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E-Book

Die Lüge der digitalen Bildung

Warum unsere Kinder das Lernen verlernen

AutorGerald Lembke, Ingo Leipner
VerlagRedline Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783962670078
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Die Panikmache geht weiter: Unisono fordern Politiker und Industrie, dass Schüler mit allerlei Technik überhäuft werden, um den Anschluss ans digitale Zeitalter nicht zu verpassen. Diese Digitalisierung der Bildung erfolgt jedoch fast nur technologie- und ökonomiegetrieben. Pädagogische Konzepte? Fehlanzeige! Die Autoren üben nicht nur Kritik an dieser Art von Digitalisierung, sondern nehmen in dieser Neuauflage gezielt auch die wirtschaftlichen Verflechtungen aufs Korn, die zwischen IT-Industrie und Bildungspolitik bestehen. Sie greifen zentrale Mythen der Digital-Befürworter an und entlarven die Anstrengungen für eine »Lernfabrik 4.0«, in der Computer allmählich Lehrer ersetzen sollen. Die Autoren danken insbesondere auch der FDP für ihr inspirierendes Wahlplakat »Digital first. Bedenken second«. Und zeigen, dass gerade das Gegenteil richtig ist.

Prof. Gerald Lembke ist gefragter Experte für Digitale Medien und berät Unternehmen und Organisationen, wie sie Digitalisierung gewinnbringend umsetzen können. Dipl.-Volkswirt Ingo Leipner ist Experte für publizistische Projekte im Internet und schreibt seit vielen Jahren für journalistische Online-Portale. Dazu ist er seit neun Jahren als freiberuflicher Dozent tätig

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Leseprobe

2. Im Kreuzfeuer der Werbung


Wie Kinder zu unkritischen Konsumenten werden – beschleunigt durch digitale Medien


Kleinkinder in »brillante Babys« verwandeln – diesen fragwürdigen Versuch haben wir bisher unter die Lupe genommen. Das geschieht alles mithilfe digitaler Medien, die jedes Kinderzimmer der Welt erobern. Was für Absatzmärkte! Was für ein Profit! Dabei lenkten wir den Blick auf die Wirkungen elektronischer Medien, die sie unabhängig von ihren Inhalten entfalten. Getreu dem Motto McLuhans »The medium is the message«. Denn sogenannte kindgerechte Formate gibt es nicht; unter Dreijährigen schadet jede Form der Berieselung, egal ob über TV, Tablets oder Smartphones.

Wir müssen aber trotzdem über Inhalte reden, wenn wir Kinder in Kindergärten einbeziehen (drei bis sechs Jahre). Dabei rücken spezielle Inhalte in den Mittelpunkt, die manipulativ kleine Kinder in den Bann der Konsumindustrie ziehen. Dazu stellen Helga Theunert und Kathrin Demmler fest (1):

»Relevant sind in diesem Kontext auch die Mehrfachvermarktung von Medienangeboten und deren Verlängerung in den Konsummarkt. Schon Säuglinge und Kleinkinder werden hierdurch mit Medienfiguren in Form von Spielzeug und Gebrauchsgegenständen umgeben, die sie wenig später in medialen Präsentationen, zum Beispiel im Bilderbuch, im Fernsehen oder im Computerspiel, wieder entdecken. Die konvergente Medienwelt spinnt heute bereits die Allerjüngsten in ihr Netz ein, und zwar mit System. Eltern jedoch ist dies meist nicht bewusst. [Heraushebung durch die Autoren].«

Diese kritischen Sätze im wissenschaftlichen Gewand enthüllen kein Geheimnis, denn die Meister der Kindermanipulation warben lange Zeit offen mit der Botschaft »Eltern kaufen doppelt so häufig Produkte auf Wunsch ihrer Kinder, als ihnen bewusst ist«.

»Familienmarketing« – die crossmediale Manipulation

Diese Aussage wurde illustriert durch eine Szene, die in einem Supermarkt spielt: Ein kleiner Junge blättert in einem Werbeblatt und blickt pfiffig zu einem Erwachsenen hinauf, der sich für ein Produkt im Kühlregal entscheidet. Die Botschaft ist klar: Dringst du in den Kopf der Kinder ein, hast du die Erwachsenen in der Tasche. Und der Kopf des Käufers war tatsächlich in der Grafik abgeschnitten. Diese Szene fand sich bis 2017 auf der Startseite der Agentur KB&B, deren Werber ihre Arbeit vornehm umschreiben – als »Kinder- und Familienmarketing«.

