2. Anhaltende Schmerzen
Arme Schweine: Mit Gewalt zur Überdosis Wurst und Schnitzel
Schock für Currywurstfans: Schon ein Würstchen am Tag kann zu viel sein / Schlimme Schmerzen: Die Wirtin konnte kaum noch das Bier zapfen / Die Wurst ist die Zigarette der Zukunft / Salami und Schinken können Ihre Fruchtbarkeit gefährden / Glückliche Schweine beißen nicht
Das Messer lag bereit, als Werkzeug, nicht als Waffe. Es war »ein Schlachtermesser mit orangefarbenem Griff und einer sehr schmalen Klinge«, 14 Zentimeter lang, Identifikationsnummer 17146. Irgendwann hatte sich zu viel aufgestaut. Er nahm es. Er stach zu »und zog dann das Messer sofort wieder heraus«. So steht es im Gerichtsurteil. Nur dank einer Notoperation endete der Stich nicht tödlich.
Sie standen zusammen am Fließband, zehn auf der einen, zehn auf der anderen Seite. Zwischen ihnen das Band, an dem das Fleisch seinen Weg zum Schnitzel nimmt. Jeder hatte einen eigenen Korb mit Messern. Rustikale Umgangsformen sind hier üblich, es ist schließlich ein Schlachthof. Auch Streitereien, Hänseleien. Gelegentlich bewarf der Vorarbeiter seine Leute mit Fleischstücken oder Eiswürfeln, aus »Spaß«. So steht es in den Gerichtsakten. Manchmal zog er unter dem Gelächter der Kollegen seinem Untergebenen eine Folie über den Kopf.
Es ist Stress, klar, wenn das Schnitzel so billig werden muss. Das Schlachten eines ganzen Schweines kostet ja, alles in allem, nur 1,03 Euro. Pro Schwein, wohlgemerkt, nicht pro Kilo.
»Wir stehen unter Druck, und den gebe ich weiter«, sagte Piotr, der Vorarbeiter, der aus Polen stammt und der schließlich das Messer zwischen den Rippen stecken hatte, genauer: in der linken Thoraxflanke, zwischen der zehnten und elften Rippe, geführt von Andrzej, gleichfalls ein Pole, »in einem großen Halbbogen«, mit »großem Schwung« und »einiger Kraft«, so der Urteilstext.
Andrzej wurde zu einem Jahr und zehn Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt, von der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Halle. Aber selbst der Anwalt des Messerstechers, Janusch Nagel, stellt die Frage: »Wer ist hier Täter, wer Opfer?« Und wer Gewinner, wer Verlierer?
Verlierer sind zunächst die tausend Polen, die hier schuften müssen, im ostdeutschen Weißenfels, inmitten der Zone mit den monströsesten Tierfabriken Europas.
Auf der Gewinnerseite steht, rein geschäftlich betrachtet, natürlich der Besitzer der Tötungsanlage, Clemens Tönnies, der größte Schlachtfabrikant Deutschlands. Allein 17 Millionen Schweine schlachtet er im Jahr, 5,6 Milliarden Euro Umsatz macht er damit insgesamt. Er ist ein angesehener Mann, Deutschlands Supermarktkonzerne kaufen gern bei ihm. Auf dem Gelände des Schlachthofs stehen große Trucks mit Werbung drauf: »Toasty: Don’t call it Schnitzel«. Das ist ein Erfolgsprodukt des Hauses, überall zu haben, bei Rewe, bei Edeka. Im Fernsehen machen sie Werbung dafür. Aldi und Lidl beliefert er natürlich auch.
So scheint auch der Verbraucher zu den Gewinnern zu gehören. Jedenfalls solange er noch keine Symptome zeigt. Denn rotes Fleisch ist, glaubt man Wissenschaftlern und auch Behörden, inzwischen als Gesundheitsrisiko einzustufen, mitverantwortlich für die großen Zivilisationskrankheiten. Und zu den Betroffenen gehört, tragischerweise, womöglich auch Fleischkönig Tönnies.
Rotes Fleisch, das klingt nach Rind oder Lamm. Hierzulande ist es aber vor allem: Schweinefleisch. Und, fast wichtiger noch: die Wurst.
Das will nun, im Lande der Currywurstkultur, nicht jedem gefallen. Und noch weniger einleuchten. Schließlich gibt es die Wurst seit Menschengedenken, und das Schwein ist schließlich Begleiter und auch Fleischlieferant des Menschen seit Jahrtausenden.
Bisher galt es ja sogar als Glückssymbol. Ein sympathisches Tier, lustig, intelligent, einfühlsam, flink. Rennen kann es auch, und glücklich grunzen dazu. Schweinernes, Wurst, Wammerl, Braten, Haxen, all das war so etwas wie ein kulinarisches Kulturgut. Und das soll plötzlich zum Gefahrgut geworden sein?
Das nun hat tatsächlich viel zu tun mit den Verhältnissen wie in jenem Schlachthof, in dem die Messerstecherei stattfand. Verhältnisse, in denen unter hohem Druck, in optimierten Verfahren, aus lebendigen Wesen Waren gemacht werden, die zu Billigpreisen verramscht werden, in irren Mengen.
Mit herkömmlichen, traditionellen Zucht- und Schlachtmethoden wäre das gar nicht möglich. Mit herkömmlichen Methoden könnte also gar nicht so viel produziert werden, dass es schadet, den beteiligten Schweinen, den Beschäftigten im Schlachthof und der Gesundheit der Konsumenten.
