Hannes Haas
Zwischen Engagement und Distanz.
Die Kriegsreporterin Antonia Rados
Vorwort
Antonia Rados beantwortet E-Mails. Nicht immer so schnell wie andere, aber das hat gute Gründe – sie ist viel unterwegs. Ich erhalte ihre Mail an einem Freitag um 16:00 Uhr, es geht um die Themen für ihre Vorlesungen im Rahmen der Theodor-Herzl-Dozentur am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Die Zeit drängt, das Programm und die Einladungen müssen gedruckt und verschickt werden. Noch am selben Abend und nur wenige Stunden später sehe ich im TV eine Live-Schaltung mit Antonia Rados. Sie berichtet über Angriffe und eine unbekannte Zahl an Opfern. Krieg, Tod und Zerstörung, dazwischen die Übersendung der Themen für die Vorlesungen nach Wien …
Sie sagt, sie habe die Einladung gerne angenommen, und sie hat auch nicht gefragt, was denn unter diesem komplexen Titel: »Theodor-Herzl-Dozentur für Poetik des Journalismus« zu verstehen sei. Das war nicht immer so. Jetzt, wo die Dozentur längst etabliert ist, sollen die Schwierigkeiten des Anfangs nicht vergessen werden. Was denn Journalismus mit Poetik zu tun habe, ob – nachgerade beim österreichischen Journalismus – nicht immer ein wenig »Poetik« (gemeint war wahrscheinlich »Poesie«?) dabei wäre, wurden wir gefragt. Dabei waren es ganz andere Ziele, die Wolfgang R. Langenbucher, der langjährige Vorstand des Instituts, im Jahr 2000 mit der Gründung im Auge hatte. Die Dozentur folgte einer international schon jahrzehntealten kulturellen und universitären Tradition. So hielt Igor Strawinsky 1939/40 Gastvorlesungen an der Harvard University, die unter dem Titel »Poétique Musicale« berühmt und zum Vorbild für Zyklen akademischer Gastveranstaltungen – etwa der Frankfurter Poetik-Vorlesungen – wurden. Mit der Theodor-Herzl-Dozentur haben wir in Wien erstmals für eine Poetik des Journalismus jenen kulturellen und intellektuellen Rang postuliert, der für Literatur, Musik und Kunst traditionellerweise selbstverständlich geworden ist. Wir befinden uns damit im Gegensatz zum Dogma vieler Journalismusforscher und -forscherinnen, die Journalismus als redaktionelle Leistung betrachten und individuelle journalistische Werke tendenziell negieren. Wir fühlen uns sehr wohl in dieser Uferlage, nicht zuletzt deshalb, weil die Zahl der Besucher aus dem Mainstream steigt. »Poetik« bedeutet übrigens »schöpferisch tätig sein, herstellen, verfertigen«; Poetik ist das »Studium des zu machenden Werkes«.
Die Poetik des Journalismus analysiert journalistische Werke, die Bedingungen ihrer Entstehung, die verwendeten Methoden und Verfahren, ihre Herstellungsprozesse und Kontexte. Darüber und über ihre Positionen, ihre Arbeitsweisen und ihren Zugang zum Journalismus reflektieren die Journalistinnen und Journalisten in ihren Vorträgen. Solcher Qualitätsjournalismus unterscheidet sich von den redaktionell erbrachten Dienstleistungen, er wird als eine Leistung mit gesellschaftlichem Mehrwert betrachtet, deren Vielfältigkeit und schöpferische Qualität thematisiert werden sollen. Die Theodor-Herzl-Dozentur für Poetik des Journalismus wäre ohne den Einsatz von Petra Herczeg und die Unterstützung durch Muna Kadum, Bianca Grossberger und Martina Winkler nicht möglich. Ich danke ihnen herzlich für ihr Engagement und ihre Begeisterung! Seit 2000 haben Journalistinnen und Journalisten wie Margrit Sprecher, Kai Hermann, Herbert Riehl-Heyse, Peter Huemer, Luc Jochimsen, Klaus Harpprecht, Gerhard Kromschröder und Sibylle Hamann als Dozentinnen und Dozenten Vorlesungen gehalten, die auch als Buchveröffentlichungen erschienen sind. Unterstützt werden wir dabei von der Stadt Wien und dem Kuratorium für Journalistenausbildung, bei denen ich mich an dieser Stelle ebenso bedanken möchte wie bei unserem Verleger Alexander Potyka und seinem Team bei Picus.
