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E-Book

Das Tier und wir

Einblicke in eine komplexe Freundschaft

AutorChristina Hucklenbroich
VerlagBlessing
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783641124250
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Hundegurus, Katzennannys und Pferdeflüsterer - Reportagen über eine sehr deutsche Leidenschaft
Wir Deutschen halten zwölf Millionen Katzen und sieben Millionen Hunde. Die Mehrheit der Halter betrachtet ihr Tier als Familienmitglied - entsprechend komplex gestaltet sich das Zusammenleben. Diese Beziehung ist von Trends geprägt - die sich in der Fütterung, der Erziehung und den bevorzugten Arten zeigen. So nehmen die Deutschen derzeit Abstand von Ziervögeln, weil sie deren Drahtkäfige nicht mehr in ihren Wohnungen sehen wollen. Dafür gibt es einen massiven Run auf Straßenhunde aus Süd- und Osteuropa.

Christina Hucklenbroich ist durch ganz Deutschland gereist und hat die Menschen und Tiere hinter den Trends besucht: Pferdeflüsterer und Hundetrainer, Zoohändler und die ärmsten der Hunde- und Katzenhalter, denen die »Tiertafel« weiterhilft, Wissenschaftler, die untersuchen, warum Schulkinder in Anwesenheit eines Hundes besser rechnen können. In fesselnden Reportagen und bestechend genauen Analysen erkundet die Autorin die unterschiedlichen Facetten der Tierhaltung.



Christina Hucklenbroich, geboren 1978 in Münster, studierte Veterinärmedizin und arbeitet seit September 2007 als Wissenschaftsredakteurin bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ihre journalistischen Arbeiten wurden u.a. dem Silbernen Pferd des Deutschen Reiter-und Fahrer-Verbandes und dem Bernd-Tönnies-Preis ausgezeichnet.

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Leseprobe

 

1. Eine Beziehung im Wandel

Ein Blick auf den Status quo: Wer hält Tiere, wie und warum? Die Nähe zwischen Menschen und Tieren wächst. Wir skypen mit Hunden, Katzen dürfen mit ins Bett. Aber es gibt auch Tiere, von denen die Menschen Abstand nehmen: Man hat heute keine Wellensittiche mehr, weil ihre Käfige den Menschen wie Gefängnisse erscheinen.

Wenn der erste Bus die Kreuzung im Zentrum um 6:28 Uhr ansteuert, schläft das Dorf noch. Niemand steigt zu. Erst in der Nähe der Bauernhöfe ringsum werden ein paar Azubis an den Haltestellen warten, erzählt die Busfahrerin. Sie werden an einem abgelegenen Bahnhof zehn Kilometer weiter wieder aussteigen, von dort fährt ein Regionalzug in die nächste Großstadt. Um kurz vor sieben geht im Kindergarten das Licht an, um halb acht im einzigen Geschäft des Dorfes, einem Tante-Emma-Laden, der von Brötchen bis zur Barbiepuppe alles verkauft. Und dann kehrt schnell Leben ein. Die Schulkinder bilden Trauben an der Bushaltestelle. Die Mütter kehren mit leeren Buggys vom Kindergarten zurück. Ein einsamer Jogger und drei Hundehalter sind unterwegs in Richtung Wald. Die Sonne geht erst um halb neun auf, jetzt im Januar. Dann fahren auch die Autos aus den Garagen neben den Einfamilienhäusern und nehmen Kurs auf die Landstraße. Das Dorf liegt im Speckgürtel einer Großstadt, viele Familien mit Kindern sind in den vergangenen Jahren hierhergezogen, haben riesige Trampolins in den Gärten aufgestellt und für bessere Busverbindungen gekämpft.

Und sie haben sich Haustiere angeschafft, vor allem Hunde und Katzen. Das sagt Karin*, die in einem schicken Ein­familienhaus in der Dorfmitte lebt. »Inzwischen hat jeder im Ort ein oder zwei Tiere«, sagt sie. »Das war vor zwanzig oder dreißig Jahren überhaupt nicht so. Es sind die Zugezogenen, die heute so viele Tiere halten. Ich habe fast das Gefühl, die Leute ziehen hierher, weil sie mit dem Hund schnell im Wald sein können. Weil sie hier so gut ein Leben mit Hund führen können.« Karin ist selbst einmal Zugezogene gewesen, sie hat 1970 in das Dorf eingeheiratet, das zu dem Zeitpunkt gerade mal 300 Einwohner hatte. »Damals hatte kaum jemand Hunde und Katzen«, sagt Karin. Viele der Alteingesessenen hielten ein paar Nutztiere in den Gärten, Hühner oder Schafe waren keine Seltenheit. Karin und ihr Mann legten sich einige Jahre nach der Hochzeit den ersten Hund zu, einen Cockerspaniel. »Wenn man mit dem Hund im Wald spazieren ging, dann war man damals wirklich allein«, sagt Karin. Das war noch bis weit in die Achtzigerjahre so. Dann entstanden mehrere große Baugebiete für Einfamilienhäuser. Und mit den Neubürgern kamen die Hunde.

