2.2 Dreh‘ dich und tanz‘ um dein Leben: Breaking
„Breaking war spektakulär, gefährlich und seinem Wesen nach ein Wettkampf. Während Rapper mit Plattenverträgen ihre Hingabe zum HipHop in Worte fassen, gibt es Tänzer, die sich seit zwanzig Jahren auf dem Kopf drehen […] und sich mit dem einen oder anderen Werbevertrag mit einer Klamottenmarke, hartem körperlichem Einsatz und winzigen Gehältern über Wasser halten“ (George 2006:33).
B-Boys (auch Break-Boys) waren HipHop-Fans oder -Aktivisten, die die Musik auf ihre Weise interpretierten und anfangs eher ungebetene Gäste waren, da sie sich häufig Wettkämpfe lieferten und die „Normalos“ vom Tanzen abhielten (vgl. Fab 5 Freddy 1995:13f.). „The b- boys […] who carried the hip hop attitude forth were reacting to disco, to funk, and to the
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chaotic world of New York City in the '70s. These b-boys (and girls) were mostly black and Hispanic. They were hip hop's first generation“ (George 2005:VI).
Vor allem die Kids machten das Tanzen in den Straßen populär: Weil sie noch zu jung für die Clubs waren, trafen sie sich an öffentlichen Plätzen, um sich außerhalb der Discos auszuleben. In den Parks waren viele Jugendliche mit sogenannten Ghettoblastern (tragbare, batteriebetriebene Radios) unterwegs (vgl. Chang 2005:114ff.). Doch erst die lateinamerikanischen Einwanderer machten Breakdance zu einem Wettkampf, einer gewaltlosen Auseinandersetzung: „Bewaffnet mit Kartons oder Linoleumfetzen, nicht mit Pistolen oder Messern, formten sie einen Kreis, in dessen Mitte je zwei Tänzer miteinander kämpften“ (George 2006:34). Der Begriff leitet sich von den breaks der DJs (vgl. Kapitel 2.1) ab; die Tänzer nutzten diese „Pausen“, um spektakuläre Bewegungen zum Besten zu geben, die viel Körperbeherrschung erforderten (vgl. Schwann 2002:54). Das „Kämpfen“ war also harmlos, vergleichbar mit einem sportlichen Messen körperlicher Fähigkeiten. „Gruppen von Breakdancern forderten rivalisierende Gruppen heraus und verabredeten sich mit ihnen auf einem Spielplatz, an einer Straßenecke oder bei einer U-Bahn-Station“ (George 2006:34). Jedes Gangmitglied musste sein Können unter Beweis stellen und jeweils die Bewegungen seines Gegenübers geschickt kontern. Die Bewegungen ähnelten dabei häufig Kung-Fu-Bewegungen, weil asiatische Kampffilme à la Bruce Lee zu dieser Zeit sehr modern waren. „In fact, the line between dance and martial arts was thin” (Chang 2005:115).
Der Erfolg hing von den Fähigkeiten aller Mitglieder ab, Breakdance kann daher als Mannschaftssport angesehen werden. Die einzelnen Teams - besser: Crews - versuchten sich bei einem Tanz zu übertreffen, der völlig neu war und sich aus unterschiedlichen Tanzstilen wie beispielsweise Capoeira, Steptanz und Salsa neu zusammensetzte (vgl. Klausegger 2009:170f.). „Indem er Achsen und Zentren überall im Körper verstellbar macht, bricht er radikal mit der Tradition des europäischen Tanzes und eröffnet ganz neue Spielräume für bis dahin unvorstellbare Körper-Figuren“ (Klein/Friedrich 2003:32). Die Crews versuchten sich einander hinsichtlich Kreativität, Akrobatik und Athletik zu übertreffen, „was die Entwicklung von Breakdance auch sehr vorantrieb, weil neue Techniken und Stile entwickelt wurden [...], um als Sieger aus dem Wettbewerb hervorzugehen“ (Klausegger 2009:171). Ein interessanter Nebenaspekt: Durch Breakdance ist die Mode entstanden, Baseball-Mützen (sogenannte Basecaps) verkehrt herum oder seitlich aufzusetzen. Da sich die Tänzer häufig auch auf Kopf und Nacken gedreht haben, wäre der Schirm der Mützen bei den Tanzbewegungen im Weg gewesen (vgl. George 2006:34). Auch heute noch ist diese Mode im HipHop weit verbreitet, man sieht es in den Straßen ebenso wie in Musikvideos und modernen Tanzfilmen wie der Step Up-Reihe.
Es waren vor allem die B-Boys, die die musikalische Entwicklung in der Anfangszeit beeinflussten: „Ihr Geschmack zählte, und ihre Verwendung bestimmter Tracks zum
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Breakdancen sowie ihre Forderung, sie auf Partys zu spielen, prägten den ersten Sound des HipHop“ (George 2006:35). Der extrovertierte Tanzstil legte zudem den Grundstein für HipHop als amerikanisches Exportgut: „HipHop fand mit Breakdance überall Beachtung und es war allen klar, dass dieses Phänomen aus den USA kam“ (Verlan/Loh 2006:136). In Deutschland wurde Breakdance medial vor allem durch die Berliner Gruppe Flying Steps bekannt, die auch schon bei der Weltausstellung Expo 2000 in Hannover aufgetreten ist und Jahr für Jahr Preise bei Tanzmeisterschaften abräumt (vgl. Schwann 2002:54f.). Vorreiter für deren Erfolg waren US-amerikanische Kinoproduktionen wie Wild Style (1982), Style Wars (1983) und Beat Street (1984), die HipHop thematisierten und vor allem Breakdance „bis in die hintersten Winkel der Provinz [verbreiteten]“ (Verlan/Loh 2006:301).
