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E-Book

Die heimliche Liebe

Ausrutscher, Seitensprung, Doppelleben

AutorWolfgang Schmidbauer
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644018815
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Wolfgang Schmidbauer hat als Psychoanalytiker und Gruppentherapeut täglich mit dem Thema «sexuelle Außenbeziehung» zu tun. Bei weitem die meisten Klientinnen und Klienten kommen zur Therapie, weil sie Beziehungsprobleme haben. Und Beziehungsprobleme nehmen ganz überwiegend die Form von realen oder phantasierten Liebesverhältnissen neben der legitimierten Liebe in Ehe oder Partnerschaft an. Hier tut sich das Schlachtfeld des Lebens auf. Obwohl das sexuelle Tabu an Macht verloren hat, werden auch heute noch viele Liebesbeziehungen geheim gehalten. Warum? Klatsch, Intrigen, Spionage, Detektive kommen ins Spiel. Oder umgekehrt: Das Geheimnis wird verraten. Warum? Wer verfolgt welche Ziele durch seinen Verrat? Die verheimlichte Liebe gehorcht bestimmten Spielregeln, die in diesem Buch transparent gemacht werden. Schmidbauer plädiert für eine «gefühlsfreundliche Vernunft», die etwas ganz anderes ist als Zweckmäßigkeit, Kontrolle, Triebfeindlichkeit oder Konsequenz.

Wolfgang Schmidbauer wurde 1941 geboren. 1966 promovierte er im Fach Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München über «Mythos und Psychologie». Er lebt in München und Dießen am Ammersee, hat drei erwachsene Töchter und arbeitet als Psychoanalytiker in privater Praxis.Neben Sachbüchern, von denen einige Bestseller wurden, hat er auch eine Reihe von Erzählungen, Romanen und Berichten über Kindheits- und Jugenderlebnisse geschrieben. Er ist Kolumnist und schreibt regelmäßig für Fach- und Publikumszeitschriften.Außerdem ist er Mitbegründer der Münchner Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse und der Gesellschaft für analytische Gruppendynamik.

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Leseprobe

2 Die Vernunft der Eifersucht


Die mosaischen Gesetze, nach denen Ehebrecher und Ehebrecherinnen gesteinigt werden, sind nicht mehr verbindlich, haben sich allenfalls in sublimierter Form erhalten. Eine Art Beliebigkeit hat ihnen Platz gemacht. In ihr sind moralische Vorwürfe durchaus noch erhalten, umgekehrt fällt aber auch der Vorwurf des Moralisierens. In einem modernen Hollywood-Melodram packt der/die Betrogene gleich nach der schmerzlichen Erkenntnis die Koffer. Die Realität ist anders, aber dass diese primitive Lösung in den Medien so überrepräsentiert ist, trägt zu ihr bei.

Es gibt keine einheitliche äußere Autorität mehr, die den Umgang mit dem regelt, was als sexuelle Treue gefordert werden darf. Der oder die Durchsetzungsfähigere bestimmt die Norm. Dadurch werden die Gefahren der Eifersucht ebenso wie die Bewertung der Lüge aus dem Bereich des Common Sense, des gesunden Menschenverstandes, herausgenommen und der Betroffenheitsrhetorik anvertraut. «Wenn du mich wirklich liebst, kannst du mir doch nicht diese harmlose Nebenlust verbieten, die dir nicht das Geringste wegnimmt!» – «Wenn du mich wirklich liebst, kann es doch nicht so schwer sein, auf diese angeblich bedeutungslosen Seitensprünge zu verzichten, wo du doch weißt, wie sehr sie mich verletzen!» So entsteht die Pattsituation des Machtkampfes, in der in jedem Fall die liebevollen Gefühle beschädigt werden.

Eifersucht ist weder unvernünftig noch ist der vernünftige Umgang mit ihr unmöglich. Aber er ist unter den Bedingungen der Moderne erschwert. Denn bei der Eifersucht geht es meistens um Sexualität in einer tieferen Bedeutung als der sozusagen abgezirkelten Möglichkeit, sich einen Orgasmus zu verschaffen oder auszuprobieren, ob sich der Genitalkontakt mit A wesentlich von jenem mit B, C, D oder E unterscheidet. Da die sexuelle Beziehung geschaffen ist, Kinder zu zeugen, ist sie auch mit der Phantasie einer engen, unauflöslichen, Halt gebenden Beziehung verknüpft.