Was sie aber auf ihrer Website anpreisen, ist die crossmediale Manipulation von Menschen, die sich überhaupt nicht wehren können, wenn sie den Einflüsterungen der Werbeindustrie ausgesetzt sind. Natürlich sehen das die Werber ganz anders, sie entwickeln »Elemente einer erfolgsorientierten Kommunikationsstrategie. Von der Strategie bis zum TV-Spot, Website, Printkampagne oder App – alle Medien aus einer Hand (…)«. Seit Kurzem lassen sich aber die Werber nicht mehr so leicht in die Karten schauen. Das Kühlregal mit dem pfiffigen Jungen ist bei einem Relaunch der Seite verschwunden, ebenso das Fallbeispiel »Oktonauten«. Die Methoden sind aber offensichtlich geblieben …

Genau in dieser Welt der Verführung spielen digitale Medien eine zentrale Rolle. Um das zu zeigen, begeben wir uns auf Spurensuche – und folgen den Oktonauten auf ihrer Reise durch die Medien-Tiefsee. Diese TV-Serie läuft seit Herbst 2011 bei Super RTL; die drei wichtigsten Helden sind Eisbär Käpt’n Barnius, Kater Kwasi und Pinguin Peso. Sie sind bei ihren Abenteuern im Ozean unterwegs, ihr Motto lautet: »Erforschen, retten, beschützen!« Wer wagt es da, Kritik zu üben?

Ein Sendeplatz findet sich schon am Morgen. Um 8 Uhr setzen sich Kinder vor die Glotze, um Barnius und Co. auf ihren Reisen zu begleiten. Doch die Digitalität hat längst die Beschränkungen durch Zeit und Raum aufgehoben: Bei Apple iTunes lässt sich die Serie für Smartphones und Tablets kaufen, etwa »Die Oktonauten und die Hammerhaie« für 5,99 Euro. So wird die Kinderserie überall und jederzeit verfügbar. Eine wunderbare Waffe gegen quengelnden Nachwuchs – und eine weitere Einnahmequelle für die IT-Industrie. Und diese Quellen sprudeln rund um das Produkt Fernsehserie, die selbst am besten für eine Vielzahl lukrativer Ableger wirbt.

Dazu bedarf es einer geschickten Verpackung: »Muhpiduh«, ruft das Stierjunge Toggolino, wenn ab 6 Uhr morgens die Super RTL-Vorschulwelt über den Bildschirm flimmert. Toggolino ist ein Maskottchen mit hohem Wiedererkennungswert, was zur Strategie der Verführung gehört. »Er zeigt Ihrem Kind ein Programm mit Serien, die speziell für die Bedürfnisse von Vorschulkindern entwickelt wurden«, schreibt Super RTL auf seiner Website. Da dürfen die erfolgreichen Oktonauten nicht fehlen …

Überhaupt kommt der kommerzielle Kindersender mit einem hohen moralischen Anspruch daher, wenn er für seine Serienhelden schwärmt: Sie würden vorleben, »was Freundschaft bedeutet und wie Teamwork funktioniert. Sie erfahren die Sicherheit und Geborgenheit von Familie. Und sie lernen, wie wichtig Optimismus und der Glaube an die eigenen Fähigkeiten sind, um alle Herausforderungen zu meistern.« Wer wagt es da zu meckern?

Am Ende des Textes kommt ein Link: www.toggolino.de. Und siehe da, schon taucht es erneut auf, das »neugierige Stierjunge«: »Der Toggolino CLUB ist ein innovatives Lern- und Spieleportal für Kinder im Alter von drei bis sieben Jahren«, heißt es auf der Website. Das führt erneut vor Augen: Die Begriffe »Lernen« und »Bildung« sind die Zauberworte des Marketings, um Eltern bei der Angst zu packen, ihre Kinder nicht früh genug auf den Kampf ums Überleben vorzubereiten. Zwei Punkte werden unter anderem angeführt:

 

  • »Spielerische Vorbereitung auf die Schule (Rechnen, englische Vokabeln sowie der Umgang mit Farben und Formen)«
  • »Kindgerechte und geschützte Heranführung an den Computer und die Welt des Internets«

 

