GESCHICHTE DER MÜNCHNER ANTIKENSAMMLUNGEN
Antike Kunstwerke zu sammeln, hat in Europa eine lange Tradition. Schon im Mittelalter, insbesondere aber seit der Renaissance demonstrierten Könige und Fürsten auf diese Weise sowohl ihre Bildung als auch den Anspruch, an das Vorbild des Imperium Romanum anzuknüpfen. Werke der Antike wurden als historische und antiquarische Zeugnisse gewürdigt, aber noch mehr als ästhetische Vorbilder geschätzt.
So stammen die ältesten Bestände (Abb. S. 234) unseres Museums noch aus der Kunstkammer Herzog Albrechts V. von Bayern, der von 1550 bis 1579 regierte. Albrecht, der zu den ersten Fürsten gehörte, die nördlich der Alpen eine solche Sammlung anlegten, ließ für die von ihm erworbenen Antiken die «Kunstkammer» und später das «Antiquarium» errichten. In der Folgezeit zeigten nur wenige Wittelsbacher Interesse, weitere Antiken zu erwerben. In den Wirren des Dreißigjährigen Krieges und des Spanischen Erbfolgekrieges gingen dann beträchtliche Teile der Antikensammlung verloren.
Albrecht V. von Bayern (reg. 1550–1579)
Als nach dem Aussterben der bayerischen Linie der Wittelsbacher 1777 der Kurfürst von der Pfalz, Carl Theodor, das Gesamterbe antrat, erfuhr die Münchner Antikensammlung ihren bis dahin bedeutendsten Zugewinn. Der gebildete und kunstsinnige Monarch brachte aus dem Antikenkabinett seiner vormaligen Residenz in Mannheim erstklassige Stücke (Abb. S. 275) mit. Carl Theodor verband mit seiner Sammlung eine grundsätzlich neue Konzeption. Das von ihm begründete Antiquarium im Mannheimer Schloss sollte nicht mehr der fürstlichen Repräsentation, sondern der Forschung und Belehrung dienen. Es war deshalb eng mit der ebenfalls vom Kurfürsten begründeten Mannheimer Akademie verbunden. Carl Theodor liebte München jedoch nicht und hoffte stets auf eine Rückkehr in die Pfalz. Deshalb kamen die besten Stücke des dortigen Antikenkabinetts erst 1802, nach seinem Ableben, nach München.
Carl Theodor von der Pfalz (seit 1742 Kurfürst von der Pfalz, 1777–1799 auch Kurfürst von Bayern)
Sein Nachfolger, Max IV. Joseph aus der Pfalz-Zweibrücker Linie der Wittelsbacher, der spätere König Max I., begeisterte sich nicht für die Antike. Infolge der Säkularisation der geistlichen Güter 1803 in Bayern und bald darauf auch im damals bayerischen Tirol gelangten während seiner Regentschaft einige Antiken ins Münchner Antiquarium. Nicht weniger bedeutend war der Zugewinn durch Bodenfunde auf bayerischem Hoheitsgebiet (Abb. S. 10), sowohl zufällig gefundene Stücke als auch solche aus Ausgrabungen. Ihre Zahl stieg rasch an, da ein königlicher Erlass die Anzeige solcher Funde anordnete und eine Entschädigung bei Abgabe versprach.
Der römische Silberbecher aus dem frühen 2. Jahrhundert n. Chr. zeigt den griechischen Helden Achill, der am Grab seines Freundes Patroklos gefangene Trojaner hinrichten lässt. Er wurde 1848 bei Manching gefunden.
1807 wurde das Antiquarium, wie andere wissenschaftliche Sammlungen des Staates, der Bayerischen Akademie der Wissenschaften als «Attribut» unterstellt. Die Konservatoren kümmerten sich primär um die Inventarisierung der Antikenbestände. Besondere Verdienste hat sich der vormalige Benediktiner aus St. Emmeram, Pater Bernhard Stark, durch sein Bestreben erworben, «das Gute vom Schlechten und das Echte vom Unechten zu scheiden». Unter seinem Nachfolger, Friedrich Thiersch, verfasste Joseph von Hefner erstmals ein «Verzeichnis der in der Sammlung des königl. Antiquariums befindlichen Alterthums-Gegenstände», das 1845 erschien. Gleichwohl merkte von Hefner bereits an: «Woher die einzelnen Gegenstände der Sammlung stammen und wie sie derselben einverleibt wurden, diess zu ermitteln ist grösstentheils nicht mehr möglich, …»
Alles, was bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zusammengetragen worden war, kann heute jedoch nur als Vorspiel betrachtet werden. Der Ruhm der Antikensammlungen in München beruht auf den Erwerbungen, welche Ludwig I. in wenigen Jahrzehnten getätigt hat. Unter dem Eindruck seines ersten Italienaufenthaltes (1804/05) und der dort in Augenschein genommenen Antiken-, Gemälde-, Vasen- und Münzsammlungen empfand der damals achtzehnjährige Kronprinz den Wunsch, «diese Schönheiten nach seiner nordischen Heimat zu verpflanzen, um sie daselbst als eine Quelle der edelsten Kunstbildung jedem frei und unentgeltlich zugänglich zu machen, der aus ihr schöpfen will».1 Nicht weniger bedeutend als seine Sammlung griechischer und römischer Skulpturen in der Glyptothek, aber bis heute deutlich weniger beachtet, ist der Aufbau einer der weltweit schönsten Sammlungen antiker Kleinkunst. Wie schon bei der Glyptothek waren der Maler Johann Martin Wagner und der Architekt Leo Klenze, die beide später für ihre Verdienste geadelt wurden, Ludwigs wichtigste Helfer.
