1 Postleitzahl 10117 –
das Berlin der Lobbyisten
»Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt,
und diejenigen, die gewählt werden, haben nichts zu entscheiden.«
Horst Seehofer, CSU, heutiger bayerischer Ministerpräsident
Warum die Macht der Lobby in Berlin zunehmend auffällt. Warum zu viel Lobbyeinfluss ein Problem ist – und wer die Zeche zahlt.
Es ist ein Mittwoch im Januar 2014, als sich um die Mittagszeit in der Berliner Repräsentation der Daimler AG einige der mächtigsten Männer des Landes versammeln. Auf der vierten Etage des kaiserzeitlichen Hauses Huth sind Hunderte Gäste zum Neujahrsempfang gekommen, bei Wasser und Sekt, zu Brezeln und Süppchen. An den Wänden hängt moderne Kunst. Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche hält Hof. Natürlich ist Matthias Wissmann da, der frühere Verkehrsminister und heutige Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), außerdem weitere wichtige Leute wie der Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU), der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter und TV-Journalist Cherno Jobatey. »Sogar Angela Merkel ist hier«, witzelt Zetsche, wenn auch nur, wie er einräumt, als Installation des Schweizer Künstlers Nic Hess.
Einige dieser Gäste werden uns in diesem Buch noch öfter begegnen, weil sie zur Stammbesetzung der Berliner Lobby-Republik gehören. Sie treffen sich hier, sie sprechen sich da, mal helfen sie sich und mal bekämpfen sie sich. Netzwerken, das ist in der Sprache der Lobbyisten ein Tätigkeitswort. Wer kennt wen, darauf kommt es in der Branche an. Und wer wirklich gut ist, hat das Ohr der Kanzlerin.
Sie ist auf diesem Neujahrsempfang der Daimler AG nicht nur als Kunstinstallation vertreten. Denn Zetsche führt an diesem Tag den neuen Cheflobbyisten des Autokonzerns vor – ein bisschen so, als handelte es sich um ein weiteres Sammlerstück. Es ist niemand anders als Eckart von Klaeden. Der niedersächsische Christdemokrat, den sie in der CDU meist »Ecki« nennen, war noch einige Wochen zuvor als Staatsminister im Kanzleramt einer der engsten Mitarbeiter von Merkel. Jetzt arbeitet er in der Zentrale des Stuttgarter Autobauers und hat nun in dieser Funktion seinen ersten größeren Auftritt in Berlin.
Erst redet Zetsche. Er verlangt, dass der Strom bezahlbar bleiben müsse, sonst gingen die »Lichter aus«. Er plädiert für ein »einwanderungsfreundliches Land« und lästert über die Idee einer Pkw-Maut. Dann klettert von Klaeden auf das Rednerpodium, und der Pfarrerssohn wirkt dabei so ungelenk, dass später ein anderer Lobbyist über dieses merkwürdige Duo lästern wird. Über Zetsche, die »Rampensau«, und den netten Ecki, der hier irgendwie nicht reinpasst.
Er wolle sich für »Empathie« zwischen Politik und Wirtschaft einsetzen, sagt von Klaeden an diesem Mittag, die rechte Hand in der Hosentasche. Unternehmen müssten ihre Interessen formulieren und durchsetzen, aber sie müssten auch die Sicht der anderen Seite verstehen. »Wir brauchen den wechselseitigen Austausch, wir brauchen den Dialog«, verkündet er. Es gehe um Transparenz, aber auch um Diskretion. Nein, die beiden Prinzipien seien keine Gegensätze, sie ergänzten sich.
Es liegt ein leichter Schatten auf dieser Veranstaltung, auch wenn hier alle versuchen – Diskretion! –, sich das nicht anmerken zu lassen. Gegen von Klaeden ermittelt seit Monaten die Berliner Staatsanwaltschaft, und zwar wegen seines Umstiegs zu Daimler und des Verdachts der Vorteilsannahme – ein Vorwurf, den der Christdemokrat bestreitet. Es ist ein seltener Vorgang, dass sich die Justiz für einen solchen Seitenwechsel interessiert. Aber von Klaedens Problem ist, dass er auf Bitten der Kanzlerin noch monatelang in seinem Amt in der Regierungszentrale blieb, nachdem er die Jobzusage aus Stuttgart bereits in der Tasche hatte.
Der SPD-Abgeordnete Marco Bülow hat wegen der Sache sogar öffentlich angekündigt, den Neujahrsempfang der Daimler AG zu boykottieren. Zwischen einem Abgeordneten, einem Lobbyisten und einem Journalisten kommt dort das Gespräch auf Bülows Vorstoß, doch die Reaktion des Lobbyisten ist bezeichnend: »Süß …«, murmelt er. Muss man nicht wirklich ernst nehmen. Das Leben geht weiter.
Als von Klaedens geplanter Wechsel im Sommer 2013 publik wird, stößt das dennoch eine neue Debatte über den Einfluss der Lobby auf die Berliner Politik an. Noch mehr Empörung brandet auf, als im Januar 2014 bekannt wird, dass Bahn-Vorstandschef Rüdiger Grube den bisherigen Kanzleramtsminister Ronald Pofalla als Cheflobbyisten in sein Unternehmen holen will – und bei Pofalla ist es erwiesen, dass er sich als Kanzleramtschef immer wieder für die Interessen von Bahn-Chef Grube einsetzte. Dann Anfang Juli 2014 der nächste Paukenschlag: Der ehemalige Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) geht als Cheflobbyist zur Waffenschmiede Rheinmetall – dies, obwohl er bis zum Regierungswechsel im mächtigen Bundessicherheitsrat auch über Exportanträge für Rüstungsgüter von Rheinmetall zu befinden hatte. Gut bezahlte Jobs in der Einflussindustrie gibt es, so scheint es in diesen Monaten nach dem Regierungswechsel von Schwarz-Gelb zu Schwarz-Rot, im Überfluss.
