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E-Book

Grauen des Alltags

Von Kundenkarten, Warteschleifen und Gute-Laune-Moderatoren

AutorRobert Griesbeck
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783426554838
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Willkommen zur Geisterbahnfahrt durch das moderne Leben! Warteschleifen, Payback-Karten oder überdrehte Radiomoderatoren - das Grauen des Alltags hat uns fest im Griff. Brav befolgen wir die Anordnung einer automatischen Bandansage, lassen uns in »Distanzzonen« einpferchen und zu willigen Sklaven eines Systems machen, das die Selbstbedienung propagiert und immer mehr Arbeit an seine Kunden delegiert - aber seit wann arbeiten wir eigentlich für Banken, die Post oder den Discounter? Mit Wut und Witz erzählt Robert Griesbeck von den absurden Episoden unseres Alltags zwischen Konsum, Medien und Informationstechnologie - und entlarvt dabei aufs komischste eine Gesellschaft, die jede Menge heiße Luft produziert. Aber damit steigen ja bekanntlich die größten Ballons auf. Grauen des Alltags von Robert Griesbeck: Spaßmacher & Trendsetter im eBook!

Robert Griesbeck (1950-2011) studierte Grafik-Design, Informationsästhetik und Politologie und arbeitete 30 Jahre lang als Grafiker, Buchherausgeber und Autor. Er hat Kinderbücher, Romane und Sachbücher geschrieben, Zeitschriftenkonzepte entwickelt und war als Chefredakteur für diverse Magazine tätig.

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Leseprobe

Bedienungsanleitungen


Natürlich ist es ein alter Hut, dass es keine speziellen Lektoren für Bedienungsanleitungen gibt. Wahrscheinlich gibt es nicht einmal Übersetzer dafür. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass alle Übersetzungen für die vielen Sammelbände lustiger Übersetzungsfehler getürkt werden. Nein, das hat System, und das System heißt: Es ist völlig egal – sie kaufen’s schon. Oder: Sie kriegen die Bedienungsanleitungen sowieso erst zu sehen, wenn sie das Zeug schon gekauft haben.

Clever gedacht. Und es stimmt ja wirklich, Bedienungsanleitungen sind lustig. Auch ich amüsierte mich köstlich, als ich die Anleitung eines neuen »bedienungsfreundlichen« Telefons las:

»Heben Sie das das Telefon auf, hören Sie sufs Amtseichen. Wäheln Sie die Nummern, dun das Telefon word die Nummern anstehen, so schenell wie Sie tippen und wählen können.

Eine Nummer manuel zu wählen:

1. Heben Sie des Telefon auf und wählen Sie, wie Sie mit einem ordentlichen Telefon machen.

2. Wenn Sie Ihren Anruf fertig gemacht, legen Sie das Telefon nach unten an eine fläche Flache, um das Telefon einzuhängen.

3. Wenn die von Ihnen gewählte Nummer beschäftigt ist, hängen Sie ein. Wenn es nicht benutzt ist, ihr Telefon soll an eine fläche Flache gelegt werden.«

Bis auf die paar Tippfehler (geschenkt, wahrscheinlich werden die Bedienungsanleitungen einzeln mit der Hand geschrieben, weil in China ja die Mannstunde billiger ist als eine Fotokopie) hat das Gestammel den entwaffnenden Charme einer Chinesin, die nach einem Austauschjahr in Freiburg íhrem Deutschlehrer erklärt, wie man in Shanghai U-Bahn fährt. Ich bin da großzügig. Wahrscheinlich wäre mein Chinesisch nach einem Jahr viel schlechter, wobei man besonders bei Schreibfehlern enorm vorsichtig sein sollte – zu leicht verwechselt man das Zeichen für »Nachspeise« mit dem für »Durchfall«. Aber es ging nicht um meine Großzügigkeit; das Telefon war ein Geschenk für meine Mutter, damit sie in dem großen Haus nicht immer so weite Wege gehen muss, um ans Festnetz zu kommen.

Ich merkte, dass etwas nicht stimmte, als ich letzthin anrief.

