Wenn wir die Menschen, denen wir täglich begegnen, fragen, ob »die Finanzkrise« vorbei sei, so ist die Antwort im Prinzip immer die gleiche. Niemand glaubt dies! Egal, ob wir über das Thema mit Kunden, mit Geschäftspartnern oder mit Freunden sprechen. Egal, ob die Leute beruflich mit Geldgeschäften zu tun haben oder nicht. Egal, ob sie viel oder wenig von Wirtschaft verstehen. Allen sagt ihr Bauch etwas anderes: Wir erleben seit 2008 einen epochalen Wandel! Weltwirtschaft und globales Finanzsystem sind aus den Fugen geraten. Ohne einen grundlegenden Paradigmenwechsel rasen wir nahezu ungebremst auf einen Abgrund zu. Alle ahnen dunkel, dass der Absturz gewaltig sein wird. Aber nur wenige haben eine etwas genauere Vorstellung davon, auf welchem Grund wir am Ende aufschlagen werden. In diesem Buch analysieren wir, wer da eigentlich am Steuer sitzt. Warum diese Leute fahren wie die Irren. Wo die Reise unserer Meinung nach hinführen wird. Und wie wir alle wieder die Kontrolle über das soziale Vehikel Geld zurückgewinnen können.
Seit Herbst 2008 sind Krisen unsere ständigen Begleiter: die Immobilienkrise, die Lehman-Krise, die Finanz- und die Bankenkrise, die Staatsschuldenkrise, die Eurokrise. Krisen und Pleitegefahren in Irland, Griechenland, Spanien, Zypern, Italien. Keine dieser Krisen wurde jemals gelöst. Ganz im Gegenteil. Sobald ein Brandherd gelöscht ist, flammt an anderer Stelle ein neues, noch stärkeres Feuer auf. Trotz gigantischer Anstrengungen wird die Halbwertszeit der geschnürten Rettungspakete immer kürzer, kommen die Einschläge immer näher, werden die sogenannten Rettungspakete immer teurer und vor allem immer fragwürdiger.
Schon jetzt ist diese in der Geschichte einmalige und scheinbar unendliche Rettungsorgie eine beispiellose Serie von Vertragsbrüchen, Lug und Betrug. Eigentümer und Einleger von Pleitebanken müssen deren waghalsige Risiken tragen? Ach was! Es muss nur einer der Verantwortlichen »systemrelevant« rufen, und schon zahlen wir alle – als Steuerzahler – die Zeche. Kein Schuldentransfer zwischen Euro-Staaten? Längst ist diese Regel das Papier nicht mehr wert, auf dem sie formuliert wurde. Die Europäische Zentralbank als unabhängige Währungshüterin? Inzwischen ist sie zu einer Finanzagentur für Staatsanleihen mutiert. 2009 jagte eine Krisenkonferenz die andere. Nach jeder wurde uns erzählt, dass Banken, Investmenttrusts oder Hedgefonds jetzt aber wirklich an die Kette gelegt würden. Dass Banken deutlich mehr Eigenkapital zur Absicherung ihrer Risiken bilden müssten. Dass Schluss sei mit den Fantasie-Boni für Finanzmanager. Und was ist tatsächlich passiert? So gut wie nichts! Viele Banken verdienen wieder besser als vor der Krise. Die ohnehin laschen Ziele bei der Erhöhung der Eigenkapitalquoten wurden bis ins Jahr 2019 gestreckt. Dafür schütten selbst Institute mit bescheidenen Gewinnen schon jetzt wieder fette Prämien an ihre Topleute aus.
Seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 und besonders seit Sommer 2012 hat die Politik, Hand in Hand mit der Finanzbranche und den Notenbanken, lediglich die Symptome der Krankheit bekämpft. Die wahren Ursachen der Krise wurden nicht in Angriff genommen. Damit wurde vor allem eines enorm beschleunigt: die volkswirtschaftliche Schadensmaximierung auf Kosten der Allgemeinheit – und der Demokratie. Lange Zeit Unvorstellbares wird seither getan, um Zeit zu gewinnen und die ungelöste Dauerkrise weiter in die Zukunft zu verschieben. Unternehmen und Banken werden verstaatlicht, Bürger, Aktionäre und Sparer enteignet. Obendrein werden am laufenden Band und von oberster Stelle geltende Gesetze gebrochen, um das kaputte System künstlich am Leben zu erhalten. Dabei ist der Patient Finanzsystem eigentlich klinisch tot.
Bedauerlicherweise ist vieles von dem, was wir in unserem ersten Buch Der größte Raubzug der Geschichte Anfang 2012 vorhergesagt haben, bereits mit einer Dynamik eingetroffen, die selbst uns überrascht. Wir erleben gegenwärtig nicht nur in einigen Staaten die größte Insolvenzverschleppung in der Geschichte der Menschheit, sondern auch das größte politische Währungs- und Notenbankexperiment. Nie zuvor war mehr Geld im System als heute. Die Bilanzen der Notenbanken haben historische Dimensionen angenommen. Und der Euro ist in Wahrheit längst gescheitert. Denn Geld, das man retten muss, ist kein Geld! Die volkswirtschaftlichen Zahlen untermauern deutlich: Der Euro zerstört Europa und vernichtet unseren Wohlstand! Die EU mag aus historischer Perspektive ja ein ganz respektabler Friedensnobelpreisträger sein. Aber vielen Ländern Europas beschert der Euro eine Rekordarbeitslosigkeit. In Ländern wie Spanien und Griechenland findet inzwischen jeder Zweite unter 25 keine Arbeit mehr. Erwachsene Menschen, ja ganze Familien mit Kindern müssen wieder zu ihren Eltern ziehen – oder ihr Land verlassen. Da wird eine komplette Generation verbrannt, um ein gescheitertes, politisch motiviertes Währungsexperiment am Leben zu erhalten. So verschieden die ökonomischen Hintergründe im Einzelnen sein mögen – Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und die USA sind de facto bankrott. Wir gehen sogar noch weiter: Wir zählen auch Italien, Frankreich und die Niederlande zu den Pleitekandidaten.
