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Die Kraft liegt in mir

Wie wir Krisen sinnvoll nutzen können - Mit aktuellem Vorwort zur Corona-Krise

AutorTamara Dietl
Verlagbtb
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl296 Seiten
ISBN9783641152840
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Freiheit. Krise. Verantwortung. - Jetzt mit aktualisiertem Vorwort der Autorin im Hinblick auf die Corona-Krise.
»Ich war schon immer der Meinung, dass Krisen zum Leben gehören. Meine Erfahrungen haben mich gelehrt, dass ein gelingendes Leben nur dann möglich ist, wenn ich das Leben in seiner ganzen Bandbreite annehme. Mit all seinen Höhen und Tiefen. Mit seinen Licht- und seinen Schattenseiten. Und deshalb macht es für mich auch keinen Sinn, sich eine Krise schönzureden oder noch schlimmer - über sie zu klagen. Ich bin ja nicht auf die Welt gekommen, um zu jammern. Ich bin auf die Welt gekommen, um etwas Sinnvolles aus meinem Leben zu machen. Meinem Leben Sinn zu geben. Im Denken und vor allem auch im Handeln. Und so kann es durchaus Sinn machen, das Beste aus einer Krise zu machen, wenn man sie schon hat.«

Tamara Dietl erzählt in diesem Buch über Schwierigkeiten als Herausforderung für ein erfülltes Leben. Beruflich seit Jahren damit beschäftigt, als Sinn- und Wertecoach anderen Menschen in Krisensituationen beizustehen, geriet sie 2015 durch die schwere Krankheit ihres Mannes, des Filmregisseurs Helmut Dietl, selbst in eine große Krise. Wie es gelingen kann, trotz Krise ein sinnvolles Leben zu führen, davon berichtet sie in diesem Buch. Es ist eine große Liebeserklärung an ihren Mann, an die Kraft des Augenblicks und an das Leben.

Tamara Dietl begann ihre journalistische Laufbahn als Gerichtsreporterin bei der Hamburger Morgenpost. 1988 wechselte sie zu 'SPIEGEL TV', produzierte dort über zehn Jahre lang u.a. Portraits über Willy Brandt, Romy Schneider und Marlene Dietrich. Daneben war sie als freie Autorin und Beraterin tätig, u. a. für ARD, DIE ZEIT, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, und unterrichtete als Dozentin an Journalisten- und Filmhochschulen. Heute arbeitet Tamara Dietl als Consultant und Business-Coach mit Verantwortlichen aus Wirtschaft, Politik und Medien. Sie absolvierte eine Zusatzausbildung zum Sinn- und Wertecoach nach Viktor Frankl. Ihr Mann, der Filmemacher Helmut Dietl, war lange schwer krank und verstarb schließlich im März 2015. Die Autorin lebt mit ihrer Tochter in München.

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Leseprobe

Es war Frühling im Februar. Einer der sonnigsten Tage meines Lebens. Jedenfalls im Winter. Es war der Tag, an dem ich fünfzig wurde. Der Tag, der ein halbes Jahrhundert Leben markiert und auf den ich mich schon seit langem gefreut hatte. Seitdem ich denken kann, liebe ich Geburtstage, habe jeden einzelnen davon mit großer Vorfreude erwartet und mit noch größerer Freude gefeiert. Und so sollte natürlich gerade dieser Fünfzigste ein ganz besonderes, ein großes, ja rauschendes Fest werden. Eine großartige Party, mit vielen, vielen Gästen, die von überallher kämen, mich reich beschenkten und mit mir bis in die frühen Morgenstunden feierten. So jedenfalls hatte ich es mir vorgestellt. Doch es kam anders, ganz anders.

An dem Tag, als ich fünfzig wurde, lag eine unendlich schwere Zeit hinter mir, vielleicht sogar die schwerste Zeit meines Lebens. Zumindest meines bisherigen Lebens. Wobei ich das so eigentlich nicht wirklich sagen kann, denn woran sollte ich es messen? An dem, was mir zugestoßen war – ganz objektiv? Oder an meinem Erleben und Empfinden für das, was mir zugestoßen war – sehr subjektiv?

Die »objektiven« Fakten kann ich in ein paar erschreckend nüchternen Sätzen zusammenfassen: Fünf Monate vor meinem fünfzigsten Geburtstag wurde bei meinem Mann Lungenkrebs entdeckt. Eigentlich unheilbar und wenn dann nur mit einer zehnprozentigen Überlebenschance.