Diese Form der Geborgenheit wird in der Moderne umso unentbehrlicher, je ausgeprägter die Freisetzungsprozesse sind. In Großfamilie, Inselwelt, Dorf, Gebirgstal enthält jene Umwelt, in der die Kirche steht, wo meine Großeltern getraut wurden, jene Qualitäten von Heimat, die in der Wohnwabe einer Großstadt bei dem Menschen gesucht wird, der mit mir Tisch und Bett teilt. Die Möglichkeit, den Staub des Heimatdorfes von den Füßen zu schütteln, wenn es gar zu eng und bedrückend wird, ist teuer bezahlt. Der geliebte Mensch, der die neu gewonnene Mobilität begleiten und stabilisieren soll, kann so viel Halt nur geben, wenn er vollkommen ist.

Die Bürger der Moderne sind an das Ideal der partnerschaftlichen Liebe als Heimatersatz gebunden. Sie können sich darauf einigen, nach ihm zu streben, sie können es in den Phasen der Verliebtheit auch erreichen. Aber um sich sicher zu fühlen, sind sie dann auf einen Dauerzustand der Verliebtheit angewiesen. Oder aber sie müssen versuchen, den schmerzhaften Prozess der Desillusionierung gemeinsam zu bewältigen. Das gelingt, wenn sie lernen, sich in ihm, so gut es geht, zu unterstützen. Dann haben sie eine Chance, die kostbaren Momente abzuwarten und zu erneuern, in denen aus der Routine eines vertrauten Ehe- und Elternteams wieder die Verliebtheit wächst.

Es gibt in Adalbert Stifters «Nachsommer», dieser Mustergeschichte über Verliebtheit, Enttäuschung und Neubeginn, eine Szene, in der ein alter Gärtner den Helden Heinrich zu dem ebenso alten Säulenkaktus im Gewächshaus führt, aus dem nach vielen Jahren eine mächtige Blüte gewachsen ist. Der cereus peruvianus, der unter seiner stachelbewehrten, unscheinbaren Haut die Möglichkeit zu solchen Ausbrüchen trägt, wiederholt das Thema der Entwurzelung, Verwurzelung, Entfremdung und trotzigen Blüte, das die modernen Liebenden bestimmt.

Wenn ein Paar in Eifersuchtskonflikte gerät, hängt das mit Unverträglichkeiten der Sicherheitsbedürfnisse zusammen. Es ist schwierig geworden, sich zu verständigen und Kompromisse zwischen den unterschiedlichen Bedingungen zu finden, unter denen Sicherheit erlebt werden kann. Sobald wenigstens darüber Einigkeit gewonnen ist, dass Eifersucht berechtigt, in gewissem Umfang sinnvoll und unter günstigen Bedingungen nicht nur erträglich, sondern auch für die Beziehung konstruktiv sein kann, ist eine Verhandlungsgrundlage hergestellt, auf der dann die Grenzen des Zumutbaren geklärt werden können. Die eifersüchtige Extremreaktion, in der sich durch die Kenntnisnahme einer sexuellen Untreue der bisher geliebte Lebenspartner in ein Monster verwandelt, das hassvoll verlassen werden muss, hat diese Verhandlungsgrundlage verlassen; die verleugnende Gegenreaktion, wonach Eifersucht kindisch, bösartig-besitzergreifend, verschlingend oder auch nur kleinbürgerlich ist, sucht sie erst gar nicht auf. Wer seine Neigung zu solchen Extremen in Frage stellen kann, gewinnt eine Chance, die viel Lebensqualität retten kann.

Liebespartner sind in der Moderne füreinander die zentrale Garantie von Geborgenheit, das Versprechen einer eigentlich bedingungslosen Liebe und Fürsorge angesichts einer Welt, in der jedes Ding und jede Dienstleistung ihren Preis hat. Jede Beziehung von ähnlich verschmelzender (oder auch nur als verschmelzend phantasierter) Intensität wie die, welche als «meine Beziehung» erlebt wird, reißt eine Lücke in die schützende Außenhaut. Je nachdem, wie stark sich das Paar bisher in wechselseitigen Idealisierungen gegen die Umwelt abgegrenzt hat, ist diese Lücke so unangenehm wie ein Rostloch in einer Autokarosserie, ein Riss in der Kabine eines Düsenflugzeugs oder ein Schaden in der Hülle einer Raumstation. Einmal dringt nur Regen ein. Der Wert des Fahrzeugs sinkt; wird nichts unternommen, kann der Schaden um sich greifen und tragende Teile angreifen. Im zweiten Fall ist es eine ernstliche Havarie, in der die Passagiere mindestens mit Atemnot rechnen müssen und ein Absturz droht, wenn die Piloten nicht geistesgegenwärtig reagieren. Im luftleeren Raum ist das kleinste Leck tödlich.