Die Tierindustrie schafft das. Mit »industrieller Mast«, zum Beispiel. So hieß das hier früher, in Deutschlands Osten, wo auch der Schlachthof liegt, in dem es zur Messerstecherei kam. Industrielle Mast, das bedeutet: riesige Ställe, dunkle, fensterlose Baracken, irgendwo im Wald oder auf weiter Flur versteckt. Niemand hört die Tiere, die hier eingepfercht sind. Diese Produktionsbedingungen haben es überhaupt erst möglich gemacht, so viel Fleisch zu produzieren, dass es ungesund wird.
Für Schweine-Kritiker ist das keine Überraschung. Denn nicht nur die kulinarische Liebe zum Schwein hat Tradition, sondern auch die Skepsis. Dass Schweinefleisch nicht gut sei, das glaubten viele Kulturen. Der Sage nach soll Buddha an einer »Überladung des Magens« mit Schweinebraten gestorben sein – was allerdings bei seinen Anhängern umstritten ist. Juden und Muslimen ist der Verzehr von Schweinefleisch verboten. »Der Herr redete mit Mose und Aaron und sprach zu ihnen: Redet mit den Kindern Israel und sprecht: Dies sind die Tiere, die ihr essen sollt« (Levitikus 11, 1–47). Vom Schwein sollten die Gläubigen »nicht essen«, denn es sei »unrein«. Auch im Koran (2. Sure, Vers 173) stehen Schweine auf dem Index, es ist »untersagt«, sie zu essen.
Als Grund für die Ächtung gelten die sogenannten Trichinen, kleine Fadenwürmer, die beim Menschen zu Erbrechen und Durchfall, aber auch zu Schwindel, bei Immunschwäche sogar zum Tod führen können. Das Trichinenproblem gilt mittlerweile als gelöst; es scheint nur noch eines auf manchen Kleinbauernhöfen zu sein, vor allem in armen Ländern mit mangelhafter Hygiene, wie in Rumänien.
Die Tierindustrie hat das Trichinenproblem im Griff – aber dafür neue Probleme geschaffen. Durch die schiere Masse. Zum Beispiel die Krankheiten, die die bayerische Wirtin Irene Huber plagen, und viele mehr, vor denen Wissenschaftler und Behörden in Europa und Amerika warnen: Herzprobleme, Übergewicht, Diabetes, Nierenleiden, sogar Krebs. Womöglich ist sogar Großschlächter Tönnies ein Opfer: Er litt an einem Nierentumor. Und solche Krankheiten könnten, meinen jedenfalls manche Wissenschaftler, auch mit dem roten Fleisch, etwa vom Schwein, zusammenhängen.
Auch der neue Überschuss an Proteinen, dem tierischen Eiweiß, stammt zum großen Teil von Schnitzel, Braten, Wurst. Das sogenannte L-Carnitin etwa ist so ein Fleisch-Eiweiß, das bisher als sehr gesund galt, sogar als Nahrungsergänzungsmittel verkauft wurde, aber nach einer US-Studie von 2013 die Bildung von Ablagerungen in den Adern und damit Herzkrankheiten begünstigen kann – wie die, an der Frau Huber leidet.
Hinzu kommen die Leiden, für die speziell das Schweinefleisch steht. Wie zum Beispiel die Schmerzen an den Gelenken. Irene Huber hat sie vor allem am Daumen: »Der tut mir immer unwahrscheinlich weh.« Sie kann im Wirtshaus das Bier kaum noch zapfen. Manchmal wacht sie nachts auf vor lauter Schmerzen.
Zu den Krankheiten, bei denen das Schwein eine besondere Rolle spielt, gehört die Gicht. Zu erkennen ist sie oft an hohen Harnsäurewerten, wie sie auch bei Frau Huber gemessen wurden. Das Fleisch enthält sogenannte Purine, die wandelt der Körper in Harnsäure um. Gicht ist eine besonders schwere Form der Arthritis. Allein an der sogenannten Polyarthritis sollen 800000 Menschen in Deutschland leiden – mit zunehmender Tendenz. Und auch hier stehen Schweinefleisch-Bestandteile am Pranger, wie auch bei der sogenannten Fibromyalgie, einer besonders lästigen Krankheit. Ihr »Leitsymptom« ist – der Schmerz. Wie bei einer Betroffenen namens Emilia, die im Internet schreibt:
»Ich habe schon viele Jahre Fibromyalgie. Immer wenn ich Schweinefleisch esse, habe ich einen Tag später einen starken Schmerzschub. Weil ich zu wenig Blut habe, sollte ich ab und zu Fleisch essen. Was ist im Schweinefleisch, dass dieses so starke Schmerzen auslöst? Schmerzen habe ich jeden Tag, am ganzen Körper, doch ein Schmerzschub ist sehr schlimm und dauert dann einige Wochen.«
Was drin ist? Vor allem die sogenannte Arachidonsäure, von der besonders viel in tierischen Produkten enthalten ist – an der Spitze steht dabei das Schwein: Mageres Schweinefleisch enthält davon 120 Milligramm pro 100 Gramm, ebenso viel die Fleischwurst, bei Schinken sind es 130, bei Schweineleber 870 Milligramm. An der Spitze steht Schweineschmalz mit 1700 Milligramm pro 100 Gramm.
Aus der Arachidonsäure bildet der Körper Eicosanoide, Botenstoffe. Davon benötigt der Körper etwa 50 Milligramm am Tag, bekommt aber in Deutschland durchschnittlich 300 bis 350.
Früher gab es nicht so viele von diesen Eicosanoiden. Es gab auch keinen übermäßigen Fleischkonsum. Früher gab es auch noch keine Tierindustrie....