Zweiter Schritt: Eine neue Sichtweise
Sie haben nun bereits erfahren, welche Eigenschaften und Fertigkeiten Sie nutzen sollten, wenn Sie ein erfolgreicher Trader werden wollen (Jägermentalität). Dazu haben Sie wichtige Hinweise bekommen, nach welchen Regeln Sie als Anfänger am besten an der Börse überleben und von welchen Illusionen Sie sich dabei schleunigst verabschieden sollten.
Wahrscheinlich habe ich inzwischen Ihr Weltbild in Sachen Börse ein wenig ins Wanken gebracht. Nun ist es das eine, sich von alten, vielleicht lieb gewonnenen Ansichten zu trennen. Doch was nützt es, wenn stattdessen eine Leere bleibt?
Doch keine Angst! In den folgenden Kapiteln werde ich für Sie eine etwas andere, neue Sichtweise von der Börse entwerfen. Wenn Sie sich diese aneignen, betrachten Sie die Börse und Ihre Tätigkeit als Trader nicht nur aus einem völlig einzigartigen Blickwinkel. Diese Sichtweise hilft Ihnen vor allem, die Techniken zu verstehen, auf die ich im Folgenden eingehen werde. Doch das ist noch längst nicht alles!
Diese neue, revolutionäre Sichtweise auf die Börse, auf alle dort handelnden Teilnehmer und speziell natürlich auf Sie als den wichtigsten Faktor in Ihrem Trading ermöglicht es Ihnen, auf einem vergleichsweise geradlinigen Weg in den Trader-Olymp zu gelangen!
Was Ihnen bisher vielleicht noch unerreichbar erschien – zu den Besten zu gehören – kann für Sie schon bald in greifbare Nähe rücken, wenn Sie diese Sichtweise verinnerlichen. Sie erwerben sozusagen die Kunst des Pinselstrichs, die aus dem bloßen Aufstreichen von Farben ein Kunstwerk macht.
Natürlich garantiert das Lesen der folgenden Seiten allein noch nicht den Erfolg. Auf vieles, was ich Ihnen nun vorstellen werde, müssen Sie sich zum Teil wortwörtlich »einlassen«. Dem einen oder anderen erscheint vielleicht manches zunächst weit hergeholt oder gar absurd. Doch bedenken Sie: Wer das macht, was die Masse macht, bekommt auch das, was die Masse bekommt. Und die meisten Trader gehen wie gesagt nachweislich pleite ...
Betreten wir also den Weg zum Trader abseits der ausgetretenen Pfade von Indikatoren und mechanischen Systemen.
Ist Börse Chaos?
Stellen Sie sich vor, Sie haben über Jahre an den Börsen geschuftet, wissen alles über Charttechnik und Indikatoren, über Bilanzen und Konjunkturdaten und über Zyklen und Trends. Je mehr Sie lernen, je mehr Sie getestet und verworfen haben, desto mehr keimt in Ihnen ein vager Verdacht: »Es gibt kein zuverlässiges System, das im kurzfristigen Bereich dauerhaft Gewinne produziert!«
Doch diesen Gedanken können die wenigsten zulassen. Wenn man Charttechnikern erzählt, dass man mit der klassischen Charttechnik allein nicht langfristig erfolgreich ist, hagelt es wütenden Protest. Wenn man einem Erfinder von auf Computern basierenden Tradingsystemen erzählt, dass auch diese nur in bestimmten Börsenphasen funktionieren, wird er von den unglaublichen Erfolgen des einen oder anderen Systems zu berichten wissen – doch tief in seinem Inneren bleibt ein fades Gefühl. Das ist der Grund, warum in Internetforen und auf Investmentmessen so oft derart aggressiv argumentiert wird. Je aggressiver jemand seine eigene Technik verteidigt, desto mehr versucht er, seine Zweifel zu verdrängen. Doch irgendwann wird aus den Zweifeln Gewissheit:
»Der ganze Mist funktioniert nicht dauerhaft!«
Oder um es ein wenig prägnanter zu formulieren: Bestimmte Techniken funktionieren nur in bestimmten Börsenphasen. Da jedoch niemand vorher weiß, in welcher Börsenphase er sich gerade befindet, kann auch niemand vorhersagen, welche Technik in den kommenden Wochen funktionieren wird.
Aber was geschieht, wenn ein solcher Trader diese Einsicht zulassen würde? Er stünde zunächst einmal vor den Scherben seiner gesamten Karriere! Wenn all diese Techniken auf Dauer nicht in der Lage sind, nachhaltigen Gewinn zu generieren, wenn keine von ihnen erfolgreich sein kann, ist es dann noch sinnvoll, sich mit der Börse zu beschäftigen?
Viele dieser Menschen sind nun aber beruflich mit der Börse verbandelt. Wenn sie zu viel zweifeln, verlieren sie den Halt, teilweise sogar ihre Existenzgrundlage. Also suchen sie lieber nach einer neuen Technik, einem neuen Ansatz, hoffen darauf, das ultimative System zu finden, wenn sie nur lang genug forschen. Sie entwickeln dabei oft einen derart fieberhaften Eifer, dass sie nie zur Ruhe kommen. Denn Ruhe wäre gefährlich: Die verfluchten Zweifel kämen wieder hoch.
