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E-Book

Die Dilettanten

Wie unfähig unsere Politiker wirklich sind

AutorThomas Wieczorek
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl318 Seiten
ISBN9783426559055
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Unfähig, überfordert, handwerkliche Fehler - befinden sich Deutschlands Politiker in der Hand von Dilettanten? In Die Dilettanten unterzieht Parteienforscher Thomas Wieczorek unsere Volksvertreter einem schonungslosen Eignungstest. Von der Weltfinanzkrise bis hin zu fragwürdigen Gesetzen und Konjunkturpaketen - die Ergebnisse sind erschreckend. Egal ob Regierung oder Opposition, fachliche Kompetenz scheint Mangelware zu sein. Stattdessen dominieren Mittelmaß und Unfähigkeit die politische Landschaft. Doch diese Missstände können schnell gefährlich werden. Mit scharfem Blick und pointierter Analyse holt Wieczorek die Wahrheit ans Licht: Ein Buch, das die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie hinterfragt und zum Nachdenken anregt. Die Dilettanten ist ein Aufruf zu mehr politischer Verantwortung und ein Plädoyer für eine kompetente Führung unseres Landes in herausfordernden Zeiten. Ein Buch, das jeder politisch interessierte Bürger gelesen haben sollte.

Thomas Wieczorek (1953 - 2013) war Journalist und Parteienforscher. Nach einem VWL-Studium an der Freien Universität Berlin arbeitete er u.a. für die dpa und Reuters und als freier Journalist für die Frankfurter Rundschau, den Deutschlandfunk, den Südwestfunk sowie den Eulenspiegel. Thomas Wieczorek, der über 'Die Normalität der politischen Korruption' promovierte, war Autor mehrerer politischer Debattenbücher, darunter die Bestseller 'Die Dilettanten', 'Die verblödete Republik' und 'Die geplünderte Republik'.

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Leseprobe

10. »Wie soll ich das wissen?« –
Verschwendung als Folge von Inkompetenz


Die gesamte Verschwendungsdiskussion ist lachhaft, scheinheilig, makaber und eigentlich überflüssig angesichts des gigantischen Geschenkpakets des Steuerzahlers an die Banken und die Industrie – oder sollte man es »Schutzgeld« nennen? Jedenfalls bleibt auch ein »alternativloses«, also erzwungenes Präsent ein Präsent. Wenn ohne die Billionen Euro Staatsgelder das gesamte Wirtschaftssystem kollabiert hätte, sagt das nur etwas über die technisch-moralische Qualität der (freien) Marktwirtschaft aus. Konzernrettung bedeutet nämlich im Kern nichts anderes als Stützung des Börsenkurses, also Erhöhung des leistungslosen Einkommens der Großaktionärskaste auf Staatskosten. Und wenn noch dazu – wie in den USA unverfroren offen vorgeführt – Milliardensubventionen zum großen Teil ohne Umweg in die Taschen der kriminellen Zockerbanden (»Investmentbanker«) fließen, die im Gegenzug mit »Spenden« an die Politik nicht geizen, dann offenbart dies die fließenden Grenzen zwischen Inkompetenz und Korruption.

Insofern ist auch eine läppische Millionenverschwendung nicht nur unter dem Aspekt Kleinvieh macht auch Mist von Bedeutung. Sie lässt auch Schlüsse zu, inwieweit Korruption das Schmieröl der Wirtschaft und der Gesellschaft ist. Anders gefragt: Beruht die jeweilige Verschwendung von Steuergeldern auf tatsächlicher Unfähigkeit, Verantwortungslosigkeit und Schlamperei oder hat sie ein »Geschmäckle«?

So wird man den weitaus meisten Spitzenpolitikern durchaus abnehmen, dass sie reinen Herzens die plumpen Werbesprüche der Initiative Neue Sozialmarktwirtschaft und der neoliberalen professoralen Talkshow-Stammbesatzung für »Wirtschaftswissenschaft« gehalten und folglich die blindwütige, hirnverbrannte und verantwortungslose Zockerei mit »unternehmerischem Risiko« verwechselt haben. Immerhin investierte ja sogar die Oldenburgische Landeskirche im Geiste Jesu Christi und zur Schadenfreude der Welt (»Dieses Geld dürfte weg sein«) 4,3 Millionen Euro in Bonds und Zertifikate von Lehman Brothers.

