WO LAG DER GARTEN EDEN?
Am Persischen Golf oder im nördlichen Iran? Oder existiert das Paradies nur als unausrottbare Sehnsucht in der Seele? Über die Unterschiede zwischen Avalon und Eden. Und warum die Seligen alle nackt sind.
»Wir wurden aus dem Paradies vertrieben,
aber zerstört wurde es nicht
Franz Kafka
Pünktlich zur Jahrtausendwende sorgte der New Yorker Anwalt und Enthüllungsautor (The Moses Mystery) Gary Greenberg für Aufsehen: Der biblische Garten Eden, so behauptete er in einer 2000 erschienenen Publikation, habe in der Nähe von Kairo gelegen, dort, wo später Heliopolis stand, die »Stadt der Sonne« und das spirituelle Zentrum Ägyptens. Heute erinnern nur noch einige Tempelruinen neben einer riesigen Müllkippe an die einstige Herrlichkeit.
Greenbergs Theorie war ungewöhnlich; wer in den letzten Jahrhunderten nach dem Paradies forschte, suchte es in der Regel am Persischen Golf, in der heutigen Südtürkei oder im nördlichen Iran. Die ägyptische Variante verschwand dann auch bald sang- und klanglos aus der nie endenden Paradies-Debatte, die mittlerweile auf hochauflösende Satellitenbilder und archäologische Ausgrabungsberichte zurückgreifen kann.
Dasselbe Schicksal hatten jene mittelalterlichen Theologen erlitten, die den Garten Eden auf der fernen Löweninsel (heute Ceylon oder Sri Lanka genannt) lokalisierten. Oder in Syrien oder unter dem Hügel Golgota, wo Jesus gekreuzigt worden war. Kolumbus entwickelte seine eigene Theorie: Als er genug Weltreisen unternommen hatte, schilderte er die Erde selbstsicher als runde Birne, auf deren Stiel der Garten Eden liege, »wohin kein Mensch gehen kann, außer mit Gottes Erlaubnis«.
Satellitenbilder vom Persischen Golf
»Paradies«, zumindest im Deutschen klingt das wie ein Zauberwort aus dem Märchenbuch, mit dem hell leuchtenden langen »i« und den beiden anderen Vokalen, die an ein staunend-genießerisches »Ah!« denken lassen. Dabei bedeutet das aus dem Persischen kommende pairidaeza, später als paradeisos ins Griechische und als paradisi ins Althochdeutsche übertragen, ganz prosaisch: »eingehegtes, eingezäuntes Gebiet«; so grässlich würden Juristen die Wunderwelt eines Gartens bezeichnen. Mehr Poesie steckt in dem sumerischen Guan Eden (später von den Hebräern als Gan Eden in ihre Bibel übernommen), das heißt wörtlich übersetzt »Rand der himmlischen Steppe«.
Die Menschheitserinnerung kennt mehrere solcher Traumländer: neben dem Paradies der Juden, Christen und Muslime das geheimnisvolle Atlantis irgendwo hinter der Straße von Gibraltar oder die Zauberinsel Avalon, wo König Artus begraben sein soll. Homer schwärmte vom Elysium am Ende der Welt, wo kein Schnee fällt und kein rauer Wind weht, sondern nur eine milde Meeresbrise. Hesiod, ebenfalls ein griechischer Poet, erzählt von den »Inseln der Seligen«, von Helden bewohnt, die dort sorglos von den Früchten einer verschwenderischen Natur leben. Wie es im fernen »Goldenen Zeitalter« allen Menschen beschieden war:
»Und sie lebten dahin wie Götter ohne Betrübnis
fern von Mühe und Leid, und es nahte ihnen
kein schlimmes Alter,
und immer regten sie ihre Hände und Füße,
freuten sich an Gelagen, und frei von jedem Übel
starben sie, übermannt vom Schlaf,
und alles hatten sie, was sie wünschten.
Frucht bescherte die nahrungsspendende Erde
stets von selbst, unendlich und vielfach.«
Hesiod: Werke und Tage
Im äußersten Westen am Rande des Weltmeeres Okeanos sollen alle diese Länder des Glücks liegen, ausgezeichnet durch angenehmes Klima und üppige Vegetation. Ihre Bewohner, und das ist interessant, sind mit Körper und Seele in ihr Paradies entrückt worden, es handelt sich keinesfalls um eine vergeistigte Existenz irgendwo in spirituellen Sphären, und die Bürger von Atlantis oder Avalon sind keine ätherischen, durchsichtigen Geistwesen, sondern Menschen von Fleisch und Blut.
Als zeitlose Ideen einer vollkommenen, harmonischen, glücklichen Welt sind Avalon und Camelot, Atlantis und der Garten Eden im Gedächtnis der Menschen lebendig geblieben. Artus’ legendäre Burgen und die versunkene Insel Atlantis inspirieren immer noch Forschungsreisende, Bestsellerautoren und Filmregisseure. Zumindest beim Garten Eden hat sich bei den meisten Fachleuten allerdings die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Paradies eben doch eher eine Idee gewesen ist als ein real existierender Ort. Expeditionen zum Garten Eden unternimmt kaum noch ein Mensch.