Acht Wochen nach der Diagnose meines Mannes fanden Ärzte bei meiner Mutter ebenfalls einen bösartigen Krebs-Tumor. Ihre Überlebenschancen sahen anfänglich besser aus als die meines Mannes. Aber das sollte sich als tragischer Irrtum erweisen. Auf den Tag genau zwei Monate nach meinem fünfzigsten Geburtstag starb meine Mutter.

Vergiss deinen fünfzigsten Geburtstag, sagte ich mir immer wieder. In deiner Situation kannst du nicht feiern. Jetzt gibt es wahrlich Wichtigeres zu tun. Kümmere dich um deinen Mann und um deine Mutter. Und vor allem, kümmere dich um deine Tochter! Sie braucht dich jetzt dringender als je zuvor.

Und natürlich tat ich das. Kümmerte mich mit all meiner Kraft um unser elfjähriges Kind und um meinen Mann. Um meine Mutter konnte ich mich nicht so kümmern, wie ich es gerne wollte. Wir lebten nicht in derselben Stadt. Sie lebte an der Nordsee. Ich mit meiner Familie in München.

In all diesen Monaten des intensiven Kümmerns, in all dieser Zeit, die einer Achterbahn glich, einer Achterbahn des Hoffens und Bangens und von der später noch ausführlich die Rede sein wird, in all dieser Zeit also, dachte ich immer wieder an meinen bevorstehenden Geburtstag. Ich konnte ihn nicht vergessen und, so gestand ich mir irgendwann endlich auch ein, ich wollte ihn gar nicht vergessen. Im Gegenteil. Je näher er rückte, desto stärker wurde mein Wunsch, ihn zu feiern.

Die Freiheit des Menschen, kam es mir in den Sinn, ist selbstverständlich nicht eine Freiheit von Bedingungen … sie ist überhaupt nicht eine Freiheit von etwas, sondern eine Freiheit zu etwas, nämlich die Freiheit zu einer Stellungnahme gegenüber all den Bedingungen. Und so wird sich denn auch ein Mensch erst dann als ein wirklicher Mensch erweisen, wenn er sich in die Dimension dieser Freiheit aufschwingt.

Wie oft hatte ich diese Sätze von Viktor Frankl, diesem großartigen Psychiater, in den vergangenen Jahren zitiert? Für mich selbst, für meine Klienten, in meinen Vorträgen und den vielen Seminaren, die ich gab. Wie oft hatte ich andere dazu ermuntert, sich in diese Dimension der Freiheit des Menschen aufzuschwingen? Und wie oft hatte ich es selbst getan?

Die Dimension dieser Freiheit war mir vertraut. Seit Jahren arbeitete ich als sogenannter »Sinn- und Wertecoach«, hatte eine Ausbildung nach der Lehre von Viktor Frankl absolviert und mich auf intensivste Weise mit seiner Theorie vom »Lebens-Sinn« auseinandergesetzt.

Und so war diese »Freiheit zu etwas« im Laufe der Zeit immer mehr zum Leitmotiv meines Lebens geworden. Sowohl im Denken als auch im Handeln.

Und als ich nun zu Beginn des Jahres 2014 immer wieder darüber nachdachte, wie ich sinnvollerweise mit meinem bevorstehenden fünfzigsten Geburtstag umgehen sollte, wurde mir wieder einmal sehr deutlich, was diese »Freiheit zu etwas« überhaupt bedeutete.

Denn diese Freiheit des »zu etwas« ist – genau wie jede andere Freiheit auch – eine Freiheit, die man sich immer wieder neu erobern muss. Und manchmal muss man buchstäblich um sie ringen, für sie kämpfen. Diese Freiheit wird einem nicht einmal – und damit für alle Ewigkeit – geschenkt. Sich diese Freiheit zu bewahren, bedeutet, sie Tag um Tag immer wieder neu im praktischen Handeln zu leben.

Und was bedeutete diese Erkenntnis nun für mich und meinen fünfzigsten Geburtstag? Natürlich war ich nicht frei von den schwierigen und traurigen Bedingungen, die mein Leben gerade so sehr bestimmten. Natürlich war ich nicht frei von der Tatsache, dass sowohl mein Mann als auch meine Mutter an einer lebensbedrohlichen Krankheit litten. Aber ich war frei, darüber zu entscheiden, wie ich mich zu diesen Bedingungen stellen wollte. Und so machte ich mich auf, meine Haltung gegenüber diesen Bedingungen zu finden.

