Prolog: Kinder, Küche, Kirche – und Karriere
»Mama, dürfen Männer auch Kanzler werden?« Diese Frage eines Journalistenkindes war nach der Bundestagswahl 2017 der Running Gag auf den Partys und Empfängen im politischen Berlin. Kindermund tut Wahrheit kund. Der Kleine hat zu viel Angela Merkel gesehen – und unbewusst eine Wahrheit ausgesprochen: Die Macht ist weiblich. Und neuerdings tritt sie im Duo auf: Angela und Annegret. Die politische Lovestory 2018, ein unzertrennliches Paar.
Im Winter ihrer Karriere hatte die ewige Kanzlerin ein mädchenhaftes Lächeln im Gesicht, das ihr keiner mehr zugetraut hatte: Beseelt, beglückt, befreit. Schwärmerisch waren die Blicke von Angela Merkel, die sie Annegret Kramp-Karrenbauer zuwarf. Und die flirtete zurück, wie es sich bei einer politischen Romanze, einer über Jahre gewachsenen Zuneigung, in der Premiumklasse gehört.
Die Luft flirrte, im Saal war ein Glücksglucksen zu spüren, wie man es in der oft so nüchternen deutschen Politik selten erlebt. Eine perfekte Inszenierung, die dennoch authentisch wirkte. Es war der 19. Februar 2018 im Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Parteizentrale, eine neue Ära in der einzig verbliebenen deutschen Volkspartei brach an: Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte wechselte eine amtierende Ministerpräsidentin in ein Parteiamt. Sie empfinde das als »ein großes Glück«, schwärmte Angela Merkel. Und dieses Glück habe sie gleich »beim Schopfe gepackt«. Kein Wunder, hatte die CDU in den vergangenen Jahren doch »das Profil eines abgefahrenen Reifens«, wie CDUMitglieder der Kanzlerin am Parteitag bescheinigten. Annegret Kramp-Karrenbauer hat Profil. Und nicht nur Hosenanzüge im Schrank.
Annegret wer? Die Frau mit dem frechen Kurzhaarschnitt und dem sperrigen Doppelnamen ist bundesweit noch nicht überall bekannt. Ist Deutschland reif für eine zweite Kanzlerin? Das wäre eine wunderbare Normalität, die Merkels Kanzlerjahre nicht als Ausnahme oder gar als Betriebsunfall aussehen lassen würden.
Sieben Jahre trennen die beiden Frauen bezogen aufs Lebensalter, aber Merkels dreizehn Kanzlerjahre zählen doppelt, weil sie so zermürben: Dieser mörderische Job mit Sechzehn-Stunden-Tagen frisst einen auf. Wer genau hinschaute, sah an diesem 19. Februar einen Generationswechsel, und zwar einen einvernehmlichen: Eine Politikerin im besten Alter, die sich im Mini-Bundesland Saarland in Ruhe entwickeln konnte, will erst mal in der Partei die Kanzlerin als Führungskraft beerben. Sie will Begeisterung für Politik wecken – eine Disziplin, in der Angela Merkel traditionell schwach ist. Sie will Politik begreifbar machen, dem Berliner Politzirkus das Komplizierte und Unverständliche nehmen, das ist nötiger denn je. Annegret Kramp-Karrenbauer ist jetzt Generalsekretärin – wobei die Betonung eindeutig auf General und nicht auf Sekretärin liegt. Und das Parteiamt ist wohl nur die Vorstufe auf dem Weg ins Kanzleramt, von der Provinz auf die Berliner Bühne.
Wer die Frau mit dem Doppelnamen, die der Einfachheit halber »AKK« genannt wird, unterschätzt, der hat schon verloren. Sie ist zweifellos Angela Merkels Favoritin für die Nachfolge. In Berlin weiß jeder, dass sie als »Germany’s Next Kanzlerin« auserkoren ist. Aber drei Jahre bis zur nächsten regulären Wahl sind politisch eine Ewigkeit, und Deutschland ist keine Monarchie, bei der die Throninhaberin bestimmt, wem sie die Krone übergibt. Angela Merkel kann Weichen stellen und so das Kunststück eines sanften Übergangs schaffen und an eine Frau übergeben, die ihr an Selbstbewusstsein kaum nachsteht. Annegret Kramp-Karrenbauer ist ein Unikat. Sie hat Angela Merkel angeboten, dass sie Generalsekretärin wird, nicht umgekehrt. Sie hätte auch Ministerin werden können, aber ihre Demutsgeste, die erste Dienerin der Partei zu sein, die sie groß gemacht hat, wird ihr noch sehr helfen. Die ausgezehrte CDU, die am Ende auch den Kanzlerkandidaten nominiert, liebt sie dafür, dass die Partei durch sie eine Blutauffrischung erfährt. Durch Annegret Kramp-Karrenbauer kann die Union wieder mehr sein als ein Kanzlerwahlverein. Strategisch ergibt die Sache Sinn: Als Ministerin ist sie durch ihr Amt für ein Ressort zuständig, darüber hinausgehend ist der Einfluss schwach. Als Kanzlerin muss man Generalistin sein. Als Generalsekretärin auch. Eine ideale Position, um sich einen besseren Überblick über alle Politikfelder zu verschaffen.