Wenn ich solche Themen in meinem täglichen Newsletter anschneide, erhalte ich tatsächlich immer wieder E-Mails von Lesern, die mir Stein und Bein schwören, sie hätten das System gefunden oder sie würden jemanden kennen, dem es gelungen sei, mit einfachen Mitteln langfristig Erfolg zu haben. Ich habe diese Storys bereits sehr oft gehört. Fakt ist: Sie halten einer näheren Überprüfung auf Dauer nicht stand.
Ich habe in meiner Zeit an der Börse sehr viele Trader und Analysten gesehen, die gute Ideen eine Weile sehr erfolgreich umgesetzt haben. Aber ich habe auch immer wieder miterleben dürfen, wie diese Ideen, Systeme, Techniken in anderen Börsenphasen große Verluste generierten und manchen in den Ruin getrieben haben. Man konnte eine klare Regelmäßigkeit erkennen: je größer die Gewinne in der Phase, in denen die jeweilige Herangehensweise funktionierte, desto größer die Verluste in der anderen Phase. Keine Frage, es gibt einen unbestreitbaren Zusammenhang zwischen Rendite und Risiko.
Es gibt einen Grund, warum »starre« Systeme an den Börsen scheitern müssen. Aber es gibt natürlich auch eine Lösung:
Börse als komplexes und chaotisches System
Man könnte also auf die Idee kommen, Börse sei Chaos. Allerdings muss man hier, um genau zu sein, doch zunächst unterscheiden. Ursprünglich bezeichnet Chaos im Prinzip einen Zustand vollkommener Unordnung. Dieser Chaosbegriff ist auf die Börse angewendet natürlich zu weit gefasst. Es tauchen sehr wohl immer wieder Regelmäßigkeiten auf, eine vollkommene Unordnung gibt es nicht.
Im Prinzip hat die Börse viel mehr mit den Theorien zu komplexen Systemen zu tun, die Teil der Chaosforschung sind. Es geht dabei darum, Systeme zu analysieren, deren Dynamik erheblich von kleinsten Veränderungen der Anfangsbedingungen abhängig sind. Sie alle kennen das überspitzte Beispiel mit dem Flügelschlag des Schmetterlings im Amazonasgebiet, der in Norddeutschland ein Unwetter auslösen kann.
Aber selbst beim Wetter gibt es innerhalb des komplexen Gesamtsystems immer wieder Regelmäßigkeiten, die zu guten Vorhersagen führen, obwohl man manchmal an Wettervorhersagen verzweifeln will ...
Zu viele Faktoren beeinflussen die Börse
An der Börse ist es allerdings noch vielschichtiger als beim Wetter: So ist die Entwicklung der Börsen von einer Vielzahl menschlicher Entscheidungen abhängig, die eindeutig noch weniger berechenbar sind:
Darunter fallen zunächst alle politischen Entscheidungen. Eine der folgenschwersten politischen Entscheidungen ist zum Beispiel ein militärischer Konflikt. Aber auch die Entscheidungen von Unternehmen können maßgeblichen Einfluss auf eine Wirtschaft nehmen. Das beste Beispiel haben wir im Jahr 2008 erlebt, als Fehlentscheidungen von Banken eine weltweite Finanzkrise ausgelöst haben.
Die Unvorhersehbarkeit liegt dabei weniger darin, dass es Menschen sind, die diese Entscheidungen treffen. Denn im Grunde sind Menschen relativ simpel gestrickt. Das eigentliche »Chaos« entsteht durch die ungeheure Anzahl von Menschen und Ereignissen, die erheblichen Einfluss nehmen können. Darunter fallen auch Menschen, von denen niemand weiß, dass ihre Handlungen relevant werden. Bestes Beispiel dafür ist der Anschlag auf das World Trade Center in New York im Jahr 2001. Eine Gruppe Menschen, von denen fast niemand wusste, dass sie überhaupt existiert, verursacht urplötzlich eine gigantische Kette von Ereignissen, die noch viele Jahre später den Verlauf der Börsen mitbestimmten.
Die einzelnen Komponenten, die Einfluss auf die Börse nehmen und nehmen können, sind damit derart unüberschaubar, dass selbst ein Anhänger von deterministischen Ansätzen nicht bestreiten wird, dass man sie mit heutigen Mitteln nicht ansatzweise berechnen kann.
Es ist mit dem Versuch gleichzusetzen, die universelle Weltenformel zu finden, die alles vorherberechnen kann. Ob wir, wenn wir diese gefunden hätten, noch Börsen brauchten?
Zyklen und massenpsychologische Gesetzmäßigkeiten
Daneben existiert aber natürlich auch eine Vielzahl von Regelmäßigkeiten. So können wir immer wiederkehrende Zyklen erkennen (Schweinezyklus, Präsidentschaftszyklus, Wirtschaftszyklen). Auch massenpsychologische Phänomene bestimmen die Börse. Gier und Angst der Anleger sind ein guter Indikator für den weiteren Börsenverlauf. Daraus wurden die Sentimentindikatoren...