2. Abscheidung der Philosophie von den mit ihr verwandten Gebieten
Näher teils nach ihrem Elemente, teils nach den eigentümlichen Gegenständen verwandt mit der Geschichte der Philosophie ist die Geschichte der übrigen Wissenschaften und der Bildung, vornehmlich die Geschichte der Kunst und der Religion. Diese Verwandtschaft ist es besonders, wodurch die Abhandlung der Geschichte der Philosophie in Verlegenheit gesetzt wird. Läßt sie sich auf die Besitztümer der Bildung überhaupt und näher der wissenschaftlichen Bildung ein und noch mehr auf die Mythen der Völker, auf die in denselben nur enthaltenen Philosopheme, ferner auf die religiösen Gedanken selbst, die schon als Gedanken sind, auf das Spekulative, das darin zum Vorschein kommt, so hat sie keine Grenzen – teils wegen der Menge des Stoffes selbst und der Bemühungen, ihn zu bearbeiten, herauszupräparieren, teils weil dieser mit so vielem anderen in unmittelbarem Zusammenhange steht. Aber man muß die Abscheidung nicht willkürlich und wie von ungefähr machen, sondern sie auf gründliche Bestimmungen bringen. Wenn wir uns bloß an den Namen der Philosophie halten, so gehört aller dieser Stoff in die Geschichte derselben.
Ich will nach drei Gesichtspunkten von diesem Stoffe sprechen; dreierlei verwandte Seiten sind näher herauszuheben und von der Philosophie abzuscheiden. Die erste dieser Seiten ist das, was man überhaupt zur wissenschaftlichen Bildung rechnet; das sind Anfänge des verständigen Denkens. Das zweite Gebiet ist die Mythologie und Religion; die Beziehung der Philosophie auf sie erscheint oft feindselig, in der griechischen Zeit so gut wie in der christlichen. Das dritte Gebiet ist das räsonierende Philosophieren, die verständige Metaphysik.
a. Verhältnis der Philosophie zur wissenschaftlichen Bildung
Was die besonderen Wissenschaften betrifft, so ist zwar die Erkenntnis und das Denken ihr Element, wie das Element der Philosophie. Aber ihre Gegenstände sind zunächst die endlichen Gegenstände und die Erscheinung. Eine Sammlung von Kenntnissen über diesen Inhalt ist von selbst von der Philosophie ausgeschlossen; weder dieser Inhalt noch solche Form geht diese an. Wenn sie aber systematische Wissenschaften sind und allgemeine Grundsätze und Gesetze enthalten und davon ausgehen, so beziehen sich solche auf einen beschränkten Kreis von Gegenständen. Die letzten Gründe sind wie die Gegenstände selbst vorausgesetzt, es sei daß die äußere Erfahrung oder die Empfindung des Herzens, der natürliche oder gebildete Sinn von Recht und Pflicht die Quelle ausmacht, aus der sie geschöpft werden. In ihrer Methode setzen sie die Logik, die Bestimmungen und Grundsätze des Denkens überhaupt voraus.
Die Denkformen, ferner die Gesichtspunkte und Grundsätze, welche in den Wissenschaften gelten und den letzten Halt ihres übrigen Stoffes ausmachen, sind ihnen jedoch nicht eigentümlich, sondern mit der Bildung einer Zeit und eines Volkes überhaupt gemeinschaftlich. Die Bildung besteht überhaupt in den allgemeinen Vorstellungen und Zwecken, in dem Umfang der bestimmten geistigen Mächte, welche das Bewußtsein und das Leben regieren. Unser Bewußtsein hat diese Vorstellungen, läßt sie als letzte Bestimmungen gelten, läuft an ihnen als seinen leitenden Verknüpfungen fort; aber es weiß sie nicht, es macht sie selbst nicht zu Gegenständen und Interessen seiner Betrachtung. Um ein abstraktes Beispiel zu geben, hat und gebraucht jedes Bewußtsein die ganz abstrakte Denkbestimmung: Sein. »Die Sonne ist am Himmel, die Traube ist reif« usf. ins Unendliche; oder in höherer Bildung geht es an dem Verhältnisse von Ursache und Wirkung, von Kraß und ihrer Äußerung usw. fort. All sein Wissen und Vorstellen ist von solcher Metaphysik durchwebt und regiert; sie ist das Netz, in welches all der konkrete Stoff gefaßt ist, der den Menschen in seinem Tun und Treiben beschäftigt. Aber dieses Gewebe und dessen Knoten sind in unserem gewöhnlichen Bewußtsein in den vielschichtigen Stoff versenkt; dieser enthält unsere gewußten Interessen und Gegenstände, die wir vor uns haben; jene allgemeinen Fäden werden nicht herausgehoben und für sich zu den Gegenständen unserer Reflexion gemacht.
