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Die Klaviatur des Todes

Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf | SPIEGEL Bestseller

AutorProf. Dr. Michael Tsokos
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783426417829
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Spektakuläre Fälle aus der Rechtsmedizin - True Crime, der unter die Haut geht Ein Toter auf einer Berliner Straße - Opfer eines heimtückischen Mordes oder ein tragischer Unfall? Eine grausam verstümmelte Frauenleiche - war es ein brutales Sexualverbrechen? Ein Ehepaar mit schweren Vergiftungssymptomen - standen die beiden auf der Todesliste des russischen Geheimdiensts? Der Rechtsmediziner Michael Tsokos wird immer dann von den Ermittlungsbehörden um Hilfe gebeten, wenn sie mit ihrer Aufklärungsarbeit nicht weiterkommen. Er soll herausfinden, was die Toten nicht mehr erzählen können: War es Mord? War es Suizid? Oder war es ein Unfall? Echte Fälle von Deutschlands bekanntestem Rechtsmediziner Prof. Dr. Michael Tsokos Realistisch und hautnah schildert Tsokos rätselhafte Fälle, an deren Lösung er selbst maßgeblich beteiligt war. Im Obduktionssaal und im Labor fügt der Forensik-Spezialist die Indizien wie Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammen, das zur Rekonstruktion des Falles führt. »Die Klaviatur des Todes« enthüllt faszinierende Einblicke in die Arbeit eines Rechtsmediziners: Hochinformativ und spannend bis zur letzten Seite!

Prof. Dr. Michael Tsokos, Jahrgang 1967, ist Professor für Rechtsmedizin und leitet das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin in Berlin. Michael Tsokos ist der bekannteste deutsche Rechtsmediziner und regelmäßig als Experte im In- und Ausland tätig, beispielsweise für das BKA bei der Identifizierung der Opfer von Terrorangriffen und Massenkatastrophen. Seine bisherigen 26 Bücher waren allesamt SPIEGEL-Bestseller.  Folgen Sie Michael Tsokos auf Instagram: @dr.tsokos

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Leseprobe

Die Klaviatur des Todes


Anders als unsere Pendants im Fernsehen sind wir Rechtsmediziner im wahren Leben ganz normale Menschen – ohne übernatürliche Fähigkeiten und ohne die legendären Macken unserer berühmten TV-Kollegen. Wir haben keine körperlichen Auffälligkeiten, und wir sprechen mit unserem Gegenüber ohne beißenden Sarkasmus, da unsere berufliche Tätigkeit uns so wenig frustriert wie unser sonstiges Leben.

Wir gehen einem – für uns jedenfalls – ganz normalen Beruf nach. Zugegebenermaßen verfügen wir über sehr spezielles Fachwissen, betreffend die verschiedensten Todesursachen. Ein Wissen, das nur sehr wenige Menschen auf der Welt besitzen – und das ist aus verschiedenen Gründen auch gut so.

Wir Rechtsmediziner beherrschen die Klaviatur des Todes. Und glauben Sie mir, der Tod ist mit einer ganz besonderen Klaviatur ausgestattet. Ich könnte Ihnen jetzt eine viele hundert Seiten umfassende, sehr akademisch und fast steril klingende Liste aller möglichen Todesursachen präsentieren. Aber so eine Auflistung dessen, was wir in der Rechtsmedizin täglich sehen, würde den verschiedenen Gesichtern des Todes, dem Facettenreichtum und der Komplexität aller denkbaren Todesumstände nicht annähernd gerecht werden. Außerdem ist jedes Individuum einzigartig – und so gesehen auch jeder einzelne Todesfall.

So viel steht aber fest: Es gibt einige tausend Todesursachen, die Menschen schneller oder langsamer vom Diesseits ins Jenseits befördern können. Doch es gibt nur drei mögliche Todesarten: natürlich, nicht natürlich und ungewiss. Und bei den beiden Letzteren kommen wir Rechtsmediziner ins Spiel.

 

Wenn jemand an einem inneren Leiden verstirbt, zum Beispiel an einem Herzinfarkt, einem fortgeschrittenen Krebsleiden oder einem Lungenemphysem, sprechen wir von einem natürlichen Tod. Der Tod ereignet sich dabei aus innerer Ursache. Er kann sich als plötzliches, für die Angehörigen völlig unerwartetes Ereignis manifestieren oder sich bereits lange Zeit vorher mit einem langen und schmerzhaften Leiden ankündigen.

