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Die Harmonie des Universums

Von der rätselhaften Schönheit der Naturgesetze

AutorDieter B. Herrmann
VerlagFranckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783440158548
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Von der Antike bis zur modernen Teilchenphysik, von Pythagoras bis Einstein: Immer wieder hat sich gezeigt, dass unser Universum im Grunde ganz einfach konstruiert ist. Der bekannte Astronomie-Historiker Prof. Dieter B. Herrmann verfolgt erstmals den verblüffenden Zusammenhang von Harmonie und Wahrheit in Wissenschaft, Kunst und Kultur. Ein historischer Streifzug mit brisanter Aktualität und Stoff für viele angenehme Lesestunden.

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Leseprobe

KAPITEL 2

Renaissance der Harmonie

Cusanus und der liebe Gott

Der Begriff Renaissance (fr., Wiedergeburt) für die Epoche der europäischen Geistesgeschichte des 15. und 16. Jahrhunderts wurde zwar erst im 19. Jahrhundert geprägt, beschreibt aber einen dominanten Vorgang in dieser Zeit sehr treffend: die Wieder-Aufnahme der Kulturgüter aus dem antiken Griechenland und Roms auf der Grundlage von Artefakten und des überlieferten Schrifttums. Die allumfassende Verarbeitung des antiken Erbes, die auch die Kunstwerke mit einschloss, mündete in ein neues astronomisches Weltbild, an dessen Ausarbeitung in einem längeren Prozess von mehreren Jahrhunderten zahlreiche herausragende Gelehrte beteiligt waren. Unter ihnen finden wir keinen Einzigen, der die antiken Schriften nicht sorgfältig studiert hätte, und für dessen Werk sie keine Rolle gespielt hatten. Die Renaissance brachte auch eine Auferstehung des Harmoniegedankens.

Das Weltmonochord des Philosophen und Mediziners Robert Fludd (1574–1637) aus dem Jahr 1617. Dass darin die Hand Gottes das Instrument und damit die Welt stimmt, ist eine sinnbildliche Bezugnahme auf die Sphärenharmonie des Pythagoras.
© Robert Fludd (1617), Deutsche Fotothek.

Idyllisch im Moseltal liegt umgeben von malerischen Weinbergen die kleine Stadt Bernkastel-Kues. Sie ist der Geburtsort des bis heute immer wieder kontrovers interpretierten und viel zitierten Universalgelehrten, Philosophen, Mathematikers und Theologen Nikolaus von Kues, der auch unter dem latinisierten Namen Nicolaus Cusanus bekannt wurde. Cusanus wird heute auch zu einem der ersten Vertreter der neuen geistigen Strömung des Humanismus gerechnet. Man fühlte sich im Aufbruch, am Beginn einer neuen Epoche, bekräftigte die Abkehr von der Vergangenheit und strebte die Entfaltung aller menschlichen Fähigkeiten aus einer Verbindung von Bildung und Tugend an. Die Absicht, eine umfassende Reform des Bildungswesens in diesem Sinne herbeizuführen, ging fast zwangsläufig mit einer strikten Ablehnung der unmittelbar zurückliegenden Zeit einher, die schließlich zur Prägung des Begriffs vom »finsteren Mittelalter« führte. Doch nicht alles Vergangene wurde abgelehnt. Im Gegenteil: In der Antike sahen die Humanisten das anzustrebende Ideal verwirklicht, und an sie und ihre Errungenschaften galt es daher wieder anzuknüpfen.

Der Universalgelehrte Nikolaus von Kues (Nicolaus Cusanus, 1401–1464) war einer der ersten deutschen Humanisten am Ende des Spätmittelalters. Auch er befürwortete das Konzept des Zusammentreffens von Gegensätzen zu einer harmonischen Einheit.
© Meister des Marienlebens (ca. 1480), Hochaltar Kapelle St.-Nikolaus-Hospital, Bernkastel-Kues/Wikimedia Commons.

