»So endete der schönste Tag unseres Lebens.« Dieses Wort, das die Bundesbrüder eines Dorfes am Abend des großen Nationalfestes an den Schluß ihres Protokolls schrieben, war ich versucht, selbst hinzuschreiben, als ich im Jahre 1847 die Erzählung der Verbrüderungen vollendete. Nichts ähnliches wird sich mehr mir bieten. Ich habe meinen Anteil an diesem Leben gehabt, da es mir als erstem vergönnt war, diese großen Zusammenschlüsse des Volkes in den Akten wiederzufinden und sie in meinen Schilderungen aufzuzeichnen.
Die Verbindungen der Provinzen, der Départements, der Städte und Dörfer, trugen selbst Sorge, ihre Geschichte niederzuschreiben und zu erzählen. Sie berichteten sie an ihre Mutter, die Nationalversammlung, treuherzig, harmlos, in einer oft plumpen und kindlichen Form, sie erzählten, so gut sie konnten; wer des Schreibens kundig war, der schrieb. Man fand auf dem Lande nicht immer den geschickten Schreiber, der würdig war, diese Dinge dem Gedächtnis der Nachwelt zu überliefern. Der gute Wille mußte Ersatz bieten. Ihr wahrhaften Denkmäler der entstehenden Brüderlichkeit, ihr unförmlichen, aber in der ersten Begeisterung entstandenen, vom Gedanken Frankreich inspirierten Aktenstücke, ihr werdet für alle Zeiten Zeugnis ablegen für das Herz unserer Väter, für ihre Freude, als sie zum erstenmal in das hochgeliebte Antlitz des Vaterlandes blickten!
All das habe ich nach sechzig Jahren wiedergefunden, vollkommen, glühend, als sei es gestern geschehen, als ich die Papiere öffnete, die nur wenige schon gelesen hatten. Gleich zu Beginn ergriff mich ein Gefühl der Achtung, ich empfand etwas Merkwürdiges, Einzigartiges, das nicht mißzudeuten ist. Diese begeisterten, an das (von der Nationalversammlung repräsentierte) Vaterland gerichteten Erzählungen, das sind Briefe der Liebe.
Nichts Offizielles, nichts Anbefohlenes. Ersichtlich redet das Herz. Was man an Künstlichem, Rhetorischem, an Deklamation darin finden kann, das ist gerade das Fehlen aller Kunst; die Ungeschicklichkeit des jungen Mannes, der nicht weiß, wie er seine aufrichtigen Gefühle ausdrücken soll, der Romanphrasen gebraucht, weil ihm, eine wahre Liebe zu beschreiben, andere Worte nicht zu Gebote stehen. Aber jeden Augenblick widerspricht ein dem Herzen entrungenes Wort dieser Ohnmacht der Sprache und läßt die wahre Tiefe des Empfindens ermessen. All das ist wortreich; wie könnte man aber in solchen Augenblicken jemals zu Ende kommen? Wie sich selbst genug tun? Die kleinen Äußerlichkeiten sind ihnen sehr wichtig gewesen; keine Schrift war schön, kein Papier gut genug, von den prächtigen, kleinen, dreifarbigen Bändern ganz zu schweigen, mit denen man die Hefte zusammenband. Als ich sie zuerst bemerkte, glänzend und ganz wenig verblaßt, dachte ich daran, was Rousseau von der übermäßigen Sorgfalt sagt, die er daran wandte, die Manuskripte seiner Julie zu schreiben, zu verbessern und auszuschmücken. Die Gedanken unserer Väter, ihre Sorgen, ihre Unruhen waren die gleichen, als die Liebe in ihnen sich von vergänglichen, unvollkommenen Gegenständen weg zu ewiger Schönheit erhob.
In diesen primitiven Aufsätzen über die neue Religion verbleichen oder verschwinden all die alten, bekannten Dinge, alle Zeichen der Vergangenheit, alle früher verehrten Symbole. Was davon bleibt, zum Beispiel die Zeremonien des alten Kultes, den man anwendet, um diese neuen Feste zu weihen, ist – das spürt man genau – nebensächlich. In diesen ungeheuern Vereinigungen, bei denen das Volk jeden Standes und jeder Gemeinschaft nur ein Herz und eine Seele ist, liegt etwas, das heiliger ist als ein Altar. Kein besonderer Kultus verleiht dem Vorgang Weihe, der allen heilig ist: der Mensch, der sich vor Gott verbrüdert.
Alle alten Sinnbilder verblaßten, und die neuen, mit denen man Versuche anstellt, haben wenig Bedeutung. Mag man auf den alten Altar schwören, auf das heilige Sakrament oder auf das kalte Bild der abstrakten Freiheit: das wahre Symbol ist anderswo. Das ist die Schönheit, die Größe, der ewige Reiz dieser Feste: ihr Symbol ist lebendig.
Das Sinnbild für den Menschen ist der Mensch. Alle alten Vorstellungen stürzen zusammen, eine heilige Achtung kehrt ihm wieder vor dem wahren Ebenbild Gottes. Er hält sich nicht selbst für Gott; kein leerer Hochmut ist in ihm. Hier erscheint der Mensch nicht als Herrscher oder Sieger, sondern unter ganz anders bedeutsamen und ergreifenden Bedingungen. Die edle Harmonie von Familie, Natur und Vaterland genügt, um diese Feste mit dem Reiz der Religion und der Weihe zu erfüllen.