Eine »explosionsartige« Entwicklung
Geschätzt 5000 bis 6000 Lobbyisten arbeiten in Berlin. Doch diese Schätzung kursiert schon seit Jahren. Vielleicht ist sie übertrieben, vielleicht aber auch längst überholt und die Zahl der Interessenvertreter viel größer.
»Die Arbeit der Lobbyisten« habe sich durch den Regierungsumzug nach Berlin »erheblich geändert«, klagt jedenfalls bereits im Jahr 2004 ein gewisser Lothar Kastner in der internen Runde eines Interessenverbands. Er zitiert Schätzungen, wonach »heute annähernd 12.000 Lobbyisten in Deutschland ihre Tätigkeit verrichteten«. Auf einen Abgeordneten, so Kastner, kämen demnach etwa zwanzig Lobbyisten, »was die Schwierigkeit der heutigen Lobbyarbeit verdeutliche«. Kastner ist damals wie heute Vorstandsmitglied des Bundesverbands Deutscher Omnibusunternehmer (BDO) – eine kleine, aber unter Verkehrspolitikern einflussreiche Organisation, von der noch ausführlicher die Rede sein wird.
Der Buslobbyist zitierte die Zahlen auf einer Mitgliederversammlung, um die »steigenden Kosten« der eigenen Verbandsarbeit zu rechtfertigen. In den Jahren seit dem Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin ist in der Branche in der Tat eine Art Wettrüsten in Gang gekommen. Weil die Konkurrenz hart ist, muss jeder versuchen, den anderen zu übertreffen, um die Aufmerksamkeit der Zielpersonen in Parlament und Verwaltung zu erlangen. »Wer heute die Polit-Größen der Hauptstadt auf seiner Veranstaltung haben möchte, muss auffallen. Entweder durch eine besonders beeindruckende Speisenfolge, einen ausgefallenen Veranstaltungsort, hochrangige Referenten oder am besten alles zusammen«, schreibt bereits im Jahr 2003 Axel Wallrabenstein, Chef der Lobbyagentur MSL Germany in einem Aufsatz über die »Public Affairs Boomtown Berlin«.
»Rasant« sei diese Entwicklung seit dem Regierungsumzug verlaufen, bekennt der Repräsentant des Handelskonzerns Metro, Michael Wedell. Als »explosionsartig« hat sie Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) beschrieben. Der SPD-Abgeordnete Marco Bülow ließ in zwei der letzten Sitzungswochen des Parlaments vor der Bundestagswahl 2009 sein Büro mitzählen: »In dieser kurzen Zeit erreichten uns über 400 Briefe, Mails, Faxe und Telefonanrufe, die sich Lobbyisten zurechnen lassen«, resümierte er. Rundmails, Einladungen zu Parlamentarischen Abenden und Diskussionsrunden, Gesprächswünsche, Nachfragen zu Gesetzen und Positionspapiere – die Lobbypost nahm kein Ende.
Im direkten Umkreis von Kanzleramt und Reichstag, also grob gesagt im Postzustellbezirk 10117, findet man kaum noch ein Bürogebäude ohne das Klingelschild einer Firmenrepräsentanz, eines Verbandssitzes oder einer Berateragentur. Oft sind es gleich mehrere unter einem Dach. 10117 Berlin – das ist ein nur etwa drei Quadratkilometer messendes Stück Erde, ungefähr so groß wie die Freifläche des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Hier zwischen Brandenburger Tor im Westen und Deutschem Historischem Museum im Osten, zwischen Charité und Auswärtigem Amt unterhalten die Lobbyisten bevorzugt ihre Büros – weil sie von hier aus rasch zu Fuß in die Zentren der Macht gelangen und die Abgeordneten und Beamten umgekehrt zu ihnen.
Auf der Verbändeliste des Bundestags steigt von Jahr zu Jahr die Zahl der Einträge. Waren es 1999, kurz vor dem Umzug von Bonn nach Berlin, noch 1675, sind mit Stand Dezember 2014 insgesamt 2221 Namen verzeichnet: von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) und dem Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft bis zum Zentralverband Naturdarm e.V. und dem Zweckverbund Ostdeutscher Bauverbände (ZVO), der Stimme »des Baugewerbes in Ostdeutschland«.
Nicht alle, aber viele dieser Organisationen unterhalten ein Büro in Berlin. Deren Zahl wird auf 500 bis 1000 geschätzt. Im Jahr 2013 hatten nach einer Aufstellung des Bundestags jedenfalls 526 registrierte Verbände Hausausweise für das Parlament beantragt und erhalten. Zugleich ist die Verbändeliste des Bundestags grob unvollständig, denn auf ihr müssen sich all diejenigen Lobbyisten nicht anmelden, die für Agenturen, Anwaltskanzleien und Unternehmen unterwegs sind. Und gerade deren Zahl scheint in Berlin konstant zu steigen. Fast schon im Monatsrhythmus eröffnet hier eine neue Firmenrepräsentanz. Meist arbeiten dort drei bis vier Personen unter der Leitung eines Konzernbevollmächtigten. Pro Jahr verschlingt solch ein Lobbybüro locker...