Die allgemeine wissenschaftliche Bildung rechnen wir Deutsche nur selten zur Philosophie. Doch finden sich auch davon Spuren, wie z.B. die philosophische Fakultät alle Wissenschaften enthält, die nicht unmittelbar für den Zweck des Staates und der Kirche sind. Zusammenhängend damit ist die Bedeutung des Namens Philosophie, die noch jetzt bei den Engländern vornehmlich vorkommt. Die Naturwissenschaften werden in England Philosophie genannt. Ein philosophisches Journal in England (von Thomson) schreibt über Chemie, Ackerbau (den Mist), Wirtschaftskunde, Gewerbekunde (wie Hermbstädts Journal) und teilt Erfindungen hierüber mit. Die Engländer nennen physikalische Instrumente, wie Barometer und Thermometer, philosophische Instrumente. Auch Theorien, besonders über Moral und moralische Wissenschaften, die aus den Gefühlen des menschlichen Herzens genommen sind oder aus der Erfahrung, werden Philosophie genannt; endlich auch Theorien, Grundsätze über die Nationalökonomie. Und so wird wenigstens in England der Name der Philosophie geehrt. In Liverpool war vor einiger Zeit ein Gastmahl zu Ehren des Ministers Canning; in seiner Danksagung kommt vor, daß er England Glück wünsche, weil dort philosophische Grundsätze auf die Staatsverwaltung in Anwendung gebracht würden. So ist dort wenigstens die Philosophie kein Spitzname.
In der Anfangszeit der Bildung begegnet uns aber diese Vermischung von Philosophie und allgemeiner Bildung öfter. Es tritt eine Zeit im Volke ein, wo der Geist sich auf allgemeine Gegenstände wirft, die natürlichen Dinge unter allgemeine Verstandesbestimmungen zu bringen, z.B. die Ursachen der Dinge zu erkennen sucht. Da sagt man, das Volk fange an zu philosophieren; denn dieser Inhalt hat mit der Philosophie das Denken gemein. Oder in Ansehung des Geistigen, wenn allgemeine Grundsätze über die Sittlichkeit, den Willen (Pflichten, wesentliche Verhältnisse) ausgesprochen werden, so haben die, welche sie ausgesprochen, Weise oder Philosophen geheißen. So begegnen uns sogleich im Anfange der griechischen Philosophie die Sieben Weisen und die ionischen Philosophen. Von ihnen werden uns eine Menge Vorstellungen, Entdeckungen angeführt, die neben die philosophischen Sätze treten. So soll Thales (nach anderen ein anderer) Sonnen- und Mondfinsternisse durch das Dazwischentreten des Mondes oder der Erde erklärt haben. Solches nannte man auch ein Philosophem. Pythagoras hat das Prinzip der Harmonie der Töne gefunden. Andere haben sich Vorstellungen von den Gestirnen gemacht: das Himmelsgewölbe sei durchlöchertes Metall, durch welches hindurch wir das Empyreum, das ewige Feuer sehen, das die Welt umgibt. Solche Sätze gehören, als Produkte des Verstandes, nicht in die Geschichte der Philosophie, wenn auch darin schon liegt, daß über das bloß sinnliche Anstieren hinausgegangen wird sowie darüber, solche Gegenstände nur durch die Phantasie vorzustellen. Erde und Himmel wird auf diese Weise von Göttern entvölkert, indem der Verstand die Dinge in ihrer äußerlichen, natürlichen Bestimmtheit dem Geiste gegenüberstellt. Wir finden in solcher Zeit auch Sittensprüche, moralische Sentenzen einen allgemeinen sittlichen Inhalt habend: so die der Sieben Weisen; auch Sprüche über das allgemeine Geschehen der Natur.
In späterer Zeit ist die Epoche des Wiederauflebens der Wissenschaften ebenso merkwürdig in dieser Hinsicht. Allgemeine Grundsätze über den Staat usw. wurden ausgesprochen; es ist eine philosophische Seite darin, so die Philosophie von Hobbes und Descartes. Die Schriften des letzteren enthalten philosophische Prinzipien, seine Naturphilosophie und seine Ethik sind aber empirisch, wogegen Spinozas Ethik auch allgemeine Ideen, Erkenntnis Gottes, der Natur in sich schließt. Wenn früher die Medizin eine Sammlung von Einzelheiten und dabei ein theosophisches Gebräu war, mit Astrologie usw. vermischt (auch durch Heiligtümer wurde geheilt, was nicht so fern lag), so trat dagegen nun eine Betrachtung der Natur auf, wo man darauf ausging, Gesetze und Kräfte der Natur zu erkennen. Man hat das apriorische Räsonieren über die natürlichen Dinge nach der Metaphysik der scholastischen Philosophie oder von der Religion aus aufgegeben. Die Newtonsche Philosophie enthält nichts anderes als die Naturwissenschaft, d.h. die Kenntnis von den Gesetzen, Kräften, allgemeinen Beschaffenheiten der Natur, geschöpft aus der Wahrnehmung, aus der Erfahrung. Sosehr dies auch dem Prinzipe der Philosophie entgegengesetzt zu sein scheint, so hat es doch dies mit der Philosophie gemein, daß die Grundsätze allgemein [sind,] und näher, daß ich dies erfahren habe, daß es in meinem Sinne liegt und mir dadurch ist.
Diese Form ist im allgemeinen dem Positiven entgegengesetzt und ist besonders aufgetreten im Gegensatz gegen die Religion und gegen das Positive derselben. Wenn in der Zeit des Mittelalters die Kirche Dogmen als allgemeine Wahrheiten festgesetzt hatte, so hat der Mensch jetzt aus dem Zeugnis seines eigenen Denkens8, Gefühls, Vorstellens ein Mißtrauen dagegen bekommen. Ebenso hat sich dies Prinzip gegen die...