Peinlich
Der Gipfel politischer Peinlichkeit war erreicht, als ausgerechnet Roland Koch, den im Hessen-Wahlkampf so gut wie jeder politische Gegner juristisch ungestraft einen Rassisten nennen durfte, sich mit dem ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender anlegte. »Roland Kochs ZDF-Attacke schadet dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk erheblich«, meinte Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats. Und die Grünen erinnerten Koch: »Das ZDF gehört nicht der CDU.«
Aber selbst in den eigenen Reihen machte sich Koch nicht nur Freunde. »Die Debatte hat allen Beteiligten und dem Sender nur geschadet«, meinte zum Beispiel sein Parteifreund, der Fernsehratsvorsitzende Ruprecht Polenz. Was Koch eigentlich wollte, außer Machtpolitik der plumpsten Art, ist schwer auszumachen. Zwar faselte er etwas von sinkenden Einschaltquoten, aber selbst seine politischen Freunde nahmen ihm das nicht ab.
Ärgerlich-bizarres Resultat war jedenfalls, dass selbst diejenigen in einer Art »antifaschistischer Einheitsfront« Brender verteidigten, die das ZDF-Programm für jenseits von Gut, Böse, Journalismus und gelungener Unterhaltung hielten. Unter seiner Ägide gelangten Zuschauerbelästigungen wie »Alisa – folge deinem Herzen« oder »Lanz kocht« ins Programm, mit denen er offenbar den Privaten die Zielgruppe der geistigen Unterschichten abwerben wollte. Insofern wäre tatsächlich die Frage zu stellen, wie ein Gefolgsmann Roland Kochs das ZDF noch verblödender gestalten würde. Natürlich könnte man demokratisch inspirierte Sendungen wie Frontal 21 durch Hetze gegen Arbeitslose und Ausländer ersetzen, sicherlich könnte man auch die »Rosenheim Cops« durch Werbeblöcke verhunzen, und wahrscheinlich könnte man die Menschenjägersendung »Aktenzeichen XY … ungelöst« dreimal täglich ausstrahlen – aber sonst?
Aber immerhin haben wir dem ZDF zumindest das Satire-Kleinod Die Anstalt zu verdanken. Und nicht wenige Zuschauer wünschen sehnlich, Urban Priol und Georg Schramm übernähmen die Politberichterstattung, wenn nicht sogar die Regierungsgeschäfte.
Andererseits zeigt sich immer wieder, dass keine Verblödungssatire so extrem sein kann, als dass sie nicht von der Realverblödung übertroffen wird. Letztere ufert nicht zuletzt deshalb dermaßen aus, weil Verblöder und Verblödete auch gleichzeitig Blender sind. So ist es ein beliebtes Partyspiel, inmitten eines gescheiten Disputs gescheiter Leute unvermittelt die Namen frei erfundener Leute zu erwähnen: den Lyriker Vic van Achtern, die Bildhauerin Eva Hastenich oder den römischen Senator Marc Aventis Grautvornix. Jede Wette, dass mindestens einer der klugen Diskutanten vorgibt, von ihnen schon einmal etwas gehört zu haben.
Wer weiß, dass er nichts weiß, weiß mehr als der, der nicht weiß, dass er nichts weiß.
Vollends absurd aber wird es, wenn sich einige Zeitgenossen nicht mit der Rolle des Einäugigen unter Blinden begnügen, sondern sich als hervorragend Sehende wähnen. Wenn sie dann auch noch eine ebenso duckmäuserische wie viertelgebildete Fangemeinde um sich scharen können, die all den Nonsens begierig aufsaugt und ehrfürchtig nachbetet, dann ist der geistig-moralische Supergau perfekt. Insofern ist es bedauerlich und verfehlt, mit Verblödung nur die vermeintlichen »intellektuellen Unterschichten« aufs Korn zu nehmen. Sich über Analphabeten, Alkoholabhängige oder sexuelle Grenzgänger lustig zu machen, ist billig und irgendwann langweilig.
Die wahre Volksverblödung aber findet genau dort statt, wo sie der selbsternannte Bildungsbürger am wenigsten vermutet: in den Medien, der Wirtschaft und vor allem in der Politik. Wer all die hochgestochenen Berichte und Kommentare der »seriösen Medien«, die superwichtigen Konjunkturprognosen der Wirtschaft und die treuherzigen Wahlversprechen der Politik so unreflektiert aufsaugt wie der Bibeltreue das Alte Testament, der ist schon hereingefallen. Heraus kommt ein Abklatsch der Wirklichkeit, der noch weniger wert ist als ein Zerrbild. Letzteres nämlich könnte man – rein theoretisch – entzerren. Was den Bürgern allerdings Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr zugemutet wird, das ist – wie der Volksmund zu Recht sagt – »so falsch, dass nicht einmal das Gegenteil stimmt«.
Dass noch immer viel zu viele Mitbürger dem geballten Müll der Meinungsmacher vertrauen, ist die schlechte Nachricht. Dass immer mehr Menschen den Verblödungsprofis auf die Schliche kommen – siehe auch manche Nichtwähler –, lässt hoffen.
Bis dahin aber geht die Verblödung – jenseits von politischer Farbenlehre – ungehindert weiter.
