EINFÜHRUNG: VON WÜRMERN UND WOHLSTAND
„Hinter allen Arten und Weisen,
die möglicherweise Börsenrenditen verbessern,
scheint Psychologie zu stecken.“
– BEN STEIN UND PHIL DEMUTH,
„THE LITTLE BOOK OF
ALTERNATIVE INVESTMENTS“
ÜBER MEDINAWÜRMER …
Der amerikanische Süden ist eine stolze und manchmal im Aufruhr befindliche Region, die sich durch ihre einzigartigen Essgewohnheiten, ihren unverkennbaren Akzent und ihren Ruf der sowohl menschlichen als auch klimatischen Wärme auszeichnet. Ich bin ein Kind dieser seltsamen und wundervollen Gegend, in Alabama geboren, Jetzt lebe ich in Atlanta, das de facto die Hauptstadt des Südens ist.
Atlanta ist vieles: die Heimat zweier Friedensnobelpreisträger (Martin Luther King, Jr. und Jimmy Carter), die einzige amerikanische Stadt, die zweimal bis auf die Grundmauern abgebrannt ist, und es war 1996 Gastgeber der olympischen Sommerspiele. Was jedoch vielleicht am beeindruckendsten ist: Atlanta ist das weltweite Epizentrum der epidemiologischen Forschung, und zwar dank der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und des Carter Centers.
Das CDC kann mit mehr als 14.000 Beschäftigten in über 50 Ländern aufwarten und ist die Speerspitze im Kampf gegen Infektionserkrankungen im In- und Ausland. Das Carter Center, das philanthropische Vermächtnis des früheren amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter, führt in seinem Motto das ehrgeizige Ziel „Frieden wagen. Krankheiten bekämpfen. Hoffnung erzeugen.“
Zwar sind beide Organisationen allezeit fleißig, jedoch rückt ihre Arbeit meist nur im Zusammenhang mit prägnanten gesundheitsbezogenen Ereignissen ins öffentliche Bewusstsein, zum Beispiel anlässlich der HIV-/AIDS-Epidemie, SARS, der Vogelgrippe oder in jüngster Zeit des Ebola-Virus. Da schlagzeilenträchtige Krankheiten mit dramatischen Namen (Rinderwahn zum Beispiel) einen überdurchschnittlichen Teil des Rampenlichts ergattern, bleiben einige der wirkungsvollsten Programme dieser Organisationen weitgehend unbemerkt. Eine solche Kampagne ist das Bemühen, den Medinawurm auszurotten, unter der Leitung von Dr. Donald Hopkins.
Um die ganze Bedeutsamkeit der Arbeit von Dr. Hopkins und seinem Team im Carter Center zu verstehen, müssen wir zunächst die (etwas unangenehme) Anstrengung unternehmen, die krankhaften Auswirkungen zu verstehen, die der Parasit Dracunculus medinensis – allgemein als Medinawurm bekannt – hervorruft. Der Medinawurm ist der größte Gewebeparasit, der den Menschen befällt, und er kann etwa einen Meter lang werden. Medinawürmer sind außerdem Fortpflanzungsexperten – adulte Weibchen tragen unglaubliche drei Millionen Larven. Die Weltgesundheitsorganisation vermerkt, dass „der Parasit durch das Unterhautgewebe des Betroffenen wandert und große Schmerzen verursacht, vor allem wenn dies in Gelenken geschieht. Irgendwann tritt der Wurm aus (in den meisten Fällen aus den Füßen) und verursacht ein höchst schmerzhaftes Ödem, eine Blase und ein Geschwür, das mit Fieber, Übelkeit und Erbrechen einhergeht.“ Aua!
Noch komplizierter wird die Sache dadurch, dass gerade das Mittel, durch das man den schrecklichen Schmerz lindern kann, die Übertragung des Parasiten noch fördert. Auf der Suche nach Erleichterung von den Schmerzen eilen die Leidenden zu ihrer örtlichen Wasserstelle und tauchen ihre wurmgeplagten Glieder verzweifelt ins Wasser. Das unmittelbare Ergebnis für das Opfer ist positiv – der betroffene Bereich wird etwas gekühlt und kurzzeitig flauen die Symptome ab. Die Hilfe für eine Person geht jedoch auf Kosten vieler Personen, denn nun befindet sich der Medinawurm im Wasser, das sein bevorzugtes Fortpflanzungsmilieu ist. Wie Sie sich inzwischen wohl schon denken können, vermehren sich die Parasiten im Wasser, dieses wird dann an durstige Dorfbewohner verteilt, die schließlich infiziert werden, auf der Suche nach Erleichterung an die Wasserstelle zurückkehren und so den Zyklus endlos fortsetzen.
