Kapitel I
Die Kriegsschuld des Deutschen Reiches von 1914
Zur Frage der Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges schreibt Christopher Clark auf der Seite 715:
„Und wie steht es nun um die Frage der Schuld? Mit der Behauptung, dass das Deutsche Reich und seine Bündnispartner moralisch für den Ausbruch des Krieges verantwortlich seien, sorgte Artikel 231 des Versailler Vertrages dafür, dass die Frage der Kriegsschuld im Mittelpunkt der Diskussion um den Ursprung des Krieges blieb. Die gegenseitigen Schuldzuweisungen haben niemals ihre Anziehungskraft verloren. Die wohl einflussreichste Manifestation dieser Tradition ist die sogenannte „Fischer-Kontroverse“ - ein Kürzel für eine Reihe von Argumenten, die in den sechziger Jahren Fritz Fischer, Imanuel Geis und eine Schar jüngerer deutscher Historiker vorbrachten und nach denen Deutschland die Hauptschuld am Kriegsausbruch trug. Nach dieser Sichtweise (wenn man die vielen Varianten innerhalb der Fischer-Schule einmal beiseitelässt) stolperten oder schlitterten die Deutschen nicht in den Krieg. Sie entschieden sich für ihn- schlimmer noch, sie planten ihn im Voraus, in der Hoffnung, aus ihrer europäischen Isolation ausbrechen und den berüchtigten „Griff nach der Weltmacht“ zu wagen. Aktuelle Untersuchungen zur folgenden Fischer-Kontroverse haben auf die Bezüge zwischen dieser Diskussion und dem spannungsreichen Prozess hingewiesen, in dessen Verlauf deutsche Intellektuelle das belastende moralische Vermächtnis der NS-Ära verarbeiteten. Fischers Argumentation ist in vielen Punkten scharf kritisiert worden. Dennoch dominiert eine entschärfte Version der Fischer-Thesen noch heute die Studien von Deutschlands Weg in den Krieg.“
Der „Griff nach der Weltmacht“ wurde abgeleitet aus der aus dem Zusammenhang gerissenen Formulierung „Platz an der Sonne“. Bei Wikipedia ist zu lesen:
wiki/Platz an der Sonne (1)
„ Die Wortprägung „Platz an der Sonne“ entstand durch eine Äußerung von Bernhard von Bülow (1849-1929) in einer Reichstagsdebatte am 6. Dezember 1897, wo er im Zusammenhang mit der deutschen Kolonialpolitik formulierte:
„Mit einem Wort: wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren
Platz an der Sonne.“
Von Bülow war damals Staatssekretär des Auswärtigen Amtes des Deutschen Kaiserreiches; von 1900 bis 1909 war er Reichskanzler.
Die Wortprägung ist später zum geflügelten Wort geworden. Sie gilt als anschauliche Metapher des deutschen Weltmachtstrebens in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als die bismarcksche Bündnispolitik aufgegeben wurde und die Außenpolitik des wilhelminischen Reiches das Flottenrüsten mit Großbritannien begünstigte.“
„wir wollen niemanden in den Schatten stellen“, soll sagen, dass das Deutsche Reich sich nicht vor die damaligen Großmächte stellen wollte, also auch nicht den „Griff nach der Weltmacht“ im Auge hatte. „wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne“, es sei auf das Wort „auch“ hingewiesen, bedeutet, dass das deutsche Reich neben den Großmächten stehen wollte, die bereits ihre Position nutzten, um sich Vorteile zu verschaffen.
Das Deutsche Reich wurde offensichtlich als nicht gleichwertig von den anderen Großmächten gesehen. Aufgrund des vor nicht all zu langer Zeit gegründeten Deutschen Reiches galt es bei den anderen Großmächten als Emporkömmling und Störenfried. Anders war es mit England, Russland oder Frankreich, die auf eine längere und beachtete Geschichte zurückblicken konnten, was in ihrem Selbstbewusstsein und Verhalten zum Ausdruck kam.
wiki/ Britisches Weltreich (2)
„Das Britische Weltreich (Empire) war das größte Kolonialreich der Geschichte. Unter der Herrschaft des Vereinigten Königreichs vereinte es Dominions, Kronkolonien, Protektorate, Mandatsgebiete und sonstige abhängige Gebiete, die aus den englischen Überseebesitzungen, Handelsposten und Strafkolonien hervorgegangen waren. Im Jahr 1922, zur Zeit seiner größten Ausdehnung, umfasste es mit 458 Millionen Einwohnern ein Viertel der damaligen Weltbevölkerung. Es erstreckte sich über eine Fläche von ca. 33,67 Millionen km2, was einem Viertel der Landfläche der Erde entspricht.
Im 15. und 16. Jahrhundert, im Zeitalter der Entdeckungen, waren Spanien und Portugal die Pioniere der europäischen Erforschung und Eroberung der Welt. Sie bildeten riesige Kolonialreiche, die ihnen immense Reichtümer einbrachten. Dadurch angespornt, begannen auch England und Frankreich und die Niederlande mit dem Aufbau eigener Kolonien und Handelsnetze in Amerika und Asien. Nach mehreren Kriegen im 17. und 18. Jahrhundert gegen Frankreich und die Niederlande etablierte sich England als führende Kolonialmacht in Amerika und Indien. Die Abspaltung der dreizehn Kolonien nach dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) bedeutete zwar den Verlust der bevölkerungsreichsten Überseegebiete, doch wandte sich Großbritannien bald Afrika, Asien und Ozeanien zu. Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege 1815 übte Großbritannien über ein Jahrhundert lang eine nahezu unangefochtene Dominanz über die Weltmeere aus. Das Land war die erste Industrienation und ebnete dem weltweiten Siegeszug des Kapitalismus den Weg. Es verfügte seit dem 19. Jahrhundert für viele Jahrzehnte über die größten Handels- und Kriegsflotten der Welt, galt als stärkste See- und Weltmacht und praktizierte bis etwa 1902 die Splendid isolation.