Einleitung
Als kürzlich japanische Forscher die Welt mit der Meldung erschreckten, »Schimpansen sind am Computer besser als Studenten«, da trösteten sich allein unverantwortliche Optimisten mit dem Einwand, es könne sich dabei nur um angehende Unternehmensberater handeln. Zwar gilt die Überlegenheit unserer Vorfahren bislang nur für die schnelle und exakte Wiedergabe von Zahlenreihen, die kurz auf einem Monitor aufblinken. Dennoch wird angesichts der geistigen Entwicklung hierzulande die Frage immer drängender, ob wir den Primaten nicht seit langem bei ihrer intellektuellen Aufholjagd ein gutes Stück entgegengehen: Drohen die Deutschen ein Volk von Schwachköpfen zu werden?
Kommt im Bekanntenkreis, am Arbeitsplatz, im Supermarkt oder in Talkshows das Gespräch auf unseren allgemeinen Geisteszustand, fallen schnell Reizwörter wie Verblödung, Bildungsferne und geistige Verwahrlosung. Natürlich ist sofort die Rede von Pisa, von Denglish stammelnden Abiturienten und von Kassiererinnen, die zwei plus zwei nur mit dem Taschenrechner zusammenzählen können, von Lehramtsstudenten, die Rügen neben Sylt vermuten, und von Volkswirtschaftsdozenten, die sich wundern, warum im Kapital von Karl May kein Indianer vorkommt.
Willy Brandts Kampfgefährte Egon Bahr erzählte jüngst von einer jungen Journalistin, die bei ihm um einen Termin mit Herbert Wehner nachsuchte. »Der spricht gerade mit Franz Josef Strauß.« – »Dann versuche ich es später noch mal«, meinte die Garantin der Pressefreiheit. Sicher macht sich dieselbe Journalistin darüber lustig, dass 27 Prozent der Zehnt- und Elftklässler Willy Brandt für einen DDR-Politiker halten – falls sie es nicht selbst glaubt.
»Eine Gehirnwindung weniger, und du gehst auf allen vieren«: Was früher eine flotte Beleidigung war, klingt heute wie eine wissenschaftliche Prognose, vielleicht sogar für große Bevölkerungsgruppen. Wie aber sieht diese Verblödung konkret aus? Wird sie bewusst betrieben und wenn ja: mit welcher Absicht?
Bei der Darstellung von Unwissen sind meist Häme und Bloßstellung im Spiel. Nehmen wir nur die gnadenlos überstrapazierte Standardsituation: Reporter, fiebrig und hibbelig in der Fußgängerzone. Endlich kommt eine Gruppe Opfer, eine fünfköpfige Abordnung der Jugend von heute. Reporter fragt: »Wie heißt denn die Hauptstadt der Türkei?« Die Jugend von heute wechselt Blicke der vielsagenden Art. Einer sagt: »Antalya.« Reporter wendet das Gesicht in die Kamera und macht eine hochwichtige Na-was-hab-ich-gesagt-Grimasse.
Nur wusste der Mann vom Fernsehen nicht, dass die fünf subversiv angehaucht waren und ihn bewusst verladen hatten. Aber selbst wenn jemand Ankara für das spanische Wort für Anker hält und auch nicht ahnt, dass eine Allegorie nicht ansteckend ist und ein Hexameter nichts mit Okkultismus zu tun hat: Derlei Unwissen mag ja peinlich und tragisch sein – aber weiß unser Entlarvungsreporter, dass im Jahre 1947 die Verstaatlichung der bundesdeutschen Schlüsselindustrien nicht von der SED, sondern von der CDU Konrad Adenauers gefordert wurde, andererseits aber unsere Kanzlerin bis zur Wendezeit FDJ-Funktionärin für Agitation und Propaganda war, und dass der Spitzensteuersatz unter dem Einheitskanzler Helmut Kohl vor gerade mal zehn Jahren noch 53 Prozent betrug?
Ist dieses Wissen unwichtiger als die Kenntnis der Namen aller europäischer Hauptstädte und sämtlicher Nebenflüsse des Rheins?
Wer also den Verdacht der Volksverblödung auf die »Bildungsfernen« und geistig Verwahrlosten beschränkt, betreibt Verblödung in der Verblödungsdiskussion.
Erklärtes Ziel und Voraussetzung demokratischer Gesellschaften ist der »mündige Bürger«. Dies wäre auch durchaus erreichbar angesichts der Möglichkeiten der Informationsgesellschaft. In Wahrheit allerdings werden einige wenige immer klüger, bedrückend viele aber anscheinend immer dümmer. Dahinter steckt System: Denn buchstäblich zur Existenzfrage wird die Verblödung in parlamentarischen Demokratien, da hier das Volk seine Vertreter frei wählt und damit die Regierung und die Gesellschaftsordnung formal frei bestimmt. Dieser Sachzwang gilt verstärkt angesichts der nationalen und globalen Verschärfung der sozialen Gegensätze: Die Arm-Reich-Schere öffnet sich immer mehr, und bloßer Kapitalbesitz bringt mehr ein als ehrliche Arbeit.
Man stelle sich nun einmal vor, die Normalbürger wüssten Bescheid über die Fakten und Hintergründe von Armut und Reichtum, Weltwirtschaftsordnung, Konzernpolitik in der Dritten Welt, wirtschaftlichen Verflechtungen und Korruption – ganz zu schweigen von den ökonomischen, politischen und...