Herzlich willkommen
»Wer in einer Ehe nur glücklich sein will, sollte nicht heiraten. Glücklich machen, das ist es, worauf es in einer Partnerschaft ankommt.« Dieser Satz stammt aus meinem »Praxis-Zettelkasten« für das Zitieren in besonderen Beratungssituationen.
»Nicht nur glücklich sein … glücklich machen …« Klingt gut, ist aber auch leicht gesagt. Wie geht das? Was ist dafür notwendig? Was muss ich, was müssen wir dafür lernen? Solche und ähnliche Fragen stehen in den Gesichtern vieler, die mir, beziehungsweise uns, in der Paarberatung gegenübersitzen.
Wenn ich in diesem Buch von »wir« oder »uns« spreche, meine ich gleichzeitig meine Kolleginnen, mit denen ich in den letzten Jahren – in guter Balance der Geschlechter – mit Paaren und Familien zusammengearbeitet habe. Diese Kooperation als Beratungspaar hat sich sehr bewährt und ich habe sie – trotz erhöhten Abspracheaufwands – sehr zu schätzen gelernt. Darüber hinaus arbeite ich auch allein.
In diesem Buch habe ich nun ein paar beispielhafte Erlebnisse in Form von »Schlüsselszenen« zusammengestellt, um nachvollziehbar zu machen, was Paarberatung will, macht und kann. Nicht mehr und nicht weniger.
Es ist in heutiger Zeit nach unseren Erfahrungen zwar schon leichter geworden, sich in festgefahrenen Beziehungen Unterstützung in einer Beratung zu holen, es hat aber immer noch den Beigeschmack des »Na, die haben’s ja nötig …« und des »Nur, wenn’s gar nicht mehr anders geht …«.
So beginnen viele Erstgespräche und somit auch einige »Geschichten« in diesem Buch mit einem sich langsam aufgebauten »Überdruck« auf Seiten der Ratsuchenden: »Bitte, retten Sie uns!« Meist verbirgt sich dahinter das belastende Gefühl: »Wenn Sie uns nicht helfen können, wissen wir auch nicht mehr weiter.«
Durch diese Phase des Leidensdrucks und der Verzweiflung zu den Themen zu kommen, die gemeinsam angeschaut werden können, um eventuell wieder Bewegung und Weiterentwicklung in die Beziehung zu bringen, ist die erste Herausforderung in der Beratung. Oft klappt es mit Ruhe und Geduld, manchmal ist es allerdings auch zu spät.
Was für Themen finden sich dann am Grund des »Überdruckkessels« und damit auch in den aufgeschriebenen Geschichten? Ich denke, an erster Stelle stehen die »Nebenbeziehungen«, egal auf welcher Seite, und die Verletzung und Verunsicherung, die sie auslösen.
So hören wir zum Beispiel häufiger in modernen Zeiten: »Ich habe die E-Mails meines Mannes gelesen. Er hat offenbar eine andere Frau beim Chatten kennengelernt.«
Daneben gibt es natürlich eine Vielzahl anderer Gründe für den ersten Anruf: »Ich habe das Gefühl, wir haben uns auseinandergelebt. Aber ich möchte meinen Traum von einer glücklichen Partnerschaft nicht schleichend beerdigen.«
»Mein Sohn zieht sich immer mehr zurück, und ich glaube, es hat etwas mit der Sprachlosigkeit in unserer Familie zu tun.«
»Ich komme einfach nicht damit klar, dass mich meine Schwiegermutter zu hassen scheint.«
»Wir stehen vor einer großen Entscheidung. Mein Mann soll versetzt werden, aber er spricht nicht mit mir.«
Die grundlegende Erschütterung, die in all diesen An- und Hilferufen zum Ausdruck kommt, steht oft am Ende einer langen Entwicklung, die dann mit den Sätzen beschrieben wird: »Wir haben irgendwie unsere Beziehung verloren.« oder »Wir reden kaum noch miteinander.« oder »Zeigen Sie uns bitte, wie wir unsere Liebe wiederfinden!«
Was diesen Sätzen vorausgeht, sind nicht wahrgenommene oder bewusst verdrängte Warnsignale. Der amerikanische Paartherapeut John Gottman beschreibt diese anschaulich als »apokalyptische Reiter«, die eine Beziehung nachhaltig gefährden. Mitunter fragen wir die Paare, die zu uns kommen, wie viele dieser Reiter sie schon kennen. Das dann folgende Gespräch ist meist sehr aufschlussreich und fruchtbar.
Die vier apokalyptischen Reiter sind:
- Verletzung durch Vorwürfe und Kritik;
- Verachtung;
- Verleugnung und Rechtfertigung;
- Rückzug und Kontaktabbruch.
Diese Reiter kündigen, wenn sie häufiger im Alltagserleben auftauchen, eine schleichende Krise, wenn nicht die Trennung, an:
1. Reiter: verletzende Kritik, Beschwerden als persönlicher Vorwurf, die Schuld und Versagen einschließen. (»Das ist so typisch für dich!«)
2. Reiter: Verachtung, oft ausgedrückt durch Sarkasmus und Zynismus. Oder durch Verfluchen, Augenrollen, Verhöhnen und respektlosen, abschätzigen Humor. In welcher Form die Verachtung – der gefährlichste der vier Reiter – auch auftritt, sie vergiftet eine Beziehung. Es ist so gut wie unmöglich, ein gemeinsames Problem zu lösen, wenn sich die Partner abgelehnt fühlen. Verachtung nährt den Konflikt und löst nichts.