Ich begann meine Suche nach der richtigen Haltung mit einem intensiven Reflektieren über meine eigenen Gedanken: »In deiner Situation kannst du nicht feiern!«. Warum eigentlich nicht?, fragte ich mich. Wieso kannst du nicht feiern? Oder willst du nicht feiern? Oder … darfst du nicht feiern? Je länger ich darüber nachdachte, umso klarer wurde mir, dass ich mich nicht in einer Dimension der Freiheit bewegte, wenn ich so dachte, sondern in einer Dimension der Moral. Nach dem Motto: Wenn andere leiden, darfst du nicht feiern. Mit dieser Moral kam ich auf meiner Suche nach der richtigen Haltung nicht weiter. Denn diese Moral machte mich unfrei. Unfrei deshalb, weil ich den Umständen eine zu große Macht über mich einräumen würde. Weil ich damit den Umständen die Entscheidung über mein Handeln überlassen würde. Oder anders ausgedrückt: Diese moralische Dimension würde mich zum Opfer der Umstände machen. Und das wollte ich auf keinen Fall sein – ein Opfer. Mit dieser Opferrolle war niemandem geholfen. Den Leidenden nicht und auch nicht mir selbst. Und die Wahrheit war: Ich wollte ja feiern.

Wenn ich also feiern wollte, war der nächste, folgerichtige Schritt die Suche nach einer Antwort auf die Frage: »Wie will ich meinen fünfzigsten Geburtstag feiern?« Ich überlegte hin und her, und je länger ich über die Frage grübelte, desto ratloser wurde ich. Ich wusste es nicht. Immer und immer wieder horchte ich in mich hinein, und schien mich damit von einer Antwort nur umso weiter zu entfernen. Das war erstaunlich. Denn ich hatte doch so oft meinen Geburtstag gefeiert und immer gewusst wie. Hatte immer eine geradezu intuitive Vorstellung davon gehabt, wie dieser besondere Tag, an dem ich, wie man so schön sagt, das Licht der Welt erblickt hatte, aussehen sollte. Und nun plötzlich verließ mich meine Intuition. Ich wollte feiern, aber ich wusste nicht wie. Das irritierte mich zutiefst. Wieso konnte ich mich in dieser Situation auf meine Intuition plötzlich nicht mehr verlassen? Darüber dachte ich lange nach und begriff schließlich, dass Intuition eben nicht aus heiterem Himmel einfach so über einen kommt. Und schon gar aus dem sogenannten »Bauchgefühl« heraus, wie gerne behauptet wird. Wobei ich mich immer frage, was das eigentlich sein soll, dieses »Bauchgefühl«? Und wenn es ein »Bauchgefühl« gibt, müsste es doch auch ein »Kopfgefühl« geben, oder? Und was sollte das dann sein? »Bauchgefühl« jedenfalls ist etwas sehr Schwammiges, Unklares.

Und weil ich Klarheit so liebe, liebe ich das Denken so sehr, und deshalb brauche ich den präzisen Umgang mit der Sprache. Denn Sprache formt unser Denken – und umgekehrt. Je präziser ich in der Sprache bin, desto klarer wird mein Denken – und umgekehrt.

Mit dem »Bauchgefühl« kam ich hier also nicht weiter. Und was war mit meiner Intuition, die mich im Stich ließ? Intuition, das wurde mir in dieser Situation klar, speist sich aus Erfahrungen. Sie meldet sich umso eindeutiger, je mehr Erfahrungen ich mache. Und genau das hatte ich in diesem Fall nicht: Erfahrungen. Ich hatte das einfach noch nicht erlebt – meinen fünfzigsten Geburtstag in so einer komplizierten Situation.

Wenn du auf die Frage »Wie willst du deinen fünfzigsten Geburtstag feiern?« keine Antwort findest, sagte ich mir, gibt es zwei Möglichkeiten: entweder es gibt keine Antwort, oder aber die Frage ist falsch gestellt.

Dass es eine Antwort auf die Frage gab, dessen war ich mir sicher – ich kannte sie nur noch nicht. Aber dafür kannte ich etwas anderes – und zwar das Phänomen der »falschen Frage«. Denn um richtige Antworten zu bekommen, muss man auch die richtigen Fragen stellen.

Die richtigen Fragen stellen – das ist für mich seit jeher eine der größten Herausforderungen des Lebens. Es ist eine noch viel höhere Kunst, als richtige Antworten zu geben. Nicht zuletzt deshalb bin ich Journalistin geworden. Und später Coach. Denn bei genauer Betrachtung sind die Kernkompetenzen des Journalisten und die des Coaches ein und dieselben: präzise beobachten und die richtigen Fragen stellen. Besonders hilfreich in dieser Hinsicht waren meine frühen Jahre als Gerichtsreporterin bei einer Tageszeitung.

Dort konnte ich Menschen dabei beobachten, wie sie im Ringen um die Wahrheit...

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