Jedoch gehen die negativen Folgeschäden weit über den physischen Schmerz hinaus (ich habe natürlich leicht reden). Das Buch „Influencer: The Power to Change Anything“ beschreibt die Nachwirkungen folgendermaßen:
„Die Leidenden können viele Wochen lang nicht auf dem Feld arbeiten. Wenn Eltern betroffen sind, gehen die Kinder womöglich nicht mehr in die Schule und helfen bei den häuslichen Arbeiten. Es können keine Feldfrüchte angebaut werden. Die Ernte ist verloren. Daraus folgt Hunger. Der Zyklus aus Analphabetismus und Armut verzehrt die nächste Generation. Die von dem Wurm hervorgerufenen Sekundärinfektionen können tödlich sein. Infolge dessen ist der Medinawurm seit über 3.500 Jahren in Dutzenden Ländern eine bedeutende Hürde für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt.“1
Nun sollte mehr als klar sein, dass Dr. Hopkins und sein Team, als sie 1986 dem Medinawurm den Krieg erklärten, gegen einen furchterregenden Feind in die Schlacht zogen. Aber ihr Schlachtplan war nicht das, was die meisten erwartet hatten. Anstatt ihre Bemühungen auf eine medizinische Heilung der Krankheit zu richten, versuchten sie, das menschliche Verhalten zu ändern, das ihre Ausbreitung fördert. Damit taten sie etwas, das viele für unmöglich gehalten hatten – sie rotteten eine Krankheit annähernd aus, für die es keine Heilung gibt.
Sie erzielten diesen unwahrscheinlichen Erfolg, indem sie etwas überaus Intuitives taten: Sie untersuchten die nicht infizierten Dörfer, identifizierten einige wenige wichtige Verhaltensweisen und machten ihre Ergebnisse allgemein bekannt. Konkret handelte es sich bei den entscheidenden Verhaltensweisen (für den Fall, dass Sie jemals in ein Entwicklungsland kommen) um folgende:
1. Die Bewohner gesunder Dörfer waren bereit, sich für befallene Freunde, Verwandte oder Nachbarn einzusetzen.
2. Die befallenen Personen wurden auf dem Höhepunkt ihres Schmerzes (das heißt wenn die Würmer aus der Haut austraten) von den gemeinschaftlichen Wasserquellen ferngehalten.
Indem sie diese entscheidenden Handlungsweisen kodifizierten und andere von deren Wirkung informierten, beeinflussten Dr. Hopkins und sein Team das körperliche, geistige und wirtschaftliche Wohlbefinden von Millionen Menschen. Die gewaltige Reichweite ihrer Arbeit täuscht über die Einfachheit der Lösung hinweg. Nichts, was sie getan hatten, um die Welt von dieser Geißel zu befreien, war besonders bahnbrechend. Dr. Hopkins verstand schlicht die Macht einiger weniger Verhaltensweisen, wenn sie auf breiter Front und konsequent angewandt werden.
… UND HOHE RENDITEN
Parallelen zwischen Ihrem Vermögen und einem tropischen Parasiten mögen weit hergeholt (oder zu widerlich) erscheinen, aber tatsächlich können wir aus der Ausrottung des Medinawurms viel lernen. Als Erstes müssen wir uns eingestehen, dass wir als Anleger von einer Krankheit befallen sind, für die es weder Heilung gibt noch jemals eine geben wird. Diese Krankheit ist Ihre eigene Angst und Gier. Ich hege die Hoffnung, dass Sie, wenn Sie das Buch zu Ende gelesen haben, ebenso wie ich überzeugt sein werden, dass die Psychologie das größte Hindernis für zufriedenstellende Anlagerenditen sowie die größte Quelle eines möglichen Vorteils gegenüber anderen, weniger disziplinierten Anlegern darstellt.
Als Zweites müssen Sie akzeptieren, dass die einzige Möglichkeit, die Krankheit von Angst und Gier auszurotten, darin besteht, sich diszipliniert an eine Reihe entscheidender Verhaltensweisen zu halten. Ebenso wie die Verhaltensweisen, die die Dorfbewohner befreit haben, sind die hier dargelegten Verhaltensweisen einfach und intuitiv zu erfassen, aber außerordentlich schmerzhaft umzusetzen. Es ist verstandesmäßig einfach zu begreifen, dass man sich nicht der Wasserstelle nähern sollte, wenn man von einem Parasiten befallen ist? Natürlich. Es ist leicht, dies zu tun, wenn der Körper vor Schmerzen lichterloh brennt? Auf keinen Fall.
Ebenso lösen die Ideen, denen Sie in diesem Buch begegnen werden, in einem Augenblick kühler Berechnung wahrscheinlich heftiges Kopfnicken aus. Aber entscheidend für ihre Wirksamkeit wird Ihre Fähigkeit sein, sie unter allen Marktbedingungen diszipliniert umzusetzen. Ein Dorfbewohner, der weiß, dass er seinen Fuß nicht ins Wasser halten soll, es aber trotzdem tut, ist nicht besser dran als ein ahnungsloser Dorfbewohner – und das Gleiche gilt für Anleger. Ebenso wie die Dorfbewohner werden wir nur dann zu wirklich fachmännischen Anlegern, wenn wir lernen, um der Verheißung eines besseren Morgens willen ein schmerzhaftes Heute zu ertragen.
TENDENZEN ÜBERWINDEN
Es scheint in der menschlichen Natur zu liegen, dass einen Pathologie...