Tritt der Tod als Folge einer äußeren Gewalteinwirkung ein, dann handelt es sich um einen nicht natürlichen Tod. Hierbei ist es zunächst einmal unerheblich, ob es ein Gewaltverbrechen war, das durch Messerstiche oder Pistolenkugeln zum Tod führte, oder ein Unfall, zum Beispiel eine Fußgängerüberrollung durch einen Pkw oder der unfallbedingte Stromtod eines Elektrikers. Auch kann es sich bei einem nicht natürlichen Tod um einen Suizid handeln. In jedem Fall kommt der Tod nicht »von innen«, also als Folge einer Erkrankung, sondern stellt ein »von außen« verursachtes Ereignis dar. Und das ist unbedingt abklärungswürdig – zunächst durch die Polizei und dann durch die Rechtsmedizin.

Wenn zum Zeitpunkt der ärztlichen Leichenschau beziehungsweise bei Beginn polizeilicher Ermittlungen in einem Todesfall nicht klar ist, ob es sich um einen natürlichen oder einen nicht natürlichen Tod handelt, dann sprechen wir von einer ungewissen oder ungeklärten Todesart (beide Begriffe werden synonym verwendet). Zum Beispiel kann es sein, dass zu diesem Zeitpunkt noch keine Erkenntnisse zu den Todesumständen vorliegen, etwa ob der Betroffene zuvor ernsthaft krank war oder ob der Leichenfundort auch tatsächlich der Ort des Todeseintritts ist. Hier muss also ein Rechtsmediziner durch eine Obduktion klären, ob es sich um ein von außen kommendes Ereignis (nicht natürlicher Tod) oder eine Erkrankung aus innerer Ursache (natürlicher Tod) handelt.

Natürliche Todesfälle sind für Polizei und Staatsanwaltschaft nicht weiter von Interesse, da keine Straftat vorliegt. Das Todesermittlungsverfahren wird in diesen Fällen eingestellt, noch bevor es offiziell eröffnet wurde. Stellt sich dagegen heraus, dass ein Gewaltverbrechen oder ein Unfall todesursächlich war, wird weiter ermittelt. Liegt zweifelsfrei ein Suizid vor, wird das Ermittlungsverfahren ebenfalls eingestellt, es sei denn, es stehen Tötung auf Verlangen oder andere Aspekte der Sterbehilfe im Raum.

Die Rechtsmedizin ist also eine wichtige Stellschraube zu Beginn sämtlicher Todesermittlungsverfahren. Auch deshalb ist eine gut funktionierende und von staatlichen, institutionellen oder persönlichen Interessen unabhängige und objektive Rechtsmedizin für unseren Rechtsstaat ein unverzichtbares Instrument.

 

US-Hochglanzserien vom Typ CSI suggerieren den Zuschauern, dass unsere amerikanischen Kollegen, was rechtsmedizinische Kenntnisse und Fertigkeiten anbelangt, die Nase vorn hätten. Doch das trifft keineswegs zu: Nicht nur die historische, auch die moderne Rechtsmedizin hat ihre Wurzeln in Deutschland.

Bereits im frühen 16. Jahrhundert wurde unter Kaiser Karl V. ein Gesetz erlassen, das die Hinzuziehung ärztlicher Sachverständiger bei einer Vielzahl strafrechtlich relevanter Fragestellungen wie Mord, Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge, Kindstötung oder bei ärztlichen Behandlungsfehlern vorschrieb; alles Themen, mit denen sich auch die heutige Rechtsmedizin noch täglich beschäftigt. Damals entstand nicht nur das erste deutsche Strafgesetzbuch, sondern auch die Rechtsmedizin, die damit eine der ältesten medizinischen Disziplinen überhaupt darstellt.

Die moderne Rechtsmedizin hat ihre Wurzeln außer in Deutschland auch in Österreich. In beiden Ländern wurden Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts die ersten Lehrstühle für Rechtsmedizin (damals noch gebräuchlich: »Gerichtsmedizin«) an medizinischen Fakultäten zahlreicher Universitäten gegründet; ein System unabhängiger universitärer Institute, wie sie auch heute noch existieren, angegliedert an die medizinische Fakultät jeder Universität in Deutschland.