»Hallo. Das hat ja ganz schön gedauert. Hast du das Telefon nicht gefunden?«

»Glaubst du, ich bin jetzt schon altersdebil? Ich weiß genau, wo das Telefon steht. Es stand schon da, als du …«

»Mutter! Ich meine doch das neue. Ich hab dir doch ein kabelloses Telefon geschenkt.«

Pause. Ein finsterer Verdacht stieg in mir hoch.

»Du benützt es nicht. Du telefonierst immer noch mit dem alten!«

»Ja.«

»Aber warum denn? Es ist doch absolut bedienerfreundlich, und du kannst es überall hin mitnehmen und …«

»Es ist ein Deppentelefon!«

»Ach ja?«

»Hast du die Bedienungsanleitung gelesen?«

»Nein, Mutter. Aber das ist ja sowieso das Problem mit euch … ähm … (jetzt nur nicht »älteren Leuten« sagen) … also, ich kenne die Angst vor der Bedienungsanleitung, zu viele komplizierte Angaben, zu viel Technik …«

Meine Mutter lachte, laut und höhnisch.

»Ich habe keine Angst vor der Technik. Ich habe 1954 den Führerschein gemacht, und wenn bei mir eine Sicherung fliegt – und du weißt, ich hab noch die alten Schraubsicherungen –, überbrücke ich sie mit Alufolie. Obwohl das leichtsinnig ist, ich weiß. Es wird am besten sein, du kommst mal vorbei. Dann erkläre ich dir, was los ist.«

Am nächsten Tag legte sie mir obenstehende Bedienungsanleitung vor.

»Na?«

»Lustig. Stimmt schon, ziemlich viele Schreibfehler – aber man kann grundsätzlich verstehen, wie es gemeint ist.«

»Das habe ich auch durchaus verstanden«, sagte sie würdevoll. »Aber ich telefoniere nicht mit einem solchen Deppentelefon. Wenn ich auflege, muss ich ständig denken: Lege ihr Telefon soll an eine fläche Flache. Ich bin doch nicht bescheuert!«

»Tja, die Globalisierung. Das Telefon kommt aus China, und es war nicht gerade das teuerste …«

»Meinetwegen kommt es aus der Sahara. Aber wenn sich die Leute, die so was herstellen, schon bei der Bedienungsanleitung so wenig Mühe geben – und das ist ja keine großartige Arbeit –, wie werden sie erst das Telefon gebaut haben? Wahrscheinlich kriege ich einen elektrischen Schlag, wenn ich nicht aufpasse.«

Ich begann sie zu verstehen. Diese Generation nimmt ein Produkt noch als Gesamtheit wahr. Es genügt nicht, dass ein Bügeleisen schnittig aussieht und an der Seite der Schriftzug von Steffi Graf steht (Sonderedition Centercourt), es darf bei Vollgas auch der Griff nicht schmelzen.

Ja, da ist was dran. Dabei hatte ich mich so über den Beipackzettel zu meinem neuen Alukoffer aus China gefreut:

»Die Handkoffer Schlüssel Nummer errichten wir 00-0. Sie können diese Nummer bleiben. Oder errichten einige geheime Nummer. Die Weise wie folgen:

Erst: Wenden die Nummer zum öffnenden Platz.

Zweite: Knopf nach hinten drücken und die zu festlegende rote Karte herausholen, dann stellen die Knopf nach Richtung der Nummernwendung fest.

Dritt: Wenden die Wendung zur rechtige Nummer, die Sie mögen, zB Telefon, Geburtstag oder Adresse u.s.w. und schreiben Die Nummer auf die Notiz um nicht zu vergessen.

Vierte: Drücken die Knopf zum ersten Platz, dann stehen die klar Karte zurück, hat die Nummer dann errichtet. Wenn Sie die Nummer verändern wollen, errichten Sie wie die oben Weisen.

Bemerkung. Wenn sie es vermeiden wollen, dass jemand die Nummer verstohlen blicken, nachdem sie den Koffer öffnen, verwirren die Wendungen, dann drücken die Knopf und ist es im Schloss.«

Ich bin bei 00-0 geblieben, natürlich! Bin doch nicht verrückt. Möglicherweise hätte ich den Koffer nie wieder aufbekommen. Und wahrscheinlich sind 90 Prozent aller Koffer mit Zahlenschloss, die bei der Gepäckausgabe am Flughafen an einem vorüberfahren, auf 00-0 eingestellt. Nur kein Risiko eingehen.