Cusanus war der lateinischen und griechischen Sprache mächtig, hatte in Heidelberg und Padua kanonisches Recht, aber auch Mathematik und Astronomie und schließlich in Köln Philosophie und Theologie studiert. So war er bestens gerüstet, sich mit dem thematisch breiten Spektrum der antiken Schriften auseinanderzusetzen. Die Lebensgeschichte des Cusanus weist ihn als einen prominenten Kirchenmann seiner Zeit aus. Er stieg vom Propst in Münstermaifeld zum Kardinal und Fürstbischof von Brixen sowie zum Kurienkardinal und Generalvikar in Rom, also gleichsam zur »rechten Hand des Papstes« auf. Mit den Päpsten Nikolaus V. und Pius II. war er sogar eng befreundet. Für wie bedeutend man auch in Kirchenkreisen seine astronomischen Kenntnisse hielt, geht aus seiner Teilnahme am Konzil von Basel (1432–1437) hervor, wo er als damals 32-jähriger Sachverständiger zur Reformation des Kalenders beitragen sollte, die schließlich erst 1582 durch Papst Gregor XIII. verwirklicht werden konnte.

Die Vorstellungen, die Cusanus über den Kosmos entwickelte, sind engstens verwoben mit seinem Gottesbild und stehen deshalb in einem untrennbaren Zusammenhang mit seinen metaphysisch-theologischen Denkansätzen. Zugleich berufen sie sich auf antikes Gedankengut, vor allem auf Platon in der veränderten Version der sogenannten »Neuplatoniker«, die Platons Ideen in das Mittelalter gerettet hatten. Der Harmoniegedanke ist selbstverständlich von größter Bedeutung. So vergleicht etwa der Begründer des Neuplatonismus, Plotin, die Bewegung der Gestirne mit einem »Reigentanz«, wobei sie durch ihre Bewegungen ein Lied in natürlicher Harmonie erklingen lassen, der Lyra gleich. Die ungewöhnlich enge Verbindung von Gedanken über Gott und Betrachtungen über die Welt macht die Texte des Cusanus für den heutigen Leser mitunter schwer nachvollziehbar. Auch seine Schlussweise ist für uns nicht immer verständlich. Dennoch lohnt es sich, seinen Überlegungen zu folgen und die für seine Zeit ungewöhnlichen Resultate zur Kenntnis zu nehmen.

Gott ist für Cusanus »höchste Einfachheit«, von der nichts »verschieden sein kann, wenngleich wir aus diesen oder jenen Gründen Gott diese oder jene Namen zusprechen«.23 In seinem 1440 abgeschlossenen, aber erst 1488 erschienenen philosophischen Traktat De docta ignorantia (Von der Wissenschaft des Nichtwissens) beschäftigt er sich mit der Erlangung des maximalen Wissens, das aber dem Menschen nicht zugänglich sei. Das durch zahllose Vergleiche recht anschaulich geschriebene dreibändige Werk, in dem er auch immer wieder auf Platon und andere antike Philosophen zurückgreift, stellt das Hauptzeugnis seiner kosmologischen Ansichten dar. Das Verstandesdenken sei vom Widerspruchsprinzip beherrscht, aber Gott sei als allumfassendes und absolutes Prinzip außerhalb des Widerspruchsprinzips.

