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Die Globalisierung der Ungleichheit

AutorFrancois Bourguignon
VerlagHamburger Edition HIS
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783868546026
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Segen oder Teufelswerk? Ist die Globalisierung für den beispiellosen Anstieg von Ungleichheit in der Welt verantwortlich? Verweist sie alle Hoffnungen auf soziale Gerechtigkeit ins Reich der Utopie? Kaum eine Debatte wird so erhitzt geführt wie jene um die Globalisierung. Das Verhältnis von Ungleichheit und Globalisierung muss in der doppelten Perspektive - national und international - betrachtet werden, um in seiner Komplexität begreifbar zu werden. So steht dem Anstieg nationaler Ungleichheit paradoxerweise eine Abnahme globaler Ungleichheit gegenüber. Bourguignon, ehemaliger Chefökonom der Weltbank, analysiert diese antagonistischen Effekte der Globalisierung. Mit Blick auf die Schwellenländer ist die Ungleichheit im Weltvergleich geringer geworden: Der Lebensstandard in Brasilien, China oder Indien nähert sich langsam demjenigen der Nordamerikaner und Europäer an. Binnenstaatlich betrachtet sind die Ungleichheiten jedoch in einer nicht geringen Anzahl der Länder eklatant geworden, was zu sozialen Spannungen führen musste. Ohne neue Marktregularien, einer steuerlich indizierten Umverteilung und Gehaltsobergrenzen wird die zunehmende Ungleichheit nicht einzudämmen sein. Bourguignon beschreibt das Instrumentarium, das den nationalen wie internationalen Entscheidungsträgern zur Verfügung steht, um eine an Gerechtigkeitsmaßstäben ausgerichtete Verteilungspolitik zu verwirklichen. Wer heute zunehmende Globalisierung der Ungleichheit verhindern will, muss für eine Globalisierung der Umverteilung eintreten.

François Bourguignon ist Professor an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris. Von 2003 bis 2007 war er Chefökonom der Weltbank und bis Januar 2013 Direktor der École d´Économie in Paris.

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Leseprobe

I Die globale Ungleichheit


Globale Ungleichheit ist definiert als Ungleichheit zwischen allen Bürgern der Welt. Als solche wenig umstritten, verbindet sie auf ziemlich komplexe Weise zwischen- und binnen-staatliche Ungleichheit.

Wenn von Ungleichheit die Rede ist, gilt es drei Fragen zu stellen: Ungleichheit »wovon«, Ungleichheit »bei wem« und »wie viel« Ungleichheit? In Bezug auf die erste Frage kann man von Ungleichheit des Einkommens, des Vermögens, der Konsumausgaben oder allgemeiner des wirtschaftlichen Wohlstands sprechen. Im Hinblick auf die globale Ebene interessiert uns hier die Ungleichheit des »Lebensstandards«, dessen Durchschnitt durch das Pro-Kopf-Einkommen eines Landes definiert wird. Es unterscheidet sich meist nicht sehr vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Einwohner, und seine Verteilung innerhalb der Bevölkerung lässt sich aus Haushaltserhebungen entnehmen.2 In Bezug auf die zweite Frage interessiert uns die Ungleichheit zwischen den Bürgern dieses Planeten, wobei wir unterscheiden zwischen »zwischenstaatlicher« (oder »internationaler«) Ungleichheit, also Ungleichheit, die in der Welt bei gleichem binnenstaatlichem Lebensstandard zu verzeichnen wäre, und »globaler« Ungleichheit, die auch die nationalen Unterschiede im Lebensstandard einbezieht. Um schließlich die Ungleichheit zu messen, verwenden wir drei Indikatoren: den Anteil der Reichsten (die reichsten 1, 5 und 10 Prozent), den relativen Abstand des durchschnittlichen Lebensstandards zwischen dem obersten und dem untersten Dezil (den reichsten und den ärmsten 10 Prozent) und den Gini-Koeffizienten.3