Überall ist der Greis an der Spitze des Volkes, er nimmt den ersten Platz ein, blickt auf die Menge hinab, um ihn die Mädchen wie ein Blumenkranz. Bei allen Festen trägt die anmutige Schar einen weißen Rock und einen Gürtel » à la nation« (d. h.: einen Gürtel mit den drei Farben). Hier spricht eine von ihnen ein paar edle, entzückende Worte, die morgen Helden machen werden. Anderswo (bei der Bürgerprozession von Romans in der Dauphiné nimmt ein schönes Mädchen am Zuge teil, das eine Palme in der Hand trägt mit der Inschrift: »Dem besten Bürger!« Da kehrten viele als große Schwärmer zurück.
Die Dauphiné, die ernste, tapfere Provinz, welche die Revolution eröffnete, veranstaltete zahlreiche Verbrüderungen, sowohl der ganzen Provinz, als der Städte und Dörfer besonders. Die ländlichen Grenzgemeinden, fast unter dem Himmel Savoyens und in unmittelbarer Nähe der Emigranten, in deren Schußbereich sie ihre Felder bestellten, feierten nur um so schönere Feste. Es gab ein Bataillon bewaffneter Kinder, ein Bataillon bewaffneter Frauen und ein anderes von bewaffneten Mädchen. In Maubec machten sie in guter Ordnung einen Umzug, die Fahne an der Spitze, den nackten Degen schwingend, mit jener anmutigen Lebendigkeit, wie sie nur die Frauen Frankreichs haben.
Ich habe an anderer Stelle von der heldenmütigen Entschlossenheit der Frauen und Mädchen von Angers gesprochen; sie wollten die Heimat verlassen und der jungen Armee von Anjou und der Bretagne folgen, Schon im Jahre 1788 brachen große Aufstände in der Dauphiné aus, besonders in der Hauptstadt Grenoble, Als hier die königliche Verordnung über die Aufhebung der Gerichtshöfe, der sogenannten Parlamente, verlesen wurde, erhob sich das Volk und plünderte den Palast des Gouverneurs. Damit die Bewegung einen offiziellen Charakter bekommen sollte, zwang es die Parlamentsmitglieder, an den Vorgängen tätig teilzunehmen. Große Bauernhaufen zogen in die Stadt, um sich ebenfalls zu beteiligen. Die rasch organisierte Bürgerwehr und die Garnison war machtlos. Erst als Kanonen gegen die Aufständischen gerichtet wurden, ließen diese das Parlament frei. Große Truppenmengen mußten zusammengezogen werden, um die Erhebung zu dämpfen. Es kam aber noch Wochen hindurch in Stadt und Land täglich zu größeren und kleineren blutigen Zusammenstößen. Die Vorgänge in der Dauphiné sind besonders bemerkenswert, weil die Frauen eine sehr tätige Rolle darin spielen. R. K. die gegen Rennes vorrückte, wollten teilnehmen an diesem ersten Kreuzzuge für die Freiheit, die Kämpfer mit Nahrung versorgen, die Verwundeten pflegen. Sie schwuren, nur rechtschaffene Bürger zu heiraten, nur Tapfere zu lieben, ihr Leben nur mit denen zu teilen, die das ihrige Frankreich darbrächten.
Sie gaben so seit 1788 Veranlassung zu leidenschaftlichem Eifer. Und jetzt, bei den Verbrüderungen vom Juni und Juli 1790, nachdem so viele Hindernisse beseitigt waren, bei diesen Siegesfesten, war keiner bewegter als sie. Die Familie, die während des Winters jeden öffentlichen Schutzes völlig beraubt gewesen war, hatte in so mancher Gefahr geschwebt. Sie begrüßten in diesen großen, beruhigenden Vereinigungen die Hoffnung auf Wohlfahrt; das arme Herz indessen war dennoch schwer von der Vergangenheit, von der Zukunft. Aber sie sahen die Zukunft nur im Heile des Vaterlandes! Sie bewiesen, das sieht man in allen schriftlichen Zeugnissen, mehr Eifer, mehr Wärme als selbst die Männer, sie brannten ungeduldiger darauf, den Bürgerschwur zu leisten.
Man hält die Frauen vom öffentlichen Leben fern; man vergißt allzusehr, daß sie in Wirklichkeit viel mehr darin zu suchen haben als sonst jemand. Sie leisten einen ganz anderen Einsatz als wir; der Mann setzt dabei nur sein Leben aufs Spiel, die Frau dagegen ihr Kind. Sie hat ein viel größeres Interesse daran, Erkundigungen einzuziehen, in die Zukunft blicken zu können. In dem einsamen häuslichen Leben, das die Mehrzahl der Frauen führt, verfolgen sie mit ihren unruhigen Träumen die Gefahren des Vaterlandes, die Bewegungen der Heere. Glaubt ihr, sie säße hinter dem Herde? Nein, sie ist in Algerien, sie nimmt teil an den Entbehrungen, an den Märschen unserer jungen Soldaten in Afrika, sie leidet und kämpft mit ihnen.
In irgend einem Dorfe halten sich die Männer allein in einem großen Gebäude versammelt, um gemeinschaftlich eine Zuschrift an die Nationalversammlung zu richten. Die Frauen kommen und hören zu, sie treten mit Tränen in den Augen ein, sie wollen auch dabei sein. Da liest man ihnen die Zuschrift vor, sie schließen sich ihr mit vollem Herzen...