Das Jahr 1875 markiert den Eintritt in das imperialistische Zeitalter. Damals kaufte die konservative Regierung Disraeli für 4 Millionen Pfund die Aktienanteile des ägyptischen Herrschers Ismail an der Sues-Gesellschaft auf, um diesen strategisch wichtigen Handelsweg nach Indien zu sichern. Die gemeinsame britisch-französische Finanzkontrolle über Ägypten wurde mit der formellen Besetzung Großbritanniens im Jahr 1882 beendet.
Die Rivalität zu Russland, die im Krimkrieg (1854-1856) eine erste Eskalation erfahren hatte, und die Angst vor einer russischen Expansion in Richtung Süden und Indien war ein weiterer Faktor der
britischen Politik. 1878 wurde Zypern besetzt, als Reaktion auf den Russisch-Türkischen Krieg. Auch Afghanistan wurde zeitweise besetzt, um dort den russischen Einfluss zurückzudrängen.
Großbritannien führte in Afghanistan drei erfolglose Kriege.
Wegen des wachsenden Einflusses des Deutschen Reiches und der Vereinigten Staaten büßte Großbritannien seit 1900 zunehmend seine politische und wirtschaftliche Vormachtstellung ein.“
wiki/Russland (3)
„An der Wende zum 18. Jahrhundert öffnete Zar Peter der Große das in den alten Strukturen erstarrte Zarentum Russland westeuropäischen Einflüssen und förderte Wissenschaft und Kultur. 1703 gründete er die Stadt St. Petersburg, die- seit1712 als neue Hauptstadt- das Symbol für den russischen Fortschritt werden sollte. Mit dem Sieg gegen Schweden im über 20 Jahre währenden Großen Nordischen Krieg erlangte Russland nach mehr als 150 Jahren der Auseinandersetzung mit Schweden die Vormachtstellung im Ostseeraum. Russland übernahm die Position Schwedens als nordische Großmacht in Europa.
Katharina die Große führte Peters Expansionspolitik weiter. Unter ihrer Regierung wurde das Krimkhanat(„Neurussland“) erobert. Durch die Beteiligung an den drei Teilungen Polens wurde die Westgrenze weit in Richtung Mitteleuropa vorgeschoben. 1812 fielen Napoleonische Truppen in Russland ein und eroberten Moskau, wurden schließlich jedoch vernichtend geschlagen. Dies gab den Auftakt zu den Befreiungskriegen, bei denen russische Truppen mit ihren Verbündeten (Preußen, Österreich, Vereinigtes Königreich u. a.) Napoleon endgültig besiegten und zur Abdankung zwingen konnten. Alexander I. zog als „Befreier Europas“ in Paris ein. Nach dem Wiener Kongress 1814/15 erlangte Russland eine dominierende Rolle auf dem europäischen Festland, die bis zum Krimkrieg !853-1856 andauerte.“
Russisch-Türkische Kriege (wiki/ Osmanisches Reich) (4)
„Im Russisch-Türkischen Krieg musste das Osmanische Reich endgültig erkennen, dass es seine imperiale Macht verloren hatte. 1770 verlegte Russland seine Flotte aus der Ostsee ins Mittelmeer und vernichtete in der Seeschlacht bei Cesme die vor Anker liegende osmanische Flotte. Im Frieden von Kücük Kaynara mussten die Osmanen das Krim-Khanat in die „Unabhängigkeit“ entlassen (es wurde aber schon nach wenigen Jahren eine russische Provinz); Teile des Nordkaukasus gingen an Russland, die Bukowina an Österreich. Keine der beiden Seiten hatte die Absicht, es lange dabei zu belassen. Zarin Katharina II. entwarf ihr sogenanntes „Griechisches Projekt“, in dem das Byzantinische Reich als russischer Vasall wieder auferstehen sollte und die übrigen Teile des Osmanischen Reichs zwischen Österreich, Venedig und Russland aufgeteilt werden sollten, woran diese Alliierten jedoch wenig Interesse zeigten.
1783 annektierte Russland die Krim und begann mit deren wirtschaftlichem Aufbau. Die Osmanen, die ohnehin darauf aus waren, ihre Verluste aus dem vorigen Krieg rückgängig zu machen, erklärten im selben Jahr nach verschiedenen Streitigkeiten Russland den Krieg. Nach Anfangserfolgen der Schwarzmeerflotte mussten sie jedoch 1792 im Frieden von Jassy abermals Gebietsverluste hinnehmen, darunter Gebiete zwischen Dnepr und Bug.
Die Osmanische Herrschaft auf dem Balkan schien gefährdet, und Russland drängte darauf, die Kontrolle über die wichtigen Meerengen des Bosporus und der Dardanellen zu erhalten Auf dem Balkan brachte sich Russland als Schutzmacht der dortigen orthodoxen Christen ins Spiel. Bereits früher...