilles Analyse der Mode nimmt viele Momente späterer Modeanalysen vorweg: conspicuous consumption, vicarious display, trickle down – all das ist bereits bei Mandeville angelegt.

1. Die unteren Stände ziehen sich an, als ob sie zu einem höheren Stand gehören würden. Mode hat deshalb etwas mit Verkleidung, mit Travestie zu tun. Das eitle Begehren, mehr zu scheinen, als man ist, ist stärker als alle wirklichen, kreatürlichen Bedürfnisse wie etwa der Hunger: Man spart sich die Kleider vom Munde ab.

2. Neue Moden kommen auf, wenn die unteren Stände die Mode des oberen Standes nachgeahmt haben. Letzten Endes führt das Begehren der Distinktion zu einer unglaublichen Verschwendung; es geht immer noch anders und raffinierter – und der Markt boomt. Aber nicht nur der Markt, auch das Ingenium, das Genie, etwas nie Dagewesenes zu erfinden, die Kreativität wird durch diesen Schrei nach dem Neuen ungeheuer befördert.

3. Die Männer ziehen hier schon ihre Frauen als ihre Statussymbole an.

Aber anders als die meisten seiner Nachfahren will Mandeville an dem von ihm analysierten Stand der Dinge nichts ändern, ja, er warnt sogar eindringlich vor allen Reformversuchen. Über diesem Traktat steht trotz der messerscharf sezierten Missstände nicht: reform. Alles soll so bleiben, wie es ist, und ist aufs Beste eingerichtet. Denn: private Laster sind öffentliche Tugenden.

Aus: Die Bienenfabel


Stolz oder Selbstgefühl ist jene Naturanlage, vermöge deren sich jeder Sterbliche einbildet, besser und mehr wert zu sein, als ein unparteiischer Beurteiler, der mit allen seinen Eigenschaften und Lebensumständen gründlich bekannt wäre, ihm würde zugestehen können. Wir besitzen keine andere für die Gesellschaft so ersprießliche und für ihr Gedeihen und Blühen so notwendige Eigenschaft wie diese, und doch wird gerade sie am allgemeinsten verabscheut. Sehr bemerkenswert an dieser unserer Anlage ist, daß diejenigen, denen sie am meisten zukommt, am wenigsten bereitwillig sind, sie bei anderen zu ertragen, während die Häßlichkeit anderer Fehler gerade von denen am eifrigsten geleugnet wird, die sich selbst ihrer schuldig machen. Der Keusche haßt alles Unzüchtige, und die Trunksucht verdammt keiner so sehr wie der Mäßige; aber niemand ist über seines Nächsten Stolz so empört wie der Allerstolzeste, und wenn irgend jemand ihm verzeihen kann, so ist dies der Bescheidene. Woraus wir, denke ich, folgern dürfen, daß das Schelten aller über den Stolz ein sicheres Zeichen dafür ist, daß alle an ihm laborieren. Dies wird auch von jedem verständigen Menschen gern zugegeben, und keiner bestreitet, daß er Stolz im allgemeinen besitzt. Handelt es sich aber um spezielle Fälle, so wird man nur wenige finden, die eingestehen werden, daß irgendeine ihrer Handlungen, die man etwa nennt, aus diesem Prinzip entsprungen sei. Ebenso gibt es viele, die einräumen, daß in den Ländern, wo die Sünde herrscht, Stolz und Hoffart die großen Beförderer des Gewerbes sind, die aber nicht die Notwendigkeit anerkennen mögen, daß in einem sittenreineren, von Demut erfüllten Zeitalter ein beträchtlicher Niedergang allen Gewerbes eintreten müßte.

Der Allmächtige, sagen sie, hat uns mit der Herrschaft über alle Dinge, so Land und Meer hervorbringen oder enthalten, ausgestattet; in keinem dieser Dinge findet sich etwas, das nicht zum Nutzen des Menschen gemacht wäre, und sein überragender Scharfsinn und Fleiß wurde ihm gegeben, um das übrige Getier, und was sonst im Bereich seiner Sinne ist, sich dienstbar zu machen. Auf diese Überlegung hin halten sie es für gottlos, sich vorzustellen, daß Bescheidenheit, Mäßigkeit und andere sittliche Vorzüge die Menschen vom Genuß jener Lebensfreuden ausschließen sollten, die den verworfensten Völkern nicht vorenthalten sind, und so schließen sie denn, daß auch ohne Stolz und Luxus dasselbe verzehrt, getragen und verbraucht, die gleiche Zahl von Arbeitern und Handwerkern beschäftigt werden und eine Nation in jeder Weise ebenso gedeihen könne wie dort, wo jene Laster am verbreitesten sind.

Was speziell das Tragen von Kleidung anbelangt, so werden sie sich dahin aussprechen, daß der Hochmut, der uns näher ist als unsere Kleider, bloß im Herzen wohne und daß oft Lumpen eine größere Portion davon einhüllen als das prächtigste Gewand. Wie es zweifellos stets tugendhafte Fürsten gegeben habe, die demütigen Sinnes ihre strahlenden Diademe getragen und ihre vielbeneideten Zepter geschwungen haben, so sei es auch höchst wahrscheinlich, daß Gold und Silberbrokat und die reichsten Stickereien ohne eine Spur von Stolz von vielen getragen werden, zu deren Rang und Vermögen sie passen. Kann nicht, sagen sie, ein guter Mensch, wenn er ein sehr hohes Einkommen hat, jedes Jahr einen größeren Aufwand in Kleidern machen, als er abzutragen vermag, und nichts anderes dabei bezwecken als dies, den Armen Arbeit zu geben, das Gewerbe zu unterstützen und durch Beschäftigung vieler das Wohl des Ganzen zu fördern? Da außerdem Nahrung und Kleidung unentbehrlich und diejenigen Artikel sind, woran sich hauptsächlich unsere irdischen Sorgen knüpfen, warum sollen da nicht alle Menschen, ohne auch nur eine Idee von hoffärtigem Wesen, einen beträchtlichen Teil ihrer Einnahmen für den...

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