Die Gemeindeverwaltung im nächstgrößeren Nachbarort bestätigt diesen Trend. Hier werden die Daten von mehreren kleinen Orten gesammelt, die insgesamt etwa 10.000 Einwohner haben. Mehr als tausend davon zahlen Hundesteuer. »Tendenz steigend«, sagt die Dame im Rathaus.

Wenn man an diesem Morgen den Wald, der das Dorf von allen Seiten umgibt, einmal durchquert, trifft man fünf Hunde: Zwei Beagle, einen Weimaraner, einen Mops, einen Border Collie. Und den großen schwarzen Mischling Paul. Anja, seine Besitzerin, kennt und duzt alle anderen Hundebesitzer, die ihr begegnen. Sie geht diese Tour seit Jahren jeden Morgen. Ihr Tempo ist zügig, für die große Runde braucht sie dreißig Minuten, dann ist sie wieder an ihrer Haustür angelangt. Im Vorgarten schmelzen Schneereste, im Küchenfenster steht noch Weihnachtsdekoration. »Ich bin froh, wenn der Weihnachtsbaum wieder abgebaut ist«, sagt Anja drinnen, an ihrem Esstisch im Wohnzimmer. »Ich würde auch nie ein Bügelbrett ins Wohnzimmer stellen.«

Paul liegt ein paar Schritte entfernt und schaut sehnsüchtig durch die Terrassentür in den Garten. Dem mit lila- und rosafarbenen Kugeln geschmückten Weihnachtsbaum schenkt er keinen Blick.

Die Ruhe könne täuschen, sagt Anja. »Wenn er einen Anfall hat, ist er danach erst mal so neben der Spur, dass er auch Blumentöpfe runterreißt.« Paul ist sechs Jahre alt. Fünf davon leben Anja, ihr Mann und die beiden Kinder mit seinen epileptischen Anfällen, unter denen er leidet, seitdem er dem Welpenalter entwachsen ist. Anja hatte sich den Hund zugelegt, als sie gerade in das Dorf gezogen war, denn sie fand, dass sich das große Haus mit Garten und der nahe Wald perfekt für ein Leben mit Hund eigneten. Das erste Jahr verlief auch genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Dann kam der erste Anfall. »Kopf und Kiefer krampfen, er hat starke Zuckungen an allen Gliedmaßen«, beschreibt Anja die Situationen. »Anfangs hat er auch Urin und Kot dabei verloren. Das Ganze dauert bis zu sechs, sieben Minuten. Je länger, desto größer die Ausfälle danach. Er ist teilweise einige Minuten blind, kommt nicht auf die Beine, ist sehr unruhig, läuft gegen die Wand und bellt uns an.«

Beim ersten Anfall rief Anja sofort den Tierarzt, der seitdem verschiedene Medikamente ausprobiert hat. Anfallsfrei ist Paul nie wieder geworden. »Im Moment bekommt er sieben verschiedene Tabletten am Tag«, sagt Anja. »Man darf eigentlich gar nicht so genau ausrechnen, wie viel das kostet.« Anja sorgt dafür, dass er die Tabletten morgens und abends stets zu immer denselben Uhrzeiten bekommt, immer um genau sieben Uhr. »Ich bin da natürlich auch perfektionistisch«, sagt sie. Ihr Mann wendet manchmal ein: »Wir können nicht unser ganzes Leben nach dem Hund richten.« Er hole sie zurück auf den Teppich, sagt Anja. »Das ist wichtig, weil ich sonst, glaube ich, vielleicht den Punkt verpassen würde, an dem man zurückschalten muss, wenn da nicht jemand wäre, der sagt: Wir müssen auch mal in den Urlaub fahren. Ich hab ja schon ein Problem, wenn wir mal um sieben ins Kino wollen. Auch die Kinder merken, dass wir nicht so flexibel sind.«