Graffiti hingegen - aus dem Englischen auch bekannt als Taggen und Writen - erlebte nie einen solchen medialen Hype. Wahrscheinlich deshalb, weil es als einzige HipHop-Disziplin nach wie vor illegal ist (vgl. ebd.): Die Grenze zwischen Kunst und Vandalismus ist dünn.
2.3 Zeig‘, dass du da warst: Writing
„Das Besondere am Writing ist, dass es nach wie vor in der hauptsächlich praktizierten Form illegal ist. Deswegen ist es zwar relativ verbreitet, kann aber auf bestimmte Formen der Medienpräsenz nicht zurückgreifen. Bezüge zwischen Maler und Bild sind in der Regel nicht herstellbar. Während ein HipHopper […] durchaus Interesse daran hat, bei der Allgemeinbevölkerung bekannt zu werden, […] ist das für einen Writer nicht erstrebenswert. Darin besteht der eigentliche Unterschied dieser verwandten Szenen“ (Van Treeck 2003:102).
Die Entstehung von Graffiti ist nicht unmittelbar auf die 1970er Jahre in New York zurückzuführen. „Graffiti has been around since man encountered his first stone wall” (George 2005:11). Denn sobald der Mensch dazu fähig war, primitive Zeichnungen an eine Höhlenwand zu kritzeln, kann man vom Ursprung von Graffiti sprechen (vgl. Siegl 2000:5). „Graffiti ist so alt wie die ältesten Steinmauern. Vieles von dem, was wir über die Frühgeschichte wissen, stammt von Bildern und Symbolen, die vor Jahrtausenden irgendwohin geschmiert wurden“ (George 2006:28). Als sich das Papier dann durchsetzte, galt Graffiti-Kunst „als Rückfall in unzivilisierte Zeiten, was sicherlich der Grund ist, warum das, was wir Graffiti nennen, sich so lange gehalten hat“ (ebd.). Denn besonders für die Jugend stellt Graffiti-Kunst Rebellion dar, eine Art Mutprobe unter Gleichgesinnten, die sich der Gesellschaft nicht zugehörig fühlen. Dieses Kapitel beschränkt sich wegen der thematischen Ausrichtung dieser Arbeit auf die Graffiti-Kunst im HipHop-Umfeld.
Unter einem sogenannten Tag (engl. für Etikett, Schild) versteht man in der HipHop-Sprache eine Signatur an einer öffentlichen Wand oder Fläche mit dem eigenen Pseudonym, dem
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eigenen Künstlernamen (vgl. Klausegger 2009:171). Daraus leitet sich das Wort Tagging ab. Gleichbedeutend, nur weniger häufig, spricht man von einem Piece (vgl. Domentat 1994:8), obwohl dieser Begriff im Hip Hop-Slang auch mit Handfeuerwaffe und Haschisch (vgl. Fab 5 Freddy 1995:53) besetzt ist. Weil der Künstler für gewöhnlich den eigenen Namen, den der Lieblingsband oder des Lieblingsvereins schreibt, spricht man auch vom Writing (to write, engl. für schreiben; vgl. Chang 2005:118). Denn die ersten Schreibversuche des Menschen beziehen sich häufig auf den eigenen Namen. Und weil die Künstler meist mit Sprühdosen hantieren, spricht man im öffentlichen Sprachgebrauch auch von den Sprayern (vgl. Brentzel/Moormann 1984:4). Ist ein Tag besonders groß und auffällig, und verziert beispielsweise ganze Zugabteile, ist vom Bomben die Rede, also dem kunstvollen und positiv besetzten Zerstören einer neutralen Fläche (vgl. Domentat 1994:8).
Der erste Sprayer, der medial Berühmtheit erlangte, war der bereits erwähnte Taki 183 1) , der die New Yorker U-Bahn mit seinem Pseudonym vollkritzelte. Im Juli 1971 tauchte er in einer Ausgabe der New York Times auf (vgl. ebd.) und fand so unzählige Nachahmer. „Es ging diesen Einwanderer-Kindern, die sich selbst als ‘Writers‘, als Schriftsteller sahen […], darum, Phantasienamen, ihre Tags, so oft wie möglich und so bunt und groß und ornamental wie möglich mit Farbsprühdosen in der Stadt zu platzieren - um selbst sichtbar zu werden“ (Karcher 2008). Heute haben einige der Jugendlichen von damals Karrieren gemacht, weil ihr Talent von Galeristen und anderen Künstler wie Andy Warhol entdeckt wurde (vgl. ebd.). In den 1970er Jahren ging es allerdings hauptsächlich darum, die Stadt mit dem eigenen Namen zu tätowieren, um auf sich selbst aufmerksam zu machen. „Und das muss aus der Perspektive dieser an den Rand gedrängten Menschen verstanden werden, dieser marginalisierten Menschen, die ansonsten nicht wahrgenommen, nicht beachtet werden, denen die Partizipation an der...