Wer ist die Saarländerin, die ihrer Kleinstadt Püttlingen immer treu geblieben ist und jetzt die wohl erfrischendste Figur auf der Berliner Bühne ist? Bei ihr ging es immer nur nach oben, eine krasse politische Niederlage, eine Demütigung, ein Rückschlag ist nicht bekannt. Sie war Ministerin für Familie, Frauen, Arbeit, Justiz und Sport – und leitete im Saarland sogar auch das Innenministerium, das traditionell härteste Ministerium. Dass sich die Halunken im Saarland darüber gefreut hätten, ist nicht bekannt. Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich mit ihrer praktischen Intelligenz immer in neue Themen eingearbeitet – und nie versagt. Sie ist eine sanfte Machtpolitikerin, eine, die nicht wie die rabaukige Andrea Nahles von der SPD die Beherrschung verliert und unflätig wird. Ihr Markenzeichen ist Nervenstärke und ihre Zurückhaltung bei starken Sprüchen sollte man bei ihr nicht mit Schwäche verwechseln. Annegret Kramp-Karrenbauer ist weder schrill noch laut, aber gut zu verstehen. Sie will Politik für »Normalos« machen und verkörpert selbst gerne eine. Eine weibliche Antwort auf Emmanuel Macron, der durch sein Charisma die Menschen begeistert, wird sie nicht. Aber sie ist eben auch keine knochentrockene Pragmatikerin und Technokratin der Macht.
»Mini-Merkel« wurde Annegret Kramp-Karrenbauer genannt, ein Begriff, der Respekt signalisiert, aber auch abwerten soll. Denn viele Menschen haben die Nase voll von Merkels langer Kanzlerschaft, an vielen Orten schlägt ihr offener Hass oder zumindest Überdruss entgegen. Das macht sich auch im politischen Witz bemerkbar. Wie etwa: Fällt ein Rentner vor dem Bundeskanzleramt auf den Rücken. Merkel hilft ihm auf: »Dafür müssen sie nächstes Mal wieder CDU wählen«, sagt sie. Der Rentner antwortet nur trocken: »Gute Frau, ich bin auf den Rücken gefallen und nicht auf den Kopf.«
Solche Witze werden täglich tausendfach gepostet. Annegret Kramp-Karrenbauer weiß das; sie darf nicht wie »Merkels Mädchen« wirken, wenn sie in Deutschland große Mehrheiten gewinnen will. »Niemand ist unersetzlich, auch nicht Angela Merkel«1 sagte sie in einem Interview mit der Bild am Sonntag im Frühjahr 2016. Aber aus ihrem Mund klang es nicht wie Meuterei oder Majestätsbeleidigung. Sie will zwar auch Kontinuität verkörpern, weil Merkel ja tatsächlich in vielen Bereichen ein »Deutschland, in dem wir gut und gern leben« (so hieß das offizielle CDU-Wahlprogramm 2017 tatsächlich) geschaffen hat. Aber AKK muss in ihrem politischen und persönlichen Sortiment auch Neues anbieten, frische Gedanken, klare Kante. Da, wo Merkel gerne im Ungefähren blieb und sich nicht festlegen wollte, erwartet man von der CDUGeneralsekretärin Tacheles. Sie muss Kraft ihres Amtes die »Abteilung Attacke« beherrschen, sie muss die politische Kampfeslust zeigen, zu der die allzeit kontrollierte Kanzlerin noch nie fähig war.
Merkel wird in der CDU »Mutti« genannt – ein bizarrer Spitzname, wenn man weiß, dass die Karrierefrau Angela Merkel wohlweislich auf Kinder verzichtet hat, was natürlich ihr gutes Recht ist. Als neue Generalin ist Annegret Kramp-Karrenbauer mit Blick auf ihre außerpolitische Lebensform schon eher die Mutti der CDU, die sich ausdrücklich als Familienpartei versteht. Ursula von der Leyen hat zwar sieben Kinder, versprüht aber wenig Mütterlichkeit und Nestwärme in der Partei. Annegret Kramp-Karrenbauer hat es geschafft, Kinder, Kirche, Küche und Karriere zu verbinden; Ihre drei Kinder sind wohlgeraten, ihre Ehe, die schon seit 34 Jahren besteht, ist heute ein Ausweis für Stabilität und Modernität. Denn Helmut Karrenbauer, der Gatte, den kaum jemand kennt, hat sich beruflich zurückgenommen. Der Bergbauingenieur in Frührente ist der ideale Lebenspartner für die aufstrebende Politikerin, auch als Hausmann hat er sich nie zurückgesetzt gefühlt. Moderne Arbeitsteilung, die einem grundkonservativen Weltbild keinen Abbruch tut.
Denn es ist im besten Sinne konservativ, wenn einem als Christin die Ehe heilig ist und der Lebensentwurf, zusammenzubleiben, bis einen der Tod scheidet, nicht an den Unebenheiten und Widersprüchen des Lebens zerbricht. Angela Merkel hat eine Scheidung hinter sich. Geschadet hat ihr das nicht wirklich, aber Annegret Kramp-Karrenbauer verkörpert mit ihrer Ehe eben den Traum von der lebenslangen Liebe, den so viele vergeblich träumen. Fast zu schmalzig, um wahr zu sein. Und sie steht für die Kraft der Familie: Wer mit fünf Geschwistern...