Anja schläft unruhig, weil sie darauf horcht, ob Paul einen nächtlichen Anfall hat. Sie ist ungern länger als drei, vier Stunden außer Haus, weil sie befürchtet, dass der Hund in ihrer Abwesenheit das Bewusstsein verliert und danach orientierungslos durch die Zimmer irrt. Ein Jahr lang ist die Familie überhaupt nicht gemeinsam in den Urlaub gefahren, weil Pauls Anfälle sich häuften. Seit einem halben Jahr arbeitet Anja wieder als Grundschullehrerin, nach mehreren Jahren Pause, als die Kinder klein waren. »Es ist nur eine halbe Stelle, aber ich muss trotzdem häufig die Rektorin um bestimmte Arbeitszeiten bitten, damit ich nicht zu lange am Stück von zu Hause weg bin – wegen meines kranken Hundes. Das ist schon ein komisches Gefühl. Ich frage mich auch, was Kollegen, die keinen Hund haben, darüber denken.«

Anjas Kinder sind elf und dreizehn Jahre alt. »Die Kinder sind so groß, dass ich wegen ihnen nie um besondere Arbeitszeiten bitten muss. Neulich hatte mein Sohn Grippe. Er war eine ganze Woche zu Hause und ich musste keinen Tag freinehmen, er hat sich ganz allein versorgt, während wir arbeiteten. Eigentlich bin ich völlig flexibel, wenn nicht der Hund wäre. Alle meine Bitten an meinen Arbeitgeber beziehen sich auf den Hund.«

Warum sie das alles macht? Anja hebt die Schultern. »Mein Mann sagt manchmal, da sei auch viel Egoismus dahinter. Man wird nicht wirklich von dem Hund geliebt, meint er.« Und was denkt Anja selbst? Sie ist mit einem Hund aufgewachsen, er starb, als sie dreizehn war. »Das war der Weltuntergang«, erinnert sie sich. Wenn sie heute mit Paul durch die Natur geht, schnellen Schrittes, dann ist sie sogar an eiskalten, ungemütlichen Januartagen wie heute fröhlich und aufgekratzt. Einschläfern lassen würde sie ihn wegen seiner Krankheit nie. Auch die Tierärzte sagen, dass es keinen Grund dafür gibt, weil seine Lebensqualität nicht eingeschränkt ist. Freunde und Bekannte haben ihr aber schon oft gesagt, dass sie mit einem solchen Hund nicht leben wollten. »Sie warnen mich: Pass auf, bei jedem Anfall gehen Gehirnzellen verloren. Es kann sein, dass er dich irgendwann nicht mehr erkennt«, sagt sie. »Vor allem, wenn die Leute selbst kein Tier haben, können sie all das, was ich in Kauf nehme, wohl nicht nachvollziehen.«

Wolfgang würde es wahrscheinlich verstehen. Mit seiner Frau Barbara lebt er in Anjas Nachbarschaft. Wolfgang und Barbara sind kurz vor dem Rentenalter. Vor mehr als zwanzig Jahren ist ihre Katze gestorben. Seitdem haben sie kein Haustier mehr gehabt. An der Pinnwand im Flur steckt noch ein altes Foto von Wolfgang mit der Katze. Er trägt einen Strickpulli, Schlaghosen, steht vor einem Mietshaus. Die Katze auf seinem Arm ist noch ein Baby, sie stemmt die Vorderpfoten gegen seine Brust, er hält sie mit beiden Händen. »Das war 1975«, sagt Wolfgang. »Damals lebten wir noch in der Stadt. Im ersten Jahr haben wir die Katze mit einer Leine in der Umgebung ausgeführt, damit sie die Straßen kennenlernt und zurück nach Hause findet.«

Eigentlich war es Barbara gewesen, die eine Katze hatte haben wollen. Die beiden studierten damals, die Katze eines Kommilitonen hatte Junge bekommen und Barbara suchte sich eines aus. »Anfangs war Barbara ganz verrückt nach der Katze«, sagt Wolfgang. »Die Katze durfte in unserem Bett schlafen und wurde wie ein Baby verwöhnt. Aber schon nach zwei Jahren merkte ich, dass ihr Interesse nachließ. Ich weiß noch, dass ich Barbara darauf ansprach. Sie sagte: Ach, weißt du, jetzt ist sie schon zwei Jahre alt und hat noch immer kein Wort gesprochen.«

Aus der Küche ruft Barbara: »Das hast du damals gesagt. Hört sich genau nach deinem Humor an.«

Als die Katze drei Jahre alt war, bekam Barbara das erste Kind. »Von da an habe ich mich um die Katze gekümmert«, sagt Wolfgang. Er fütterte die Katze, brachte sie zum Tierarzt. Und er ließ sie jede Nacht gegen...

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