Wenn aber zum Beispiel der Bürgermeister einer Nordsee-Insel seinen Vetter mit dem Bau einer Skiflugschanze beauftragt, dann kann er sich hinterher wohl kaum auf seine mangelnde Erfahrung im Wintersport berufen.

10.1. »Ehrliche« Verschwendung


Allein der Bundesrechnungshof stellt in seinen jährlichen Bemerkungen hanebüchene Verschwendungen fest, 2008 zum Beispiel mehr als zwei Milliarden Euro.[60]

Und wie immer, wenn man Steuergeld »sinnlos verballert« (Welt Online), ist Wolfgang Tiefensees Verkehrsministerium vorn mit dabei:

  • Die Deutsche Bahn AG erhält 44 Millionen Euro für den Neubau der Bahnstrecke zwischen Köln und Frankfurt, die gar nicht gebaut wurde.

  • Ebenfalls die Bahn bekommt 150 Millionen Euro gesetzeswidrige Fördermittel für Bahnsteige, Treppen und Aufzüge in Bahnhöfen.

  • Die Wirtschaftlichkeit des Neu- und Ausbaus von Schienenwegen mit jährlich 1,7 Milliarden Euro Bundesmitteln ist inzwischen aufgrund veralteter Nutzen-Kosten-Maßstäbe äußerst strittig.

  • Ohne Zustimmung des Bundestags schanzt Tiefensee seinem Parteifreund Hartmut Mehdorn 50,5 Millionen Euro Bundesmittel zum Ausbau der Bahnstrecke zwischen Köln und Aachen bis zur belgischen Grenze zu.

  • Überflüssiger Schnickschnack beim Ausbau der Bundesstraße 286 bei Bad Kissingen mit Kreuzungen, Unterführungen, Brücken und zusätzlichen Fahrstreifen kostet 8,3 Millionen Euro. Zudem soll für 9,3 Millionen die Verbindung der B 286 zur Bundesstraße 287 südlich von Bad Kissingen gebaut werden, obwohl sie nicht im Bedarfsplan des Bundes vorgesehen ist.

Aber auch das Verteidigungsministerium hält in Sachen Verschwendung gut mit:

  • Die Technische Materialprüfung für die Bundeswehr gibt jährlich 3,5 Millionen Euro zu viel aus, weil längst angekündigte Kürzungen beim Personal noch nicht umgesetzt sind.

  • Die Bundeswehr mietet für 2,7 Millionen Euro untaugliche Flugzeugschlepper, kauft für 25 Millionen Euro zwei mobile Radarsuchgeräte und Transporter, deren Leistungsfähigkeit noch in den Sternen steht, und gibt 3,6 Milliarden Euro für neue Hubschrauber des Typs UH-Tiger aus – 630 Millionen Euro mehr als geplant. Dabei leistet der Helikopter weniger als versprochen und wird später als vereinbart ausgeliefert.

  • Da lässt sich auch die Deutsche Rentenversicherung nicht lumpen: Zu große und zu viele Büros, allein in Berlin über 50 000 m² mehr als nötig, verschlingen überflüssige 15 Millionen Euro jährlich, und der Leerstand von 11000 m² in Gera und Stralsund kostet 3,5 Millionen Euro im Jahr.

Den größten Batzen Geld aber lässt das Bundesfinanzministerium sausen: Es verschenkt seit 1991 jährlich rund 110 Millionen Euro, insgesamt bis jetzt knapp 1,9 Milliarden Euro, weil die Finanzämter auf Einkünfte der Steuerpflichtigen im Ausland bisher keinen Solidaritätszuschlag erheben.

All diese grenzenlose Schlamperei dient natürlich als Argument für die notorischen Staatsfeinde der besonderen Art: »So schlecht wirtschaftet der Staat«, meinte zum Beispiel Spiegel Online unmittelbar vor Ausbruch der Weltfinanzkrise und suggerierte damit, dass Verschwendung und Stümperei bei den privaten Selbstbereicherern natürlich nicht vorkommt …

Versuch macht klug – Nachbesseritis als Regierungsstil

Versuch und Irrtum, von weltgewandten Denglisch-Jüngern auch Trial and Error genannt, ist eine der wichtigsten Methoden zur Menschwerdung des Affen: Man probiert einfach so lange, bis es passt. Wenig hilfreich und meist peinlich ist sie, wenn unsere Spitzenpolitiker sie mangels Fachkompetenz notgedrungen anwenden.