3. Reiter: Verleugnung durch Rechtfertigung und Gegenangriff: »Wieso, was hab ich damit zu tun? Das Problem liegt doch wohl bei dir.« Solche Worte wirken wie eine dosierte Aufkündigung der Beziehung: »Mach, was du willst, ich hab damit nichts zu tun.«
4. Reiter: Rückzug und Abbruch des Kontakts sind eigentlich schon die letzte Windung der sich abwärts drehenden Spirale: Kein Blickkontakt, kein Nicken mehr auf die Worte des anderen, keine Erwiderung, stummes Hoffen, das »irgendetwas passiert«.
Und meist gibt es noch einen »fünften Reiter«. Er steht für Machtausübung und Machtdemonstration: »Du kannst mir gar nichts, ich bin dir sowieso überlegen …«. Gerade auch als Abwehr der eigenen Ohnmachtsgefühle spielt das »Gerangel um Macht« auf allen Stufen des Isolations- und Trennungsprozesses eine wichtige Rolle.
Sie werden in vielen Sequenzen der folgenden Geschichten auch die apokalyptischen Reiter durchs Bild galoppieren sehen. Sie werden nicht explizit benannt, der Hinweis mag aber hilfreich sein, um beim Lesen auf sie zu achten.
Es ist kaum zu beantworten, wann es in einer Partnerschaft so viele dieser Reiter gibt, dass einer der beiden die Trennung fordert bzw. ausspricht. Das hängt von vielen individuellen Faktoren ab und natürlich nicht zuletzt von einer guten Beratung, die darauf hinweist und die Reiter ins Bild bringt.
Beratungen verlaufen sehr unterschiedlich und individuell, sie variieren in der Dauer (von einmaliger »Krisenintervention« bis zu Begleitungsepisoden über einige Jahre), im Sitzungsrhythmus (mal wöchentlich, mal vierzehntägig, mal vierteljährlich, je nach Bedarf und Wunsch der Paare) sowie im »Tiefgang« (einige Paare blicken nach der Verabredung von mehr »Paarzeit« wieder optimistisch in die Zukunft, andere profitieren sehr von der Bearbeitung individuell-persönlicher Themen im Beisein des Partners). Gemeinsam scheint mir Folgendes: Paarberatung ist eine Mischung aus einfühlsamer Moderation, Vermittlung von Informationen zu Kommunikation und Beziehungspflege sowie der Begleitung in neue Erlebnis- und Wachstumsräume.
Nicht selten werden die Beratungen zu Expeditionen in den Dschungel der Familiengeschichten. Das »Früher« ist im »Heute« immer lebendig. Es gilt also, sich vorsichtig dem »Eingemachten«, wie auf dem Buchtitel angedeutet, zuzuwenden. Wenn es gelingt, den Zusammenhang zwischen der Werte- und Kommunikationsstruktur in den Herkunftsfamilien und derjenigen in der aktuellen Partnerschaft deutlich und nachvollziehbar zu machen, sind beeindruckende »Aha-Erlebnisse« der Lohn für couragierte Arbeit.
Dazu ist die gemeinsame Erstellung von sogenannten Genogrammen, den nachgezeichneten Familienstammbäumen, besonders geeignet und hilfreich. Anhand dieser Genogramme werden Informationen zu den Familienmitgliedern über mindestens drei Generationen gesammelt und das Gespräch über Familientraditionen oder -tragödien, über Familienwerte und -wünsche vertieft. Um Bewegung in festgefahrene Partnerschaftsmuster zu bringen, sind Rat suchende Paare für solche »Ausflüge in die Vergangenheit« meist sehr dankbar, da sie frühe »Prägungen« nachvollziehbar und auch für beide verstehbar machen.
Mir persönlich imponiert der Mut vieler Paare. Viele kommen nicht nur ohne recht zu wissen, was sie erwartet, sie probieren auch mit uns – anfangs zögernd, am Ende froh – so »verrückte« Sachen aus, dass sie Stühle für Menschen im Raum platzieren, Gegenstände Gefühlen zuordnen oder zunächst befremdlich scheinende Übungen machen und »Hausaufgaben« erledigen. Von diesen besonderen Sequenzen in der Beratung, in denen »nicht nur geredet« wird, handeln viele der folgenden Geschichten. Dass ich sie so genau aufgeschrieben habe, soll nicht zuletzt auch die Angst nehmen, sich in einer Beratung Hilfe zu holen.
Andere Therapiekolleginnen und Beratungskollegen arbeiten sicher mit anderen Methoden, mir scheinen diese Angebote aus der Gestalttherapie und des Psychodramas besonders hilfreich in der Paarberatung zu sein. Ansonsten stütze ich mich nach der Ausbildung am Hamburger Institut für systemisch-integrative Paar- und Familientherapie von Prof. Martin Kirschenbaum auf die Grundideen der systemischen Beratungskultur und der lösungsorientierten Kurzzeittherapie von Steve de Shazer und Insoo Kim Berg. Zusätzlich fließen wichtige Elemente der Kommunikationspsychologie nach Schulz von Thun sowie der Gesprächs-, Verhaltens- und Tiefenpsychologischen Therapie in meinen »Beratungsstil« mit ein.
Natürlich passiert in einer Beratung – vom »Alarm-Anruf« über den ersten Händedruck bis zur Verabschiedung – eine ganze Menge mehr, als in den »Schlüsselszenen« lebendig wird. Und natürlich habe ich beim Aufschreiben gekürzt, zusammengefasst und bin mittendrin »eingestiegen« und auch wieder »ausgestiegen«. Das bitte ich zu entschuldigen und...