Eine letzte Definitionsfrage ist noch zu klären: der Unterschied zwischen Ungleichheit und Armut. Man kann gegen die obigen Messgrößen einwenden, dass sie im Wesentlichen relativer Natur sind. Doch dass die ärmsten 10 Prozent nur ein Zehntel des Lebensstandards der reichsten 10 Prozent erreichen, hat in Indien nicht die gleiche Bedeutung wie in Luxemburg. In Indien bedeutet es, dass die Ärmsten nur mit Mühe überleben können und beim geringsten ökonomischen Zwischenfall von Hunger bedroht sind, was in Luxemburg nicht der Fall ist. Es ist also wichtig, eine absolute Norm zur Bewertung globaler Ungleichheit einzuführen. Ein praktisches Verfahren ist, eine absolute Armutsschwelle zu bestimmen und die Zahl derer zu zählen, die sich unterhalb dieser Schwelle befinden. Die heutzutage meistverwendete Schwelle ist die von »1,25 Dollar pro Kopf und Tag«, also etwa ein Euro, nach konstanter internationaler Kaufkraft (zu Preisen von 2005). Die Zahl entspricht faktisch dem Mittelwert der in den ärmsten Ländern verwendeten offiziellen Armutsschwelle.

Globale Ungleichheit von Frankreich bis Äthiopien


Egal, welche Messmethode man anwendet, die globale Ungleichheit ist beträchtlich, wahrscheinlich sehr viel gravierender als das, was ein einzelner Staat aushalten würde, ohne in eine ernste Krise zu geraten. Um sie ins richtige Verhältnis zu setzen, nehmen wir einige Länder als Beispiel.

Im Jahr 2006, das wir als Bezugsjahr nehmen wollen, lag das jährliche Pro-Kopf-Einkommen in Frankreich bei ungefähr 26000 Euro (zu internationaler Kaufkraft von 2005), doch der durchschnittliche individuelle Lebensstandard betrug 18000 Euro pro Jahr.4 Die reichsten 10 Prozent kamen auf 23 Prozent des Gesamteinkommens und auf etwas mehr als das Sechsfache des Einkommens der ärmsten 10 Prozent. Ihr Lebensstandard lag bei 40000 Euro pro Kopf und Jahr, der der ärmsten 10 Prozent hingegen nur bei 6000 Euro. Der Gini-Koeffizient, wie oben definiert, betrug 0,28. Das Lebensstandardgefälle zweier zufällig ausgewählter Personen belief sich durchschnittlich auf 28 Prozent des Durchschnittseinkommens, also 5000 Euro.

Unter den reichen Ländern kann Frankreich als ein Land mit moderater Ungleichheit gelten. Das Lebensstandardgefälle zwischen den reichsten und den ärmsten 10 Prozent ist geringer (etwas weniger als das 5-Fache) in skandinavischen Ländern, den sozial ausgeglichensten unter den reichen Ländern; es beträgt etwas mehr als das 7-Fache in Deutschland und Großbritannien und nahezu das 10-Fache in Südeuropa sowie das 15-Fache in den Vereinigten Staaten, dem Industrieland mit den größten sozialen Unterschieden (wo der Gini-Koeffizient im Übrigen 0,39 erreicht).

Brasilien ist ein Schwellenland und auch eines der Länder mit der weltweit größten sozialen Ungleichheit. Mit 7200 Euro pro Jahr und Person ist das nationale Pro-Kopf-Einkommen höher als in den meisten Entwicklungsländern, was aber 2006 weniger als ein Drittel des europäischen Lebensstandards ausmachte. Hingegen kamen die reichsten 10 Prozent auf einen Lebensstandard von 22000 Euro pro Jahr und Person, mehr als der französische Durchschnitt und etwa die Hälfte ihrer französischen Vergleichsgruppe. Umgekehrt lag der Lebensstandard der ärmsten 10 Prozent bei kaum mehr als 500 Euro, weniger als ein Zehntel der ärmsten Franzosen. Folglich betrug der Abstand zwischen den reichsten und den ärmsten 10 Prozent mehr als das Vierzigfache, während der Gini-Koeffizient 0,58 erreichte (verglichen mit 0,28 in Frankreich).