Die innere Gefahr, deren Signal die Eifersucht ist, geht weit über die Furcht hinaus, eine Quelle konkreter Bedürfnisbefriedigung zu verlieren. Daher ist das naheliegende Argument, das zuerst im «Decamerone» geäußert wurde, auch unfähig, die Leiden des Eifersüchtigen zu beschwichtigen. Es ist die siebte Geschichte des sechsten Tages:

«Im Lande Patro hatte man früher ein in der Tat ebenso tadelnswertes wie hartes Gesetz, das ohne Unterschied alle vom Manne im Ehebruch ertappten Weiber gleich denen, die für das Geld sich einer Mannesperson preisgaben, zum Scheiterhaufen verurteilte. Als dieses Gesetz galt, wurde einst Filippa, eine schöne, aber überaus verliebte Dame, die Gattin des Rinaldo von Pugliesi, in den Armen ihres Liebhabers, des Lazarino de Guazzagliotti, eines wohlgebildeten, jungen, von ihr heißgeliebten Kavaliers aus der Provinz, in ihrem eigenen Schlafgemache von ihrem Mann überrascht.

Kaum konnte sich Rinaldo bei diesem Anblick vor Zorn des Mordes enthalten, und nur mühsam bezwang die Sorge um sich selbst seine Hitze. Doch konnte er nicht umhin, den Tod seiner Gattin nach dem Gesetze zu verlangen, verklagte sie mit hinlänglichen Beweisen ihres Verbrechens ohne weiteren Anstand am anderen Morgen und ließ sie vor den Richter fordern.

Beherzt, wie alle Verliebten, beschloss die Dame, ungeachtet viele Freunde und Verwandten es ihr widerrieten, zu erscheinen und lieber beim Geständnis der Wahrheit großmütig zu sterben, als durch schimpfliche Flucht Verbannung zu dulden und sich dadurch ihres Liebhabers, in dessen Armen sie die vorige Nacht angetroffen wurde, für unwürdig zu erklären.

Sie ging mit einem ansehnlichen Gefolge zum Richter und fragte mit dreistem Blick und unerschrockener Stimme, was er von ihr verlange.

Ihre Schönheit, Artigkeit und ein hoher Geist, der sich in ihren Worten zeigte, bewogen den Richter zum Mitleid. Er fürchtete, ihr Bekenntnis könne ihm das Todesurteil abnötigen, wenn er gleich ihre Ehre schonen wollte. Doch musste er sie über die Anschuldigungen befragen.

‹Rinaldo, Euer Gemahl›, sprach er, ‹gibt vor, Euch mit einem anderen im Ehebruche angetroffen zu haben, und verlangt, nach unserer Satzung, Euer Todesurteil. Vor allen Dingen ist Euer Geständnis nötig, antwortet mir daher mit Bedacht, ob seine Anklage begründet sei.›

‹Mein Herr›, antwortete sie unerschrocken und mit gelassnem Tone, ‹ich werde nie leugnen, dass Rinaldo, mein Gemahl, mich diese Nacht in den Armen des Lazarino, in welche ich mich aus wahrer Liebe öfters warf, angetroffen hat, aber Ihr werdet auch wissen, dass Gesetze allgemein und mit Einwilligung jener abgefasst sein müssen, die sich daran halten sollen. Das gegenwärtige verpflichtet bloß die armen Weiber, die doch eher als die Männer mehrere befriedigen können. Wann willigte aber je eine Frau in dieses Gesetz, oder wann wurde sie auch nur darum befragt? So ungerecht dasselbe also ist, so stelle ich doch Euch frei, es zu meinem Nachteil zu vollstrecken. Nur eine einzige Gnade bitte ich mir von Euch aus, vor dem Urteilsspruche meinen Mann zu fragen, ob ich ihm nicht, so oft er’s verlangt hat, ohne Widerrede zu Willen gewesen bin.›

Dies bejahte Rinaldo sogleich, ohne die Frage des Richters abzuwarten.

‹Nun›, fuhr die Frau alsbald fort, ‹so frage ich Euch denn, Herr Richter, was sollte ich, da ich ihm stets so viel gewährte, als er brauchte und verlangte, mit dem Überrest machen? Ihn vor die Hunde werfen? War es nicht besser, einem Kavalier, der mich liebt, damit zu dienen, als ihn umkommen und verderben zu lassen?›

Fast ganz Patro hatte sich bei der Untersuchung gegen diese angesehene und...

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