Ich habe 2008 die Leitung der Theodor-Herzl-Dozentur übernommen, Antonia Rados war meine erste Herzl-Dozentin, 2009 folgte ihr Alice Schwarzer. In ihren Vorlesungen widmete sich die Fernsehreporterin grundlegenden Fragen des Kriegs- und Krisenjournalismus, dabei standen vier zentrale Themenbereiche im Vordergrund:
1. Was sind die Voraussetzungen, Regeln und Bedingungen, um als Reporterin aus einem Krisenland berichten zu können?
2. Was zeichnet gute Krisenreporter aus?
3. Wie hat sich die Kriegsberichterstattung im Laufe der Zeit entwickelt und verändert?
4. Welchen Einfluss haben die neuen Medien (Internet, Blogs) auf die Kriegs- und Krisenberichterstattung?
Einer ihrer Vorlesungstermine musste verschoben werden: »Es tut mir wirklich leid: Ich muss am 12. Dez. passen. Ich schaffe es nicht, aus Pakistan zurückzukommen.« Antonia Rados hat uns so rasch verständigt, dass die Information über die Verschiebung rechtzeitig publiziert werden konnte. Nach ihren ersten Vorlesungen war uns und allen Zuhörern und Zuhörerinnen klar, dass eben diese Abhängigkeit von Ereignissen, das Unvorhersehbare, mehr noch als in anderen Ressorts, ein wesentlicher Teil der beruflichen Umstände einer Kriegsreporterin sind.
Krisen- und Kriegsreporter führen eine Parallelexistenz. Antonia Rados hat diese Leben nebeneinander gewählt und sie beklagt sich nicht. Sie führt wie ihre Kolleginnen und Kollegen ein Leben auf Abruf und mit schnell gepacktem Koffer. Ihr Arbeitsplatz sind die Krisenherde und die Kriegsregionen. Vergleichbar allenfalls mit dem ORF-Urgestein Friedrich Orter war und ist sie dort, wo Journalismus eine Dimension gewinnt, die nur sehr wenige kennen, die permanente Ausnahmesituation. Warum geht man dorthin, wo Krieg herrscht, wo selbst bei größter Vorsicht das eigene Leben ununterbrochen in Gefahr ist? Zynikern fällt auch hier die Antwort leicht: Um ein journalistischer Star zu werden!
Was auch immer eine Starjournalistin sein soll, Antonia Rados ist eine. Das zeigt sich natürlich auch an der Existenz von Konkurrenzneid und Eifersucht, das zeigt auch ihre Präsenz in der TV-Satire oder in YouTube & Co. Dass das Zusammentreffen von Kompetenz und Attraktivität die Inspiration der Fernsehmacher immens beflügelt, stellte Harald Schmidt unter Beweis. An ihrer Berichterstattung über die Bombardements auf Bagdad fiel ihm vor allem auf: »Antonia Rados – das ist für mich: Bagdad 10.30 Uhr, die Frisur sitzt.« Sie konterte in ihrem 2003 veröffentlichten »Tagebuch einer Kriegs-Reporterin«: »Wie schön, denke ich vor dem Einschlafen, dass zumindest einem auffällt, dass es nicht leicht ist, in Form zu bleiben in einem Hotel wie dem unseren.«1
Antonia Rados wurde am 15. Juni 1953 in Klagenfurt geboren, sie studierte Politikwissenschaft in Paris und Salzburg, absolvierte nach dem Doktorat ein Jahr als »postgraduate student« an der Johns Hopkins Universität für internationale Beziehungen in Bologna. Ihr Interesse für internationale Themen konnte sie nach zwei Jahren der freien ORF-Mitarbeit in unterschiedlichen Redaktionen zum Beruf machen: 1980 wurde sie Redakteurin im Ressort Außenpolitik im ORF und spezialisierte sich auf die Berichterstattung über Politik in Europa und aus dem Nahen Osten. 1984 ging sie als Korrespondentin für den ORF nach Washington, ein Jahr später nach Rom. Nach ihrer Rückkehr nach Wien 1988 arbeitete sie als Redakteurin für das ORF-Magazin »Auslandsreport«.
1991 wurde sie für ihre Berichterstattung über die rumänische Revolution zur »Frau des Jahres« gewählt. Sie wechselte vom ORF zum WDR und später als Sonderkorrespondentin Ausland zu RTL. Ab Mai 1995 übernahm sie auch die Leitung des RTL-Studios in Paris. Von hier aus unternahm und unternimmt sie ihre journalistischen Einsätze. Ihre Reportagen während der ersten Bombardierungen Bagdads 2003 und ihre kontinuierliche Arbeit vor Ort verschafften ihr internationale Anerkennung und machten sie zu »Deutschlands bekanntester Krisen- und Kriegsreporterin« (Der Spiegel), zu einer der populärsten Fernsehjournalistinnen des deutschen Sprachraums.
Seit 2003 moderiert sie den »Auslandsreport« für den deutschen Nachrichtensender n-tv. Die Rückkehr ins öffentlich-rechtliche System währte nur kurz: Nachdem sie im Frühsommer 2008 zum Team des »heute-journals« des ZDF gegangen war, kehrte sie bereits im Jänner 2009 wieder zu RTL zurück.
Ihre Arbeiten aus Afghanistan, dem Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Südafrika, Somalia, Georgien, dem Iran und dem Irak sind vielfach ausgezeichnet worden. So hat sie den »Kritikerpreis«, den »Pirellipreis«, 2003 den »Hanns-Joachim-Friedrichs-Medienpreis für Fernsehjournalismus«, ebenfalls 2003 die »Romy« für die Dokumentation »Mein Freund Saddam« – eine RTL/Arte-Koproduktion – und den »Deutschen Fernsehpreis« für die Irak-Berichterstattung in der Kategorie »Beste Reportage« gewonnen. Für ihre Dokumentation »Feuertod«, einen Film über die...