Bei Hartz IV beispielsweise wird permanent nachgebessert oder »nachjustiert«, wie Wolfgang Thierse es hochtrabend nennt. So verlängert man das Arbeitslosengeld für Ältere, verschärft die Bedingungen für die Ich-AG, löst diese durch den Gründungszuschuss ab und dehnt die Minijobs, zuerst nur für Haushaltshilfen gedacht, auf die gesamte Wirtschaft aus. 2007 verdienen 7 Millionen »geringfügig Beschäftigte« höchstens 400 Euro im Monat. Und weil zu viele Hausfrauen, Rentner oder Studenten dies als Zusatzverdienst nutzen, erhöht man die Pauschale für Steuern und Sozialabgaben von 25 auf 30 Prozent.

Noch ehe die erste Stufe Gesundheitsreform am 1. April 2008 in Kraft tritt, muss »der große Pfusch« (Stern) wegen »kleiner Unrichtigkeiten« nachgebessert werden. Nicht ganz zu Unrecht wertet der FDP-Gesundheitsexperte Daniel Bahr dies als »Armutszeugnis und Beleg dafür, dass es der Koalition am Ende nicht mehr um Sach-, sondern nur um Machtfragen« gegangen sei.[61]

Bei Justizministerin Brigitte Zypries und Innenminister Wolfgang Schäuble muss hingegen das Bundesverfassungsgericht permanent korrigieren. Die Vorratsdatenspeicherung stoppte es ebenso wie den Abschuss von Passagierflugzeugen und die Online-Durchsuchung.

Auch Verkehrsminister Tiefensee muss seinen Gesetzentwurf zur Bahnprivatisierung mehrmals nachbessern. Erst mit, dann ohne Schienennetz, schließlich blickt niemand mehr durch, und dann kommt auch noch die Finanzkrise dazwischen. Ihr allein und nicht einem letzten Rest von Verantwortungsgefühl eines Politikers ist es zu verdanken, dass die Bahn nicht längst im Rachen irgendwelcher – wie sich ja heute offenbart – hochkrimineller Heuschrecken gelandet ist.

Der Super-GAU: Die Finanzkrise

Dass für die neoliberalen Koryphäen die Weltfinanzkrise »völlig überraschend« kam, bedeutet nicht, dass sie es war. Marxsche oder keynesianische Ökonomen wissen um den Krisenzyklus und wiesen schon Anfang 2005 darauf hin, dass es bald wieder so weit sei. Es handelte sich schlicht um eine der periodischen Überproduktions- bzw. Unterkonsumtionskrisen. Die Unternehmen sind bestens aufgestellt, Maschinen, Vertriebsorganisationen und Rohstoffzufuhr erstklassig, auch Arbeitskräfte überreichlich vorhanden und ebenso mehr als ausreichend mögliche Abnehmer. Nur leider »kaufen Autos keine Autos« (Henry Ford) – die potenziellen Käufer haben kein Geld. Mit unabgesicherten Krediten gab man ihnen die Möglichkeit, auch ohne eigenes Geld Häuser und Lebensnotwendiges zu kaufen. Hätte man ihnen das Geld einfach geschenkt, so hätte es die Krise in dieser Form nicht gegeben!

Da aber in der Marktwirtschaft die Umverteilung an das Volk »irrational« ist – dann könnte man ja gleich den verhassten »Sozialismus« einführen – und die Kredithaie sich ebenfalls eine goldene Nase verdienen wollen, erfand man den Derivathandel als gigantisches Kettenbrief-Spiel. Man versicherte die faulen Kredite bei jeweils noch risikofreudigeren Banken – ein Dummer musste einen noch Dümmeren finden. Dies konnte und musste man wissen. Dabei ist es auch bei der fast elf Milliarden Euro teuren IKB-Pleite eigentlich egal, ob das unglaubliche Desinteresse und die sprichwörtliche Inkompetenz des Verwaltungsrats oder eine irrwitzige Zockermentalität schuld waren. Sogar das 500 Milliarden Euro schwere Bankenrettungspaket – so viel wie der Bundesetat für Bildung und Forschung für 50 Jahre – war...

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