Weder nach Saudi-Arabien noch nach Indien oder in die Mongolei, wo man das Paradies im Lauf der Jahrhunderte gesucht hat. Wer sich heute noch mit solchen Spekulationen befassen will, konzentriert sich in der Regel auf den nördlichen Iran, auf die Grenzregion zur Türkei und zum Irak, fleißige Karl-May-Leser kennen die Landschaft als »Kurdistan«. Der britische Archäologe David Rohl meint, aus dem dort liegenden Urmia-See könnten die in der Bibel genannten vier Paradiesflüsse entsprungen sein, denn urmia bedeutete einst »Wiege des Wassers«.
Rohls amerikanischer Kollege Juris Zarins von der Missouri State University wiederum will die schon vor langer Zeit im Boden versickerten Paradiesflüsse Pischon und Gihon auf Satellitenbildern vom Persischen Golf entdeckt haben: In grauer Vorzeit, als der Meeresspiegel erheblich niedriger war, hätten sich diese beiden Flüsse mit Eufrat und Tigris vereinigt und alle vier seien dann als ein einziger imposanter Strom ins Meer geflossen – weit von der heutigen Mündung entfernt. Wegen des Wasserreichtums sei diese Landschaft enorm fruchtbar gewesen: der Garten Eden!
Wunderwelt ohne Landkarte
»Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten an und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. Gott, der Herr, ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten, in der Mitte des Gartens aber den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. (…) Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte.«
Genesis 2, 8 f., 15
Die hebräische Bibel hat es den Träumern und Forschern immer schon denkbar schwer gemacht, dem Wunderland aus den ersten Schöpfungstagen auf die Spur zu kommen. Die Heilige Schrift beschränkt sich auf die Auskunft, der Garten Eden sei ein idyllischer Ort mit viel Wasser und Grün und Getier gewesen – eine Mischung aus Schlaraffenland und Erholungslandschaft. Dass der Garten von einer Mauer umgeben gewesen sei – so wird er in der klassischen Kunst regelmäßig dargestellt –, lässt sich schon wieder nicht aus der Genesis erschließen, sondern höchstens aus dem persischen Wort pairidaeza, wenn man es als »Umwallung« übersetzt.
Es existiert keine Landkarte (im Osten, das hilft nicht weiter; möglicherweise ist der Ort des Sonnenaufgangs gemeint, das Land des Lichts, des täglich neuen Lebens). Es fehlen Informationen über Größe und Form, Flora und Fauna. Einzige Ausnahme: der Feigenbaum (als Adam und Eva erkannten, dass sie nackt waren, machten sie sich einen Schurz aus Feigenblättern; Genesis 3, 7). Schon der verhängnisvolle »Baum der Erkenntnis« ist nicht exakt beschrieben – was Künstler, Poeten und Philosophen später keineswegs hinderte, ihn fälschlich als Apfelbaum oder Bananenstaude zu identifizieren.
»Ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; dort teilt er sich und wird zu vier Hauptflüssen. Der eine heißt Pischon; er ist es, der das ganze Land Hawila umfließt, wo es Gold gibt. Das Gold jenes Landes ist gut; dort gibt es auch Bdelliumharz und Karneolsteine. Der zweite Strom heißt Gihon; er ist es, der das ganze Land Kusch umfließt. Der dritte Strom heißt Tigris; er ist es, der südlich an Assur vorbeifließt. Der vierte Strom ist der Eufrat.«
Genesis 2, 10 – 14
Das ist das einzige karge geographische Indiz im Buch Genesis: die mesopotamischen Flüsse Euphrat (altpersisch »gute Furt«) und Tigris. Aber Mesopotamien ist groß, und die beiden anderen im biblischen Bericht genannten Paradiesströme, Pischon und Gihon, sind genauso unbekannt wie das Land Hawila. Der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus setzt Pischon und Gihon etwas forsch mit Nil und Ganges gleich. Kusch entspricht dem heutigen Sudan (um Teile Äthiopiens erweitert), nach Meinung einiger Forscher auch dem sumerischen Stadtstaat Kisch in Mesopotamien.
Bdelliumharz wurde früher zum Räuchern und zur Salbenherstellung verwendet. Manche jüdische Traditionen lesen das Wort auch als »Erz«, »Perle« oder »Kristall«; alte christliche Auslegungen sehen in der Kombination von Gold, Perlen (oder Kristall) und Onyx (die Karneolsteine) einen Vorgeschmack des himmlischen Jerusalem, wie es in der Apokalypse beschrieben ist, und damit eine Brücke zwischen Anfangszeit und Endzustand der Welt Gottes.
Apropos jüdische Tradition: In der Regel haben es die Juden abgelehnt, über die geographische Lage des Paradieses nachzudenken – sie wollen auch nicht wissen, wo genau sich die Sinai-Offenbarung ereignete. Kultstätten und Pilgerziele außerhalb von Jerusalem hätten die Reinheit des Jahwe-Glaubens bedroht und eine Versuchung zum Götzendienst bedeutet.
Schon der...