Ludwig I. von Bayern (reg. 1825–1848)
Wagner, die längste Zeit seines Lebens Ludwigs bedeutendster Kunstagent, scheint schon früh an den Aufbau einer Vasensammlung gedacht zu haben. In einem längeren Brief vom 11. Oktober 1815 an den Kronprinzen, in dem er sich mit dessen Glyptothek-Projekt auseinandersetzt, schreibt er zu einer von ihm vorgesehenen «Kammer griechischer Vasen»: «Zuletzt könnte man noch ein anderes kleines Gemach anbringen mit griechischen oder sogenannten hetrurischen Vasen und kleinen Figuren, Basreliefen und dergleichen von gebrannter Erde, unter welchen sich äußerst schöne Sachen vorfinden und von welchen Canova eine artige Sammlung besitzt. Wie auch kleine antike Figuren von Bronz und andern antiken Geräthschaften. – Hier könnten dann die Vasen, die ich von Athen mit herübergebracht, ihren Platz finden und zum guten Anfang dienen. Mit der Zeit würde sich solches nach und nach auf eine leichte Weise vermehren lassen.»2 Doch mit diesem Plan stieß Wagner bei Ludwig anfangs nicht auf Gegenliebe.
Johann Martin von Wagner (1777–1858)
Im Frühjahr 1820 erwarb Wagner aus der Sammlung Dodwell die berühmten Bronzebeschläge eines etruskischen Wagens aus San Mariano (Abb. S. 104–106). Als der Kronprinz von den bronzenen Reliefs enttäuscht war und anordnete, sie wieder zu verkaufen, wusste der schlaue Wagner dies zu verhindern, indem er behauptete, es finde sich kein Käufer. Der irische Maler und Schriftsteller Edward Dodwell hatte in Rom ein eigenes Museum griechischer Vasen, Bronzen und Terrakotten eingerichtet, die er in Italien, aber auch bei ausgedehnten Reisen in Griechenland erworben hatte. Wenige Jahre nach Dodwells Tod 1832 erstand der König große Teile von dessen Museum (Abb. S. 12).
Leo von Klenze (1784–1864)
Korinthische Pyxis aus der Sammlung von Edward Dodwell (1767–1832), der sie 1806 in der Nähe von Korinth erworben hatte, 590–580 v. Chr. Der Vasenmaler trägt heute nach diesem namengebenden Gefäß den Namen Dodwell-Maler.
Es ist das Verdienst Klenzes, den entscheidenden Impuls zum Aufbau von Ludwigs großartiger Vasensammlung gegeben zu haben. Auf einer Sizilienreise bot ihm in Agrigent der Kirchenkantor Giuseppe Panitteri seine damals bereits bekannte Vasensammlung zum Kauf an. Um die Zustimmung des Kronprinzen zu erhalten, erklärte Klenze, die 48 im antiken Athen getöpferten und bemalten Keramikgefäße (Abb. S. 195–198), die in den Nekropolen der griechischen Stadt Akragas gefunden worden waren, seien «unter den Vasen, was die Aegineten unter den Statuen sind».3
Schon im März 1826 erhielt die Münchner Kleinkunstsammlung den nächsten bedeutenden Zuwachs. Wieder war es Klenze, der mit dem Beauftragten der Gräfin Lipona, bürgerlich Caroline Murat, der Schwester Napoleons und Witwe Joachim Murats, einen Kaufvertrag über 250 meist unteritalische Vasen sowie über großartigen Goldschmuck (Abb. S. 236–237), Bronzen und Terrakotten abschloss. Es handelte sich um Funde aus Grabungen, die Caroline als Königin von Neapel (1808–1815) in Süditalien hatte durchführen lassen.
Caroline Murat (1782–1839) war die Schwester Napoleon Bonapartes. Als Ehefrau von Joachim Murat war sie von 1808 bis 1815 Königin von Neapel. Seit 1817 lebte sie als Gräfin von Lipona (Anagramm von Napoli) im österreichischen Oberitalien.
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