Ärzte, die in der universitären Medizin in Deutschland eine tadellose berufliche Reputation und gegebenenfalls auch höhere professorale Weihen erlangen wollen, müssen meist wenigstens ein oder zwei Jahre in den USA an einer renommierten Klinik gearbeitet haben. Das gilt für jede andere medizinische Fachdisziplin, nicht aber für die Rechtsmedizin: Die deutsche Rechtsmedizin setzt nach wie vor international die Standards.

Nirgends wird in rechtsmedizinischen Instituten so viel und so praxisorientiert geforscht wie hierzulande. Internationale rechtsmedizinische Fachzeitschriften werden nicht nur von Fachartikeln deutscher Autoren dominiert – auch die Herausgeber der meisten hochrangigen wissenschaftlichen Forensik-Zeitschriften sind Deutsche. Unsere Institute werden von Gastwissenschaftlern aus aller Welt – einschließlich Amerikanern – besucht, die sich von einem mehrmonatigen Gastaufenthalt bei uns nicht nur allerneuestes Know-how, sondern auch Reputation und Anerkennung in ihrem Heimatland versprechen.

 

Die Rechtsmedizin ist eines der nicht gerade zahlreichen Gebiete, auf denen Deutschland weltweit führend ist. Wie sieht das in der Praxis aus? Ein modernes rechtsmedizinisches Institut verfügt über unterschiedliche Kernbereiche. Eines der Herzstücke jeder Rechtsmedizin ist die Forensische Pathologie mit dem Sektionssaal. Hier wird in der Regel an mehreren Tischen gleichzeitig obduziert. In größeren, modern ausgestatteten Instituten ist eine Abteilung für Forensische Bildgebung dem Sektionssaal direkt angegliedert; hier werden die Verstorbenen vor der Obduktion mittels postmortaler Mehrschichten-Computertomographie untersucht. In der Vergangenheit nutzte die Rechtsmedizin hauptsächlich das geschriebene und gesprochene Wort, um Sachverhalte und Befunde zu vermitteln – zum Beispiel das Sektionsprotokoll, das zwanzig bis dreißig Seiten umfassen kann, oder die mündlichen Ausführungen des Sachverständigen vor Gericht. Dagegen bieten moderne radiologische Diagnostikverfahren wie die Computertomographie ganz neue Möglichkeiten, was Objektivität und Überprüfbarkeit und damit den Beweiswert der von uns erhobenen Befunde anbelangt.

Die bei der Obduktion gewonnenen Körperflüssigkeiten und Gewebeproben werden in der Abteilung für Forensische Toxikologie untersucht – zum Beispiel, wenn durch die Obduktion die Todesursache (und damit die Todesart) nicht sicher geklärt werden konnte oder ein Vergiftungsverdacht im Raum steht. Hier finden auch Blut- und Urinuntersuchungen sowie Haaranalysen bei Lebenden statt, wenn es etwa um einen vom Gericht oder von der Führerscheinbehörde geforderten Nachweis der Drogenabstinenz einer straffällig gewordenen Person geht.

In unserer Abteilung für Forensische Genetik erstellen wir DNA-Profile. Dabei kann es um die Identifizierung von Toten, von deren skelettierten Überresten oder um Spurenträger gehen – zum Beispiel um eine an einem Tatort aufgefundene Zigarettenkippe, einen Vaginalabstrich nach einem Sexualdelikt oder einen Airbag, der bei einem Verkehrsunfall ausgelöst wurde und die Polizei durch den Nachweis von DNA möglicherweise zum flüchtigen Unfallfahrer führt.

Nur wenigen Zeitgenossen dürfte bekannt sein, dass Rechtsmediziner auch lebende Personen untersuchen. Das ist der Bereich Klinische Rechtsmedizin. Die Kriterien, die wir bei Opfern tödlicher Gewaltverbrechen zugrunde legen, lassen sich auch bei Überlebenden von Straftaten anwenden. Daher sind wir als Spezialisten immer dann gefragt, wenn die Ermittlungsbehörden gerichtsverwertbare Aussagen zu...

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