Und wo bleibe ich?!
»Eins nach dem anderen – ich habe nur zwei Hände!«
Die eine Hand schmiert das Brot für das Kindergartenfrühstück, die andere Hand schenkt ein Glas Milch ein. »Mama, ich muss aufs Klo!«, ruft es da vom Frühstückstisch und der Dreijährige klettert vom Hochstuhl herunter. Der Fünfjährige kippt derweil so viel Milch in sein Müsli, dass die Schüssel überläuft, und während Sie ihm schnell eine Küchenrolle zuwerfen, zieht Sie der Kleine in Richtung Bad, denn »es ist ganz dringend, Mama«.
Ja, eine dritte oder gar eine vierte Hand wären jetzt toll. Eine Hand, die schnell die Frühstücksboxen für den Kindergarten weiter vorbereiten kann, und eine weitere Hand, die schon mal den Kaffee macht, den Sie nach der durchwachten Nacht dringend bräuchten. Während die Kinder endlich ihr Müsli futtern, kommt der Gatte aus dem Schlafzimmer und sucht seine blaue Krawatte. Und ein Kind kräht derweil aus dem Esszimmer: »Ich hab gekleckert!« Zeit, in Ihr eigenes Brot zu beißen, hatten Sie noch keine.
Also ein ganz normaler Morgen: Frühstücksbrote schmieren, müde Kinder aufwecken und überreden, dass es im Kindergarten und in der Schule bestimmt wieder »ganz toll« sein wird, Pausenbrote vorbereiten, Kaffee kochen und, wenn alles gut geht, auch noch warm trinken, beim Anziehen helfen, standhaft bleiben bei Diskussionen, ob sieben Grad und Nieselregen das geeignete Wetter für die Lieblingssandalen sind (oder auch nicht standhaft bleiben, des lieben Friedens wegen), Schnürsenkel binden und dann zur Frühstücksrunde in den Kindergarten oder zur ersten Stunde in die Schule hetzen.
Kennen Sie das Phänomen auch: Egal, wie früh Sie aufstehen, am Ende sind Sie doch wieder kurz vor knapp im Kindergarten?
Danach weiter zur Arbeit, ab an den Schreibtisch. »Ach, die Teilzeitkollegen treffen auch ein«, tönt es vom Nachbarschreibtisch. Das antrainierte Lächeln kommt zum Einsatz, PC an, ach Mist, heute ja noch gar nichts gefrühstückt, Joghurt aus der Tasche, beim E-Mails-Checken nebenher essen und bloß nicht auf die Tastatur kleckern. »Typisch, fast zu spät kommen und dann als Erstes gleich mal Frühstückspause«, kommt es vom geliebten Kollegen einen Schreibtisch weiter. E-Mails, Meetings, mittags nebenher am Computer einen Salat hinunterschlingen, im Kopf die Einkaufsliste notieren, zähneknirschend noch die Kopien für den Kollegen miterledigen (schon wieder nicht geschafft, Nein zu sagen) und dann mal wieder auf den letzten Drücker in den Kindergarten schneien, die vorwurfsvollen Blicke der Erzieherinnen ignorierend.
»Haben Sie die fünf Euro für den Ausflug morgen dabei?« Total vergessen! Man kann doch nicht alles im Kopf haben. Wann waren Sie das letzte Mal am Geldautomaten? Zu lange her, das Portemonnaie ist leer. »Gestern hatten Sie das Geld auch schon nicht dabei.« Stimmt, und vorgestern auch nicht. Beim Kindanziehen noch schnell den Post-It »Bitte neue Windeln mitbringen« von der Garderobe einstecken, damit Sie morgen auch wirklich daran denken. Hing der Zettel nicht gestern auch schon da?! »Und denken Sie dran, morgen müssen die Kinder schon um acht hier sein«, ruft die Erzieherin Ihnen noch hinterher, als Sie endlich nach Hause gehen. Der Ausflug, das hätten Sie fast vergessen. Dafür müssen Sie morgen ja auch noch eine Getränkeflasche extra einpacken.
Das muss jetzt auch noch irgendwo abgespeichert werden, in den Gehirnwindungen zwischen der Einkaufsliste, den fünf Euro für den Ausflug und den Windeln, während die Kinder von ihrem Tag berichten und sich streiten, wer anfangen darf. Der Nachmittag geht so weiter. Irgendjemand will immer etwas von Ihnen. »Mama, kannst du mal?« in der Dauerschleife. Sobald Sie sich hinsetzen und einmal nichts tun, können Sie sich sicher sein, dass eines Ihrer Kinder etwas braucht, dem anderen einen Baustein über die Rübe zieht oder in die Hose gepinkelt hat. Und je fortgeschrittener der Nachmittag, umso quengeliger die Kinder, bis kurz vor dem Abendbrot die Stimmung endgültig kippt und kaum fünf Minuten ohne Geschrei vergehen.
Ein ganz normaler Alltag. Wenigstens steht kein Kinderturnen an und abends gibt es auch nur belegte Brote, da fällt das Kochen weg. Aber Feierabend wird trotzdem erst um 20 Uhr sein. Oder um 21 Uhr, je nachdem, wann die Kinder schlafen. Dann ist endlich Zeit, noch einmal kurz die Beine hochzulegen und im Geiste die To-do-Liste für den nächsten Tag durchzugehen. Falls Sie nicht beim Ins-Bett-bringen der Kinder einschlafen, wie die letzten Tage auch.