Für die beschränkte Erkenntnis denkt er an eine mathematische Konzeption, die sich des Messens und damit des Vergleichens bedient. Größen der realen Welt sollen durch Zahlenverhältnisse beschrieben werden. Die Mathematik ist ein treffliches Hilfsmittel im Erfassen göttlicher Wahrheiten, so hat er sogar eines der Kapitel überschrieben. Gott besitzt – wie schon bei Platon – die vollkommene Gestalt einer Kugel. Da aber Gott alles und unendlich ist und damit etwas anderes als die mystisch gesehene, beschränkte reale Welt, bezeichnet er das Universum, das konkret Größte, als ein Abbild des absolut Größten, das nicht unendlich – wie Gott – aber unbegrenzt sei, »da es ein wirklich Größeres nicht gibt, nach dem es begrenzt würde. In diesem Sinne ist es […] unendlich. In Wirklichkeit (actu) ist es aber nur in konkret beschränkter Weise (contracte), so dass es in so guter Weise existiert, als es seine Natur zulässt. Denn es ist Geschöpf, das notwendig aus dem absolut göttlichen Sein stammt.«24 Cusanus’ Betrachtungen über Gott, Kreis und Kugel erinnern unmittelbar an Platon, so etwa wenn er schreibt: »[…] und wie aus unendlich vielen Umkreisen (circulationes) die Kugel entsteht, so ist Gott als die größte Kugel das einfachste Maß aller kreisförmigen Bewegungen […].«25 Die platonische »Heiligsprechung der Kugel und des Kreises« – Letzterer entsteht aus unendlich vielen Dreiecken – kehrt hier in anderer Form wieder.

Alle Philosophen würden darin übereinstimmen – so Cusanus –, dass Größe, Schönheit und Ordnung der Dinge der sichtbaren Welt uns hinreißen, die göttliche Kunst und Herrlichkeit zu bewundern. Doch diese Harmonie beruhe darauf, dass Gott alles in Zahl, Maß und Gewicht erschaffen und sich dabei der Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie bedient habe. Hier klingt das von Pythagoras eingeführte Quadrivium unüberhörbar wieder an. Zugleich ist die Methode künftiger naturwissenschaftlicher Forschung vorweggenommen: Forschen heißt Messen.

Das Universum des Cusanus, das sich aus allen diesen Überlegungen ergibt, offenbart aus dem Rückblick betrachtet Erstaunliches. Als Quintessenz kommt Cusanus im zweiten Buch seiner Wissenschaft des Nichtwissens zu dem Schluss, dass die Welt weder ein Zentrum noch eine Peripherie habe: »Wie die Erde nicht das Zentrum der Welt ist, so ist es auch nicht die Sphäre der Fixsterne oder ein anderer Umkreis derselben, wiewohl die Erde, im Verhältnis zu dem Himmel betrachtet, mehr dem Zentrum, der Himmel mehr der Peripherie ähnlich zu sein scheint.«26 Dem allmächtigen Augenschein, einer der Ursachen für die Herausbildung des antiken geozentrischen Weltbildes, entgegnet Cusanus: »Der Bau der Welt ist […] so, als hätte sie überall ihr Zentrum und nirgends eine Peripherie, denn Umkreis und Zentrum ist Gott, der überall und nirgends ist.«27 So hat Cusanus letztlich das Bild einer unendlichen Welt, einer bewegten Erde, eines von Lebewesen bevölkerten Kosmos entworfen und ist damit – wenn auch auf religiös-spekulativer Grundlage – weit über jenes Weltbild hinausgegangen, das zu seiner Zeit noch als unanfechtbare Wahrheit galt.

Während Cusanus ungeachtet seiner Lehre von der Unendlichkeit des Universums und einer bewegten Erde, die nicht in der Mitte der Welt stand, niemals in direkte Konfrontation mit der Kirche geriet, griff der geniale Künstler, Erfinder, Philosoph und Naturforscher Leonardo da Vinci die Kirche an und nahm damit geistige Auseinandersetzungen vorweg, die in voller Schärfe erst noch ausbrechen sollten. In seinen Tagebücher(n) und Aufzeichnungen, die erst lange nach seinem Tod veröffentlicht wurden und daher den Gelehrten des 16. und 17. Jahrhunderts unbekannt waren, geißelte er die Kirche, weil sie neuen naturwissenschaftlich begründeten Anschauungen gnadenlos mit Feuer und Schwert begegne. Ihrer geistigen...

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