Vielleicht ist das aber auch eine geheime Abmachung der CIA mit China: Sie stellen nur völlig unleserliche Bedienungsanleitungen für Koffer mit Zahlenschlössern her, damit die Terrorabwehr im Terminal das Gepäck unbemerkt untersuchen kann …

Lustig sind solche Sachen ja, wenn man einen Sinn für diese Art rabiater Kundenverarsche hat, aber wenn ich mein Leben lassen muss, weil ein gelangweilter Zehnjähriger für seinen Papa Sicherheitshinweise übersetzt, hört der Spaß auf. In einem kleinen süditalienischen Hotel stieß ich auf diese Sicherheitshinweise, die mir im Fall eines Hotelbrandes helfen sollten, mein Leben zu retten:

  1. »Nehmen Sie die Zimmerschlüssel – Kreichen Sie zur Tür.

  2. Befühlen Sie die Tür – Wenn heiß, öffnen Sie die Tür nicht.

  3. Wenn die Tür kühl, öffnen Sie, aber Langsamkeit und mit Hut sein.

  4. Beobachten Sie den Gang – wenn rauchig, bleiben Sie niedrig.

  5. Gehen Sie schneller zu dem besten Ausweg.

  6. Gehen Sie zum Erdgeschoss, wenn möglich – sonst benutzen Sie das Dach.

  7. Wenn die Tür heiß, bleiben Sie im Zimmer. Können Sie aus dem Fenster spazieren?

  8. Lassen Sie den Rauch vom Zimmer aus, wenn notwendig als Hilfe kommt.

  9. Machen Sie ein Signal vom Fenster.

  10. Füllen Sie Schwimmwanne, um Wasser gegen Feuer.

  11. Legen Sie nasse Handtücher um die Tür.

  12. Wenn notwendig, atmen Sie frische Luft durch Fenster – aber vorsichtig, vielleicht gibt es Flamme oder Heizung von unten.«

Nun empfiehlt es sich, solche Hinweise (besonders wenn sie, wie in diesem Fall, weder anständig übersetzt noch ordentlich lektoriert sind) ein paar Stunden vor Ausbruch des Feuers zu lesen und sich eine einigermaßen plausible Fluchtstrategie zurechtzulegen. Natürlich weiß man, was gemeint ist, wenn »Gang rauchig, dann niedrig bleiben«, aber was macht der, der keinen Hut hat und trotzdem die Tür öffnen will? Das größte Problem ist jedoch: Weiß man schon ein paar Stunden vorher, dass es brennen wird, kann man das Hotel meiden – weiß man es nicht, wird man spätestens bei Punkt 10 verbrannt sein oder bei Punkt 3 ersticken. Vor Lachen.

Warum Bedienungsanleitungen tatsächlich so schlecht sind und ihre Übersetzungen meist der blanke Hohn, hat einen ganz einfachen Grund (sorry, wir stoßen schon wieder auf die Fährte des Turbo-Raubtier-Global-Karawanen-Kapitalismus): Die Aufwendungen, die eine Firma leisten muss, damit für ein Produkt eine technische Dokumentation und eine anständige Bedienungsanleitung erstellt wird, verschlingen bis zu 30 Prozent der Gesamtkosten für die Entwicklung dieses Produkts! Da tun sich natürlich enorme Einsparmöglichkeiten auf. Und die Auswirkungen dieses strammen Sparkurses können wir (jedenfalls bei den Geiz-ist-geil-Produkten) sehen: Wir müssen die Handhabung des Druckers, des Bügelautomaten und des Funktelefons mehr oder weniger selbst erkunden (Kunden müssen eigentlich alles selbst erkunden, das drängt sich ja schon vom Wortstamm her auf!), denn in der Bedienungsanleitung finden wir nur bruchstückhafte Anregungen und kryptische Hinweise.

Es wäre eine neue, durchschlagende Marketingstrategie, wenn auf der Verpackung eines schnurlosen Telefons diese Zeilen aufgedruckt wären: »Mobil und einfach telefonieren! Mit ausführlicher,...

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