Ach ja, da wäre eigentlich noch der Haushalt, der nach dem Ins-Bett-bringen der Kinder nach Ihnen ruft. So ein Haushalt ist ja eine unendliche Geschichte. Kaum ist der Geschirrspüler ausgeräumt, ist er schon wieder voll. Kaum ist der eine Wäscheberg im Kleiderschrank verschwunden, taucht der nächste aus der Waschmaschine auf. Und auf wundersame Weise wächst die Schmutzwäsche im Wäschekorb wie von selbst nach. Haben Sie die Küche gesaugt, tummeln sich schon wieder Brotkrümel auf dem Fußboden. Es hört einfach nicht auf – der Haushalt ist nie fertig! Fertig sind am Ende des Tages nur Sie selbst.
Und wo bleibe ich?! Das fragen sich wohl alle Mütter, die sich täglich zwischen Arbeit, Kindern und Haushalt aufreiben. Einmal eine Minute durchatmen? Einen Nachmittag nur für sich selbst haben? Ohne dass Sie sich Gedanken machen müssen, ob Sie noch Windeln kaufen müssen oder ob der Kindergarten nun morgen um acht oder um halb neun den Ausflug startet? Ohne dass Sie überlegen, was Sie morgen kochen und ob Sie die dringende E-Mail von Ihrem Chef eigentlich schon beantwortet haben? Die berufstätige Mutter von heute ist immer mit einem halben Ohr woanders. Im Büro ist sie in Gedanken bei ihren Kindern und zuckt bei jedem Handyklingeln zusammen – es könnte ja der Kindergarten sein, der möchte, dass man das plötzlich erkrankte Kind abholt. Am Nachmittag beim Biene-Maja-Puzzlen schweifen die Gedanken immer wieder zu den unerledigten Papierstapeln auf dem Schreibtisch. Nein, Feierabend sieht anders aus.
Würden Sie sich manchmal am liebsten schon nachmittags ins Bett legen und die Decke über den Kopf ziehen? Ist Ihnen immer häufiger plötzlich zum Heulen zumute, die kleinsten Dinge bringen Sie auf die Palme, und es gibt Tage, an denen der einzige Gedanke in Ihrem Kopf ist: »Ich kann nicht mehr«? Damit stehen Sie nicht alleine da. Viele Mütter wissen manchmal einfach nicht mehr weiter und schon Banalitäten können sie aus der Bahn werfen. Aber es geht ja nicht anders, denken Sie? »Ich muss ja funktionieren«, sagen Sie? Nein, Sie müssen nicht immer funktionieren!
»Stoppt das Hamsterrad!«
Irgendetwas bleibt immer auf der Strecke im hektischen Mama-Alltag. Sie können sich nun mal nicht zweiteilen und eine dritte Hand ist Ihnen auch noch nicht auf dem Rücken gewachsen. Wann hatten Sie das letzte Mal einfach nur Zeit für sich? Ohne schlechtes Gewissen? Ohne dass irgendjemand etwas von Ihnen wollte? Ohne dass Sie nebenbei den nächsten Arbeitstag geplant haben? Oder den Kindergeburtstag? Höchste Zeit, das zu ändern! Denn so geht es nicht weiter. Niemand kann auf Dauer 120 Prozent geben. Und niemand kann sich ständig aufreiben, ohne auf die eigenen Bedürfnisse zu hören. Denn sonst steuern Sie schneller auf ein Burnout zu, als Ihnen lieb ist. Und wenn Sie zusammenbrechen, ist niemandem geholfen.
Mit Burnout verbinden die meisten Menschen und Medien immer noch das Bild des ausgebrannten Managers, der sich verausgabt hat in einer 70-Stunden-Woche, immer im Dienste der Firma, von Meeting zu Meeting eilend. »Burnout« ist ein Modewort geworden, es ist so sehr in Mode, dass man die Diagnose teilweise nicht mehr ernst nimmt. Dass Lehrer und Angehörige pflegender Berufe auch immer häufiger an den Punkt gelangen, an dem sie einfach nicht mehr können, ist mittlerweile anerkannt. Aber mit Müttern wird »Burnout« eher selten in Verbindung gebracht. Dass sie oft genauso eine 70-Stunden-Woche haben wie der vielzitierte überarbeitete Manager, sich täglich verausgaben und an ihre Grenzen gehen, das sickert eher langsam in das Bewusstsein der Öffentlichkeit ein. Dabei opfern sich Mütter genauso auf wie die besonders gefährdeten Lehrer und Pflegenden – und auch sie sind oft mit falschen Erwartungen in den »Beruf« Mutter gegangen und wurden von der Realität eingeholt.
Anerkennung für ihre Arbeit? Darauf warten die meisten Mütter vergeblich. Denn von vielen Menschen wird das Muttersein nach wie vor einfach nicht als Arbeit angesehen, sondern als Auszeit. Erholsam statt anstrengend, so stellen sich nicht wenige den Mütteralltag vor. Und selbst wer einsieht, dass es anstrengend ist, hat deshalb noch lange kein Verständnis. Kommen Ihnen diese Sätze bekannt vor?
»Vormittags arbeiten und nachmittags auf dem Spielplatz herumhängen, das kann doch nicht so stressig sein.«
»Wenn sie die Kinder so sehr stressen, hätte sie besser keine bekommen sollen.«
»Was kann an dem bisschen Haushalt denn so anstrengend sein?«
»Zeit für sich? Das hat sie doch, wenn sie mit den Kindern spielt.«
»Das haben unsere Mütter doch auch geschafft, und das auch noch ohne Geschirrspüler.«
»Was ist daran so stressig, vier Stunden am Tag zu arbeiten und nachmittags ein bisschen die Kinder zu betüddeln?«
»Sie ist doch nur Hausfrau und muss noch nicht mal ins Büro gehen, wie kann sie da bitte überlastet sein?«
Die Mehrfachbelastung, der Mütter heutzutage ausgesetzt sind,...