Anlässlich der Europawahlen im Mai 2014 werden Politiker von Helsinki bis Rom und von Lissabon bis Warschau gefühlvolle Sonntagsreden halten, in denen sie die Segnungen der europäischen Friedensordnung und die unbestreitbaren Vorteile grenzüberschreitender wirtschaftlicher Zusammenarbeit preisen. Doch zugleich schaffen dieselben Politiker durch krasse Fehlentscheidungen einen brandgefährlichen Nährboden für Populisten, Nationalisten, Separatisten und Extremisten. Selbst bürgerkriegsähnliche Zustände, wie wir sie 2012 in Athen erleben mussten, könnten früher oder später auch in anderen Krisenstaaten drohen.
Ob nun »Bail out« – Banken werden mittels staatlicher Bürgschaften, also mit Steuergeldern gerettet – oder »Bail in« – Banken werden durch ihre Eigentümer, Gläubiger und Sparer gerettet. Egal, wie es genannt wird, im Endeffekt bedeutet es immer nur eines: Wir alle, wir Steuerzahler und Bürger, müssen haften und für die Zockereien und Verluste der Banken zahlen. Das zeigt in aller Deutlichkeit, wie verzweifelt die Situation ist. Auf uns als Ökonomen wirken die bisher durchgeführten Versuche zur Lösung der Finanzkrise und ihrer verheerenden Auswirkungen wie ein endloser Horrorfilm.
Verstärkt wird der Schrecken durch die Tatsache, dass wir alle seit Jahren durch die Notenbanken schleichend enteignet werden. In allen wichtigen Wirtschaftsräumen liegen die Leitzinsen nahe null. Die Verzinsung unserer Ersparnisse, ganz gleich, ob wir sie aufs gute alte Sparbuch legen oder ob wir sie in Staatsanleihen oder andere Anlageformen stecken, liegt fast ausnahmslos unterhalb der Inflationsrate. Nur wenn wir mal kurzfristig unser Konto überziehen, verlangt unsere Bank oder Sparkasse Wucherzinsen – obwohl sie das Geld, mit dem sie da »arbeitet«, von der Europäischen Zentralbank (EZB) buchstäblich geschenkt bekommt.
Derweil vagabundieren Unsummen dieses billigen Geldes um die Welt und suchen Anlagemöglichkeiten. So erklimmen Aktienkurse und teilweise auch Immobilienpreise schon wieder Rekordhöhen. Bestehende oder kürzlich geplatzte Spekulationsblasen werden nur durch neue, immer größere Spekulationsblasen abgelöst. Auf die zynische Aussage des ehemaligen Chefs der Citigroup, Chuck Prince, die wir bereits in unserem ersten Buch zitierten, müssen wir daher hier zurückkommen: »Man muss tanzen, solange die Musik spielt«, sagte Prince 2008. Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass die Musik mittlerweile schon wieder sehr laut spielt. Und dass die Finanzprofis in New York, London und Frankfurt längst wieder ausschweifend tanzen. Dass nebenbei die Welt in Schulden versinkt, dass immer mehr Länder vor dem Bankrott stehen, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet, dass die Mittelschicht kontinuierlich ausradiert wird und dass die sozialen Spannungen zunehmen – all dies interessiert unsere Traumtänzer auf dem Finanzparkett leider nicht die Bohne.
Die Finanzbranche hat die Welt mit ihrer Gier und ihrem egoistischen, unverantwortlichen Handeln mehrfach an den Rand des Abgrunds gebracht. Trotzdem wurden und werden die großen, vermeintlich »systemrelevanten« Banken immer wieder gerettet. Dieser Automatismus hat sich ins Bewusstsein der Protagonisten eingebrannt. »Too big to fail« zu sein, das ist für die Finanzmanager der Welt kein unkontrollierbares Risiko, sondern perverserweise ein nachgerade vernünftiges Ziel. Denn wenn meine Pleite ganze Volkswirtschaften ruinieren kann, dann werden die verantwortlichen Politiker alles tun, um diese Pleite zu verhindern. Folglich sind die Banken seit 2008 noch größer, noch mächtiger und vor allem noch »systemrelevanter« geworden. Ihre Manager halten die Staaten fest im Schwitzkasten. So perfide es klingt, die Krisenverursacher sind die Krisengewinner. Es ist wie im Casino: Die Bank gewinnt immer!
Das Wirtschaftswachstum in den USA und in Europa verharrt trotz der enormen Anstrengungen auf schwachem Niveau. Japan, das am höchsten verschuldete Industrieland der Welt, kommt nach zwanzig Jahren Stagnation nur schleppend wieder auf die Beine. Und auch bislang boomenden Schwellenländern wie Brasilien, Indien oder der Türkei geht die wirtschaftliche Puste aus. Wo es noch zartes Wachstum gibt, wurde es mit einer...