Passend zu diesen Argumenten die »große Vorschulaktion«: »Machen Sie schon jetzt Ihr Kind spielerisch fit für den Schulstart«, lautet der Appell an leistungsbewusste Mütter und Väter. Daneben Buttons, um »Lernspiele« zu testen; die Oktonauten sind natürlich mit von der Partie, inklusive eines Querverweises auf den Sendeplatz um 7:50 Uhr bei Super RTL. So funktioniert crossmediales Marketing! Und wie lernen die Kinder rechnen? Das zeigt ihnen Timmy, das Schaf, einer der vielen Kollegen der Oktonauten: Timmy ist mit ein paar Tieren unterwegs, die Kinder sollen zählen, wie viele aus der Gruppe fehlen. Drei, fünf oder sieben? Ein Mausklick auf die richtige Zahl. Gewonnen!

Bei diesem Beispiel fällt uns wieder Prof. Thomas Fischer ein, der im letzten Kapitel gesagt hat, es sei viel einfacher, »ein Kind vor die Flimmerkiste zu setzen, als mit ihm draußen im Wald spazieren zu gehen, wo man einen Tannenzapfen aufheben und fortwerfen kann«. Virtualität statt Realität – so macht das Kind weniger echte Erfahrungen in der physischen Welt, die jedoch entscheidend für seine kognitive Entwicklung sind.

Websites wie www.toggolino.de gaukeln zwar vor, diese Entwicklung zu fördern, bewirken in unseren Augen aber das Gegenteil. Wer seinen Kindern unbedingt mathematische Grundfertigkeiten vermitteln will, kann sie auch Tannenzapfen im Wald zählen lassen. Doch so einfach geht das nicht, wie der Schweizer Entwicklungsspezialist Prof. Remo H. Largo bemerkt (2):

»Die meisten Kinder haben (…) selbst im Alter von fünf Jahren nur eine sehr begrenzte Vorstellung von Zahlen. Es gibt zwar Drei- und Vierjährige, die bis 20 oder noch weiter zählen können, doch dabei erbringen sie lediglich eine Sprach- und Gedächtnisleistung. Die Kinder zählen genauso, wie sie einen Kinderreim aufsagen, ohne jedes Verständnis für den Zahlenraum.«

Übrigens: Die Mitgliedschaft im Toggolino CLUB kostet Geld!

Aber folgen wir weiter den Spuren der Oktonauten: Sie tauchen wieder in einem Meer von Kinderzeitschriften auf, das sich über gefühlte 20 Regalmeter im Supermarkt erstreckt. Genau in der Mitte eines Titelbildes, das ein fröhlich-buntes Heft ziert. Große Überraschung! Die Zeitschrift heißt Toggolino von Super RTL, inklusive des bereits bekannten Stierjungens im Logo.

Die Oktonauten sind auf dem Titel in bester Gesellschaft: Bob, der Baumeister, klettert eine Leiter hinauf, oder Mike, der Ritter, lässt sein Pferd auf die Hinterbeine steigen. Lauter Serienhelden bei Super RTL. Und ein Gimmick à la Yps der 1980er-Jahre darf nicht fehlen: die Klick-Kamera. Natürlich ein Lizenzprodukt von Super RTL, made in China: Plastikramsch vom Feinsten, der schnell in der Ecke landet. Durch einen Pseudo-Sucher sollen die Kinder ihre Fernsehhelden herbeiklicken – so lange, bis ziemlich unscharf auch ein Bild der Oktonauten auftaucht.

Eindeutig ein Fall für die Rubrik »Dinge, die die Welt nicht braucht«. Es ist schade um das kostbare Erdöl, das in solche sinnfreien Produkte fließt. Obwohl … auf Seite 8 der Zeitschrift wird daraus ein Spiel gemacht: Wer seinen Liebling in der Klick-­Kamera entdeckt, kann bei der passenden Abbildung seiner Helden einen Haken machen. Lohnt dafür die Verschwendung knapper Ressourcen?

Das klingt alles noch recht harmlos. Blättern wir aber eine Seite weiter, stoßen wir auf die einzige kommerzielle Anzeige eines fremden Unternehmens: LamaLoLi.com. Der Onlineshop wirbt mit dem Slogan »Alle Kinderhelden unter einem Dach!«. In seiner Anzeige geht es um Klamotten für Babys, Kinder und Jugendliche. Abgebildet ist Artikel...

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