Äthiopien ist ein armes afrikanisches Land. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen lag dort 2006 lediglich bei 510 Euro, was etwa dem Lebensstandard der 10 Prozent der ärmsten Brasilianer entspricht. Die Ungleichheit ist weniger ausgeprägt als in Brasilien, aber das verfügbare Einkommen der ärmsten 10 Prozent liegt weit unterhalb der Armutsschwelle von einem Euro pro Tag und Person. Tatsächlich beläuft es sich auf etwa die Hälfte dieser Summe, nämlich 160 Euro pro Person und Jahr (zu internationaler Kaufkraft). Wie hat man sich das Überleben mit einer solchen Summe vorzustellen? Die wohlhabendsten Äthiopier kommen damit natürlich besser zurecht, aber im Durchschnitt sind auch sie nach europäischen Maßstäben noch sehr arm. Die 10 reichsten Prozent der Äthiopier leben im Durchschnitt von 1000 Euro pro Person und Jahr, was nur einem Sechstel des Lebensstandards der 10 ärmsten Prozent der Franzosen entspricht. Natürlich leben manche Äthiopier wesentlich besser als die ärmsten Franzosen (und vielleicht sogar als der Durchschnittsfranzose), aber von ihnen gibt es nur eine Handvoll!

Die globale Ungleichheit der Lebensstandards


Man kann bereits aufgrund der eben genannten Angaben erahnen, dass die globale Ungleichheit der Lebensstandards nur gewaltig sein kann: Die Ärmsten der Welt sind mit den armen Äthiopiern vergleichbar, die Reichsten hingegen mit reichen Amerikanern. Tatsächlich lag das Verhältnis zwischen den reichsten und ärmsten 10 Prozent der Weltbevölkerung vor 20 Jahren noch bei 1:100! Inzwischen hat der Abstand sich leicht verringert, beläuft sich aber heute immer noch auf das 90-Fache. In absoluten Zahlen ausgedrückt, verfügen die 600 ärmsten Millionen der Weltbevölkerung im Durchschnitt nur über 300 Euro pro Jahr und Person, während die 600 reichsten Millionen sich eines Lebensstandards von 27000 Euro erfreuen. Erinnern wir uns daran, dass in Brasilien, einem der Länder mit der größten Ungleichheit, das Verhältnis vom untersten zum obersten Dezil lediglich 1:40 betrug! Selbst wenn wir die Extrempositionen der Lebensstandardverteilung weiter fassen, bleibt die globale Ungleichheit beträchtlich: Die 20 reichsten Prozent kommen in den Genuss eines 40-mal höheren Lebensstandards als die 20 ärmsten Prozent. Und der Welt-Gini-Koeffizient liegt mit 0,66 weit über dem Stand, den Brasilien oder Südafrika während der Apartheid jemals erreicht haben.

Diese Zahlen belegen eine, verglichen mit jeder nationalen Norm, außergewöhnlich hohe Ungleichheit auf der Welt. Das lässt sich leicht erklären. Zur binnenstaatlich zu beobachtenden Ungleichheit, ob stark oder schwach ausgeprägt, kommt auf globaler Ebene die zwischenstaatliche Ungleichheit hinzu, die ihrerseits beträchtlich ist. Davon zeugt die Verteilung des nationalen Pro-Kopf-Einkommens zu konstanter internationaler Kaufkraft. Der durchschnittliche Lebensstandard der 20 reichsten Länder beträgt 33000 Euro, derjenige der 20 ärmsten Länder weniger als 600 Euro. Ein Verhältnis von annähernd 60:1.

Die obigen Zahlen beschreiben die Ungleichheit in relativen Begriffen, auch wenn wir uns darum bemüht haben, die ihr zugrunde liegende absolute Höhe des Lebensstandards anzugeben. Man kann auch in absoluten Begriffen argumentieren und sich auf den Standpunkt stellen, dass es weniger auf das Verhältnis zwischen den Ärmsten und den Reichsten ankommt, als vielmehr auf das Ausmaß der Armut, das heißt die Gesamtzahl derjenigen, deren Lebensstandard unterhalb der Schwelle von einem Euro pro Tag und Person liegt.

Nach Auskunft der Weltbank lag die Zahl derer, die mit weniger als einem Euro pro Tag auskommen müssen, bisweilen als »Schwelle extremer Armut« bezeichnet, im Jahr 2005 bei 1,4 Milliarden Menschen, etwa 20 Prozent der Weltbevölkerung....

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